Freitag, 28. Feber IS36
Nr. 50
16. Jahrgang
Einzelpreis 70 Heller (•inichlleBlich 5 Helltr Porto)
TENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung präg xii., fochova a. Telefon E. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB . VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS. PRAG .
zum Schein bekämpft,!« Wahrheit begrüßt wurde. Vie Makino gerettet wurde Tokio.(Reuter.) lieber die Art und Weise, auf welche Graf Malino den Aufrührern entging, wird bekanntgegeben: Eine Gruppe von Aufstän- dischen traf aus Tokio in Lori ein, wo Graf Makino eine Billa am Meeresstrande bewohnt, und erschlugen die Posten vor dem Eingang der Villa, welche den Eindringlingen bis zum letzten Atemzuge Widerstand entgegensetzten und sie an dem Betreten der Villa hindern wollten. Sodann stellte sich den Aufständischen die Gattin des Grafen mit der Erklärung in den Weg. ihr Gatte sei nicht zu Hause. Dadurch wurden die Aufrührer solange aufgehalten, bis der Graf durch einen rückwärtt» gen Eingang entfliehen und sich in Sicherheit begeben konnte; er flüchtete in das Haus eines seiner Freunde. W Eine interessante Reminiszenz stellt fich da ein: ganz ähnlich hat sich am 30. Juni 1934 d'r deutsche konservative Politiker Treviranus vor der Gestapo durch die Gartentür retten können.
Frieden mit den Putschisten
Militärische Kapitulation— politischer Sies der Verschwörer
Tokio . Die Aufständischen werden Freitag früh um 8 Uhr in ihre Kasernen zurückkehre«. Diese Entscheidung wurde auf Grund der Verhandlungen zwischen den Militärbehörden und den Aufständischen getroffen. Die Bedingungen, unter denen die Aufständischen kapitulierten, sind nicht bekannt. Die Aufständischen sollendie Waffennichtabgegebenhaben. Der Tokioter Militärgouverneur hat dem Kaiser Bericht über die Verhandlungen erstattet, über deren Verlauf auch telephonisch Prinz Sajondschi informiert wurde. Die Bildung des neuen Kabinetts dürste Fürst K o n d e, dem Präsidenten des Herrenhauses, übertragen werden, welcher der Unterstützung des früheren Kriegsministers Araki sicher wäre. Auch die Möglichkeiten eines Koalition-Ministeriums unter General M a z a k i oder Baron Hiranuma wird erörtert.
. Aus diesen und anderen Meldungen geht hervor, daß es sich bei dem Putsch, an dem aktiv etwa 60 Offiziere und 600 Soldaten beteiligt gewesen sein sollen,-nicht so sehr um ein isoliertes Unternehmen abenteuerlicher.Terroristen, als
Goto, der provisorische Ministerpräsident
um e ine A k t i o n mit verhältnismäßig breiterBafis gehandelt hat. Offiziell wird zugegeben, daß die Verschwörer auch in Provinzgarnisonen ihre Verbindungen hatten und daß Reserven für sie chereitstanden. Interessanter ist aber, daß gewisse Kreise vor allem des Militärs, insbesondere um den seinerzeit abberufenen Kriegsminister Aral i, ihre Sympathien für die Putschisten kaum verbergen. Bei der„militärischen Niederwerfung* des Putsches scheint es sich um eine sehr friedliche und beinahe um eine Scheinaktion gehandelt zu haben." Zwar wurden angeblich fünf Garnisonen alarmiert und nach Tokio gezogen, es wurden Marinetruppen gelandet und in der Nacht die Viertel und die Gebäude, in denen sich die Putschisten festgesetzt hatten, umstellt. Aber es scheint nach den vorliegenden Meldungen nirgends zu Kämpfen gekommen zu sein und während der Putsch sellist 80 bis 100 Todesopfer gefordert haben soll» scheint es bei der Niederwerfung des Putsche - ganz unblutig abgegangen zu sein. In den Morgenstunden war Tokio militärisch besetzt, einige Teile aber waren in der Hand der Aufständischen. Dann langten Meldungen ein, daß die Putschisten„mit dem Erreichten zufrieden" seien und fich zikrückziehen würden. Ohne, daß man gegen sie vorging, scheinen ffe dann die wichtigsten Gebäude wieder geräumt zu Haben, worauf der reguläre Regieruugsbetrieb wieder aufgenoinmen wurde. In den Mittagsstunden des Donnerstag aber hat die Regierung, wie es scheint, einen regelrechten Vertrag mit den Putschisten abgeschlossen, die keineswegs auf der Stelle kapitulierten, sondern nur versprachen, innerhalb einer Frist von etwa 12 Stünden in ihre Kasernen zurückzukehren. Die weiteren Kapitulationsbedin- girngen find nicht bekannt, aber alles deutet daraufhin, daß man nichts unternommen hat, um die 600 Aufständischen durch die weit überlegene Zahl der Regierungstruppen zu erdrücken, sondern daß man d e n P u t s ch i st e n goldene Brücken gebaut hat. Dies beweist, daß der Putsch doch nur der explosive Ausdruck einer Bewegung ist, von der große Teile des Heeres, will heißen der Offiziere, aber auch Teile des Volkes erfaßt find'.- Der Mikado scheint-' iicb dem Druck, der sa seine Rechte nicht einschränkend sondern erweitern Will» fügen zu wollen.- Die Betrauung Gotos
wirb als vorubergehend angesehen. Das Finanzministerium hat M a s h i d a übernommen. Im Hintergrund wird immer wieder Araki sichtbar. Alles in allem hat ma« de« Eindruck einer sehr geschickt aufgezogene« und in ihrem politischen Ergebnis geglückte« Militärrevolte, die von de« Spitze« des Staates nur
383:182 stimmen für das Bündnis Die französische Kammer ratifiziert den Sowjetpakt Paris . Die Deputiertenkammer billigte zu Ende der Donnerstag-Nachmittagsitznng den franzöfisch-sowjetrusfischen Pakt über den gegenseitigen Beistand mit einer Mehrheit von etwa ?00 Stimmen. Rach dem definitiven ZählnngsergebniS beträgt das Stimmenverhältnis 352 zu 16t Stimmen. Tie Regierung beschloß in der VormittagSsitzung des Ministerrates die Vertrauensfrage zu stellen« um so hie Bedeutung der Ratifizierung dieses Abkommens zu unterstreichen. Die nachmittägige Debatte wat verhältnismäßig kurz. Die Vertreter der einzelne« Klubs brachttn in kurzen Erklärungen ihren Standpunkt zur Abstimmung zum Ausdruck. Im Namen der Rechtsparteien gab den negativen Standpunkt Deputierter Filip Henriot bekannt. Im Namen der Radikalen teilte der ehemalige Minister Pierre Cot mit, daß sie für die Ratifizierung stimmen werden. Er machte insbesondere auf die starken sowjetrussischen Luftstreit- kräfle aufmerksam. Für die Sozialisten sprach Deputierter Spin ässe und namens der Gruppe
der sozialistischen Vereinigung Deputierter Bar für die Ratifizierung stimmen werden. Vertrauensfrage irrtümlich nicht zerteilt Nach der Abstimmung über" den Beistandspakt erwies sich, daß die Regierung, welche in der vormittägigen Sitzung des Ministerrates ausdrücklich beschlossen Hatte, dieVertrauens- frage zu stellen, dies unterlassen Hatte, weil der Ministerpräsident Sarraut irrtümlich
Italienische Sabotage der Hottenkonfferenz Land» n.(Reuter.) Ueber die Flottenverhandlungen zwischen England und Italien wurde folgendes amtliches Kommunique ausgegeben: Die italienische Delegation hat mitgeteilt, daß sie wegen technischer Schwierigkeiten, wie z. B. die Tonnage der Linienschiffe, und der Frage der Lücke in der Tonnage zwischen den Linienschiffen und den Kreuzern sowie wegen der Frage der Prozedur den Vertrag vorläufig nicht unterzeichnen könne. Die erwähnte Lücke in der Tonnage bezieht fich auf den Unterschied zwischen den größten Kreuzern von 8000 Tonnen und de« kleinste« Linienschiffswpen von 20.000 Tonnen. Die Prozedurfchwierigkeiten sollen fich auf politische Fragen beziehen und auch mit den Sanktionen zusammenhängen. Es scheint, daß die Marinekonferenz die Verhandlungen zwischen den drei Seemächten fortsetzen wird.
„Kultur-Gas Dessie.(Reuter.) Zehn italienische Flugzeuge beschossen heftig die Straße zwischen der Front und Waldie, wobei sie auf die in der Nähe des WegeS befindlichen Dörfer Gasbom- ! b e n abwarfen. Die Zahl der Opfer ist unbe- 1 könnt. r 5'
e n n e. Sie erklärten, daß diese beiden Gruppen glaubte, daß der Vorsitzende der Deputiertenkammer lediglich über den Abschluß der Debatte und keineswegs schon über die Ratifizierung der Pallartikel abstimmen lasse. Die Rechtsparteien behaupten, daß im Falle einer BerttauenSfrage das Stimmenverhällnis Keiner gewesen wäre, während die Linksparteien das Gegenteil behaupten.
bedeutsame Erklärung der Arbeiterpartei London . Nach der Aussprache über den Reichsverteidigungsrat im Oberhause erllärte der Sprecher der labouristischen Partei, Stra- b o l g i» daß die große Mehrheit der labouristischen Partei berett sei, E n g l a n d meinem Verteidigungskriege zu unter- stützen, Vorausgesetzt, daß dieser Krieg im Einklang mit den englischen Verpflichtungen aus der Völkerbundsatzung stehe. Der Redner erklärte weiters, daß die Partei bereit sei, die Grundsätze der- kollektiven Sicherheit zu unterstützen. Vom Kriegsschauplatz London. (Reuter.) Von den abessinischen Kriegsschauplätzen wird mitgeteilt: Die Abessinier melden weitere Siege in der Gegend von A k s u m und erklären, daß sie hier eine italienische Wbtei- lung von mehreren tausend Mann vollkommen aufs Haupt geschlagen hätten. Im Süden von Mcckale haben, wie aus eri- träischer Quelle gemeldet wird, die Italiener die Verbindungen über die Ebene von Buja verbessert und dort auch befestigte Stellungen geschaffen, die als Ausgangspunkt eines weiteren Angriffes verwendet werden können. Di« Italiener besetzten die Hauptkarawanenstraßen von Amba Allaghi und zwingen so die Armeen des Ras Sejum und des Ras Kassa, die Verproviantierung auf beschwerlichen Wegen-im Südwesten durchzuführen. Im Abschnitt von Anwl herrscht Ruhe, teils weil es regnet, teils weil beide Parteien durch die jüngsten hartnäckigen Kämpfe sehr-ermüdet find»
Die staatliche Ernährunssaktion Im Herbst 1930 wurde die staalliche Ernährungsaktion für jene Arbeitslose eingeführt, die nicht nach dem Genter System unterstützt werden. In diese Aktion konnten nach der damaligen Jnstruktton der Regierung arbeitslose Personen einbezogen werden, die durch längere Zeit arbeitslos waren. Eine bestimmte. Arbeitszeit war also nicht vorgesehen. Die Bezirksbehörden hatten im Einvernehmen mit den Gemeinden und Fachorga- nisattonen zu bestimmen, welche Gemeinden in diese Aktion einbezogen werden sollten. Den Gemeinden wurde die Aufgabe übertragen, im Einvernehmen mit den Fachorganisattonen die Personen auszuwählen, welche in die Ernährungsaktton einzubeziehen waren. Bei der Durchfüh- ruug der Aktion mußte vor allem auf die Fami- lienerhaller und in zweiter Linie erst auf die Ledigen Rücksicht genommen werden. Gegen die Ernährungsaktion wurden von bürgerlicher Seite ununterbrochen Bedenken erhoben. Im Jahre 1933 kam es dann zur Herausgabe neuer Richtlinien. Nun wurde eine dreimonatliche Arbeitszeit seit dem 1. Jänner 1929 Bedingung für die Aufnahme in diese Aktion. Wer von den gemeldeten Arbeitslosen mtt Lebensmittelkarten zu beteilen ist, das kann nun nicht mehr die Gemeinde entscheiden, sondern die Bezirkssozialkommission. Die Gemeindesozialkommiffionen haben nur Anträge zu stellen. Die Ueberprüfung der Ausweise der Bewerber erfolgt durch die Bezirksbehörde, Die Richtlinien bestimmen dann, daß Familien- »rhaller höchstens 20 sic in der Woche und Ledige 10 XL bekomme» können. Ein Rechtsanspruch auf LebenSmittellarten besteht nicht. Ausnahmen von dieser Bestimmung sind zulässig, doch dürfen diese Ausnahmen fünf Prozent der den Bezirken für eine Periode bewilligten Smnmen nicht übersteigen. Die Bestimmung über die dreimonatliche Arbeitszeit schließt viele jugendliche Arbeitslose von der Ernährungsaktion aus. Nach den Richtlinien können auch Kurzarbeiter in die Ernährungsaktion ausgenommen werden, deren Lebensunterhalt gefährdet ist. Wer überhaupt nichts hat, dessen Lebensunterhalt ist selbstverständlich gefährdet. Wann ist aber der Lebensunterhalt einer Familie gefährdet oder einer Einzelperson, die ein kleines Rebeneinkommen oder eine kleine Rente bezieht? Nach den Richtlinien können Kurzarbeiter(Familienerhalter) mtt Lebensmittelkarten beteilt werden, wenn sie in einer Woche überhaupt nicht arbeiten oder wenigstens nicht mehr als 16 Stunden. Der Verdienst dieser Kurzarbeiter'ist je nach dem Beruf verschieden. Man kann aber aus dieser Besttm- mung der Richtlinien schließen, daß die Regierung damals den Lebensunterhalt einer solchen Familie als gefährdet ansah, deren Einkommen nicht größer ist als 60 bis 70 Kc die Woche. Wie siehtes nunin der Praxi S a u s? Die Landesbehörde nimmt als Einkommensgrenze den Betrag an, den der Staat einem Arbeitslosen gibt, der überhaupt kein Einkommen hat, also 20 Kö für den Familienerhalter und 10 XL für den Ledigen. Diese Auslegung führt in vielen Fällen zu krassen Ungerechtigkeiten. So kann es Vorkommen, daß z. B. einVa- ter, der eine Tochter hat, di« in der Woche 30 oder 4 0 XL verdient, nichts bekommt. Ein anderer Fall. In einer Familie sind zwei oder drei Kinder arbeitslos. Der Vater bezieht eine kleine Rente z. B. 150 oder 200 XL im Monat, wie das bei den meisten Bergarbeitern der Fall ist. Diese Arbeitslosen sollen nach der Auffassung der Landesbehörde nicht mit Lebensmittelkarten beteilt werden, weil das Einkommen der Familie größer ist als der Betrag, den der Staat für«inen arbeitslosen Familienerhalter gibt. Die Z a h l-d er Arbeits- l o s e n, die aufdi esc Weise a u s bet(5 t n ä hrnngsaktion ausgeschieden wurden» ist sehr beträchtlich. Die ErnährungSaktton ist auch abhängig von der Größe des Betrages, der für eine laufende ' Periode zur Verfügung gestellt wird. Wenn der zur Verfügung gestellte Betrag kleiner, ist als der angeforderte Betrag, dann erfolgt die Beteilung z jener Ackeitslosen mit Lebensmittelkarten, die eiq