Seite 2 Freitag, 6. März 1938 Nr. 56 Italien "—„also gegen Italien ", wie Mussolini sagte— lösen zu wollen. Auch innerpolitisch sieht es in Oester reich übel genug aus. Die Nazi, von denen der gesamte Staatsapparat durchsetzt ist, benützen ihre Positionen, um die.Sozialisten, wo und wie sie können, zu verfolgen und zu quälen. Die Schergen Starhembergs, die alle Früchte der Weihnachts-Amnestie längst wieder zerstört haben, vereinigen sich mit den vaterländisch getarnten Nazis, um die sozialistische Arbeiterbewegung Oesterreichs niederzuhalten. Bei den demokratischen Staaten aber fehlt vielfach das Verständnis dafür, daß sie in ihrem Ringen um die Sicherheit Mitteleuropas den einzigen verläßlichen Partner inder österreichischen Linken haben. Das HodZas großer Donauplan, was seine politische Seite betrifft, vertagt worden ist, besagt nicht, daß ec falsch gewesen wäre. Er entsprang der richtigen Erkenntnis, daß es fünf Minuten vor zivölf und darum hoch an der Zeit ist, den Frieden an der Donau durch die Schaffung einer politischen und militärischen Föderation vom Range einer Großmacht zu sichern. Cs bleibt zu bedauern, daß die Idee HodZas nicht überall aus das Verständnis stieß, das die ernste Zeit gebieterisch fordert. Diesellhen Kreise, die Hodssa Prügel zwischen die Beine warfen, dieselben übrigens auch, die sich hartnäckig und bockbeinig gegen die Heranziehung der militärisch so unendlich wichtigen Sowjetunion zum Kollektivshstem Mittel europas wehret», scheinen sich über den Ernst der Lage nicht klar zu sein und werden zu spät merken, daß sie Mussolini den schon halb verlegten Weg nach Wien wieder geöffnet, Mussolini und Hitler das Spiel erleichtert haben. Auch der japanische Faschismus ist nicht müßig gewesen. Der Offiziersputsch von Tofio hat die Kriegsgefahr im Fernen Osten verstärkt, Rußlands und Englands Blicke nach dem Pazifik abgelenkt und so den Kabinetten von Rom und Berlin eine erwünschte Entlastung, der europäischen Friedensfront neue Bedrängnis gebracht. Der Völkerbund hat sich eine neue Frist gesetzt. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Mussolini diesmal auf Verhandlungen eingeht. Hat er die Mächte erst am grünen Tisch, so wird er ihnen, die eroberten Faustpfänder fest in der Hand, einen Frieden abnötigen, der für ihn ein Triumph, für Abessinien vielleicht erträglich, aber für den Völkerbund und den Gedanken des internationalen Rechtes eine vernichtende Niederlage sein wird. Nur wenn sich alle Verantwortlichen Staatsmänner in den nächsten Tagen der ganzen Tragweite ihrer Entschlüsse beivußt sind, nur wenn die öffentliche M e i n u n g, die vor drei Monaten gegen den Laval-Hoare-Plan so auch jetzt gegen jeden Verrat an der gerechten Sache auf der Hut ist, wird eS gelingen, einen neuen Szenenwechsel auf der Bühne der Weltpolitik zu erzwingen und die faschistischen Protagonisten in den Hintergrund zu drängen. Zn dem bekannten Machnik-Erlaß über die Einstellung tschechischer Arbeiter und Beamter in Rüstungsbetrieben, die auf HeereSliefcrungen reflektieren, nimmt eine JnterpellatiönSbeant- wortung durch den Ministerpräsidenten ausführlicher Stellung. Wir kommen aus Raummangel erst morgen ausführlicher darauf zurück. Der Schulminlster Segen Seelenfang Intervention der Genonln Kirpal wesen des Hultschiner Privatunterrichtes Prag . Im Auftrage unserer Partei sprach Genosst« Kirpal am Donnerstag beim Schulminister Dr. Franke vor, um die Frage des Privatunterrichtes im Hult schiner Gebiet im Anschluß an die lex llhlir aufzurollen und insbesondere dahin z» intervenieren, daß tatsächlich jedem Kind« der Unterricht in seiner Muttersprache gewährleistet werde. Minister Dr. Franke erklärte im Verlaufe der Aussprache, daß er für die le; Uhlir lleber- gangsbrftimmungen schaffen werde. Er sei absolut dagegen, daß hier rin Deelenfang betrieben werde. Sollten da»nd dort dennoch Vnzukömm- lichkriten vorkommen, so ersuchte der Minister, ihm diese Fälle namhaft zu machen»nd erklärte sich bereit, jeden einzelnen solche» Fall individuell zu behandeln und lei Vorhandensein der Voraussetzungen auch günstig zu erledigen. Genossin Kirpal brachte dann«och verschiedene andere aktuelle schulpolitisch« Fragen zur Sprache, wobei der Minister sich bereit erklärte, auf die Anregungen einzugehen. Rentenerhöhung für Schwerinvalide auch nach Ablauf der zehnjährigen Frist ermöglicht Das Fürsorgeministerium hat im Abgeordnetenhaus eine Novelle zum Gesetz 39/22 über die Bezüge der Kriegsbeschädigten eingebracht, durch die einer der dringendsten Forderungen der Kriegsinvaliden wenigstens für die Kategorie der Schwerinvaliden(ab 75 Prozent Erwerbsunfähigkeit) Rechnung getragen werden soll. Bisher war bei den Kriegsinvaliden die Möglichkeit, aus dem Titel einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes(im Gefolge der seinerzeitigen Kriegsverletzung, bzw.-Krankheit) nachträglich eine Erhöhung ihrer Rente anzustreben, auf den Zeitraum von zehn Iah- r e n von der ersten Zuerkennung der Rente an beschränkt. Gegen diese Bestimmung Haden die Kriegs« invaliden mit vollem Recht opponiert, da sie eine offenkundige Ungerechtigkeit dqrstellt. Das Gesundheitsministerium hat von den beiden Prager Universitäten Fakultätsgutachten eingeholt, die sich in dem Sinne aussprechen, daß zwar äußere Schußverlehungen innerhalb des Zeitraumes von zehn Jahren heile« oder sich zu stabilisieren pflegen, daß aber bei Krankheiten innerer Organe und bei kombinierten Verwundungen, durch die auch das Gehirn, die Lungen etc. betroffen wurden, auch nach mehr als zehn Jahren Verschlechterungen der Krankheit»der Komplikationen eintreten können, die direkt oder indirekt mit der als Kriegsfolge anerkannten Verletzung, bzw. Krankheit Zusammenhängen. Iiamentlich Herz- und Ni eren- krankheiten können sich noch nach vielen Jahren verschlechtern und den Gesundheitszustand des Invaliden bedrohen. Selbst bei chirurgischen Verwundungen könne man spätere Folgen nicht ganz ausschließen. Namentlich die deutsche medizinisch« Fakultät hatte ausdrücklich erklärt, daß vom ärztlichen Standpunkt die Festsetzung einer Frist zur Anmeldung nachträglicher Verschlechterungen ganz ungerechtfertigt sei. Immerhin blechen solche Fälle vereinzelt. In Anbetracht dieser Gutachten auf der einen und der finanziellen Lage des Staates auf der anderen Seite hat das Ministerium nun die Lösung getroffen, die zehnjährige Frist wenigstens bei jenen Invaliden fallen zu lassen, bei denen die Schädigung der Gesundheit im vollen Umfang durch den Militärdienst herbeigeführt und nicht nur verschlechtert wurde und außerdem die BerufSunfähig- keit nach der neuerlichen Untersuchung mit mindestens 75 Prozent festgesetzt wird. Leider ist hier wieder das Wort„kann" eingeschoben, das heißt die Zuerkennung der erhöhten Rente dem Er- messen des Fürsorgeministeriums im Einvernehmen mit dem Finanzministerium anheimgestellt. Nach dem Motwenbericht dient diese Maßnahme lediglich dazu, um jene Fälle auszuschließen, in denen nicht unstreitig nachgewiesen ist, daß die Gesundheitsschädigung durch den Militärdienst verursacht wurde. Das Gesuch um Erhöhung der Rente ist beim zuständigen Landesamt für Kriegsbeschädigte einzureichen. Der Grad des Verlustes an Erwerbsfähigkeit wird analog wie im Verfahren über den Rentenanspruch festgestellt. Wird die Rentenerhöhung zuerkannt, so werden die Bezüge vom ersten Tage des der Einbringung des Gesuches folgenden MonatS erhöht. Der Mctivenbecicht nimmt an, daß der jährliche Aufwand für diese Rentenevhöhungen für Heuer 1,161.000 KL betragen und sich alljährlich bis auf 3,044.000 KL im Fahre 1945 und 2,831.000 KL im Jahre 1946 steigern wird. Noch Immer keine Mieterschutzvorlase Prag . Für die donnerstägige Senatssitzung hatte man schon mit aller Bestimmthett damit gerechnet, daß die Regierung die neue Mieterschutzvorlage einbringen werde. Leider haben sich die Erwartungen auch diesmal nicht erfüllt. Offenbar wollen die agrarischen Kreise um D u b i c k y nicht mtt der Tradition brechen, da über Mieterschutzfragen immer erst im allerletzten Moment vor Ablauf des alten Gesetzes eine Einigung erzielt werden darf. Sie machten daher am Donnerstag neue Schwierigkeiten und erzielten auch richtig, dnß die Vorlage noch nicht aufgelegt wurde. Nächster Termin ist demnach erst wieder der 10. März, an welchem Tage der Senat um 15 Uhr nachmittags zusammentritt. In der gestrigen einstündigen Sitzung erledigte der Senat ohne Debatte die Novelle zum Urheberrecht(Gesetz 218/26), durch die sich die Tschechoslowakei den internationalen Vereinbarungen über das Autoxenschutz- recht anvaßt, die im Jahre 1928 zur Ergänzung des Berner Abkommens auf einer Konferenz in Rom getroffen wurden. Ferner wurde das Hopfenabkommen mit Deutsch land neuerdings verlängert. Krokodilstranen um die Volkshilfe Prag . Im Parlament, das am Donnerstag zwei Vorlagen über die Bestrafung des Wilddiebstahls in der Slowakei 'Und über dse Erwerbung der Ostrau-Friedländer Bahn durch den Staat erledigte, schickten die Kommunisten zur Besetzung, bezw. Verteidigung der neuen Gottwaldlinie vier Redner in die Debatten vor, darunter auch den Abg. S v e r m a, der im Herbst durch ein paar halbwegs vernünftige Reden aufgefallen war. Diesmal bewegte er sich— wie die andern auch— ganz in den bekannten alten Geleisen. Herr S a n d n e r(SdP) hielt eine von allzu starkem Selbstbewußtsein zeugende Rede, in der er gegen die Einschränkung der „Volkshilfe"-Aktion in gewissen Gebieten, wo Unzukömmlichkeiten feftgestellt wurden, protestierte. Bei besonders kräftigen Stellen gab es seitens seiner Fraktion natürlich begeisterte Zustimmung. Dabei fehlten die obligaten Drohungen mit dem Ausland nicht.„Man sollte sich auch überlegen, welche Dienste man mit solchen Maßnahmen deni Staat außenpolittsch leistet... Wenn man das Elend von Hunderttausenden zum Boden von parteipolitischen und nattonalpolitischen Auseinandersetzungen machen will, so werden wir uns die Sprache nicht vorschreiben laffen, in der wir von der Not der Sudetendeutschen sprechen... Wir werden uns nicht dittieren lassen, ob das, was wir sagen, jemanden gefällt* Sandners Erzählungen über den unpolitischen Charakter der„Volkshilfe" wurden von einigen unserer Genossen in Zwischenrufen auf der Stelle berichtigt. In den parlamentarischen Verhandlungen tritt neuerdings eine größere Pause bis Dienstag, den 17. März, ein. Auch auf der Tagesordnung dieser Sitzung stehen nur unbedeutende Dinge. Ein Perfekter Redner scheint Herr Senator Dock von der SdP gerade nicht zu sein. Für die donnerstägige Senatssitzung hatte er sich eine Rede über die Lage des Saazer Hopfenhandels fein säuberlich zurechtgemacht; anscheinend hatte der Herr Senator aber noch keine Ahnung von jener tückischen Besttmmung der Geschäftsordnung die seit ewiger Zeit das Vorlesen von Reden von der Parlamentstribüne herab verbietet. Möglich auch, daß Senator Bock annahm, als Angehöriger der größten Partei sich selbstherrlich über die Geschäftsordnung hinwegsetzen zu können, wie dies ja schließlich selbst die rechtskundigen Klubsekretäre der SdP in ihren Anträgen auf Erteilung von Rügen nach der Geschäftsordnung auch schon— allerdings vergeblich— versucht' hatten. Der Vorsitzende des Senats hatte leider für den Wunsch des Herrn Bock, im stencgraphi- schen Protokoll mit einer glänzend vorgelesenen Rede brillieren zu können, nicht das nötige Verständnis und erinnerte ihn, nachdem er sich die Borleserei eine Zeitlang nachsichtig angesehen hatte, schließlich doch an jenen unglückseligen Paragraphen, der das Lesen verbietet. Jetzt war es mit der Kunst des Herrn Senawrs aus. Einmal aus dem Konzept gebracht, konnte er den Uebergang zur freien Rede nicht mehr finden, und so schob er schließlich ganz konsterniert das restliche Manuskript seiner Rede den Stenographen zu und verschwand von der Bildfläche, so daß der Senat um den ganzen Schluß der schönen Rede kam. Wirklich schade! Erpertenkonfrrenz der Kleinen Entente . Donnerstag begannen in Prag unter dem Vorsitze Dr. Hodjas die Arbeiten der Experten der Kleinen Entente für mitteleuropäische Fragen. Der Präsident der Republik empfing am 5. März u. a. eine Deputation des ständigen Ausschusses der Abgeordneten und Senatoren der koalierten Parteien KarpathorußlandS und eine Deputation des Obersten Rates deS Verbandes der jüdischen Religionsgemeinden. Personaländerungen im Außenministerium. Nach dem Abgang des Legationsrates Dr. V. KuLera in die Kanzlei des Präsidenten der Republik hat Außenminister Dr. Krofta den Legationsrat Dr. I. I i n a mit der Funktion des Vorstandes seines Kabinetts betraut. Im Zusammenhang mit dieser Aenderung hat der bisherige Vorstand der- V. Abteilung der politischen Sektton Ministerialrat Dr. V. R e j b o l e c die Leitung der Abteilung I dieser Sektton übernommen. Vorstand. der Abteilung V wurde Ministerialrat Dr. G. Hellmuth. Pärla- mentsreferent des Außenministeriums ist Sektionsrat Dr. K o s t ä l. 26 MANNER, FRAUEN I UND WAFFEN I > Roman von Manfred Georg Copyright by Dr. Manfred Georg, Prag Er sah zu Havdee hinüber. Und er mußte plötzlich an einen Abend denken, den er vor vielen Jahren am Meer erlebt hatte: während die Wellen gingen und kamen und den Strand fließend bedeckten und fteigaben, war draußen ein Wolkentheater losgegangen, das mit seinen Farbenspielen ihn erst lockte und dann schließlich so fesselte, daß er den Sinn für seinen Körper ganz verloren hatte. Er, der Nüchterne, in den Uniformrock Eingeschnürte, fühlte sich von der Materie frei, aufgehoben in den Raum, selber nur ein Geschöpf aus Wind und Lickt und Wasser, durch das alles hindurchfloh, und das sekündlich jeder Veränderung ausgesetzt war. Es war eine Art Tod gewesen, den er erlebt hatte, und der ihm im Augenblick wie eine Offenbarung erschienen war. Dies hatte sich nicht wiederholt. Der 1. u. k. Rittmeister Wolfgang Schumann war von solchen Exzessen des Gefühls gemeinhin verschont worden. Wer wenn er jetzt Haydee ansah, so hatte er einen so erschreckenden Eindruck von Lebendigkeit, von einem Leben, das sich aus der Sonne, die es beschien, und aus der Erde,, die es betrat, nährte, das von Urstoffen zu strotzen schien. Auf der anderen Seite der Bank saß eine sehr kultivierte Dame, vorzüglich angezogen und in einer sehr angenehmen Weise zurechtziemacht. Trotzdem hatte Schumann das Empfinden, daß sie tot war. Wenn Haydee sich bewegte, zum Fenster trat, sich zu ihm beugte, so war das alles nur eine Fortsetzung von Kurven, Tönen, Linien, die in der Luft unsichtbar vorhanden waren und in Haydke nur ihre körperlichen Ausläufer fanden. Er hätte sie jetzt vor der Frau ruhig besitzen mögen. Es wäre ihm nicht unschicklicher erschienen als an einer Blume zu riechen oder einen Apfel zu essen. Der Genuß aller fünf Sinne, den er an Haydke hatte, war dem Genuß des Abends am Meere gleich. Er war die Verwandlung in spielende Sinne, die einfach den Körper negierten, der sie enthielt. Wer das war ein Zustand, keine Aufgabe keine Zukunft, es hatte nicht die Dauer, die ein Ziel hat. Das Ziel würde bleiben, die Angst würde bleiben, es nicht zu erreichen und die Sehnsucht danach. Haydke würde älter werden, würde untergehen, vielleicht gar mit gerundetem Bauche ihr Leben weitergeben, um selber nur noch ein Speitt>er, etwas Aufgespaltenes, Erfülltes zu sein, das seine Einmaligkeit verloren hatte. Haydees Blicke hatten sich verdüstert, als sie Schumann das Bild betrachten sah. Dann aber lächelte sie gleich wieder, setzte sich neben ihn, streichelte sein« Hand und sah mit ihm, den Kopf an ftine Schulter gelehnt, in die Landschaft hinaus, die in der Hitze des Mittags zu glühen begann. * Um nach Chateau Boncourt zu kommen, mußte man mit der Kleinbahn bis zu dem Provinzstädtchen Orne fahren. Hier befand sich deS alten Dunaimis letzter Wachtposten und erster Vorposten zugleich: ein« Filiale des Credit Lyonnais, deren Leiter Herr Victor Bargouille, einer der engsten Vertrauten des Waffenkönigs, war. Ohne dessen Anmeldung im Schlosse wurde kein Besucher vorgelassen. Schumann nahm ein Mietauto. Sie fuhren etwa eine gute Stunde aus einer vorzüglich asphaltierten Chausee. Dann entdeckte man mitten auf freiem Feld einen Pfahl mit Schild: Chateau Boncourt. Kurz dahinter begann Wald , der von fünf Meter hohem Stacheldraht eingezäunt war und nur eine kleine Durchfahrt hatte, die gerade für ein Gefährt breit genug war. Zu Schumanns Erstaunen traten dort aus einem Blockhaus vier mit Maschinenpistolen bewaffnete Inder, während ein Rudel Hunde sich schnuppernd, aber ohne Laut erhob. Eine der Wachen nahm Bargouilles Geleitbrief entgegen und verschwand damit im HauS. Schumann wußte, da er die Echtheit des Schreibens nach allen Regeln der Kunst prüfte. Dann kam der Mann wieder heraus, setzte sich vorn zu dem Chauffeur. Sie fuhren in den Wald hinein. Nach einer weiteren halben Stunde weitete sich der Weg zu einem kleinen Platz, auf dem ein Landhaus lag, erbaut im englischen Kolo- nialsttl. Man führte Schumann in eine fleine Bibliothek: Kurz darauf öffnete sich die gegenüberliegende Tür, und Dunaimis wurde in einem Rollstuhl hereingefahren. Krüppel und Verbrecher beherrschen die Welt! mußte Schumann denken, als er das gläserne Greisengesicht von Dunaimis mit einem zitternden weißen Spitzbärtchen aus den Decken herauslugen sah. Vor diesem Mann mit den flinken, lebhaften Augen und den bebenden Händen, die nach einem Zigarettenetui tasteten, fürchteten sich die Staatsmänner der Wett, bekreuzten sich Börsenfürsten, für ihn und seine Geschäfte und Geschäftsfreunde starben Hunderttausende. Dieser rätselhafte Levantiner, der, reicher als Rockefeller , Völker auf dem Schachbrett seiner Pläne umherschob, und den ein mäßiger Faustschlag zwischen die Augen ins Jenseits befördert hätte, erschütterte Schumann. In dem Rollstuhl wurde es unruhig. Die Hand mit der Zigarettendose zitterte so, daß Schumann sie abnahm und auf den Tisch stellte. Dunaimis hörte Schumanns Bericht aufmerksam an. Hier und da tat er eine Zwischenfrage, die eine genaue Kenntnis der Dinge verriet und meinte dann: „MakropuloS ist der Schlaueste von allen. Er mutz eine hohe Meinung von Ihnen haben. Und knausern Sie nicht mtt Geld. Merken Sie sicki den Grundsatz: es gibt niemanden, der sich nicht mit Geld bestechen läßt. Es gibt nur Unter schiede der Höhe, in denen die Gesinnung zu schwanken anfängt. Aber es gibt außer Geld noch mehr. Man kann mit Orden bestechen, mit der Stiftung von Krankenhäusern, mit Theatern, Briefmarkensammlungen, pervertierten Huren, Baronettstiteln. Schmeicheln Sie mir dem Ehrgeiz, hätscheln Sie mir die natürliche Feindschaft aller, die gleich stark sind. Haben Sie den Lendvai schon-kennen gelernt? Wissen Sie, wie wir den bekommen haben? Er war damals ein bewußter Jude. Dem haben wir für seine Bestrebungen in Palästina eine Anzahl Dunam Land getauft, seitdem schwört er auf uns. Einem polnischen General, der ein Narr war und sich mitten auf dem Lande einen dürfttgen Zoo angelegt hatte, habe ich zwei Elefanten geschenkt. Und für den Direktor einer jugoflaivischen Fabrik, der eine Filmschauspielerin geheiratet hatte und sich des früheren Berufes seiner Frau schämte, haben wir der Filmgesellschaft in jedem Lande, in dem sie den Film spielen wollte, die Aufführung verbieten lassen. Ich erzählte Ihnen das nur, um Ihnen anzudeuten, wie unerschöpflich die Wege der Bestechung sind." Er forderte dann plötzlich Schumann auf, ihm sein Leben zu erzählen. Es war dem Rittmeister, als ob Dunaimis besonders gierig zuhörte. Das Unglück des Besuchers schien ihn aufzuregen. Schumann erinnerte sich daran, daß Dunaimis in früher Zeit eine Tochter durch einen Eisenbahnunfall verloren hatte. Seitdem ließ er sich von jeder Zugkatastrophe berichten. Er sammelte die Unfälle mit einer wahren Genugtuung. Er freute sich an den Tabellen mit den Toten und Verwundeten, die ihm sein Sekretär aus aller Well aufstellte. Das war die einzige Liebhaberei, die Dunaimis hatte. Sonst war er, trotz seines hohen Alters, von morgens bis abends mit der Lektüre der Wirtschafts- und politischen Berichte beschäftigt, überhäuft mit der Arbeit von Diktaten und Telefonaten. Die Begebenheit am Ufer von Gornitsch erfragte er ganz genau..( Fortsetzung folgt.).
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16 (6.3.1936) 56
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