Nr 45 Samstag, 22 Feber 1936 Seite 3 fudetendeu tsrfiev Zcifepiegef Ein verdienstvoller Parteiveteran Als verdienstvoller Pionier der Arbeiterbewegung, in allen Bevölkerungskreisen weit über die Grenzen Haidas hinaus geehrt und beliebt, begeht nach einem an Arbeit und Erfolgen reichen Leben am 24. Feber unser Genoffe Alexan der Pfohl aus Haida bei voller Gesundheit seinen 70. Geburtstag. Als Kind eines armen Glasmalers in Neuwelt(Riesengebirge ) geboren, erlernte er das Malerhandwerk. Im Jahre 1885 kam er nach Haida. 1888 gründete er eine eigene Werkstätte, die er noch heute betreibt. Als äußerst geschickter Fachmann hat er hervorragenden Anteil an der Veredelung unserer Glasindustrie und manches reizvolle, aus seiner Künstlerhand hervorgegangene Glasprodukt fand dauernden Ehrenplatz im Haidaer Museum für Glas- und Keramik, das am 14. Mai 1893 eröffnet wurde und seine Entstehung der tatkräftigen Arbeit P f o h l s und eines kleinen Kreises fortschrittlicher Berufskollegen verdankt. So tüchtig er in seinem Berufe ist, so ist er es auch als Organisator in der sozialistischen Arbeiterbewegung, der er sich als noch junger Mann anschloß. Als im Jahre 1890 der Gedanke auftauchte, einen Glasarbeiter-Fachverband für das Gebiet Haida-Steinschönau ins Leben zu rufen, war Pfohl einer der ersten, der mit voller Tatkraft Hand anlegte. Ein Fachblatt, die„Glas- Arbeiter-Zeitung", wurde gegründet, deren erstes Exemplar bereits am 5. September 1890 erschien und das später in das Wochenblatt„Nordböhmischer Volksbote" umgewandelt wurde, dessen erste Ausgabe am 6. November 1891 erfolgte und mächtig zur Verbreitung der sozialistischen Ideale beitrug.' Genosse Pfohl war auch Mitbegründer der „ReichenbergerKrankenkaffenzweigstelle" in Haida und zu Wiederholtenmalen Vertrauensmann unserer Lokalorganisation. Ein weiteres Feld seiner Tätigkeit für die Arbeiterschaft bildet der„Ar- beiter-Turn- und Gesangverein Vorwärts" Haida, dessen Gründung im Jahre 1901 erfolgte. Genoffe Pfohl war als Gründer während der ersten fünf Jahre ununterbrochen, dann nochmals im Jahre 1909-10 Vorsitzender dieses Vereines, der jahrzehntelang der Kernpunkt der sozialisti schen Bewegung Haidas gewesen ist. Im Jahre 1896 kam Genosse Pfohl in die Stadtvertretung, wurde alsbald Stadtrat und ist seit dem Jahre 1919 bis zum heutigen Tage Bürgermeister-Stellvertreter. In dieser 40jährigen Amtstätigkeit widmete er stets sein ganzes Augenmerk und seine bis heute ungebrochene Kraft dem Wohl der arbeitenden Bewohnerschaft. Wir entbieten unserem Genossen Pfohl zu seinem 70. Wiegenfeste die aufrichtigsten Glückwünsche und hoffen, daß er seiner Familie, unserer Bewegung und allen, die ihn schätzen, noch viele Jahre bei voller Gesundheit erhalten bleiben möge. Aus einem sehr gemischten Praktische.Volksgemeinschaft 4 nord böhmischen Betriebe Vor dem Tetschner Bezirksgericht läuft eine interessante Ehrenbeleidigungsklage der Firma Klemens Müller, Nähmaschinenwerke in Büna u b u r g, resp. deren Generaldirektors Neumann aus Prag gegen den Metallarbeitersekretär Genossen P u l S in Bodenbach . Zu Beginn des Jahres 1934 brach in der genannten Fabrik, die früher ein Zweigbetrieb der gleichnamigen Firma in Dresden war, ein Lohnkampf auS. Durch die Schuld gelber Streikbrecher ging der Streik verloren. Eine ganze Anzahl freigewrrk- schastlich organisierter Arbeiter wurde gemaßregelt; unter ihnen auch der Obmann des BetriebSausschus- seS. Wegen dieser gesetzwidrigen Entlassung wurde gegen DirekwrNeumann eine Anklage wegen Terror erhoben, doch ist dieser Prozeß noch nicht entschieden. Die nun selbständige Firma wird vom erwähnten Generaldirektor— einem tschechisch-jüdischen Nähmas chinenhändler und der Anglobank betraut. Maßgebende Beamte sind«über noch heute Reichsdeutsche. In der Arbeiter- fchaft gibt die völkische Gewerkschaft den Ton an. Der jetzige Obmann des Betriebsausschusses ist«in Vertreter dieser Gewerkschaft. Daß zwischen der Firma und der freien Gewerkschaft der Metallarbeiter seit dem Streik ein gespanntes Verhältnis besteht, ist erklärlich. Dem geklagten Genossen Puls wird vorgeworfen, daß er im Juli 1935 bei zufälligem Zusammentreffen zu einem Kollegen, woher ein Mitglied -der völkischen Gewerkschaft auf der Straße zuhorchte, über"Mi' finanzi eTI e Lage vet Firma einige Bemerkungen gemacht hatte.(Um die Arbeiter vor eventuellem Schaden zu bewahren.) Der Horcher, ein gewisser P a tz e l t, machte hiewon dem Obmann des B. A. namens Beer Mitteilung, der dann schnurstraks zur Firma ging und dort das Gehörte weitergab. Der Direktorstellvertreter Liebelt ließ eine Art Protokoll verfassen und dies von den Tatzeugen unterschreiben. Damit ausgerüstet, wurde der Klageweg betreten. Der Geklagte trat den Wahrheitsbeweis an und brachte durch seinen Anwalt eine Reihe von Beweisanträgen ein. Zuerst hatte die Firma selbst geklagt. Da aher diese juristisch zu einer Ehrenbeleidigung nichtlegiti- m i e r t ist, wurde sie k o st e n p f l i ch t i g in der ersten und bei der erfolgten Berufung auch in der zweiten Instanz(Kreisgericht Leitmeritz ) ab» gewiesen. Sodann sprang der Generäldirek- wr R e u m a n n in di« Bresche. Zirka 15 Zeugen wurden beiderseits vor das Tetschner Bezirksgericht geladen. Aus den Aussagen des bisher einvernommenen Zeugen, insbesondere durch die bestätigenden Angaben des Direktorstellvertreters und des Obmannes des B. A. ging hervor: Daß die Firma der Bezirkssozialversiche- rnngSanstalt in Tetfchen 116.000 Kd an Beiträgen schuldig«ar und über erfolgte« Antrag dir AutoS des Werkes gepfändet wurden;- daß eS Lohnrückstände gab, die Unterstützungen aus dem ArbeiteruntrrstützmrgsfondS der Arteiter(veranstaltet von der Firma) gekürzt worden sind und die Firma tri der Bünantnrger Raiffrisenkasse ei» Darlehen von 50.000 XL anstrebte, nm die Löhne auszahlen und Material einkaufen z« könne», wobei fünf Angestellte und Arbeiter als Darlehensnehmer und zehn als Garanten zu fungieren hatten. Die erwähnte Kasse hat unbeschränkte Haftung,(Später wurde das Darlehen ebenso bezahlt wie die Schuld an die B.S.B.A., wobei die Anglobank für 60.000 Xi die Bürgschaft übernahm, ei wurden Arbeiter ausgenommen und voll bis Ende Jänner 1936 gearbeitet.) Zeuge Liebert gab zu, daß die Firma 1934.(trotz herabgesetzter Löhne) mit Verlust abschnitt. Interessant war auch die Feststellung, daß das bei der Raiffeisenkafle durch Vermittlung der Beam- -ten und Arbeiter, die Genossenschaftler sind oder eS werden mußten, aufgenommene Darlehen in den Handelsbüchern der Aktiengesellschaft, die unter Patronanz der Anglobank steht, gar nicht geführt wurde. Erwähnt sei, daß ein Zeuge, der aufgefordert worden war, das oberwähnte Protokoll zu unterschreiben und es auch tatsächlich unterschrieb, während der Verhandlung in einem wesentlichen Punkt« der Aussage seines Vorgesetzten(Direktorstellvertreter) trotz der erfolgten Konfrontation wider- Alte Gebräuche im Isergebirge „Hutznstoben bei uns und drüben" war ein Artikel überschrieben, der vor kurzem in der „Frauenwelt" über alten BesuchSbrauch im Erz gebirge berichtete. Aehnlicher Brauch war bis um Me Jahrhundertwende auch im Jsergebirge im Schwange. Heute ist davon Wohl nichts mehr, oder nur noch sehr wenig bekannt. Bis in die Achtziger- und Neunzigerjahre des vorigen Jahrhunderts aber war das„Zun Rock'n giehn" und das„Zun Licht'n giehn" im Jsergebirge allgemein üblich. „Zun Licht'n giehn" war eine Gepflogenheit, wonach die Nachbarn und auch entferntere Ortsbewohner mit Handarbeiten und verschiedenen Beschäftigungen, aber auch mit beruflicher Aicheit, wie dies besonders bei den Perlenbläsern, den„Fertig- inachern" usw. der Fall war, während der Abendstunden, d. h. solange die Stuben beleuchtet waren, zu Bekannten oder zu Nachbarn gingen, um bei gemütlichem Plausch einige Stunden zu verbringen. Alt und jung pflegte diesen Brauch. Oft genug wurde der ,Mcht'ngang" von den.jungen Leuten als Gelegenheit benützt, sich ein trautes Stelldichein zu ;eben und so„Bekanntschaften" zu festigen oder an- »bahnen. Daß bei den ,Lichr'ngängen" nebst ernstem und heiterem Diskurs auch allerlei Allotria getrieben ivurde, versteht sich von selbst. Bei lustigem und ernstem Plausch verrann eben 'die Zeit viel schneller und oft War es ganz„unversehens" Mitternacht geworden, wenn man sich auf den Heimweg besann. In den langen Herbst- und Winternächten sah man zu später Stunde Laternenfunzeln den Ort durchqueren und gewöhnlich konnte man an den Wegen der Lichter feststellen, wo wieder ein„Licht'n- aang" gewesen war und wer daran teilgenommen hatte. Daß bei solchem„Licht'ngang" auch damals schon viel über„Politik" und die Rot der Zett gesprochen wurde, ist selbstverständlich. Daß aber dabei der Staat in Gefahr gekommen wäre, wie dies jetzt in den.Hutz'nftuben" im glorreichen Hitlerreiche nach den Berichten der letzten Zeit der Fall sein soll, davon weiß die Chronik nichts zu erzählen. Etwas„ausgiebiger" als der.Mcht'ngcmg" war der„Rock'ngang", der zum Unterschied von dem ersten nicht aus einige Abendstunden beschränkt war, sondern sich auf den ganzen Tag, die ganze Woche, ja oft auch auf mehrere Wochen ausdehnte. Dies war besonders bei den Perlenbläsern der Fall, die mit ihrem wenigen Werkzeug und den dazugehörigen Arbeitsmaterialien sich bei Bekannten, Freunden oder Nachbarn zu beruflicher Arbeit niederließen und gemeinsam mit dem Gastgeber arbeiteten. Es war nicht selten, daß in einem Hause mehrere„Rock'ngänger" sich zu gleicher Zett einfan- den, so daß es in solchen kleinen Stuben dann manchmal„etwas g'drange" wurde, zumal ja dieselbe Stube von dem Gastgeber auch als Wohnung benützt wurde. Bei der gemeinsamen Arbett der„Rock'ngänger" und der Gastgeberfamilie verrannen die Stunden viel schneller, als wenn der Perlenarbeiter und auch andere allein zuhause arbeiteten. Gesang und Erzählungen, Dorftratsch, Heiratsgeschichten, Modeberichte und was das Leben sonst noch bringt, würzten die Arbeit und ließen die Stunden und Tage schnell dahinfliegen. Neckereien, Ulk und mancherlei tolle Streiche wurden da vollführt. Es ging bei diesen„Rock'ngängen" mitunter recht bunt zu; kein Wunder, daß bie„Gastgeberfamilie" dann manchmal froh war, wenn der oder die lieben„Rock'ngänger" endlich ihr„Höckl" packten und sich davontrollten. Wenn die nächste Woche ein neuer„Rock'ngänger" sich einfand, ging das Spiel eben von neuem an. So fanden denn die Leute, die ja oft recht einsam in den Häusern an den Berghängen und in den Allen Winkeln der Dörfer wohnten, Abwechflung in ihrem ewig gleichen Alltag. Die rasch dahinfliegende Zeit hat mit diesen alten Bräuchen fast gänzlich aufgeräumt. Richt nur das Leben der Arbeiter als Einzelschicksal ist in den letzten Jahren schwerer geworden, sondern auch die Grundlage der Lebensmöglichkeiten für die Gesamtheit der Arbeiter, die Gesamttndustrie und ihre einzelnen Branchen, deren Arbeitsweise, die die Betätigung der alten Gebräuche ermöglichten, ist schweren Erschütterungen unterworfen worden- So ist z. B. die Perlenbranche, in der einst etwa 2000 Arbeiter und Arbeiterinnen beschäfttgt waren und bei welcher die„Rock'ngängerei" ganz besonders in Uebung war, faft gänzlich auS unserer isergebirgi- schon Heimat verschwunden. Nur wenige Dutzende find es noch, die in der Perlenbranche Beschäftigung und kargen Lohn finden, was ja übrigens in den anderen Branchen unserer Glasindustrie nicht anders ist. Begreiflich, daß unter diesen Umständen auch der alle Brauch der„Rock'ngängerei" immer mehr und mehr verschwand... Eine ander Gepflogenheit, in einzelnen Dörfern deS Jsergebirge- altgewohnter Brauch, war der sogenannte„Leichenwache" oder„Totenwache". Wenn jemand gestorben war, blieb die Leiche bis zum Begräbnisse im Hause. Entweder blieb die Leiche in der Wohnstube und wurde dort aufgebahrt, oder sie wurde inS Vorhaus gebracht und dort aufgebahrt, je nachdem die Raumverhältniffe es gestatteten. Als eS noch keine LeichenbestattungSunterneh- mungen gab, mußten sich die Angehörigen des Verstorbenen um alle Vorbereitungen zum Begräbnis selbst kümmern. Der Sarg mußte eigens beim Tischler bestellt werden, auf der Pfarrei müßte der Be- zräbnistag mtt' seinen Zeremonien vereinbart und beim Totengräber das Grab bestellt werden. Auch um Musik, Sänger und Träger mußten sich die Angehörigen kümmern. Nicht zu vergessen die.Leichenwäscher".„Tudt'nobwasch'r" war der Ausdruck für diese Funktion, die gewöhnlich Frauen oblag. Bis der Tischler den Sarg lieferte, was zwei bis drei Tage dauerte, blieb die Leiche auf dem „Brett" im Vorhause oder in der Stube liegen. An den Abenden vor dem Begräbnisse fand die „Leichenwache" statt. sprach und erklärte, er habe das Protokoll nur gefertigt, «m nicht auf die Straße zu fliegen. Der Obmann deS B.-A. bemerkte u. a., er selbst habe—„ohne einen Druck auszuüben"— bei Kollegen, die einen Besitz haben, interveniert, damit sie für die Firma, die in einer momentanen finanziellen Klemme war, das benötigte Geld aufnehmen. Von den hohen Rückständen an die B.S.V.A. in Tetschen habe er nichts gewußt. Herr Direktorstellvertreter Liebert(ein Reichsdeutscher) meinte, alles sei geschehen, um den Arbeitern zu helfen. Auf Einwendung des Verteidigers gab er zu, daß auch die Firma selbst ein Interesse an diesen Transakttonen hatte. Zur Vervollständigung des Bildes sei erwähnt, daß der Zeuge P a tz e l t(auf die Frage des, Verteidigers) dezidiert zugab, daß bei der deutschvölkischen Gewerkschaft auch— tschechische Mitglieder vorhanden find. Da die Verhandlung, deren Protokoll mtt Rücksicht auf die Person des Klägers vielfach tschechisch geführt werden muß, noch nicht beendet ist, kann ein abschließender KommeMar derzeit nicht gebracht werden. Ueber den Ausgang dieses Prozesses werden wir natürlich berichten. Wesen versuchten Menschenraubs verurteilt Vor dem EgererKreisgericht standen der Kaufmann Rudolf Werner Löffler aus Crimitschau in Sachsen und der Chemiker Bruno Debrag aus Jferlohe in Westfalen unter der Anklage, das Verbrechen des v e r s u ch- ten Menschenraubes begangen zu haben. Die beiden Burschen waren im August des vergangenen Jahres nach Breitenbach an der sächsischen Grenze gekommen, um Emigrantenauszuspähen. Durch ihr Verhalten machten sie sich bald verdächtig und konnten unschädlich gemacht werden, ehe sie weiteres Unheil anrichteten. Die Angeklagten—- stramme Nazis, die von nichts etwas wissen wollten— leugneten, wurden aber durch die Beweisaufnahme restlos überführt und zu je einem Monat strengen Arre st s und zur Landesverweisung verurteilt. 4» In diesem Zusammenhang ist es nicht uninteressant, wie die Henlein -„Zeit" zu diesem Prozeß Stellung nimmt. Sie bemüht sich gar nicht, ihre S Y m p a t h i e für die braunen Menschenräuber zu verbergen, bringt den Prozeß unter dem ironischen Stichwort:„Spione" und erklärt mit aufrichtigem Bedauern,„daß die Personen, die sie(die Menschenräuber nämlich. Sieb.} um Auskunft fragten, unglückseligerweise fastdurchwegs Sozialde- m o k rate n w ar e n". - Es geht eben nichts über die„Loyalität" unserer Henlein-Nazisten—1 Die Präser Deutsche Arbeitersendung bringt in dieser Woche: Sonntag, 23. Feber, 14.30—14.45 Nhrr Die größte Revolution(F. T e j es s y-Aussig), Mittwoch, 26. Feber, 18.20—18.40 Uhr: Die neue Schule(Josef H u d l-Aussig), Freitag, 28. Feber, 18.35—18.45 Uhr; Aktuelle zehn Minuten, Sonntag, 1. März, 14.80—14.45 Uhr: Charlotte Masaryk(Hans L i ch t w i tz). Nachbarn, Freunde oder Verwandte fanden sich abends im Trauerhause ein.„Wach'n giehn" war der Ausdruck für diese Gepflogenheit. Die„Wachleute" saßen um Tische, auf Stühlen und Bänken herum. Ein Teil der„Wachleute" beschäftigte sich mit Kartenspiel und anderem Zeitvertreib, wobei eS mitunter zuging, als wäre man im Wirtshaus gewesen. Andere unterhielten sich durch Gespräche, bei denen der Lebenslauf und die Wirksamkeit des Verstorbenen nach allen Seiten hin besprochen, die Angehörige» getröstet und ihre Zukunft beraten wurde. Auch andere Begebenheiten, von den Ortsereignissen bis zur Weltgeschichte, wurden da„durchgehechelt". Das ging sehr oft bis nach Mitternacht so fort. Daß diese.Leichenwachen" für die Angehörigen, die ja gewöhnlich dann bei den Löuten sitzen bleiben mußten, keine Erholungsstunden waren nach den Aufregungen, die dem Tode eines Angehörigen vorauSgehen, ist Wohl erklärlich. Denn es war manchmal ein ganz„hübscher SumS", der sich da brett machte. Kamen viele„Wachleute", fehlte es an Sitzgelegenheiten und dann mußten in den Nachbarhäusern Tische, Stühle und Bänke zusammengeborgt werden. Auch der Bettrand, die Ofenbank, Kisten und Kasteln wurden als Sitzgelegenheit benützt. Die Stube konnte die vielen„Wachleute" manchmal nicht fassen. Neben der Leiche und bei der Trauer der Angehörigen waren nicht selten die größte Fröhlichkeit, allerhand.Luderei" und Spässe istr Gange. Kerzenlicht und Leichengeruch konnten die Unterhaltungen nicht weiter beeinttächtigen. Nicht etwa, daß die„Wachleute" pietätlos gewesen wären. Aber der alte Brauch der„Leicheäwache" zeittgt« eben solche Blüten. Heute ist dieser Brauch wohl fast ganz der Ver« geffenheit anheimgefallen. Ob es schade darum ist? Auch in den abgeschiedensten Gebirgsdörfern wandeln sich mit den Zeiten die Sitten und Gebräuche. G. R ö h s l e r, Grünwald a. R.
Ausgabe
16 (22.2.1936) 45
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten