Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TAGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB . VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .

16. Jahrgang

Undurchsichtige Lage

Mittwoch, 11. März 1936

Ultimatum oder Verhandlungen?

Jund zweitens hat Hitler eben bewiesen, daß er p

Berträge grundfäßlich nicht zu halten gewillt ist. Die tragische Schuld Frankreichs

In der Haltung Englands gegenüber den französischen Forderungen spielt sicher der bittere

Ergebnislose Konferenzen Paris drängt, London zögert adhgeschmad eine Rolle, den die französische Po­

Der Dienstag hat keine Klärung, eher eine weitere Trübung der Lage gebracht. Frank­ reich zeigt sich über die Rede Edens und die Haltung des britischen Unterhauses verstimmt. Nur die Preffe der sozialistischen Linken billigt Edens Standpunkt. Die Rechtspresse schlägt heftige Töne gegen England an. Allgemein verlangt man scharfe Sanktionen und fordert den Lohn für die ,, Vertragstreue" Frankreichs im italienisch- abessinischen Konflikt, nicht bedenkend, daß La= vals Vertragstreue" so löcherig war, daß der Völkerbund und England gegen Mussolini nichts Entscheidendes zu unternehmen vermochten und daß zwangsläufig jene Situ­ation entstand, in der sich Europa heute befindet.

Unklar ist auch, welche Wendung der Konflikt mit Italien nehmen wird. Mus­ solini wird natürlich versuchen, mit seiner alterprobten Erpresſertaktik jetzt alles herauszuschla= gen. Andererseits empfindet man gerade in England noch immer, daß eine Kapitulation des Völ­terbundes vor Mussolini den Genfer Verband auch aller moralischen und rechtlichen Waffen ge= gen Hitler berauben würde.

Paris.( Tich. P. B.) Ueber die Besprechung der Locarnomächte wird eine Verlauibarung aus­gegeben, in der es nach Aufzählung der Delegier­ten heißt:

,, Bei der Eröffnung der Sitzung hat Außenminister Flandin die Vertreter der Unterzeichner- und Bürgenmächte von Locarno willkommen geheißen. Er hat darauf hingewie­

sen, daß die Konferenz einen Austausch der Nachrichten zum Ziele habe und die Lage fest= stellen solle, daß aber keine Entschließung vor geschlagen noch irgendeine Entscheidung getrof­fen werde, bevor der Völkerbundsrat zusam= mengetreten fei. Nachdem auf diese Weise das Verfahren festgelegt worden war, haben die einzelnen Vertreter ihre Auffassungen ausein= andergesetzt. Dieser Meinungsaustausch wird vielleicht am Dienstag abends in Paris , auf alle Fälle aber in Genf fortgesetzt werden, wo sich die Vertreter am Mittwoch wieder zusam= menfinden werden.

reisen werden.

Dienstag unt 20 Uhr 30 Minuten wurde der Presse folgendes Kommuniquee übergeben:

,, Bei der neuen Beratung der Delegier ten der Signatarstaaten des Rheinlandpaktes wurde vereinbart, daß die Beratungen Don nerstag in London fortgesetzt werden. Die bri­ tische Regierung hat den amtierenden Vor­sitzenden des Völkerbundrates ersucht, daß die nächste außerordentliche Ratstagung gleich falls in London unmittelbar nach der Beratung der Signatarstaaten der Locarnoabkommen stattfinde."

litit im italienisch- abessinischen Konflikt in Lon don hinterlaffen hat.

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Nr. 60

Die brüchige Volksgemeinschaft

Sandner und Kasper rücken mit dem Kleistertopf aus

Wären die Zeiten nicht so ernst und so schiver, so fönnten wir Sozialdemokraten uns Hätte Frankreich seinerzeit zugestimmt, den heute froher Genugtuung hingeben über die Sor Vertragsbruch Mussolinis im Keime zu ersticken, Vertragsbruch Mussolinis im Seime zu erstiden, gen und Schwierigkeiten der Sieger vom 19. Mai. so wäre Hitler gar nicht mehr zum Zuge gekom- Beide marristischen Parteien haben in der deut­men und wir hätten heute ein gesichertes Europa . schen Bevölkerung empfindliche Verluste erlitten. Aber noch in der jüngsten Zeit hat Frankreich vers Die Prediger der Voltsgemeinschaft ernteten sucht, Mussolini zu schüßen und es hat gerade einen großen Sieg. Doch nach einigen Monaten damit Hitler die Bahn an den Rhein freigemacht. schon melden sich die sozialen Lebensfragen Wir erfahren von einer sehr verläßlichen unserer arbeitenden Massen wieder laut zu Wort. und gut unterrichteten Stelle über die letzten Dif- Auch die proletarischen Henleinwähler wollen sich ferenzen zwischen London und Paris , die dem Coup Hitlers vorausgingen, das folgende:

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nicht länger mit leeren Worten abspeisen lassen. Sie fordern immer stürmischer die Einlösung der gegebenen Versprechungen. Sie wollen von der Führung Taten sehen. Im Paradies der Volks­gemeinschaft sollten sich doch die sozialen Pro­bleie von selbst lösen. Wenn Unternehmer und ein erheblicher Teil der Arbeiter und Angestellten endlich in einer Partei vereinigt sind wer hin dert sie denn, sich friedlich zu einigen über die Löhne und Arbeitsbedingungen, über Sonntags­ruhe und Urlaube? Doch nicht die bösen ,, volts­zersekenden" Marxisten! Die Henlein- Unterneh mer hätten es ja in der Hand, die Tätigkeit der freien Gewerkschaften illusorisch zu machen, ihre Arbeiter und Angestellten so gut zu behandeln, daß der Irrlehre" des Klassenkampfes dadurch der Teßte Todesstoß gegeben wird.

Eden ist nach Genf mit der festen Absicht gekommen, die Del Sanktionen sofort Dienstag abends fanden am Quai d'Orsah durchzuführen. Die britische Regierung neue separate Beratungen der Signatarſtaaten foll nämlich infolge der jüngsten italieni­des Rheinlandpattes stait. Außenminister Flandin fchen Siege ernst befürchten, daß der Negus empfing eine belgische Delegation, hierauf den bald gezwungen sein könnte, einen sehr ungün­italienischen Botschafter, den polnischen Botschaf- ligen Frieden abzuschließen. Ein solcher Friede ter und Minister Eden mit den britischen Exper- würde jedoch einer direkten Belohnung ten. Es wird mitgeteilt, daß Anthony Eden und des Angreifers gleichkommen, was für die Lord Halifar, die nachts nach Genf abreisen soll- Völkerbundyolitik katastrophale Folgen haben ten, morgen früh mit dem Flugzeug nach London müßte. London ist jedoch nach wie vor überzeugt daß die Anwendung der Delsanktionen Italien in kurzer Zeit zu einem für den Völkerbund annehm baren Frieden zwingen würde. Auch sei man in London überzeugt, daß Roosevelt gegebenen falls imitande wäre, die amerikanische Delaus­fuhr nach Italien in wesentlichen lahm zu legen. das schöne Märchen von der Bolfsgemeinschaft im Warum zögern die Herrschaften so lange, Alle diese Erwägungen hat Eden sofort bei der ersten Unterredung Flandin mitgeteilt, zu seinem Nichts Schlimmeres könnte die Führung der SdP Sozialen Alltag Wirklichkeit werden zu lassen? großen Erstaunen sei er aber auf einen ihren sozialistischen Gegnern antum, als dies, starken Widerstand nicht nur seitens Flandins, täglich in der Presse lange Listen volksgemein­fondern auch des zweiten franzöfifchen Dele- schaftlicher Firmen zu veröffentlichen, die sich mit gierten, Paul Boncour , gestoßen. Flant- ihren Arbeitern und Angestellten zur beidersei­din habe die Befürchtung ausgesprochen, die An- tigen Zufriedenheit verglichen haben. Wie könnte wendung der Delsanktionen würden einen sofor- dann Herr Sandner gestützt auf solche tigen Austritt Italiens aus dem Böl- Beispiele gegen das ausbeuterische tschechische terbund nach sich ziehen. Eden hat, nach einem Kapital donnern! Unter ständigem Hinweis Telephonat mit Baldwin, den Vorschlag Flan- darauf, wie herrlich deutschen Arbeitern von deut­des verletzten Egoismus oder der verlorenen dins, vor der Anwendung der Delsanktionen noch schen Unternehmern geholfen wird, wäre die SdP Garantien für seine eigene Sicherheit. Keines einmal eine Friedensvermittlung zu versuchen, auch in der Lage, mit starter moralischer Begrün­wegs. Frankreich wirft das Problem des tat- unter der Bedingung angenommen, daß vorher sächlichen Wertes von Verträgen, der allgemei- die Delsanktionen im Falle einer italienischen dung den Staat an seine sozialen Verpflichtungen zu erinnern. nen Garantie des Völkerbundpaktes für dessen Weigerung, auf Friedensverhandlungen einzn= Mitglieder, des treuen Festhaltens an untergehen, angedroht werden. Eden habe aber ge­zeichneten Verpflichtungen auf. Frankreich fordert, daß man einen sofortigen Waffen= wirft ferner das Problem der Herrschaft des it i II stand als Vorbedingung der Friedensverhandlungen verlangen folle. Der Rechtes vor jenem Rechte, welches sich die Ge­walt anmaßt, auf. Die gewaltsame Verlegung Friedensvorschlag selbst sollte auf 48 Stunden be­des Regimes der demilitarisierten Zone tan- fristet werden. Aber auch diese Vorschläge ließen giert sicherlich unsere eigene Freiheit. Aber nach sich nicht durchsetzen, so daß Eden sich damit zu unserer Meinung bedroht sie weit ernster die frieden geben mußte, daß man den Unterausschuß Zukunft des europäischen Friedens, die Grund für Delsanktionen mit einer sofortigen Ausar­beitung des Planes ihrer Anwendung beauftragt sätze der Organisation der kollektiven Sicherheit hat. Außerdem soll es Eden gelungen sein, die und das Schicksal des Völkerbundes. europäischen ölproduzierenden Staaten, vor allem Delsanktionen zu gewinnen." USSR und Rumänien , für die Anwendung der

Sarrauts Regierungserklärung

Die Regierungserklärung, die von Sarraut! in der Kamme, von Debos im Senat verlesen wurde, war auf den Grundafford: Heiligkeit der Verträge abgestimmt". Sier liegt ja zweifel­Tog die Stärke der internationalen Position Frankreichs , das mit seinen eigenen Interessen zugleich ein Prinzip verteidigt, hier liegt aber auch eine gefährliche Schwäche der französischen Thesen, denn als im Vorjahr Mussolinials erster die Verträge zerriß und den Völkerbund immer non neuemblutig ver­höhnte, war es Frankreich , war es mindestens Herr Laval , der immer neue Ausflüchte fand, immer neue Hintertüren öffnete, um der Sank­tionspflicht zu entgehen, den Artikel 16 des Völ­terbundpattes harmlos auszudeuten und Musso­ lini einen möglichst hohen Ertrag seines Ver­tagsbruches zu sichern. Frankreich erntet jest,

was Laval gesät hat.

Sarraut ist flug genug, sich nicht so sehr gegen die Verlegung des Versailler Vertrages von dem er nicht spricht- als auf den Bruch des Locarnopattes zu berufen, der von Hitler in einer fast beispiellos zu nen= nenden Manier zerrissen wurde. Sarraut sagt unter anderem:

In dem den Signatarstaaten übergebe­nen Memorandum und sodann in der Rede des Reichskanzlers Hitler hat sich die deutsche Regierung bemüht, diese Tat zu rechtfertigen, welche keine Nation zulassen fann, solange das Menschen= recht dauern wird, eine Tat, in wel= cher das Bestreben zutage tritt, ein fait accom= pli über die Respektierung frei abgeschlossener Verpflichtungen zu stellen.

Ausführlich seßt sich Sarraut mit den deuts schen Angriffen auf die französischen Beistands­palte, insbesondere den Pakt mit der Sowjet­ union auseinander. Er widerlegt die Behauptung Hitlers , daß diefe Patte im Widerspruch mit Lo­ carno stünden. Frankreich sei aber bereit, die Patte dem Haager Gerichtshof 3u unterbreiten. Deutschland jedoch sei den Weg der Gewalt gegangen. Sarraut fährt fort: Frankreich stellt sich in dem gegenwärti­gen Konflikt keineswegs auf den Standpunkt

feiner Erklärung. Er wandte sich gegen Hitlers Sehr scharf wurde Sarraut gegen Schluß Methode, die Regierungen zu übergehen, und

jagte:

Reichskanzler Hitler , der wähnte, zum französischen Volke über das Haupt seiner Re­gierung hinweg zu sprechen, als ob die aus freien Wahlen des Volkes hervorgegangene französische Regierung nicht die Volkssouverä­nität verkörpern würde, hat uns damit Gele: genheit gegeben, uns gleichfalls an das deutsche Volk zu wenden. Wir fordern es im Namen sei­ner Kultur und der Tugenden seiner Rasse auf, über die neue Verantwortung nachzudenken, welche es vor der Geschichte auf sich nehmen soll und wir erklären ihm feierlich, daß wir niemals seine Freiheit oder seine Ehre aggresiv antasten wollten und es niemals wollen werden. Nie­mals haben wir daran gedacht, das deutsche Volf in einer weniger günstigen. Weise zu be handeln, als das Volk anderer Staaten.

Endlich betonte Sarraut die Verhandlungs­bereitschaft Frankreichs , lehnte es aber neuerlich ab, unter Drohungen zu verhandeln.

Nichts von alledem geschieht. Weil es aber in den eigenen Reihen gärt und weil die verführ­ten Arbeiter immer schwerer bei der Stange zu halten sind, muß die EdP- Führung wenigstens so tun, als ob" sie sich auch für soziale Fragen interessieren würde. Diesem Zwecke diente eine ,, gesamtstaatliche Arbeitertagung" in Tetschen , mit der wir uns bereits kurz befaßt haben. Nicht weniger als 1000 Standes- Bertreter" waren am Sonntag versammelt, doppelt soviel, als wir Sozialdemokraten auf einem Parteitag oder Ge­wertschaftskongreß zu vereinigen vermögen. Eine wahrlich imposante Tagung also, die geradezu von epochemachender Bedeutung hätte sein kön nen. Doch sie war es nicht. Vergeben 3 suchen wir in den Berichten der Henlein­Presse die Beschlüsse, oder das schon seit zweiein­halb Jahren ausständige sozialpolitische Madrid . In Granada ereigneten sich in Programm der EdP. Statt einer klaren Wil­der Nacht auf Dienstag schwere Zusammenstöße lenskundgebung der 1000 Standesvertreter fin­zwischen politischen Gegnern, die insgesamt zwei Todesopfer und 15 zum Teil lebensgefährlich Verletzte forderten.

Blutvergießen in Granada

,, Kulturarbeit"

den wir lediglich in der ,, Zeit" zwei magere Aus­züge aus den Referaten der Herren Sandner und Kasper. Kasper weiß noch aus seiner auchgewerk­schaftlichen Vergangenheit, daß man auf einer Arbeitertagung über Sozialpolitik reden muß. Also orakelte er: ,, Die Sozialpolitik soll mithel wird nicht unterbrochen Addis Abeba. ( Reuter.) Die Hauptstadt fen, die bestehende Wirtschaftsordnung auf der Provinz Sidamo Erga Alem wurde Dienstag überzuführen." Wieso plötzlich so friedlich? Wo friedlichem Wege in eine erstrebte neue früh bombardiert. Etwa 20 Frauen wur= bleibt der Kampf gegen das raffende Kapital", den getötet und viele weitere Personen verden Kasper früher frisch- fröhlich gepredigt? lett. Die Stadt Erga Alem ist schon Montag Warum hören wir nichts mehr von der ,, Brechung

früh einmal bombardiert worden.

Der Versöhnungskurs"

Wien. ( Tsch. P.-B.) Im Laufe einer poli­zeilichen Razzia wurden zwei ehemalige Organi­Man legt Sarraut und Edens Erklärungen| fatoren des Republikanischen Schutzbundes verhaf in der Presse vielfach dahin aus, daß die Locarno - tet. Es handelt sich um Theodor Mal cher und mächte von Deutschland nicht die Räumung der Josef Did a; letzterer hatte seinerzeit in der ruf­Rheinlandzone, wohl aber ein weiteres Verspre fifchen Noten Armee als Offizier gedient. Beide chen verlangen würden, die besetzte Zone nicht zu wurden nunmehr wegen Hochverrates verurteilt: befestigen. Das hieße natürlich, sich lächerlich ma- Malcher zu zwei Jahren und Dicka zu fünf Jah­chen. Denn erstens ist die Zone bereits befestigt ren schweren Kerkers

der Zinsknechtschaft"? Kasper ist als Bettgenosse der völkischen Kapitalisten sehr zahm geworden und doziert: Gegenwärfig( 1) verstehen wir unter Sozialpolitik vor allem die Wahrung der Interessen der Arbeitnehmer; denn durch sie entstand in erster Linie das Arbeits= recht, das alles einbezieht, was den Arbeitneh­mer und seine Lebensverhältnisse betrifft. ,, Ent­stand" ist gut gesagt. Von den jahrzehntelangen heroischen Kämpfen um das soziale Recht des arbeitenden Menschen darf Herr Stasper nichts er­zählen, sonst- müßte er dem verhaßten Marris­