Sosialdemokrat
ZENTRALORGAN
DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK
ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TAGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077.M
16. Jahrgang
Mittwoch, 8. April 1936
Einzelpreis 70 Heller
( einschließlich 5 Heller Perto)
Nr. 84
Der Dreizehner- Ausschuß Präsident Zamora abgesetzt Ein Haufen Scherben
vor
Paris . Außenminister Flandin reiste Dienstag abends in Begleitung des Staatsministers Paul- Boncour und einiger Beamten des Außenministeriums nach Genf . Mit dem gleichen Zuge haben sich auch der britische Staatssekretär für Aeußeres Anthony Eden sowie der rumänische Außenminister Titulescu nach Genf begeben. An französischen politischen Stellen wird kein Geheimnis daraus gemacht, daß die Genfer VerNach der Verfassung hat der Präsident wäh- erklären die republikanischen Parteien und die handlungen und der Standpunkt Frankreichs im rend seiner Amtstätigkeit nur das Recht zu einer Liberalen, daß die Auflösung der ersten konstituDreizehner Ausschuß recht delikat sein wer- 3 weimaligen vorzeitigen Auflösung des ierenden Nationalversammlung vom Jahre 1933, den; erstens mit Rücksicht auf die nene anti- Parlaments. Eine dritte Auflösung hat, wenn sie die bloß einen provisorischen Charakter italienische Kampagne in London , nicht nachträglich vom Parlament genehmigt hatte, nicht gezählt werden kann und daß somit sweitens mit Rücksicht auf die Forderungen wird, die Absetzung des Präsidenten zur Folge. der Präsident die Verfaſſung nicht verletzt habe. Italiens , das auf der Aufhebung der Am Dienstag verhandelten die Cortes über Die Abstimmung ergab die Annahme des Sanktionen als Vorbedingung für die Zu- die Frage, ob Präsident 3 a m or a mit der Auf- von der Linken eingebrachten Resolutionsantrages, fammenarbeit mit den übrigen Locarnoſtaaten lösung des letzten Parlaments seine Befugnisse daß die vom Präsidenten der Republik seinerzeit und für Friedensverhandlungen in Ostafrika be- überschritten habe oder nicht. angeordnete Auflösung des früheren Parlaments, harrt. die dritte im Laufe seiner Amtstätigkeit, überflüssig" gewesen sei. Nach der Verfassung kommt dieser Beschluß der Absetzung des Prästdenten gleich.
Durch Mißtrauensvotum des Parlaments
Madrid . Das Parlament hat Dienstag in den späten Abendstunden mit 238 gegen 5 Stimmen den Präsidenten der Republik, 3 a mora, zum Rücktritt gezwungen.
Der Cortes- Präsident Martinec Barrio übernimmt sofort interimistisch die Geschäfte des Staatspräsidenten.
Einigen in Paris kursierenden Meldungen sufolge habe auch Freiherr von Ribbentrop die Absicht, von London nach Genf zu reisen, um mit der britischen Regierung während der Beratungen der Locarnoſtaaten in Fühlung zu bleiben.
Englisches Weißbuch
gegen Deutschland London.( Reuter.) Heute wird in Lon don ein 90 Seisen umfassendes Weißbuch veröffentlicht werden, in welchem die verschieden artigen Situationen werden aufgezählt werden, bei denen Deutschland in den letzten Monaten Gelegenheit hatte, auf frieblich e m diplomati schen Wege eine Lösung seiner Beschwerden hin üchtlich des Locarno Bertrages zu verlangen, was aber Deutschland nicht getan hat, da es vorzog, mit einer fertigen Tatsache zu ant
worten.
Generalstabskonferenz
nächsten Mittwoch London . Laut einer Meldung des amt lichen britischen Radiodienstes wurde festgesetzt, daß die im Memorandum der vier Locarnoſtaaten vom 19. März vorgeschlagenen Beratungen der Generalstäbe am Mittwoch, den 15. April, in London beginnen werden.
Nichtangriffspakt
Deutschland- Litauen?
Kaunas . Die litauische Presse teilt mit, daß Deutschland Litauen nach der Beendigung der zur Zeit im Gange befindlichen Handelsver= tragsverhandlungen Verhandlungen über den Abschluß eines Nichtangriffspatte& zwischen den beiden Staaten vorschlagen werde.
Die Sozialisten erklären, daß Zamora die Berfaffung verletzte, als er letzthin das Barlament zum drittenmal auflöſte, und daß er des halb abgesetzt werden solle. Demgegenüber
Letzter Appell des Negus an Genf Genf
. Der abessinische Gesandte in Paris , Walde Maria m, richtete an den Bölferbund eine Protestnote, in welcher er sich im Namen der abessinischen Regierung an den Dreizehner ausschuß des Völkerbundrates und an den Acht zehnerausschuß der Sanktionskonferenz mit einer ausführlichen Beschwerde wendet.
Die abessinische Regierung adreffiert den lebten Appell an den Välferbund und erinnert daran, daß der italienischabeffinische Konflikt in Genf bereits durch 15 Monate hindurch beigelegt werde. Die abessinische Regierung habe alle Anregungen des Rates und jedes Vorgehen entsprechend dem Völker bundspakt angenommen, während die friedliche Lösung des Konfliktes ablehnte. italienische Regierung alle Vorschläge und die Es bestehe gar kein Zweifel darüber, daß der Krieg, wenn der Wille der Mitgliedsstaaten sich auf die Einstellung des Angriffes durch Anwendung wirksamer Sanktionen konzentrieren würde, bald beendet wäre. Der italienischen Regierung sei es aber gelungen, energische Maßnahmen abzuwenden und insbesondere die Petroleumsanktionen hinauszuschieben.
Budapest . Der Abgeordnete Tibor Ed hardi batte in einer Sigung des Außenausschusses an die Adresse des Ministerpräsidenten Gömbös eine beleidigende Bemerkung gerichtet, die innerpolis sche tische Fragen betraf. Gömbös sandte hierauf dem Abgeordneten Eckhardt seine Zeugen, und zwar den Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses Sztas nhavszki, sowie den Unterstaatesekretär im Ministerratspräsidium Tahy. Da es zu keiner Verföhnung fam, wurde diese ritterliche Affäre" Dienstag um 10 Uhr vormittags durch ein Pistolenduell ausgetragen. Der Zweikampf verlief unblutig, die Gegner schieden unversöhnt.
Des weiteren erwähnt die Note des abeffinischen Gesandten die Art und Weise, in welcher die italienische Armee in Abessinien
Krieg führt und macht aufmerksam, daß der Angreifer feinem Blutvergießen aus dem Wegeht, wehrlose Städte bom bardiert und in Brand jetzt und systematisch die schwachen Subsistenzmittel der abeffinischen Bevölkerung vernichtet. Italien habe selbst vor der Verwendung von Stid und Giftgafen nicht halt gemacht. Zum Schlusse seiner Note stellt der abessiniGesandte folgende Fragen:
Soll die abessinische Regierung die Hoffnung aufgeben, daß sie vom Völkerbund Hilfe erhalten wird, auf welche sie nach dem Völkerbund - Patte ein Recht, hat? Besteht unter den Mitgliedsstaaten noch ein Zweifel über die tatsächlichen Abfichten des angreifenden Staates? Die praktische Straflosigkeit des italienischen Angreifers hat bereits in der ganzen Welt eine moralische Verwirrung zur Folge. Die kleinen Staaten fragen
Dynamit- Anschlag auf den Nachtexpreß
Ein politisches Attentat 90 Tote?
Merito. Montag nachts wurde von unbekannten Tätern ein schweres Dynamitattentat auf den Nachtzug Vera Cruz- Meriko bei Paso del Macho verübt, als der Zug gerade eine Brüde überfuhr. Die Lokomotive, der Postwagen, der Gepäckwagen und zwei Bullmannwagen stürzten in den Abgrund und wurden völlig zertrümmert. Die Zahl der Toten wird auf 70 bis 90 geschäst. Man vermutet, daß der Anschlag ans politischen Gründen verübt worden ist, da mit dem Zuge mehrere Kandidaten für den Gouverneurposten des Staates Vera Cruz reisten, welche Sonntag an den internen Wahlen der nationalrevolutionären Partei teilgenom
men hatten.
An der Unfallstelle sind mehrere Hilfszüge aus Vera Cruz eingetroffen.
sich, welchen Schuß ihnen die vom Pakt versprodhene follettive Sicherheit bietet. Auch die Großmächte fühlen heute den Einfluß des Angriffsgeistes. Sie appellieren deshalb auch an den Völkerbund und an die kollektive Sicherheit und behaupten, daß der Frieden unteilbar ist. Soll heute die tollettive Sicherheit platonische Proteste gegen die Angreifer darstellen?
Die abeffinische Regierung gibt der Hoffnung Ausdruck, daß der Völkerbund vor der Bernichtung des abessinischen Volfes nicht ohne Bewegung bleiben und nicht länger die wirkfame Hilfe hinausschieben wird, die er Abeffinien als Opfer eines ungerechten Angriffes schuldig ist. Es stehe nicht nur die Unabhängigfeit Abeffiniens auf dem Spiel. Addis Abeba
soll nicht bombardiert werden
Rom . Dem britischen Botschafter in Rom wurde vom Unterstaatssekretär Suvich die Versicherung gegeben, daß Addis Abeba und Dired aua nicht werden bombardiert werden. Dabei sezt die italienische Regierung aller dings voraus, daß diese abessinischen Städte nicht als Truppenzentren oder Kriegsmateriallager verwendet werden.
Dessie Dessie als nächstes Ziel
Der Zusammenbruch
der kollektiven Sicherheit
Seit Hitlers Theatercoup" vom 7. März haben sich die weltpolitischen Verhältnisse in wahrhaft katastrophaler Weise zum Schlechten gewandelt und man würde sich gefährlichen Illu sionen hingeben, wenn man nicht mit dem Faktum rechnete, daß heute das System der kollektiven Sicherheit, das zu Beginn dieses Jahres zu triumphieren schien, in Trümmern liegt. den Tiefstand des internationalen Rechts in dieDrei Momente bezeichnen vor allen anderen liens über Abessinien und die Santsem Frühjahr 1936: der Triumph Itas tionsmächte, der täglich durch neue Rechtsbrüche der italienischen Kriegsführung unterstrichen wird, die i I flosigkeit, mit der die We st machte der zerreißung des Los carnovertrages gegenüberste= in der Weltmeinung die Tatsache des Vertragshen, so daß Hitlers Friedensplan" heute auch bruches verdrängt hat, endlich die Verlekung
"
des Friedensvertrages von St. Germain durch Desterreich, also einen so gui wie wehrlosen Kleinstaat, die deutlicher noch als die Rechtsbrüche der Großmächte den Jammer des Völkerbundes und die Fragwürdigkeit der„ kollettiven Sicherheit" erweist.
Die Schuldfrage
Schon heute wird bei der Erörterung der weltpolitischen Krise von allen Seiten die Schuldfrage aufgerollt und später einmal wird sie die Historiker beschäftigen. Die Franzosen bezichtigen die Engländer, die Briten bezichtigen die Frans zosen als Hauptverantwortliche. Eine objektive Betrachtung wird auf beiden Seiten ein bolles Maß Schuld finden und geteilte Schuld ist hier wahrhaftig nicht halbe Schuld.
Es ist wahr, daß England seit langem die Politit Hitlers gefördert und den Gedanken der Revision begünstigt hat. Aber es ist ebenso wahr, daß England vom Sommer 1935 bis zum Feber 1936 bereit war, sich mit ganzer Kraft für die Idee und das praktische System des Völkerbundes einzuseßen und daß er in dieser Zeit Frankreich gewesen ist, das den Völkerbundsgedanken im Stich gelassen hat. Die Enttäuschung der briti schen Oeffentlichkeit über die französische Haltung im abessinischen Krieg ist nicht die letzte Ursache der gegenivärtig in England vorherrschenden deutschfreundlichen Stimmung.
Das Völkerrecht ist unteilbar
Die Franzosen haben das Wort vom„ unteilbaren Frieden", das Litvinoto geprägt hat. London . Der Kriegsberichterstatter des Reus mit Leidenschaft aufgegriffen und kolportiert. terbüros teilt mit: Während der Negus die Mo- Man hat ihnen entgegengehalten und, wie man bilisierung bis zum letzten Mann angeordnet nunmehr bestätigt sieht, mit gutem Grunde enthat, um so den vielleicht letzten Versuch zur Ret- gegengehalten, daß auch das Völkerrecht unteilbar tung seines Landes zu unternehmen, rücken die ist, daß man die moralischen Grundsäße, die man italienischen Truppen rasch in der Richtung nach am Rhein durchsetzen will, nicht am Liber außer Süden vor und, wie aus eritreischen Quellen Kraft setzen kann. mitgeteilt wird, begegnen sie bei ihrem Vorrük- Das Prinzip, daß jede Macht den Völkerfen nur sehr geringen Widerstand bund nur dann bejaht, wenn sie ihn braucht, ist bei den Trümmern der abessinischen Armeen. unvereinbar mit dem Gedanken der kollektiven Sicherheit und hat recht eigentlich das System zerstört, auf dem der europäische Frieden seit 1919 beruhte.
Die längs der großen Straße vorrückende italienische Kolonne soll nurmehr 125 Kilo meter von Deisie entfernt sein. Mir dem Fall dieser Stadt wird bereits gerechnet, denn die abessinischen Truppen, die in der Umgebung von Deffie konzentriert waren, haben, wie es scheint, bereits den Rückzug an
getreten.
Nicht nur in England, nicht nur in Deutsch land , auch in weiten Kreisen des übrigen Europa und gerade in Kreisen, die weltanschaulich und politisch sehr scharf gegen Hitler eingestellt sind, hat man kein Verständnis für eine ,, Moral", die aus einer Vertragsverlegung ohne Eine andere italienische Kolonne rückt ge- Blutvergießen einen Kriegsfall konstruieren gen Magda la vor. Bei ihrem Vormarsch ha- möchte, aber den Friedensbruch Mussolinis und ben die Italiener zahlreiches Kriegsmaterial er- die täglichen grauenhaften Untaten der italienibeutet, insbesondere die Rundfunkstation des Ne- schen Generalität als nebensächlich, abtut. gus. Die italienischen Formationen, welche be= Was wir seit Monaten warnend behauptet reits bis zum Tana Se e vorgedrungen haben, ist nunmehr erwiesen: daß die Du Idung sind, haben sich nunmehr in südöstlicher Richtung der italienischen Gewaltpoli gegen Debra Tabor in Bewegung gesetzt und wol- tit nicht etwa die Position Hitlers ge len sich, wie es scheint, mit den gegen Magdala schwächt, sondern daß es sie unerhört ver und Dessie vorrüdenden Truppen vereinigen. stärkt hat. Und vollends klar zeigt sich die Von der Ogadenfront werden Fehlspekulation nun an dem Beispiel Desterreichs. heftige Regengüsse gemeldet, welche Der Vasallenstaat Mussolinis darf es sich erlau wahrscheinlich eine Verzögerung der Offensive ben, den Friedensvertrag einseitig aufzuheben. des Generals Graziani zur Folge haben werden. Die Entrüstung aber, die man in Bukarest und 3ngwischen bombardieren die italienischen Flies Belgrad entwidelt, wird nirgends in der Welt ger die befestigten Stellungen der Armee des Ras sonderlich ernst genommen. Denn ein wirksamer Najibu. Protest müßte sich an Rom und nicht an Wien