Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. REDAKTION   UND VERWALTUNG PRAG   XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB  , VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG  .

16. Jahrgang

Die Partie steht schlecht für Hitter

Dienstag, 17. März 1936

Frankreich   lehnt die Berliner   Bedingungen ab

England ist von Hitler   enttäuscht

Die Situation, die bis Samstag in London  für Hitler nicht ungünstig stand, weil das eng lische Kabinett selbst gespalten war und die öffent­liche Meinung Englands eher deutschfreundlich als deutschfeindlich ist, hat sich durch Hitlers   un­geschicktes Vorgehen sehr rasch gewandelt. Als in London   bekannt wurde, daß Hitler nicht nur kein Entgegenkommen beweisen will, sondern auch noch Bedingungen für die Teilnahme eines deutschen   Vertreters an den Beratungen stellt, wuchsen die Sympathien für Frankreich   st ün dI ich. Die resolute Hal­tung Flandins hat den Briten   offenbar impo­niert, ihnen auch gezeigt, daß sie, an den Ver­trag gebunden, Frankreich   in der eindeutigen Rechtsfrage sekundieren müssen. Ist man auch in London   noch immer zu Verhandlungen mit Deutschland   geneigt, so steht nunmehr fest, daß die Verurteilung Deutschland 3 erfolgen wird, ohne daß vorher mit Deutsch­ land   verhandelt worden ist.

Tie deutsche   Note, die in London   wie eine falte Dusche wirkte und die eine echt preußische Schnoddrigkeit ist, lautete:

nen Einwand dagegen, daß diese zwei Angelegenheiten getrennt oder nach ein ander beraten würden.

Im Ministerium für Auswärtige Angelegen­heiten wurde heute darauf aufmerksam gemacht, daß durch irrtümliche Ueberset­zung oder Interpretation eines Wörtchens in der deutschen   Antwort, in welcher Deutschland  seine prinzipielle Bereitwilligkeit zur Annahme der Einladung des Rates mitteilt, die deutsche Antwort weniger versöhnlich scheint als fie es in Wirklichkeit ist. Es handelt sich um den Sat, wel cher wörtlich folgendermaßen lautet: aus

diesem Grunde kann fie( die deutsche Regierung) an den Verhandlungen des Rates nur teilnehmen, wenn sie die Gewißheit erhält, daß die in Frage kommenden Mächte bereit sind, alsbald in Verhandlungen über die deutschen   Vorschläge ein­

zutreten..

..

Im deutschen   Original steht ,, alsbald" was insFranzösische mit Immédiament" und ins Englische mit Forthwith" übersetzt worden ist. Nach der deutschen   Interpretierung bedentet je­doch das Wort alsbald ,, womöglich bald" und keineswegs ,, gleichzeitig" oder, fofort".

Dieser originelle Wis hat seine Wirkung verfehlt. Die französischen   Delegierten äußerten sich dazu mit beißender Jronie und. die Englän­der blieben fühl.

Dienstag: Verurteilung des Vertragsbruchs

London.  ( Reuter.) Der Völkerbund   rat hat in der geheimen Sigung beschlossen: 1. Deutschland   wird mitgeteilt werden, daß es an der Situng des Völkerbundrates anf der gleichen Grundlage wie die übrigen Signatare des Locarnoabkommens, das ist ohne Stimmre cht teilnehmen kann;

2. die deutschen   Vorschläge betreffen die Signatare des Locarnoabkommens und keines­wegs den Völkerbundrat.

In Völkerbundkreisen glaubt man, daß Dienstag eine öffentliche Sigung des Völker­bundrates stattfinden wird, auf welcher Deutschland   wegen Verlegung des Locarnovertrages verurteilt werden wird. Der Rat wird sich sodann vertagen und seine nächste Sigung wird Montag nächster Woche in Genf   stattfinden. Darüber wird entweder in einer geheimen oder in einer vertraulichen Sihung Beschluß gefaßt werden.

Ich bestätige ergebenst den Empfang Ihres Te­legramms vom 14. März, in dem Sie mir mittei­len, daß der Rat des Völkerbundes die deutsche Re­gierung einlädt, an der Prüfung der dem Rat von der belgischen und der französischen   Regierung vor­gelegten Frage teilzunehmen. Die deutsche Regie- Die öffentliche Sigung des Völkerbundrates Polen springt aus? rung ist grundsätzlich bereit, die Einladung des Ra- nahm die Darlegungen des Außenministers Paris.  ( Tsch. P. B.) Die Pariser Blätter tes anzunehmen. Sie geht dabei von der Voraus- Flandin und die gemeinsame franzö- druden mit Interesse, aber ohne Stommentar die ſekung aus, daß ihr Vertreter bei der Beratung und fische und belgische Resolution Informationen des ,, Daily Telegraph  " ab, wo­Beschluß aufsung des Rates mit den Vertretern entgegen, durch welche der Völkerbunsrat aufge- nach es in London   zu einer gewissen Aufklärung der Ratsmächte gleichberechtigt sein fordert wird, zu konstatieren, daß Deutschland   und Annäherung zwischen Frankreich   und würde. Ich wäre Ihnendankbar, wenn Sie mir dies die Bestimmungen des Versailler   Friedensver- o I en gekommen sei. Als Folge dieser Annä militarisierte Rheinlandzone dadurch gewaltherung solle der polnische Generalstabschef bald fam verletzt hat, daß es am 7. März mili­tärische Abteilungen in die entmilitarisierte Zone Und Italien   bleibt kühl! entsandte und sie dort stationiert hat.

bestätigen würden.

trages und der Locarnoabkommen über die ent­

Außerdem muß die deutsche   Regierung auf fol­gende grundlegende Tatsachen hinweisen: Ihr Vor­gehen, das der belgischen und der französischen   Re­gierung Anlaß zur Anrufung des Rates gegeben hat, erschöpft sich nicht in der Wiebeherstellung der Der Vorsitzende des Völkerbundrates gab deutschen   Souveränität in der Rheinlandszone, son- hierauf die Beschlüsse der geheimen Sigung des dern ist mit umfassenden, konkrete Vorschlä- Völkerbundrates bezüglich der Antwort Deutsch­für eine neue europäische   lands bekannt, worauf die Sizung gefchloffen Friedenssicherung verbunden wurde. Die nächste Sigung findet Dienstag um worden. Die deutsche Regierung betrachtet ihre 15.30 Uhr statt.

ge

nach Paris   kommen.

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( einschließlich 5 Heller Porto)

Nr. 65

Achtung auf Oesterreich!

Die Hintergründe des Wiener  Sozialistenprozesses

Fast müßte man der Wiener   Regierung oder ihrem zufällig vorherrschenden Flügel dankbar sein, daß sie durch den standalösen Monstre prozeßz gegen die revolutionären Sozialisten das Problem Desterreich wieder scharf in das europäische Blick= feld rückt. Denn die großen Konflikte im Westen dürfen keinen Augenblick die Tatsache verdunkeln, daß Oesterreich   nach wie vor einer der größten Gefahrenherde auf dem Kontinent ist. Die Labi­lität der Klerofaschistischen Heimwehrdiktatur ist so offenkundig, daß es ratsam erscheint, das in­nerösterreichische Kräftespiel mit größter Aufmerf­

ſamkeit zu verfolgen und sich gegen lleberraschun­

gen zu wappnen.

Der schwache Versuch Schuschniggs, das italienische Protektorat abzubauen, schein! bereits erledigt zu sein. Starhemberg   ist wieder obenauf. Das bedenklich schwankende Wie­ ner   Regierungsschiff schwimmt neuerdings im Kielwasser Roms, der Kurs geht auf hundertpro­zentige faschistische Totalität. Ein aussichtsloses Beginnen. Das Regime ist so von Cliquenfämpfen zerrissen, der Staatsapparat ist derart mit Nazis durchsetzt, daß eine Rückkehr zu den brutalsten Henkermethoden der Nachfebertage die opposition nellen Kräfte nicht wesentlich zu schwächen ver möchte. Auch bürgerliche Beobachter stimmen darin überein, daß die Sympathien für die So­zialdemokratie im Wachsen begriffen sind. Eine Schätzung, die in den verschiedensten Kreisen kol­portiert wird, geht dahin, daß bei einer freien Wahl in Oesterreich   die Roten 50 Prozent der Stimmen erhalten würden, die Brannen 30 Pro­sent, die Regierung bestenfalls 20 Prozent. Diese 20 Prozent verteilen sich etwa je zur Hälfte auf Monarchisten habsburgischer und star hembergischer Richtung. Die sozialistischen   Kräfte werden durch die Nachbarschaft zweier faschisti­ſcher Großmächte niedergehalten. Die österreichi­schen Nazis verfügen weder über populäre Füh­

=

rer, noch über eine schlagkräftige illegale Massen­organisation und haben daher keine Aussicht, sich aus eigener Kraft irgendwie durchzusetzen. So Rom.( Havas). Der römische Korrespondent wird die österreichische Innen­des Le Matin" berichtet, daß der deutsche Bot- Politik derzeit von der Rivolis schafter beim Quirinal von Hassell Samstag vom tät der zehn Prozent Starhemberg­Staatsuntersekretär des Ministeriums des Aeuße- Anhänger und der anderen zehn ren Suvich empfangen wurde, der den italieni  - Prozent Otto Monarchisten be= schen Staatssekretär darüber informierte, daß herrscht. Deutschland   unnachgiebig entschlossen ist, auf sei- Starhemberg spekuliert froß aller gegentei­nem Standpunkte in dem durch die Besetzung der ligen Versicherungen auf das Amt eines Reichs­Rheinlandzone hervorgerufenen Konflikt zu be- verwesers". Die Anhänger Ottos wissen das sehr harren. Meldungen zufolge, die sich nach dieser gut und wollen ihrerseits zum Zuge kommen. Unterredung in Rom   verbreiteten, war die Begeg- Hinter ihnen steht der größte Teil des Klerus und nung des italienischen Staatsmannes mit dem des Offizierskorps. Bei der gegebenen Sachlage deutschen   Diplomaten kühl. Staatssekretär Su- und insbesondere dann, wenn sich der Locarno­vich wiederholte, daß Ministerpräsident Mussolini   Streit einige Monate hinziehen sollte, kann es in entschloffen ist, in dem gegebenen Konflikt a bio- Oesterreich zu leberraschungen kommen. Habs­Iĭute Reserve zu bewahren. burg   wird alle Minen springen lassen, um sich gegenüber der braunen Gefahr als das kleinere Uebel" entweder im Verhandlungswege oder durch Handstreich zu etablieren. Starhemberg wieder wird durch diese Möglichkeit zu raschem Handeln Berlin.  ( Tich. P. B.) Hier sind Ge- genötigt. Nichts liegt näher als das, daß er im bekommen Ackerland rüchte im Umlauf, daß sich das Befinden des im Zeichen einer deutsch  - italienischen Annäherung Konzentrationslager Papenburg internierten be- seine Pläne zu verwirklichen trachtet. Deshalb soll Madrid  . Der Landtag ist Montag zu sei- kannten Schriftstellers und ehemaligen Heraus- rechtzeitig und mit allem Nachdruck vor der Even­ner ersten Sigung zusammengetreten und hat den gebers der Weltbühne Offieski in besorgtualität eines braun- grünen Kompromisses ge­Führer der Republikanischen Union Martiniserregender Weise verschlimmert hat. Offiezti warnt werden, welches die Reichsverweserschaft nez Barrio mit 386 Stimmen bei sieben soll sich in Agonie befinden. Eine Bestätigung Starhembergs um den Preis der Hereinnahme Stimmenthaltungen zum Präsidenten der Kam- dieser Gerüchte war bisher nicht zu erhalten. einiger Nazi- Minister verwirklicht. mer gewählt. Die Regierung hat beschlossen, den Alarmzustand in Spanien   um einen Monat zu verlängern.

politische Aktion als eine Ein- Die Situation ist also dank Hitlers beit, deren Bestandteile nicht von großartiger Strategie, die ihn nach seiner Mün­einander getrennt werden dürfen. chener Rede mit ,, traumwandlerischer Sicherheit" Aus diesem Grunde kann sie an den Verhandlungen das Richtige tun läßt, für Deutschland  des Rates nur tilnehmen, wenn fie die Gewißheit zie hmlich verfahren. Die Londoner  , erhält, daß die in Frage kommenden Mächte bereit die Pariser   und die amerikanische   Presse berur­find, alsbald in Verhandlungen teilen die Lage so, daß England mehr und mehr zu über die deutschen   Vorschläge Frankreich   neigt und seine Vermittlerrolle wird einzutreten. Die deutsche   Regierung wird aufgeben müssen. sich zu diesem Zweck mit der königlich britischen Re­gierung in Verbindung setzen, unter deren Vorfiz die am Rheinpakt von Locarno   interessierten Mächte in London   zu Beratungen zusammengetreten find. Gez. der Reichsmirker des Auswärtigen, Freiherr v. Neurath  ."

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Die Erklärung, mit der Flandin die Zus mutungen der Hitler  - Diplomatie zurückwies, iſt viel fürzer. Sie lautet im amtlichen französischen  Text: ,, Ich kam nach London  , um zu konstatie­ren, daß Deutschland   den Locarno  - Baft ver­letzt hat und nicht, um mit Deutschland   zu ver­handeln. Wen dem anders sein sollte, würde ich eher nach Paris   zurückkehren, ja, wenn dies notwendig sein sollte, würde ich aufhören, Frankreich   im Völ terbunde zu vertreten."

Bezeichnend für die Denfart der Hitler­

Regierung ist aber auch der Dreh, mit dem Berlin   sich Montag die Sympathie Englands zurückerobern wollte. Es begann sich nämlich

plöslich auf einen ll'eberiebungsfeb Ier auszureden. Reuter erfährt darüber cus Berlin  ,

50.000

spanische Landarbeiter

Der Staatspräsident unterzeichnete ein Dekret, wonach 50.000 spanischen Landarbeitern Acker­land zur Verfügung gestellt werden soll.

Im Ministerrat erklärte der Minister des Innern, daß in ganz Spanien   nunmehr vol­tommene Ruhe herrscht.

Lodzer Textilstreik

durch Schiedsspruch beendet ,, daß Deutschland   der Ansicht ist, daß es das ver= Warschau  . Der Streik in der Lodzer nünftigste wäre, daß die Angelegenheit des Lo- Textilindustrie, der am 2. März begonnen hatte carnovertrages und die deutsche Friedensvorschlä- und sich auf nahezu alle Betriebe der Stadt und ge vom Völkerbundrat gleichzeitig durch beraten des Kreises Lodz   erstreckte, ist Sonntag durch wird. Wenn dies jedoch als nicht zu verwirklichen einen Schiedsspruch beigelegt worden, dem Ar­angefehen werden würde, hätte Deutschland te i beiter und Arbeitgeber zugestimmt haben.

Ossietzki in Agonie?

Neue Maßnahmen

Man sage nicht, es sei unmöglich, daß Star­Hemberg die Rolle Rintelens übernimmt. Nichts ist im heutigen Oesterreich unmöglich, wenn der gegen die Bekenntniskirche Duce dabei auf seine Rechnung kommt. Mussolini  Berlin  . Die Geheime Staatspolizei   hat hätte seinen getreuesten Knecht an der Spitze des gegen eine Anzahl von Pastoren der Bekenntnis- Staates, Hitler   könnte zugleich einen Prestige­firche scharfe Maßnahmen ergriffen. Pastor Erfolg ernten, wenn einige seiner Emissäre den Baerenger aus Hessen- Nassau   und sieben andere bisher kaum verhüllten Einfluß der Nazis in der Mitglieder einer Pfarrgemeinde wurden verhaf- Administrative und Justiz offen zur Geltung tet, weil sie in der Bevölkerung Unruhen dadurch bringen könnten. In einer solchen Konstellation hervorgerufen hätten, daß sie in ihrer Pfarr- wären schließlich die braunen Partner die Stär gemeinde eine religiöse Woche veranstalteren, weil sie im Lande über die breitere poli­teten. Pastor Krause aus Waldbröhl in Hessen  - tische Basis verfügen. So hat doch auch Hitler Nassau wurde wegen Bemerkungen verhaftet, die seinen Hugenberg erledigt. er zu anderen Pastoren über das Buch Rosen- Wer dieses saubere Spiel berfolgt, versteht bergs Mythos des 20. Jahrhunderts" gemacht auch die Hintergründe der neuen Verfolgungs­hatte. In Spandau   hat die Geheime Staatspoli- welle gegen die österreichischen Sozialisten. In zei der Bekenntniskirche verboten, Gottesdienste diesem Punkt sind Mussolini   und Hitler  , Star­abzuhalten. Hemberg   und die Auftronazis bereits geeinigt.