Sosialdemokra

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION   UND VERWALTUNG PRAG   XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB  . VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG  .

16. Jahrgang

Mittwoch, 18. März 1936

Der Austrofaschismus   auf der Anklagebank

Der zweite Tag des Wiener Prozesses

sondern die verstorbene Frau Mist inger den Vorsiz auf der Brünner Konferenz geführt hat. Vor der Einvernahme Sailers wird ein Brief des deutschen   sozialdemokratischen Abgeordneten Macoun aus Reichenberg   verlesen, in dem mitgeteilt wird, daß der Angeklagte Wierlander zur Zeit der Brünner Konferenz bei ihm war. Der Hauptangeklagte Karl Hans Sailer   ist schwer augenleidend. Man hat ihm die völlige Erblindung vorausgesagt. Sein Zustand hat sich in der Haft verschlimmert. Auch Sailer verteidigt sich in gut aufgebauter Rede.

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Nr. 66

Kulminationspunkt überschritten. Sailer sei für das gleiche Delift, dessen er angeklagt ist, schon von der Polizei empfindlich gestraft worden. Aber in Dester­reich werde man eben für politische Straftaten mehr als einmal bestraft. Das Maß der Strafe werde durch Willkür bestimmt. Wir sind gute Defterreicher, aber wir werden erst ein freies Desterreich gegen jeden Feind verteidigen.

Nach der Einvernahme von Luise Zerner und Frau Fulda   sagt der Angeklagte Dr. Schick aus, daß er in Ausübung seines Anwaltsberufes, der ihn in Verbindung mit linksstehenden Leuten brachte, verhaftet worden sei. Wegen dieses Delik­tes, das keines sei, sei er vierzehn Monate

in Haft.

Zwischenfall im Gerichssaal Rosa Jochmann   wieder verhaftet

Wien.  ( Eigenbericht.) Der Prozeß gegen deutschland  , auf dem Baltan und in der Negerrevu­die Funktionäre der sozialdemokratischen Partei ist blit Liberia  , ist die Bestrafung freiheitlicher Gejin­die trefflichste Illustration der Zustände, die im nung selbstverständlich. Wolle auch Desterreich ein faschistischen Desterreich herrschen. Er äußert in Kulturstaat sein, dann müsse die Freiheit der gleicher Weise das doppel te Gesicht des Gesinnung verbürgt werden. Der Feber fönne diegimes wie seine Unsicherheit. Wäh- nur durch die Wiederherstellung der Organisations­freiheit und die Rückgabe des Arbeitereigentums rend eine beschränkte Anzahl ausländischer Jour- liquidiert werden. Den Monarchisten werde naliſten zugelassen wurde, wurde den Vertretern die Agitation für die Aenderung der Staatsform der westlichen Arbeiterparteien keine Zuhörer- gestattet, bei den Arbeitern werde das Bestreben nach farte ausgefolgt. Zwei Tage lang liefen Frau der Wiederherstellung des Rechts als Hochverrat Vandervelde  , der französische   Advokat qualifiziert. Was jedoch vor dem Feber kein Hoch­Longuet, der englische   Abgeordnete Price berrai war, jei auch jest teiner. und vor allem der Vorsitzende der Sozialistischen Der Angeklagte Otto Binder ist krant. Ge­gen ihn liegt fein anderer Beweis vor, als ein bon einem Spiel gefundener Zettel. Theodor Grill sagt, daß die Partei, der man vorwirft, die Diktatur des Proletariats anzustreben, die Ausführlich legt Sailer dar, wie es trots den handlungstages. Der Angeklagte Fe Ileis Gelegenheit dazu in den Jahren 1918 und 1919 opfervollen Friedensbemühungen der Partei au den hatte gesagt, daß er sich illegal betätigt habe, weil ausgeschlagen habe. Solle die nationalsoziali- angekündigten Maßnahmen e y 3 und damit zum ja auch das gegenivärtige Regime auf ungeseh­stische Gefahr gebannt werden, dann sei die Lega- Feberkampf fam. Er widerlegt die Behauptung des licher Grundlage beruhe. Als das Gericht den lisierung der Arbeiterbewegung notwendig. Wolle Staatsanwalts, daß es zur Neuschaffung einer so- Beschluß verkündete, solche Aeußerungen nicht die Regierung das nicht, so müsse dieLegalisierung zialistisch- kommunistischen Partei gekommen sei. mehr zuzulassen, sprang eine Frau im Zuschauer­gegen sie angestrebt werden. Die Weltöffent- Beide Parteien bestehen getrennt weiter und raum in höchster Erregung auf und rief in den aehören auch verschiedenen Internationalen an. Die lichkeit habe von der österreichischen   Arbeiter- Partei mußte nach dem Jeber fortleben. Man konnte bewegung eine andere Meinung als die österrei- zwar die Organisation beseitigen, aber nicht die chischen Gerichte.

Zu einem äußerst dramatischen Zwischen­

Sie gipfelt in strenger Anklage gegen das herrschende System. Er schildert die seelische Lage, in die viele Hunderttausende Parteimitglieder durch das Verbot einer Partei verfest wurden, die so ge- fall, der mit der Verhaftung zweier Frauen waltige Leistungen und eine so stolze Tradition auf- endete, tam es am Vormittag des ziveiten Ver­

zuweisen habe.

Saal:

Arbeiterinternationale, de Broucére, zwi­schen Gericht und Justizministerium hin und her, um/ heute schließlich mit dem Bescheid abgefertigt zu werden, es sei kein Plak. Dabei gibt es im Zuschauerraum und in den Logen zusammen noch gegen 40 Pläke! Man behauptet, daß man fie für offizielle Persönlichkeiten brauche. Die Ab­gewiesenen haben nach Varis an die Liga für Menschenrechte telegraphiert, daß man es ihnen unmöglich mache, dem Prozeß zu folgen. Damit verstoße die österreichische Regierung gegen die elementarsten Verpflichtungen zivilisierter Länder. Menschen, die von ihrer Jdee erfüllt waren. Die Ar­Während man offiziell, also so tut, als seien Erschütternd wirkt die Einvernahme der beiter seien durch den Feber ungeheuer radikalisiert die Sozialistische Arbeiter- Internationale und ihre Parteien nicht vorhanden, wird im Gerichts- Marie Emhart, einer jungen tuberkulösen Frau. worden. Die Konkurrenz um den Anhang der sozial­saal umso eindringlicher die Existenz der soziali- Der Vorsißende fragt, ob sie, die doch tuberkulös demokratischen Partei seitens der Kommunisten und stischen Bewegung in Oesterreich   dokumentiert. sei, sich seßen wolle. Marie Embart antwortet, Nazis sei durch die Zusammenfassung der zersplit­Immer wuchtiger werden die Angriffe der daß dies vierzehn Monate teine Rolle gespielt terien Gruppen abgewehrt worden. Sailer gibt einen Bericht über seine Haltung Angeklagten auf das Regime. habe, also fönne fie auch heute stehen! immer mehr verwandelt sich die Angeklagtenbank Dann schildert fie in schlichten Worten, wie sie auf der Brünner Konferenz, auf der er die Le ga Sozialistin wurde. Die Illegalität sei der Bewegung Iisierung der Bewegung berlangte. Die Frau wurde verhaftet. Es handelt sich in den Richtertisch, an dem das österreichische aufgezwungen worden. Die Angeklagte be- Seine Gedanken würden im übrigen auch teilweise um die Gattin eines Redakteurs, der im gleich­Arbeitsvolt sein Urteil über das Verbot der lega- streitet nicht, sich illegal betätigt zu haben, und sagt: von amtlichen Stellen propagiert. Er legte entspre- geschalteten ,, Echo" und im ,, Telegraph  " beschäf len Arbeiterbewegung und seine Urheber spricht. Ich bin und bleibe Sozialistin mit der ganzen Kraft chende Berichte aus Zeitungen des gegenwärtigen tigt ist. As die Frau von der Polizei gefaßt Es ist dies der erste Prozeß, der die breiteste Er- meines Herzens und Geistes. Ich kenne keine beffere Regimes vor. Es gebe kein anderes Land, in dem örterung politischer Probleme vor einem, wenn Jdee, um die Welt besser und schöner zu machen." das Selbstbestimmungsrecht des Volkes so ausgeschal­auch nur kleinen Forum in sozusagen legaler Tiefe Bewegung löst die Schilderung ihrer Krankheit tet ist wie in Desterreich. Sogar in Deutschland   und Weise ermöglicht; das heißt, daß man im henti- aus, die sich in der Haft verschlimmert hat. Italien   gebe es, wenn auch nur formal, Wahlen. Es Ein Brief des Brünner Genossen Etscher an fei auch für Defterreich eine Aenderung des jetzigen gen Oesterreich   seine sozialistische Gesinnung nu 1 im Gerichtssa al bekennen kann, um dafür das Gericht beweist, daß nicht die Angeklagte, Bustandes zu erwarten. Der Faschismus habe seinen bestraft zu werden.

Höhepunkte des zweiten Verhandlungstages

waren die Berhöre der Hauptangeklagten el- Hitler gibt es billiger!

leis, Marie Emhart und Karl Hans Sai­Iers. Alle Angeklagten bekennen sich offen und stolz zu ihrer sozialistischen Gesinnung. Der Vor­

Ihr könnt das Wort ver­bieten, ihr tötet nicht den Geist! Wir haben für die Freiheit und den Achtstundentag gekämpft. Die Arbeiterschaft läßt sich nicht weiter knechten. Wir haben ge­nug! Auslandsjournalisten schreiben darüber, wie es uns geht. Da kommen schon die Blut­hunde, um mich zu holen!"

wurde, sagte Rosa Jochmann   im Zu­schauerraum halblaut und bittend: Bitte, bitte, nicht schlagen!" In der Pause wurde auch sie, die vor kurzem aus 15monatiger Haft entlassen wurde, festgenommen.

auch für andere Mitglieder des Rates annehm= bar find.

Ribbentrop   kommt nach London   Versprechungen Englands

sitzende übt mehr Zurückhaltung als bei anderen Prozessen, aber man hat das Gefühl, daß er den Angeklagten nicht wohlwollend gegenübersteht. Berlin.  ( DNB) Der Reichsminister des Merkwürdig wirkt der gesunde Schlaf Answärtigen von Neurath hat am 17. März an eines Richters an seiner Seite. Die sehr interessanten und auch für das Gericht lehr- den Generalsekretär des Völkerbundes Avenol in reichen Ausführungen des Hauptangeklagten Sai- London folgendes Telegramm gerichtet: Ter hatten nicht vermocht, ihn wachzuhalten. Man kann aber hoffen, daß die Rechtsfindung nicht mit geschlossenen Augen erfolgen wird.

Aus gut informierter englischer Quelle wird gemeldet, daß Frankreich   keine Sanktionsverhän­gung über Deutschland  , sondern eine direkte militärische Allianz mit Eng I and erstrebt. Sollte England in dieser Hinsicht Frankreich   entgegenkommen und zunächst eine Konferenz der beiden Generalstäbe genehmigen, so werde Flandin wahrscheinlich sich mit irgend einer fymbolischen Geste" seitens Deutschlands   be­

gnügen.

" Ich bestätige dankend den Empfang Ihres Telegrammes vom 16. März und beehre mich Man hat das Gefühl, daß auch die Richter mitzuteilen, daß Botschafter von Ribbentrop die von der mutigen, wahrhaften, edlen und über­find. Der ausländische Sozialist aber, der die Prüfung der von der belgischen und franzöf legenen Haltung der Angeklagten stark beeindruckt deutsche Regierung im Völkerbundrat bei der gleiche Gesinnung, die den Angeklagten die Hochschen Regierung aufgeworfenen Frage vertreten verratsbeschuldigung eingetragen hat, legal be- wird. Er wird von Donnerstag Vormittag an in rates wird. Er wird von Donnerstag Vormittag an in rates verlas der Ratsvorsitzende Bruce die

London   zur Verfügung stehen."

Scharfe Sprache Litwinows In der Nachmittagssigung des Bölferbund­deutsche Antwort und fügte hinzu, daß er im Namen des Rates inzwischen den deutschen   Bot­schafter in London   eingeladen habe, den Beratun­gen als Beobachter beizuwohnen.

London  . Die britische   Regierung hat Dienstag nachmittags dem deutschen   Botschafter ihre Antwort übergeben, worin sie ersucht, er möge seiner Regierung mitteilen, daß ,, die Re­gierung Großbritanniens   alles tue und tun werde, was in ihrer Macht sei, damit ein Weg zu einer versöhnlichen und befriedigenden Lösung der gegenwärtigen Schwierigkeiten gefunden werde." Die Regierung Großbritanniens   anerkenne, daß die Vorschläge des Reichskanzlers ebenso wie die Vorschläge, die von anderen Seiten vorgelegt Vorschläge, die von anderen interessierten Seiten

borgelegt wurden, in geeigneter Zeitver­bandelt werden sollen. Die deutsche Regierung anerkenne jedoch sicherlich, daß die Regierung Großbritanniens   im gegenwärtigen Stadium be­stimmtere Verpflichtungen nicht übernehmen

könne.

tätigt, empfindet daneben noch tiefes Bedauern darüber, daß dieser Prozeß möglich ist. Auch die Einvernahmen des zweiten Prozeßtages haben er- Die deutsche Delegation, an deren Spike geben, daß selbst die illegale Arbeit, die zum gro: Sonderbotschafter Ribbentrop   steht, wird Titulescu für die kleinen Staaten Ben Teil der Bekämpfung der nationalsozialisti aus 15 bis 20 Personen zusammengefeist sein. Der sowjetrussische Außenkommissär Lit schen Ideologie gewidmet war, Oesterreich Die Delegation beabsichtigt, Mittwoch früh in winow hielt eine außerordentlich scharfe Rede. London.( Reuter.) Die Debatte in der Ge­zugute kom in t. Aber man ist hier offenbar zwei Separatflugzeugen Berlin   zu verlassen. Er stellte die Frage, ob es der Völkerbund   heimsizung des Völkerbundrates soll dem Reuter­sogar stolz darauf, daß nach amtlichen Zeitungs- Aus zuverlässiger Quelle wird bekannt, das Deutschland   überlassen wolle, die Hegemonie über Berichterstatter zufolge sehr bewegt und lebhaft meldungen die Gefängnisse in den letzten Tagen der mit dem englischen Königshaus verwandte den ganzen europäischen   Kontinent anzustreben. gewesen sein. Alle Ratsmitglieder mit Ausnahme wieder mit Sozialisten gefüllt wurden. Für die Herzog Ernst von Coburg   von Hitler   in Die Vorschläge Hitlers   gleichen einem Feldzug des italienischen Botschafters Grandi haben an ihr Festigung der sozialistischen   Bewegung legen voc geheimer Mission im Flugzeug nach London   ent- gegen die Nationen jenes Staates, den ich hier teilgenommen. Der rumänische Außenminister allem die auch durch die lange Haft nicht gebro- sendet worden ist. In politischen Kreisen erwar- vertrete. Wir lehnen eine Konzeption ab, nach der Titulescu, der das Hauptwort führte, habe chenen Angeklagten wirksame Zeugenschaft ab. tet man, daß er seine weitreichenden persönlichen durch den Austritt aus dem Völkerbund, durch die ganze Frage ausführlich erörtert und insbe Verbindungen für die Intereffen Deutschlands   brutale Verlegung der internationalen Verträge sondere darauf verwiesen, daß die Frage Ele­Der Angeklagte Felleis verteidigt sich in zu verwenden wird. Er ist seit längerer Zeit bereits und durch Säbelraffeln das Vorrecht erzielt wer- mente in sich vereinige, die weit über die Inter­fammenhängender Rede, in der er das Regime höherer nationalsozialistischer Funktionär. den soll, ganz Europa   Bedingungen zu diktieren, essen der unmittelbar berührten Staaten hinaus des Rechtsbruchs beschuldigt und aus der Tatsache Für die deutsche   Regierung bedeus fich nach eigenem Ermeffen jene Partner auszu gehen. Die Sicherheit und das Wohl aller tlets, dieses Rechtsbruchs das Recht auf illegale tet die Entsendung eines Botschafters nach der suchen, die sich an den Verhandlungen beteiligen nen Länder, die zum Völkerbund als ihrer Haupt­Arbeit ableitete. Dabei fam es zu einem Zivi- Ablehnung der Hitler  'schen Bedingungen eine dürfen, und ihnen eigene Vertragsentwürfe au fitüße aufbliden, stehe auf dem Spiele und der schenfall, der mit der Verhaftung zweier zu niederlage, die man in Berlin   freilich ent- 3 u zwingen. Wir sind der Ueberzeugung, daß Völkerbundrat müsse sich ihrer Ansicht nach gegen hörerinnen endete. sprechend umdeuten wird. In Frankreich   ist man aufrichtige Vertreter des Friedens ein den Angriff wenden. Der Vertreter Spaniens  , der Refurie gegen politische Polizeihaft seien, ſo neuerdings wieder über die Engländer verstimmt, größeres, Recht als Vertragsbrüchige haben, ihre die juristische Seite der Frage behandelte, erklärte. führte er aus, praktisch unmöglich, auch wenn weil Flandin vier Stunden kämpfen mußte, che Vorschläge zur Organisierung des europäischen der Weg, den der Rat einzuschlagen habe, sei die Haft noch so lange dauere. Staatsfeindlich hätten fich die Ungeflagten nicht betätigt, wohl aber regime- die deutschen   Bedingungen abgelehnt wurden. Friedens vorzulegen. Rußland   ist bereit, an jeder äußerst flar und deutlich vorgezeichnet: Der Nut feindlich. Dafür müßte man aber mindestens ein Immerhin aber ist man mit dem Ergebnis Maßnahme teilzunehmen, die dem Bölkerbundrat müsse mur entscheiden, ob der Vertrag verlegt von den Locarnomächten vorgelegt wird und die worden sei. Drittel der Bevölkerung einsperren. In Gifler zufrieden.

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