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Freitag, 28. Feber 1936
Re. 50
kleines Einkommen haben, auf Kosten der Arbeits­losen, die überhaupt nichts haben. Die Folge ist, das; ein oder zwei Wochen hin­durch die Arbeitslosen über­haupt nichts bekommen können oder weniger. Die Landesbehörde hat e- so jederzeit in der Hand, die Ernährungsaktion in ihrem Sinn« zu beeinflussen. Was muß gefordert werden? 1. Die Bestim­mung über die Arbeitszeit mutz geändert werden, damit die jugendlichen Erwerbslosen in die Er­nährungsaktion einbezogen werden können. 2. Es sollte klar ausgesprochen werden, wann der Le­bensunterhalt einer Familie oder einer Einzel ­
person als gefährdet anzusehen ist. ES mützte je nach der Zahl der Familienangehörigen eine Ein« kommensgrenze bestimmt werden, damit jede willkürlich« Auslegung vermieden wird. Erwach­sene Arbeitslose mützten in die Ernährungsaktion ausgenommen werden, denn eS ist peinlich für einen erwachsenen Menschen, wenn er z. B. von einer kleinen Rente seines alten VatecS oder gar von einer Armenrente seiner Mutter mit leben soll. Solche Fälle sind in der Praxis tatsächlich schon vorgekommen. Daß die Erbitterung über eine solche Auslegung der Richtlinien groß ist, ist daher weiter nicht verwunderlich. R. L.
Genosse Müller begrüßte- den Antrag und schilderte die Gefahr, in welcher sich beson­ders die Theater in den deutschen Gebieten befinden. Die Gemeinden, welche alles tun, was in ihren Kräften steht, sind trotzdem kaum mehr fähig, di« Theater zu halten. Selbstverständlich ist. daß sie diel nicht auf Kosten der Hilfsaktionen für die hungernden Arbeitslosen tun dürfen. Die Theater stellen nicht nur einen kulturellen, sondern auch einen wirtschaftlichen Fakwr dar. Durch ihren Zu­sammenbruch würden hunderte Künstler, Musiker, Arbeiter, aber auch viel« Gewerbetreibende Ver­dienst und Existenz«inbützen. Handeln wir also rasch! Die deutschen Sozialdemokraten haben, beson­ders in den von ihnen verwalteten Gemeinden, nicht nur für die Bühnen, sondern für das deutsche Kul­turleben viel, wesentlich mehr geleistet als jene, die vor einigen Tagen in Prag   mit einer nach Goeboels- rmster aufgezogenen Regie ein neues Evangelium terkünden wollten. Hunderttausende Deutsche sind anderer kulturpolitischer Auffassung und in ihrem Namen weisen wir diesen Versuch einer Gleichschal­tung des deutschen Kulturstrebens in der Tschecho­ slowakei   mit dem Dritten Reich   zurück. Im Deutsch­ land   Hitler  » find unschätzbare Werte deutscher Kul­tur brutal vernichtet worden. Rundfunk, Film, Mu­sik Literatur und Theaterkunst find dort nicht frei, die Gleichschaltung erdrückt jede kulturelle Regung, bedeutende Künstler wurden ermordet, eingekerkeri oder vertrieben. Wenn Professoren und die Spit­zen der Gesellschaft Henlein   begeistert Beifall klatschten und vor einem preußischen Präsentier­marsch stramm standen, bejahten fie nicht nur die reaktionäre Kulturgesinnung, sondern machten sich auch vor der wirklichen Kulturwelt lächerlich. Di« Sozialdemokraten werden für die Förderung deut­schen Kulturstätten jederzeit eintreten, ebenso aber den Versuch einer hitleristischen Gleichschaltung ent­gegentreten. Unser Hauptbestreben wird sein, auch die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen zu schaffen, damit Kunst und Kultur allen Menschen zugänglich werden. Wir verlangen für da» Kultur­streben der Deuffchen in der Republik   die Hilfe und Patronanz de» demokratischen Staates. Der Ausschuß sprach sich trotz den finan­ziellen Schwierigkeiten für die Unterstützung der ständigen Bühnen aus und setzte ein Komitee ein» welchem Genosse Müller angehört und wel­ches eine Lösung in dem angeführten SiNn an­streben soll. In der Frage der rechtlichen und materiel­len Verhältnisse der Hochschulassistenten beschloß der Ausschuß, da» Schulministerium und die Re­gierung um eine gesetzliche Regelung zu ersuchen.
bestätigter Freispruch im Presseprozeß des Deutschen Turn­verbandes gegen Genossen Dr. Strauß Air haben Ende Dezember 1988 über einen Preßprozetz berichtet» welchen der Deutsche Turnverband Gablonz und zwölf Mitglie­der ostböhmischer deutscher Turnvereine gegen Genossen Dr. Strauß al» verantwortliche» Redakteur desFreigeist" wegen eines unter dem TitelBon der Rationalität zur Bestialität" erschienenen Artikel» angestrengt haben. Bei dieser Verhandlung wurde Genosse Dr. Strauß von der Anklage freigesprochen, da das StrafireiSgericht die Einwendungen de» Ange­klagten für begründet angesehen hat, daß die Privatankläger zur Klage nicht legitimiert seien. Die Privatankläger waren mit dem freisprechen- den Urteil nicht zufrieden und haben die Beru­fung an das Obergericht in Prag   überreicht. Ge­
Parlamentarisches Echo der Henlein  -Rede Der Obmann des Kulturausschusses übt schärfste Kritik
Prag  . Auch in der Donnerstagsitzung der Kammer wurden die angekündigten Bauförde- rungsvorlagen und der Mieterschutz noch nicht vorgclegt. Wir verlautet» bestehen noch immer Differenzen über dieEinzimmerwoh- n ü n g e n» für die die Agrarier auch bereits einen, wenn auch entfernten Endtermin festsetzen wollen. Urber die Konferenz der Parteiführer mit den politischen Minister« wird absolutes Still­schweigen bewahrt. Für die nächst« Woche ist ein« weitere Aussprache innerhalb dieses Rahmens in Aussicht genommen. Der Ministerpräsident hat Donnerstag dir Verhandlungen mit den Vertretern der Slowa­ken fortgesetzt. Die definitive Besetzung des Außenministeriums soll nach de« neuesten Infor­mationen erst nach der Wiener   Reise Dr. Hodjas vorgenommen werden» die für die erste März- Woche projektiert ist. Gegen die Ernennung Dr. K r o f t a S, des langjährigen Stellvertreters deS Außenministers» solle« keine besonderen Wider­stände mehr bestehen. Im Plenum des Parlament» wurde im Rahmen der Debatte über die lex Uhlik» die den Privatunterricht schulpflichtiger Kinder ein­schränkt, auch HenleinS jüngstes Kulturprogramm unter die Lupe genommen. Der tschechische Ge­nosse I a S a, der Obmann des KulturausschuffeS» übte daran vernichtende Kritik und rekonstruierte unschwer die wahren Absichten Henleins und sei­ner Hintermänner» die mit demokratischen Zielen nicht das mindeste gemein haben. Genosse Jaöa führte u. a. aus: WaS Henlein als dar Kulturprogramm der Partei verkündet hat, zeugt davon, daß es diesen Faktoren überhaupt nicht um eine demokratische Ver­ständigung mit dem. tschechoslowakischen Volk gebt, sondern eher darum, Unfrieden zu stiften, weil kein verantwortlicher Demokrat auf HenleinS Forderun­gen eingehen kann. In diesem Staate gibt e» kein« Diskussion darüber, wem Schule, Theater und Rund- ftink dienen sollen. Sie können ausschließlich nur dem Staate, dem Volk, der nationalen und auch der universellen Kunst und der Demokratie dienen. (Beifall). Henleins Kulturprogramm trägt da» Sie­gel von Doktrinen, dir uns sehr gut be­kannt sind. DaS alle» haben wir schon bestimm­ter in den Kundgebungen der Horren Göring, Goeb­ bels   und Rosenberg gehört! Henlein   hat sich nicht an die demokratischen Schichten de» tschecho­slowakischen Volke» gewendet, weil er sehr gut weiß, daß-wischen seiner Totalität und den Ideen deS demokratischen System» eine unüberbrückbare Kluft besteht. Henlein hat vielmehr zu jenen tsche­chischen Partnern gesprochen, welche insgeheim oder auch öffentlich mit der Totalitätslehre sympathisieren und die auch schon einige Mal» den
Weg zu ihm und auch nach Ber- l i n gesucht haben. Henleins Kulturprogramm trägt alle Zeichen des deuffchen Faschismus. ES geht darum, die Kultur in den Dien st desnationalen Chauvinismus und den Nationalismus in den Dienst de» Kriege» einzu­spannen. Unter diesen Umständen müssen alle Loyali­tätsbeteuerungen ein absolutes Miß­trauen erwecken. In der Polemik gegen den Führer de» Bunde- der Landwirte hat Henlein   Töne angeschlagen, die an H i t l e r sM einKampf" erinnern. Henlein übernimmt bi» ins Detail Hitler  » gedankliche Konstruktion, seineVolksgemeinschaft" ist nichts anderes als HitlersVolkStum". Genosse Jasa wendet sich dann warnend an die friedliebende Bevölkerung deuffcher Rattonalität mit der Frage, ob eS für fie vorteilhaft wäre, fich auf da» ungewisse Morgen der Herrschaft des deuffchen Faschismus zu verlassen, oder ob es nicht besser wäre, Sicherungen imWege demokratischer Vereinbarung zu suchen. Mit Rücksicht auf unsere Gesetze muß Henlein   da» BuchMein Kampf  " verdünnen. Er glaubt, daß seine Politik gerieben ist, aber in Wirklichkeit ist sie s e h r durch­sichtig. Wir haben die gute Absicht, un» mit den demokratischen Deutschen   ehrenvoll auszugleichen, aber alle TotalitätSbestredungen lehnen wir leiden­schaftlich ab. Wir lehnen die Schlauheit ab, die die Rechte der Freiheit dazu mißbrauchen will, um die Freiheit abzuwürgen. Die Henleinleute gebärdeten sich während der Rede Jasas sehr selbstbewußt und sparten nicht mit Zwischenrufen. Wie eS heißt, wird ün SdP- Klub erst eine Erwiderung zusammengebraut, die Herr Dr. Reuwirth am Freitag vortragen soll. Jng. Karmasin, der heute für die SdP sprach, überging Jasas Ausführungen und be­gnügte sich damit, die lex Uhlik in Grund und Boden zu verdammen, obwohl sein Klubkollege | Hodina   seinerzeit ausdrücklich zugegeben hatte, daß die von iWMgglition vorgenommenen Aenderun- gen dem Gesetz" die Spitze gegen das deutsche Schulweseff genMimen haben. Ablehnend verhiel­ten sich, auch die übrigen oppositionellen Redner» darunter zwei Magyaren. Die Debatte wird Freitag abgeschlossen wer­den. Beginn der Sitzung um 10 Uhr früh.
Die Lage der Provinztheater Der Kulturausschuß des Senats befaßte sich Donnerstag mit dem nationalsozialistischen An­trag auf Errichtung eines Fonds zur Unterstüt­zung der Theater. Vor der Debatte gaben die Vertreter der verschiedenen Ministerien Infor­mationen über die jetzige Lage der Bühnen.
stern fand beim Obergericht unter Vorsitz des Öberzerichtsrates S o u c e k die mündliche Be­rufungsverhandlung statt, bei welcher der Vertei­diger des Genossen Dr. Strauß, Dr. Wehle, Kanzlei Dr. S ch w e l b, neuerdings darauf hin­gewiesen hat, daß der Artikel nur eine berech­tigte Kritik des Wesens des Faschismus enthalte und keineswegs die Privatankläger zur Anklage legitimiert seien. Das Obergericht hat sich den Ausführungen der Verteidigung angeschlosseu» die Berufung der Privatankläger abgewiesen und das f r e i s p r e ch e n d e Urteil be­stätigt. Die Privatankläger sind zum Ersatz der Vertretungskosten des Genossen Dr. Strauß verurteilt worden.
Deutsche Schikanen gegen unsere Einfuhr Obwohl die deutsch  -tschechoslowakischen Han-+ delsbeziehungen und auch der Zahlungsverkehr durch entsprechende Abkommen geregelt sind, be- reiten die deutschen Wirffchasts- und Handels­politik und die Maßnahmen der Ausfuhr- und UeberwachungSorgane dem Handelsverkehr fort­gesetzt neue Schwierigkeiten. Zahlreiche deutsch  « Ueberwachungsstellen stellen neuerdings für die deutschen Käufer tschechoslowakischec Waren die Devisenbescheinigungen erst viele Monate später aus. Da auch nach der erhaltenen Devisenbe­scheinigung die Transferierung de» Betrages für die erhaltenen tschechoslowakischen Waren noch mindestens vier Monate auf sich warten läßt, be­deutet das, daß zur Zeit der ffchechoslowakische Exporteur seine nach Deutschland   gelieferten Waren erst frühestens nach elf bis zwölf Monaten bezahlt erhält. Diese lange Hinausschiebung der Zahlungen zwingt manche Unternehmungen, die nach Deutschland   liefern, ihre Au-fuhr einzu­schränken. In jedem Fall bedeuten diese Maß­nahmen der deutschen Ueberwachungsstellen eine neue Behinderung der tschechoslowakischen Ausfuhr.
Studenten gegen Aspiranten-Verordnung. Mittwoch traten im Svehla-Studentenheim Ver­treter der Studentenverbände aller Koalitions­parteien zusammen, um Wer ein gemeinsames Borgehen in der Frage der Aspiranten­verordnung zu beraten. Die Verhandlungen gipfelten in der einsttmmigen Forderung nach Aufhebung, bzw. Nichtverlängerung der Aspirantenverordnung, deren Wirksamkeit tn we­nigen Monaten erlischt. Es wurde eine Fühlung­nahme mit den maßgebenden Regierungsstellen und politischen Parteien beschlossen. Ein Aus­schuß wurde damit betraut, ein Memorandum an die Regierung auszuarbeiten, in dem neben der Forderung nach Aufhebung der Aspiränten-Ver- ordnung auch die Aufhebung de» lOprozentigen JnterkalariumS verlangt wird. Sandner anSgrliefert. Der JmmunitätSaus- schuß beschloß di« Auslieferung des SdP-Abgeord- neten S a n d n e r wegen eine» Artikels in der ,.Rundschau", tn dem Senator Genosse R« yzI den Tatbestand einer gegen sein« Person gerichteten Verleumdung erblickt.
Berlin  .(DNB) Der Reichskanzler hat den Bot­schafter in Madrid   Grafen   von W e l c z e k zum Bot­schafter in Pari» ernannt.
MANNER  , FRAUEN  | UND WAFFEN| Roman von Manfred Georg; Copyright by vr. Manfred Georg, Prag  
Sie wischte einen Tropfen Kognak von der Unterlippe und warf sich rücklings auf das Bett: Wir mit unserm Blut, tn dem die Natur nrch picht ausgeglüht Ist, dessen Lauf noch von Sonne, Mond und allen Sternen bestimmt wird, wir wissen, daß ivtr mit dem Schicksal nicht spie­len können, wissen auch, daß es mit uns nicht spielt, sondern, daß es uns führt. Man muß nickt an jeder Biegung im dichten Wald wissen, wo ma. aus ihm herauSkommt.* Vielleicht führt gerad.» der Umiveg glücklich an einem Abgrund vorbei. Nein, mein lieber ehemaliger k. u. k. Rittmeister, du hast dein« strategischen Landkarten im Feld be­rechnen können, du hast dein« wundervollen Ge­schäft« so exakt berechnet, daß dir bisher nicht eins durch di« Lappen ging. Du glaubst, mit deinen Telegrammen deine Kinder erjagen zu können, di du nur durch Zufall finden wirst. Solche G.» schichten, wie die deine, stehen oft genug in der Zei­tung. Das ist gar nicht» so Besondere». Di; meisten Menschen wissen nur gar nicht, wie selt­sam sie handeln, und wie ihre Tage und Nächt- rrftillt sind von Absonderlichkeiten und Graue«. Sie sehen alle ein und dasselbe, und wenn eine,« mal die Binde etwas von den Augen rutscht und er mehr sieht und davon erzählt, glaubt es ihm keiner. Dabei sieht er allein die Wirklichkeit. Das wissen wir besser, die wir Winde und Bäume noch sprechen hören, wenn auch unsere Urgroß' Väter kopfschiittelnd den Mann am Kreuz aner­kannten, weil man sie sonst gekreuzigt hätte. Wir sind die Zukunft. Wenn eure reine, weiße Rasse längst verfault, werden wir mit den Tanks, dt.'
wir erobert haben, darüber hinwegfahren. Schick­sal! Dem Schicksal muß man gehorchen. Ich gehorche ihm und diene dir." .Schumann fühlte den unmittelbaren Angriff und hieb fast etwa» gehässig zurück:Und wenn nun ein Umweg für dich ist?". O nein, faß in dein« Jackentasche, du hast da ein Amulett, meine goldene Traube. Ich hör- zwar Radio, aber ich glaube an die goldene Traube und ihre Bestimmung. Es ist ein altes Gesetz daß derjenige Mann, der dieses Amulett der Frau aus unserm Stamm zuerst in der Hand trägt, eS nicht nur besitzt, sondern besitzen muß. Und dir Frau dazu. Ich hatte der Wiesner gesagt, ich würde eS noch am Abend abholen. Ich hatte es in«in verschlossenes Päckchen getan vor ihre« Augen und zugeschnürt. Sie hat es wieder auf­gemacht. Es hat in deiner Faust gelegen. Du kannst über mich verfügen." DaS ist doch der reinste Aberglaube. Sag. Haydee, oben auf dem Semmering  , auf den Spa­ziergängen glaubte ich manchmal eher, eine Stu­dentin von der Wiener Universität al  » eine. Tän­zerin au» der Femina neben mir zu haben." Du meinst, daß sich beides nicht verträgti Du wirst dich gleich noch mehr wundern! In meinem Stamm, wenn der Mann Besitzer de? Amuletts geworden war, gab fie ihm in der Nacht ihr Blut, damit sie ganz in ihm einginge. Sie waren damals leicht dabei, sich ein Messer m»> einem kurzen Hieb in den Schenkel zu schlagen. Sie hatten in der Kindheit gelernt, Schmerzen z i ertragen. Später habe ich erfahren, daß man jo auch bei den Weißen Blutsbrüderschaft trank und schwor. Ick glaube nur, daß die Weihen diele Eide selten, halten. Bei uns wird alles gehalten. Bi» zum Letzten. Wir wollen un» aber europäish zivilisiert benehmen. Du hast mir vorhin mit deinen Worten sehr weh getan. Ich bitte dich, gib mir einen Kuß!" Als sein Gesicht über dem ihren war, merkt- er erst, daß er in eine Falle gegangen war. Sir
bäumte sich ihm entgegen und faßte mit beiden Händen seinen Kopf. Ein glühender Schmerz zerriß seine Unterlippe, sie sog inbrünstig an du gebissenen Wunde» mtt geschlossenen Augen, ih'. Atem überflutete sein Gesicht, er lockerte seine Starre, gab nach, sank neben fie hin. Sie löste ihren Mund nicht von ihm. Seine Gedanken er­loschen einen Augenblick, er fühlte nichis, al» den kurzen, heftigen, ziehenden Schmerz... Er hatte die Augen geschlossen. Sie rich­tete sich auf und musterte ihn. Der Riß auf sein:» Lippe krustete sich rasch etwas schwärzlich.... Auf dem Gang draußen rief jemand ungeduldig naH dem Stubenmädchen. Ein Auto vor dem Fenster schien nicht von der Stelle zu kommen und schnarrt fürchterlich. Dann sah er sie an. Er hatte ein« merk­würdige, jähe Empfindung, als ob mit den paar Tropfen Blut zugleich etwas, was seinen Körper bisher vergiftet hatte, herauSgefloffen war. Mit einer fast schelmenhasten Gebärde wie ein Knabe betastete der Rittmeister seinen Mund: Wie schmeckt das Blut?" Süß. Aber wie es wirken wird, weiß ich nicht. Weiß nicht, was du mir da gegeben hast Vielleicht haft du schon den Tod im Blut. Dann werde ich eben mir dir sterben." Haydö« sagte da» ganz unpathetisch. Dann erhob sie sich, begann sich vor dem Spiegel zurecht zu machen, als habe ein flüchtiger Kuß ihr di« Linie des Mundes verdorben. Dabei fragte fie: Wo bist du heute abend»?" Er erzählte es ihr. Sie versprach mitzu­kommen: Es interessiert mich sehr, was du tust^" Sie hielt es für so selbstverständlich, daß er nicht wagte, eS ihr abzuschlagen. Däm» berih- tetc er ihr auch von der Sitzung mit Mardrier Auch das nahm fie ohne Ueberräschung auf. Wundervoll, da werde ick also Spanien   sehen Siehst du, wieder ein Zufall!" j Wo ist denn dein Vater geboren?"
Ja, das weiß ich nicht. Er soll Franzose gewesen sein, Student der Rechte. Er ging gr« radeöwegs vom Bett meiner Mutter nach Marokko  . Sie hat nie wieder etwas von ihm gehört Meine Mutter war in Marseille  , in einem Hotel. Sie war dort eine Art Personalchef."Hast du ein Bild von ihr?" Nein. Aber sie lebt noch. Sie wchnt in einem kleinen Häuschen in einem Fischerdorf an der Riviera und verlauft Tabak und AnsichlS» karten." Ich werde sowieso nächstens nack Frankreich  müssen, nach Chateau Boncourt. Würde es.n Freude machen, bei deiner Mutter mit vorbeizu­fahren?" Gern. Ich habe sie aber lange nicht ge­sehen. Vielleicht ist sie schon blind."Wieso koll sie denn blind sein?" «Ach, ich weiß nicht. Ich habe nur eine Zeit­lang einen Chanson in meinem Repertoire gehabt, der fing an:Blindes Mütterlein sitzt auf einem Stein, hast die Augen auSgeweint, siehst n-cht. daß die Sonne scheint"... und so fort. Seitdem fülle ich mir meine Mutter immer blind vor. Schreiben tut sie mir nicht. Da» letzte, was sie zu mir sagte, war:Bilde dir nicht em, du Luder, daß ich dir Geld schicke, wenn du in einer d»<nrc Schaubuden mal am Krepieren bist." Sie hatte damals einen schlechten Umgang." Während sie das erzählte, setzte sich Haydör ihr runde» blaue» Hütchen auf und zog sich di« .Handschuhe an, da sie sah, daß auch Schumann srinen Mantel vom Nagel nahm. Er dekretierte: Fahren wir auf den Kobenzl essen!" Sie sahen und fahen hin über das Land, sahen hinunter gen Wien  , sahen genau in jene Eben«, die in ihrer Senke den Osten vom Westen flennt, in der der Westen die Türken besiegend den Osten schlug. Die unendliche Bläue über ihn-n war klar, nut über den Umrissen der Berge flim­merte die Lust ein wenig. (Fortsetzung folgt.)