Sosialdemokrat
ZENTRALORGAN
DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK
ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB . VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .
16. Jahrgang
Donnerstag, 19. März 1936
Um die Wacht am Rhein
Noch immer schwere Differenzen zwischen London und Paris Was Frankreich fordert und was England bietet
Seit die konkreten Ziele der beiden westeuropäischen Großmächte bekannt geworden sind, muß die Situation neuerlich bedeutend schlechter beurteilt werden. Noch ist die mittlere Linie zwischen Paris und London nicht gefunden. Während England alles daransetzt, Deutschland an den Verhandlungstisch und zu irgendeinem neuen Vertrag zu bekommen, auch um den Preis erheblicher Zugeständnisse, will Frankreich zweierlei: die bedingungslose Feststellung des deutschen Verschuldens und eine Geste Englands, die das Weiterbestehen der Locarno - Garantie sinnfällig erhärten soll.
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Von englischer Seite ist der gewiß unglückliche Gedanke aufgetaucht, beiderseits des Rheins eine demilitarisierte 50 kilometer 3vne zu schaffen. Die französische öffentliche Meinung hat dieses Projekt mit Entrüstung abgelehnt. Es würde übrigens vermutlich auch von Hitler abgelehnt werden. Während es auf französischer Seite die Zerstörung der Maginot Linie zur Voraussetzung hätte, würde es auf deutscher einen breiteren Gürtel als bisher und in dieser Zone wichtige Industriegebiete demilitarisieren.
Nunmehr soll England bei dem Vorschlag halten, daß der Rhein internatio nalisiert und von gemischten Truppenkontingenten besett werde. Auch das wird in Frankreich und Deutschland als unannehmbar bezeichnet. Die franzö sische Forderung dürfte im vollen Umfang wieder von England kaum übernommen werden, da sie den Faden nach Berlin abschneidet.
Ribbentrop ist mit großem diplomatischen Gefolge Mittwoch abends in London eingetroffen und soll Donnerstag an der Ratssitzung teilnehmen.
Paris . Die französischen Vorschläge und Bedingungen, welche Außenminister Flandin darlegte, sind nach den Informationen des Ha= vasbüros in den Hauptumrissen folgende:
I
1. Der Völkerbundrat möge auf Ersuchen Frankreichs den französisch- sowjetrussischen Beistandspakt dem Haager Internatio nalen Gerichtshof vorlegen, damit dieser über seine Vereinbarkeit mit den Locarnoabkommen und über die deutsche Beschwerde in diefer Angelegenheit entscheide.
2. Die vier Signatarstaaten des Rheinpaktes werden ausdrücklich erklären, daß dessen Be= stimmungen weiterhin ohne Deutsch land gültig sind.
3. Deutschland soll die Zahl seiner Truppen im Rheinland herabsetzen und im Rheinlande keine Befestigungsarbeiten durchführen.
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4. Wenn Deutschland diesen ersten drei Bedingungen beitrete, werde Frankreich im Mai nach den französischen Kammerwahlen die Ver= handlungen mit Deutschland des belgischen Volkes. Die Verletzung aufnehmen. des Locarnovertrages ist um so mehr zu bedauern, als ihn eine Groß macht verlegt
5. Die Grundlagen dieser Verhandlungen follen, bei einer Vorberatung der vier Signatarmächte des Rheinpaktes vereinbart werden.
Während der Dauer der Verhandlungen sollen nämlich britische und eventuell auch italienische Militärabteilungen die demilitarisierte Zone befeßen.
hat, deren Mitarbeit für die Erhaltung des Friedens sehr wichtig ist. Italien ist sich seiner Verantwortung voll bewußt und hält treu seine Ver= pflichtungen ein. Niemand kann jedoch erwarten, daß sich Italien der Anwendung jener Maßnahmen anschließen würde, welche seine Bevölkerung selbst betroffen haben.
Es ist zu bedauern, daß die politische Grundlage, auf welcher das Lovarnoabkommen beruhte, untergraben wurde durch die Sanktionen, welche gegen Italien in einem Augenblick zur Anwendung gebracht wurden, in welchem die Welt Italien als Garanten der europäischen Sicherheit braucht. Trotzdem ist sich Italien seiner Aufgabe bei der Herstellung der Sicherheit und der Rekonstruktion Europas voll bewußt. Soll dieses Rekonstruktionswerk nicht vergeblich sein, dann ist es notwendig, daß es auf dem gegenseitigen Verständnis und der Anerkennung der Bedürfnisse der einzelnen Staaten, auf der gegenseitigen Achtung vor allem, was für das Leben unserer Völker notwendig ist, und vor allem auf einer Einigkeit der Ansicht über die berechtigten Interessen und über die Pflichten unserer Zivilisation gegenüber aufgebaut ist.
Außenminister Beck( Polen ) erklärte, die Tatsache der Besetzung der demilitarisierten Zone fönne niemand bestreiten und der Völkerbund müsse sie bezeugen. Die Umstände, wie die Besetzung erfolgt ist, schaffen Fragen, über die die Locarno - Signatare beraien müssen. Die Locarnoverträge seien in Po len schon seinerzeit ungünstig aufgenommen worden. Der französisch- russische Pakt hat die Verpflichtun gen und die Rechte Bolens, wie sie sich aus den früHeren Verträgen( Allianz mit Frankreich ) ergeben,
in feiner Weise geändert.
Titulescu ( Rumänien ) erklärte namens der Kleinen Entente , wenn in einem derart offen fichtlich zutage liegenden Falle einer Vertragsverletzung der Rat nicht handelte, so würden die klei nen Staaten in Hinkunft zu der kollektiven Sicher heit kein Vertrauen mehr haben können.
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Nr. 67
Die ,, Kriegsschuldlüge" von morgen
Am 7. März hai Hitler den Vertrag von Versailles und zugleich den, von Deutschland fdeiwillig unterzeichneten, Locarno- Vertrag ge= brochen, hat überfallsartig die vertraglich demilitarisierte Rheinlandzone besetzt und die Welt vor die Wahl gestellt, sich entweder diese Vertragsbrüche gefallen zu lassen, oder aber der dauernden Feindschaft Deutschlands gewärtig zu sein. Der Konflikt, der aus dieser Provokation entstanden ist, wird vielleicht diesmal nicht zum Kriege füh= ren, er wird aber in der Vorgeschichte eines tommenden Krieges eine wichtige Rolle spielen.
Wie sieht nun das deutsche Volk selbst den Konflikt?
Man nehme eine beliebige reichsdeutsche Zeitung und lese nach, was sie über die Ereignisse seit dem 7. März zu berichten weiß! Hitler hat Verträge gebrochen? Keine Spur: Hitler hat der Welt ein großzügiges Sicherheitsprogramm bor geschlagen. Hitler hat eine Kriegsgefahr heraufbeschworen? Aber woher denn: Hitler hat im Gegenteil den Weltfrieden auf 25 Jahre sicherstellen wollen. Hitler sprengt das Vertragssystem von Locarno in die Luft? Nein: Hitler ersetzt ein unbrauchbares System durch eine ideale Friedensgarantie. So und nicht anders legen die reichsdeutschen Blätter die politischen Ereignisse der letzten Tage aus.
Und die Kehrseite steht natürlich so aus: Frankreich Tehnt nicht etwa die merkwürdigen Methoden Hitlers ab. Nein: Frankreich stößt die
dargebotene Hand der Versöhnung" von sich. Frankreich wehrt sich nicht vielleicht gegen die Vertragsbrüche Berlins , sondern Frankreich weigert sich, Hitlers Friedensplan anzunehmen. Sollte der Völkerbund aus dieser Krise geschlagen Frankreich will teine 25 Jahre Frieden, Frankhervorgehen, so wäre er fürderhin nur mehr reich will keine Sicherheit, teine Verständigung. eine Erinnerung an die Vergangen Frankreich ist regiert von Juden, Freimaurern heit, keineswegs mehr eine lebendige Realität. Die und Bolschewiken, die sich mit Litwinow zum AnKleine Entente könne sich nicht dagegenstellen, daß griff auf das wehrlose Deutschland verschworen die sieben Vorschläge Hitlers diskutiert werden; das haben und denen Hitlers geradezu übermenschkönne jedoch nicht geschehen, bevor nicht die grundliche Friedensanstrengungen im Wege stehen. So sätzliche Frage positiv gelöst ist, welche Frankreich und liest man es drüben! Belgien dem Rat unterbreitet haben.
Das Wort Locarno taucht in der hitlerDer Rat vertagte sich dann auf Donnerstag deutschen Presse nur noch vereinzelt auf und vor10 Uhr. Spät abends traten die Locarno wiegend in der Verbindung die ,, angeblichen Mächte zu einer neuen Beratung zusammen. Locarnomächte". Von dem Vertragsbruch ist nicht mehr die Rede. Es ist der Regie Goebbels glän den Wahlkampf, die riesige Ver
Nachtsitzung bringt die Entscheidung? bungstampagne ganz auf den Kampf um Hit
werde:
In französischen Kreisen wird erklärt, daß diese Konferenz die Entscheidung bringen Die Engländer schlagen eine dauernde I n= wird. Minister Flandin deutete an, daß eine voll- tet in deutschen Kreisen in London , daß die deutsche ternationalisierung der Rheingrenze und der französischen Ostgrenze vor. ständige Klärung, ob so oder anders, her- Delegation mit folgenden Anträgen eintreffen Die Signatarstaaten des Rheinlandpaktes, beigeführt werden müsse. Jede Entscheidung wird Deutschland inbegriffen, würden sich feierlich ver- jedoch der französischen Regierung zur Genehmibflichten, den internationalen Charakter dieser gung unterbreitet werden. Die Vertreter der Grenzen zu respektieren und britische sowie ita= lienische internationale Militärabteilungen wür- Bresse wurden darüber informiert, daß der franden eine dauernde Wacht zu bei- zösische Standpunkt stets gleich entschie den Seiten der Grenzen bilden. Ein den sei und daß alle anderslautenden Gerüchte Staat, welcher diese Grenze überfallen würde, absolut irrig sind. würde in Wirklichkeit dem Völkerbund den Krieg erklären.
Die Debatte im Völkerbundsrat
einzustellen. Stommt es im Zuge der Hitlerschen Friedenspolitik einmal zum Was Ribbentrop bringt: Kriege, so ist die Unschuld" Deutsch Paris . Wie Deuvre" berichtet, verlau- Iands schon jest gesichert. Es wird einmal schwer halten, den Deutschen , denen die Vorgeschichte des nächsten Krieges von Goeb= bels laufend als das gewaltige Ringen Hitlers um Frieden und Sicherheit erläutert wird, die Daß der Völkerbundrat sich auf die Feststel- Wahrheit verständlich zu machen. Hitler wird den lung beschränke, daß die demilitarisierte Zone ver- Krieg aller menschlichen Voraussicht nach verlieletzt wurde, ohne daß eine weitere Verurteilung ren. Aber auch nach seinem Sturz wird er MillioDeutschlands erfolge, weiters daß der Konflikt nen Deutschen als der Märtyrer einer guten nicht dem Internationalen Haager Gerichtshof Sache erscheinen. unterbreitet werde und daß auch später keine Die andern unternehmen gegen diese LügenSanktionen eröffnet würden, ferner daß Deutsch- kampagnen so gut wie nichts. Es ist gewiß nicht land keine Neuregelung in der demilitarisierten Teicht, ihr zu begegnen, aber es muß festgestellt Sone auferlegt werde. Demgegenüber würde sich werden, daß man es gar nicht versucht. Eine Deutschland verpflichten, das Locarno - Abkommen systematische Aufklärung von sei in der ursprünglichen Form einzuhalten und als ten der Völkerbundmächte fehlt. Kompensation für den Vorteil, den Frankreich in der demilitarisierten Zone besaß, wird Deutsch land einem Flugpackte zustimmen.
Internationale Konferenz
Maginot- Linie bleibt voll besetzt Paris . Ein amtliches Kommuniquee besagt, daß die Okkupation der französischen Grenz Groteskaber ist der Zustand, der hierfestungen in einer minimalen Zeit zur vollsten zulande berrscht. Den Sudetende ut= In der öffentlichen Ratssitzung gab Eden Zufriedenheit durchgeführt wurde und daß seit schen wird nämlich, soweit sie zum Henleineine Erklärung ab, in der er nochmals wieder dem ersten Alarm die Ostgrenzen vor einem alllager gehören, dieselbe Version des holte, daß eine unbestreitbare Verlegung fälligen Einfall auf französisches Gebiet vollkom europäischen Konflittes aufgetischt wie den Deuts des Friedensvertrages vorliege. men geschützt sind. Kriegsminister General Mauschen im Hitlerreich. Die Dußende sudetendeut Dann sprach er über den Zweck des Locarnovers scher Provinz- Zeitungen, die mit Henleins Presse gleichgeschaltet sind, tun seit dem 7. März nicht trages und gab seine Zustimmung zu den Er- rin fügte im Wehrausschuß hinzu, die Regierung flärungen Van Zeelands fund. Auf diese für habe die Absicht, das Parlament um einen 3 u London.( Tsch. P.-B.) In London hiel- anders, als daß sie ihren Lesern in Balfenlettern Frankreich afzeptablen Erklärungen folgte aber ja kredit zweds vollständiger Beendigung ten Mittwoch das Präsidium der Gewerkschafts- und mit allen erreichbaren Meldungen des Deuts eine eindringliche Beschwörung des Rates, trotz der Arbeiten und verschiedener Ver Internationale und der Exekutiv - Ausschuß der schen Nachrichtenbüros die deutsche Kriegsschuldder ernsten Lage, die erfreulicherweise zu keinen sozialistischen Arbeiter- Internationale eine ge- legende von morgen eintrommeln. Auch die judemilitärischen Folgen geführt habe, das Haupt- befferungen zu ersuchen, welche sich ange- meinſame Situng ab, in welcher das Vorgehen tendeutsche Provinzpreſſe die Zeit" im augenmerk auf den Wiederaufbau des fichts der gegenwärtigen Erfahrungen als uner- beider Internationalen an der morgigen Konfe- übrigen natürlich auch erzählt von Hitlers Sicherheitssystems zu richten. läßlich erwiesen haben. Um für die ganze renz festgelegt werden soll, die über die europä- Kampf um den Frieden, von den Schwüren des Dauer der gegenwärtigen diplo- ische Krise und über den Standpunkt der Inter- Führers, von seinem ehrlichen VerständigungsZum erstenmal nahm auch Gran di Stel- matischen Spannung die volle Besets nationalen zur gegebenen Situation beraten wird. willen, von der bolſchewistischen Gefahr, den Heber 200 Delegierte verschiedener sozialistischer Tücken der Moskauer , Pariser und Prager zung des Grenzgebietes durch Militär zu gewähr- Parteien und Arbeiterorganisationen aus zahl- Diplomatie, auch der sudetendeutsche ZeitungsTung. Er führte aus: ie berech leisten, wird die Einberufung der Reservisten zu reichen europäischen Staaten find in London ein- leser erfährt aus den bürgerlichen Blättern nur, Wir begreifen vollauf die daß ein Konflitt darüber ausgebrochen ist, ob tigte Sorge des französischen und lebungen beschleunigt werden.
Grandi gegen Sanktionen
getroffen.
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