Sosialdemokrat
ZENTRALORGAN
DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK
ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TAGLICH FRÜH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB . VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .
16. Jahrgang
Das Gespräch Stalin- Howard:
Freitag, 6. März 1936
Weltrevolution- ein tragikomisches
Jedes Land
macht seine eigene Revolution
Mißverständnis
Die ,, Taß" bringt die Fortsetzung des großen Interviews, das Stalin dem ameri kanischen Journalisten Howard gegeben hat.
Es wäre nur zu wünschen, daß die von Stalin geäußerten Ansichten, sich endlich auch in der Praxis der Komintern durchsetzten. Würde sich Moskau wirklich zum Grundsanderautonomen Selbstbestimmung der Arbeiterpar teien jedes Landes bekennen, dann wäre die Einheit schnell wieder hergestellt.
Auf die Frage Howards, worin nach Ansicht genossenschaftliches und follettivwirtStalins die Hauptursache der gegenwärtigen schaftliches Eigentum. Die gesellschaftliche OrgaKriegsgefahr bestehe, antwortete Stalin : m nisation, die wir aufgebaut haben, kann man als Kapitalismus. Der Kapitalismus in sei- sowjetrussische sozialistische Organisation bezeichner imperialistischen Phase ist ein System, das nen, die noch nicht vollkommen beendet ist, aber den Krieg als rechtmäßige Methode zur Lösung in ihrem Kern sozialistisch ist. Weder internationaler Gegenfäße ansieht. der italienische Faschismus, noch der deutsche Nationalsozialismus hat mit einer solchen Gefellschaft etivas gemein, schon vor allem deshalb nicht, weil das Privateigentum an den Fabriken, Banten , im Transportwesen usw. unberührt blieb. Ja Sie haben recht, wir haben die kommunistische Gesellschaft noch nicht aufgebaut, es ist aber auch nicht so leicht, eine solche Gesellschaft aufzubauen.
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Hierauf fragte Howard: Glauben Sie nicht, daß auch in fapitalistischen Ländern bes gründete Befürchtungen bestehen können, daß die Sowjetunion beschließen könnte, ihre politischen Theorien gewaltsam anderen Völkern aufzuzivingen?"
Stalin antwortete: Zu derartigen Befürchtungen ist feinerlei Grund vorhanden. Wenn Sie glauben, daß die Sowjetmenschen selbst, und dies jogar gewaltsam, das Antlitz der sie um gebenden Staaten ändern wollen, so irren Sie sich gewaltig. Die Sowjeimenschen wollen selbstStaaten sich verändere. Das ist aber Sache die verständlich, daß das Antlitz der sie umgebenden
jer Staaten."
Howard: Bedeutet diese Ihre Aeußerung, daß die Sowjetunion in irgendeinem Maße ihre Pläne und Absichten, eine Weltrevolution zu vollführen, aufgegeben hat?"
"
gehabt."
Howard: Ich glaube, daß sich in der ganzen Welt während der langen Zeit ein anderer Eindruck gebildet hat."
Stalin : Das ist die Frucht eines Mig verständnisses."
Howard: Eines tragischen Mißverständnisses?"
Stalin : ,, Nein, eines fomischen oder viel leicht eines tragikomischen.
In der sozialistischen Gesellschaft herrscht noch eine gewiffe Ungleichheit des Besizes; jeder ist verpflichtet, zu arbeiten, wenn er auch für seine Arbeit nicht nach seinen Bedürfnissen, sondern Arbeit honoriert wird. Aus diesem Grunde nach der Quantität und Qualität der geleisteten
existiert noch der Arbeitslohn, und zwar ein ungleicher, differenzierter.
Sie sprechen davon, daß wir, um unsere fozialistische Gesellschaft aufzubauen, die persön liche Freiheit opferten und Entbehrungen litten. In Ihrer Frage scheint der Gedanke durchzublicken, daß die sozialistische Gesellschaft die perfönliche Freiheit negiert. Das ist falsch. Natürlich muß man, uni etivas Neues aufzubauen, sparsam sein, man muß Mittel aufspeichern und seine Bedürfnisse zeitiveilig einschränken und von anderen ausleihen. Derart verfuhren auch wir.
Sowjets und Demokratie friedlich nebeneinander
Auf die Frage Howards: Halten Sie eine parallele Entwicklung der amerikanischen Demo
fratie mit dem Sowjetsystem für möglich?" antwortete Stalin :
,, Das Sowjetsystem und die ameritanische Demokratie können beide friedlich nebeneinander bestehen und wett eifern. Es kann keines von ihnen sich zum anderen entwickeln. Das Sowjetsystem wird nicht in die amerikanische Demokratie hinüberwachsen und umgekehrt. Wir können friedlich nebeneinander existieren. its
Howards weitere Frage lautete: In der Sowjetunion wird nunmehr die neue Verfassung ausgearbeitet, die ein neues Wahlsystem vorsteht. In welchem Maße kann nun dieses neue System die Lage in der Sowjetunion ändern, sofern bei den Wahlen nach wie vor nur eine Partei auftreten wird?"
Keine Partei, aber Jnteressengruppen
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Nr. 56
Weltpolitischer Szenenwechsel
Seit dem Sommer vorigen Jahres sind Kräfte in der Weltpolitik sichtbar geworden, die sich gegen die Kriegspolitik des Faschismus wenden und die zeitweise bereit scheinen, auch die geeigneten Mittel anzuwenden, um den Fa schismus und seine imperialistischen Neigungen zu bändigen. Aber man durfte nicht annehmen, daß diese neuen Tendenzen sich ohne jeden Widerstand durchsetzen würden. Es war vielmehr von allem Anfang damit zu rechnen, daß die drei faschistischen Großmächte Italien , Japan , Deutschland alles daransezen würden, in dem Rennen um den Siegespreis wieder die Vorhand zu bekommen.
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Zu Beginn des Jahres 1936 schien die Sache der Friedensfront unter einem günstigen Stern zu stehen.
Antwort Stalins: ,, Wir werden unsere neue Verfassung wohl am Schlusse dieses Jahres annehmen. Wie bereits bekanntgegeben wurde, werEs kam überraschenderweise zu einer An den die Wahlen laut der neuen Verfassung a IInäherung zwischen England gemeine, gleiche, direkte und ge ohne Rückwirkung auf die Haltung Rumäniens und der Sowjetunion , die nicht heime Wahlen sein. Sie nehmen daran An- und selbstverständlich auch nicht ohne Einfluß auf stoß, daß in diesen Wahlen bloß eine einzige Par die Politik Frankreichs blieb. In Frankreich fam tei auftreten wird. Wahllisten werden für die wahlen offenbar nicht allein die kommunistische endlich der gefährlichste zutreiber Mussolinis, Partei, sondern auch allerlei gesellschaftliche Pierre 2 a b a 1, zu Fall und mit dem Kabinett parteilose Organisationen aufstel- schieden demokratisch orientierte Regierung auf Sarraut- Flandin- Boncour erschien eine ents len. Und solcher haben wir hunderte. Unsere Ge- der Bühne. Die Wahlen in Spanien fellschaft besteht aus freien arbeitenden Menschen brachten einen großen Sieg der Linksfront. Die in Stadt und Dorf Arbeitern, Bauern, Intellektuellen. Jede dieser Schichten kann ihre be- Bemühungen Dr. Ho dza s endlich, an dem dene zahlreiche gesellschaftliche Organisationen traft gegen den deutschen Imperialismus zu gee fonderen Interessen bejizen und sie durch vorhan- meistgefährdeten Punkt Europas , im Donauraum, zur Organisation einer starken Gegenlangen, schienen von Erfolg getrönt. Die Weihnachtsamnestie des Kabinetts Schuschnigg , die Reise Schuschniggs nach Prag. schienen neben anderen bedeutsamen Aeußerun gen österreichischer Streise ein Einschwenken Desterreichs in die Front der Kleinen Entente als nahe bevorstehend erscheinen.
zum
Ausdruck bringen.
Wahlrecht als Peitsche gegen die Staatsorgane
Warum geheime Wahlen? Weil wir den Sowjetmenschen volle Freiheit geben wollen. Es wird einen Wahlkampf geben und, wie ich voraussehe, einen sehr lebhaften Wahlkampf.
Die allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlen in der Sowjetunion werden eine Peitsche sein in den Händen der sowie trussischen Bevölkerung gegen die schlecht arbeitenden M a chtorgane. Unsere neue Sowjetverfassung wird meiner Meinung nach die demokratischeste aller in der ganzen Welt eristierenden Verfassungen sein.
Von diesen beiden ehemaligen Nationalsozia: listen ist einer der bekannte Dr. Otto Strasser , ein gründlicher Kenner Hitlers und Bruder des am 30. Juni 1934 ermordeten nationalsozialistischen Parteiführers Gregor Strasser . Der andere In diesem Zusammenhang ergab sich zwi fit der frühere Funktionär der Partei Heinz schen Howard und Stalin eine längere Unter- Sirges, jetzt Leiter der von Otto Straffer geredung über die kommunistische Propaganda, über die politischen Verfolgungen und die Gefahren, die dem Sowjetregime drohen.
,, Jm Kern sozialistisch"
So schien alles zum besten bestellt und die Rechnung hatte nur den einen Fehler, daß man sich in Genf und in den friedenswilligen Streifen allzusehr auf das Wirken der Zeit und der automatischen Kräfte verließ, während der Faschismus seine Gegenzüge mit Energie und mit dem alten Talent zu leberraschungseffekten einleitete.
Zivar hat sich in der Konstellation der Mächte wenig geändert und nach wie vor schließt ein eiserner Ring das rasende Hitlerreich ein. Aber es hat sich in den letzten Tagen doch ein Szenenwechsel vollzogen, der die Welt= Iage heute in wesentlich unfreundliche rem ichte erscheinen läßt, als man sie noch vor vier Wochen sehen durfte.
Sehen Sie, wir Marristen glauben, daß die Revolution auch in anderen Ländern eintreten wird. Sie wird aber erst dann eintreten, wenn die Revolutionäre dieser Länder es für möglich Sensationelle Enthüllungen zum Reichstagsbrand oder für notwendig finden werden. Der Export einer Revolution ist ein Unsinn. Zwei ehemalige Nationalsozialisten erheben Der Spezialausweis der natioJedes Land wird, wenn es wollen wird, gegen die Hitlerregierung die Anklage, daß sie nalsozialistischen Partei für van der Lubbe macht Mussolini hat vor allem in Abessinien zum jeine Revolution vollführen und, wenn es nicht selber am 27. Feber 1933 den Reichstag ange- den Eindruck der Echtheit. Erstaunen erstenmal seit Beginn des Krieges wirkliche Siege wollen wird, so wird es teine Revolution geben. zündet hat. muß es aber erregen, daß die Enthüller drei erfochten. Die rein passive Hilfe, die Abessinien Zu behaupten, daß wir angeblich auch in anderen Jahre lang mit ihrer Enthüllung gewartet haben. von den Mächten geleistet wird, hat sich als unzuLändern eine Revolution vollführen und uns in Man erklärt dies damit, daß Jürges, der heute reichend, die Fähigkeiten der Generale des Negus ihr Leben einmischen wollen, das heißt etwas benoch ein fanatischer Nationalsozialist, wenn auch haben sich als unzulänglich erwiesen. Die Nordhaupten, was nicht existiert und was wir niemals ein Gegner der nationalsozialistischen Führer- ar mee des Negus ist geschlagen verkündeten." clique ist, das wichtige Dokument nicht an Mar- und kommt für eine Offensive jedenfalls nicht risten oder Juden habe ausliefern wollen. Erst mehr in Frage. Mussolinis militärische Erfolge in nach einer langen Odyssee, auf der er schon ein Abessinien, von den Genfer Mächten vielleicht gründeten Schwarzen Front in Südamerika . mal von den Bravos der Hitlerregierung aus nicht erwartet, jedenfalls aber durch die zögernde Als Beweisstück veröffentlichen sie in dem Hinterhalt angeschossen und verletzt wurde, und unzureichende Sanktionspolitik ermöglicht, Strassers Zeitschrift„ Die deutsche Revolu- habe er Anschluß an die Schwarze Front gefun- bahnt auch Hitler eine Gaffe aus der Einkreisung. den und damit auch die Stelle, der er mit gutem Seit Wochen laufen Verhandlungen tion" die Photographie eines zwischen Berlin und Rom . MussoSpezialausweises der National Gewissen sein Beweisstück übergeben fonnte. Es gibt wohl wenige Urteilsfähige in der lini sekundiert Hitler wieder wie in den Tagen jozialistischen Deutschen Arbeiterpartei für Marinus van der Lubbe , ausgestellt in Berelt, die daran zweifeln, daß der Reichstag von ihrer glühenden Jugendliebe anno 33. Schon hat Marinus van der Lubbe , ausgestellt in Ber - den Leuten Hitlers angezündet worden ist. Der Rom dem französischen Botschafter erklärt, daß lin im Feber 1933. Weiter wird berichtet, ndizi en beweis ist zwingen d. Italien aus dem Locarno- Bertrag keine Konse daß Heinz Jürges in den letzten Tagen vor Trotzdem bleibt den offenbar Schuldigen das quenzen ziehen werde. Und die enge Freundschaft dem Brande wiederholt im Hause der SA in Leugnen möglich, solange nicht das Maß der zwischen dem wieder erſtarkenden Italien und Berlin , Hedemann- Straße mit van der Lubbe Verantwortung aller einzelnen festgestellt und dem aufgerüsteten Deutschland verleitet die enge zusammen gewesen und bei Verhandlungen ihre Beteiligung durch unwiderlegliche Aussagen lische Politit, ihrerseits Berlin gewisse Avancen des Holländers mit dem SA - Führer Karl oder Dokumente bewiesen werden kann. Wenn zu machen. Ernst( der gleichfalls am 30. Juni erschossen sich Heinz Jürges als ein vertrauenswürdiger Die erste und weithin sichtbare Folge des wurde) als Dolmetsch gedien Mann erwiese, dem man seine Aussage und die italienischen Sieges war aber, daß der Duce seine Echtheit der von ihm vorgewiesenen Dokumente beiden Bas allen von der Donau habe. Jürges gehörte damals zu den engsten Mitarbeitern von Goebbels , der nach Otto glauben kann, so würde das in der Affäre des zum Rapport nach Rom berief. Reichstagsbrandes eine Wendung bedeuten. Er verknüpfte die Einladung, der Starhemberg Straffers Versicherung die Ausstellung des Einstiveilen ist festzustellen, daß es ehemalige zweifellos mit Begeisterung, Schuschnigg mit ge= Spezialansweises für van der Lubbe selber Freunde und Anhänger Hitlers sind, die jetzt ver- ringerer Freude folgen dürfte, mit einem mehr veranlaßt hat und den er ansdrücklich als den sichern, den Beweis dafür in Händen zu haben, als deutlichen Angriff auf die tiche eigentlichen Urheber der Brandstiftung be- daß der Reichstag von den Nationalsozialisten choslowa tische Außenpolitit, zeichnet. felbst angezündet worden ist. die gewagt hatte, das Donauproblem ,, ohne
Howard: Sie geben also zu, daß die kom munistische Gesellschaft in der Sowjetunion noch nicht ausgebaut ist. Ausgebaut ist der Staatssozialismus . Der Faschismus in Italien und der Nationalsozialismus in Deutschland behaupten, daß sie ähnliche Ergeb nisse erzielten. Ist es nicht ein gemeinsamer Wesenszug aller der genannten Staaten, die Freiheit und Persönlichkeit und andere Entbehrungen im Interesse des Staates zu verlegen?
Stalin erklärte in seiner Antwort, daß der Ausdruck Staatssozialismus " ungenau sei. ..Die Gesellschaft, die wir schufen, kann nicht als Staatssozialismus bezeichnet werden. Die sowjetrussische Gesellschaft ist deshalb sozialistisch, weil das private Eigentum, insoweit es sich um Fabrifen, Unternehmen, Boden, Banken und Verkehrsmittel handelte, aufgehoben wurde und an seine Stelle das VoIts objeft getreten ist: staatliches, d. h. Voltseigentum, aber auch