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zeigt, auf seine Souveränität pocht und damit

Mussolini den Weg von den Quellen an den Mit­tellauf des Nil ebnet. Nimmt man dazu, daß Englands Protektorate in Vorder- Asien sehr schivach geworden sind, daß Frankreichs syrisches Mandat vor dem Zusammenbruch steht, daß die vorder- asiatische Entente Antara- 3rat Iran heute eine werdende islamitische Groß­macht zwischen Indien und Aegypten darstellt, so kann man englischen Politikern die bange Sorge nachfühlen, die sie für den Bestand ihres Empire fühlen.

Mussolini andererseits hat sich durch eine hals­brecherische Hasardpolitik, die aber mit der Un­entschlossenheit und Uneinigkeit der Gegenspieler als sichersten Faftor ganz richtig falfuliert hat, aus einem Pfründner britischer Macht zu ihrem gefährlichsten Konkurrenten aufgeschwungen. Das Reich des Khedive ist innerlich eher schwächer als das Heilé Selassiés. Warum sollte es in zwei oder drei Jahren einem Zangenangriff von Aethopien und Lybien aus widerstehen? Was sollte Italien aufhalten, wenn es den Bel= gischen Kongo nehmen will? Da England sich diesmal nicht zu handeln traute, wird es in zwei Jahren noch weniger Mut haben. Und Frankreich wird vor Hitler noch mehr zittern als beute, noch ängstlicher darauf bedacht sein, Musso­ lini für die Wacht am Brenner" zu bezahlen. Man kann heute beinahe mathematisch genau ausrechnen, wann Frankreich Tunis freiwillig an Italien abtreten wird: spätestens in dem Augenblick, da Hitler nach Wien marschiert!

Und daß Hitler zur Zeit mar= schieren wird, dafür wird Musso­Iini sorgen. Das Zusammenspiel hat bisher immer ausgezeichnet funktioniert. Nur weil Hit­Jer jedesmal rechtzeitig einsprang, wenn England und Frankreich einig schienen, hat Mussolini un behindert an den Tana- See marschieren können.

Darum auch ist das ewige Hölzchenziehen zwischen Frankreich und England, ob man mit Hitler gegen Mussolini ober mit diesem gegen Hitler vorgehen solle, die eigentliche Katastrophe Europas . Denn bei diesem Handel gewinnen tot­sicher immer wieder Hitler und Mussolini . Bei diesem Handel verlieren immer wieder Frankreich und England. Wenn man sich entschließen würde, gegen Mussolini vorzugehen und mit Hit­Yer nicht zu unterhandeln, wäre der Spuk wahr­scheinlich bald verflogen. Denn Hitler ist heute faum marschbereit und er wäre morgen isoliert. Zu solchem Vorgehen mangelt es den Westmäch ten an Mut, dazu mangelt es an der seelischen Disposition der Volksmassen, die weniger vom Elan, als von der Furcht getrieben sind und jeweils ihre Sache von dem Nachbarn betreut wissen wollen. So spiegelt sich heute in den Wassern des Tana das phantastische Bild eines italienischen Weltreiches und vom Blanen Nil her steigt drohendes, gewitterschweres Gewölf gegen Englands glückliche Inseln auf.

Unversöhnliche Iren

London . Der Generalstabschef der irischen re­publikanischen Armée Maurice Tomme h, ein ertremer Republikaner , erklärte in einer Rede in der Stadt Boyle: Pflicht der Jren ist es, das in England eingeführte gegenwärtige Regime 311 stürzen, die beiden Teile Jrlands zu vereinigen und eine unabhängige Republik zu gründen. Tommeh gab der Ansicht Ausdruck, daß ein neuer Krieg bevorstehe, in der Irland nicht an der Seite Englands, sondern gegen die ses fämpfen werde.

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MÄNNER, FRAUEN

UND WAFFEN

Roman von Manfred Georg Copyright by Dr. Manfred Georg, Prag

,, Das will ich auch noch gar nicht wissen. Ich bin aus ganz anderen Gründen hier. Aus pri­vaten sozusagen."

Ein Gedanke durchzuckte Schumann: viel­Yeicht wollte der Mann Geld. Aber der fuhr schon fort:

Es ist eine sehr merkwürdige Situation, in der ich mich befinde." Die Stimme des Staatsanwalts wurde so dunkel wie die Nacht, die sie umgab:

Ich bin in einer sehr peinlichen Lage. Aber

Mittwoch, 15. April 1936

Tschechische Osterartikel über die SdP

Das Právo Lidu vom Sonntag und die Lidové Noviny vom Montag beschäftigen sich an leitender Stelle mit der Sudetendeutschen Partei. Henlein treibt die Sudetendeutschen in die Katastrophe

Nr. 89

haben sich so entwickelt, daß die Parteien des, Amerifa, England, der Schiveiz, Polen und Litauen deutschen demokratischen Attivismus sich eng an eingetroffen. Nach Dr. Bartošek sprach der Holländer die tschechoslowakische Demokratie angeschloffen 3. Soving aus dem Haag über die Judenverfolgun haben; deren Schicksal ist auch ihr Schicksal. Es gen. Der Redner schlug vor, daß sich der Weltkon­hängt von unserer Politik ab, ob diese Parteien greß der Freidenker in einer Resolution gegen das wachsen oder noch mehr geschwächt werden. Es an den Juden in Deutschland begangene Unrecht und fann uns nicht gleichgültig sein, wie ihre weitere gegen deren Verfolgung sowie gegen die Verfolgung Entwicklung sein wird. Es ist in unserer Macht, aller, ob Katholiken, Protestanten, Arbeiter oder daß sie sich zu neuer Entwicklung aufraffen. Man Juden, ausspreche. Es folgte ein Referat Professor muß sagen, daß es unsere freundschaftliche Pflicht A. Lukatschewskijs aus Mosfau, ein Referat des Im Právo Lidu schreibt Genosse Vaclav ist, ihnen zu helfen, denn der Erfolg des deutschen Prof. J. Meisner aus Prag über die junge Genera Pabat: Aktivismus ist auch der Erfolg des Staates." tion und die Freidenker- Bewegung, ein Referat der ,, Henlein kultiviert den menschlichen Durch- Ripka führt dann weiter aus, die Politik Delegierten A. Rehořová über die Tätigkeit in der schnitt als den seltensten Schaz politischen Kapitals der SdP müsse erfolglos sein, weil diese Partei amerikanischen Freidenkerbewegung und ein Referat und wagt es, dabei zu betonen, er leiste durch eine feinen Partner im tschechischen Lage habe. ,, Auf des Dr. Schacherl aus Brünn über die eraften Wis­positive Politik Arbeit für sein Volf. Es ist nicht die deutsche Totalität, die sie anstrebt", so schreibt senschaften und die Rion, welches im Wesen das Physik betraf. Um 18.20 unsere Aufgabe, zu prüfen, wie weit Henlein er ,,, könnte einzig und allein die tschechoslowaki- Problem der mode auf diesem Wege gelangt ist und ob er selbst noch sche Totalität die Antwort sein. Aber weil die eine Uhr wurde die Plena.agung des Kongresses unter­zurück kann. Sicher ist, daß er auf einen Boden und die andere nur zu verwirklichen wäre durch brochen. gelangt ist, der nicht mehr der seine ist. Er ist einen schrankenlosen Nationalismus, wäre jede Montag vormittags fand der Kongreß der ungefähr in einer ähnlichen Situation wie Zusammenarbeit ausgeschlossen und an ihrer tschechoslowakischen Freidenfer und Gandhi , der eine Politik der Gewaltlosigkeit ver- Stelle würde ein wilder nationalistischer Kampf nachmittags die Schlußsizung des internationa fündete, und unter dessen Führung am meisten entbrennen, in welchem mit zermalmender Wucht Ten Kongresses statt. Blut vergossen wurde. Henlein verkündet die Poli- das Prinzip des Stärkeren zur Geltung fäme... tif der Vereinigung des deutschen Elements um Es hängt von der Regierung ab, sich auf klare und den Preis der Zerschlagung der Sicherheit in bestimmte Weisungen für die betreffenden Aemter Europa , um den Preis des schließlichen Verder zu einigen und praktisch die Parole strengster bens auch der deutschen Nation. Er ist so sehr Gerechtigkeit durchzuführen. Allerdings handelt in die Gefangenschaft der nationalistischen Ideolo- es sich dabei nicht nur um die Belehrung der gie geraten, daß er heute nicht mehr erkennt, wie Sicherheitsbehörden. In gleicher Weise wichtig ist er sich eigentlich jeder Möglichkeit der Verständi- es, an die wirtschaftlichen, sozialen, sprachlichen gung auf Grundlage der Demokratie entfremdet und Schulmaßnahmen zu denken. Das Problem Hat. Er hat die kritische Einstellung zu sich selbst ist lösbar. Aber es bedarf staatsmännischen Sin­verloren, welche er niemals im Ueberfluß besessen nes und Mutes." hat und er berauscht sich am Gedanken irgend einer apokalyptischen Vergeltung. Seine Po Iitit treibt das deutsche Volt bei uns in die Katastrophe, deren fulture II e Schäden einige Generationen des deut­

1940: Tschechoslowakische

Arbeiter- Olympiade

Kongreß der tschechischen Arbeiterturner schen Volkes werden beseitigen Verbandes der Arbeiterturnvereine( DTI) ab­Prag. Sonntag wurde der elfte Kongreß des geschlossen, an welchem als Vertreter der deut­schen sozialdemokratischen Arbeiterpartei Genosse Paul teilnahm. Der Antrag, die vierte Arbeiter­

müssen."

Das politische und soziale Problem des Sudetendeutschtums

Der Freidenker- Kongreẞ

Anschluß der Russen an die Brüsseler Internationale

Das erste Referat hielt Bavadovskij- Moskau über Wissenschaft und Religion." Ferner sprachen der stellvertretende Vorsitzende der tschechoslowakischen Freidenker Dr. 2. Milde über ,, Gemeinsames Vor­gehen gegen Faschismus und Krieg", der Sekretär der proletarischen Freidenker- Internationale Jan­sen über ,, Die Einheit der internationalen Freiden­fer- Bewegung", worauf die Vertreter der ehemali­gen deutschen Freidenker- Organisation Bericht er= statteten. Im Namen der proletarischen Internatio nale sprach vor Abschluß der Tagung der Franzose Calperin. Mit der Verlesung der Resolution über Schulfragen wurde die Tagung beendet.

Auf dem Kongreß sind die Russen in die Internationale Freidenker- Union eingetreten. Dieser Eintritt erfolgte auf Grund einer Reso lution, in welcher der Kampf für die de mt o Freiheit der Gesinnung und für tra tischen Volksrechte, für die den sozialen und wissenschaft lichen Fortschritt und die dementspre chende Erziehung hervorgehoben wird.

Vom Parteitag Gottwalds

In der Lidové Noviny schreibt Dr. Hubert Olympiade im Jahre 1940 abzuhalten, wurde Ripka: von den versammelten Delegierten mit allgemei nem Beifall aufgenommen. Zum Obmann des Verbandes wurde Genosse Abg. L. Vaverka, zu Der zweite Verhandlungstag des kommunis ſeinen Stellvertretern die Genossen Haitmann, O. stischen Parteitages war mit der Diskussion über Štěpánek und M. Kormal, zu Geschäftsführern das Referat Gottwalds ausgefüllt. Da beim Par­die Genossen B. Ulrich und H. Charbat und zum teitag die Deffentlichkeit nicht zugelassen ist und Kassier Genosse Jos. Pešek gewählt. Der bishe- bon den Veranstaltern nur zenſurierte Berichte rige Obmann F. Humelhans, ferner F. Mrazek ausgegeben werden, ist der Verlauf der Ausspra­und R. Silaba wurden zu gründenden Ehrenmit- che nicht bekannt. Die offiziellen Berichte teilen gliedern erklärt. begeisterte Zustimmungskundgebungen aller Des batteredner mit. Am dritten Verhandlungstag sprach 3 á potocký über den ,, Kampf um die Gewerkschaftseinheit in der Tschechoslowakei ". Er behauptete, eine der Hauptursachen für die Zer splitterung der Gewerkschaftsbewegung sei die Politik, die für eine Zusammenarbeit mit den Unternehmern" eintrete. Von der kommunistis schen Gewerkschaftspolitik, die, als sie die Spal­tung der Gewerkschaftsbewegung aus rein politis Dr. Eugen Cervinka hielt ein Referat über die schen und parteiegoistischen Motiven durchführte, internationale Politik, hierauf begrüßte Dr. Bar- auf die Arbeit der Gewerkschaften und ihre gei­tošek den Kongreß im Namen der Union der prole- stige Haltung überhaupt keine Rücksicht nahm, tarischen Freidenfer. Nach seiner Kundgebung wur- jagte Zápotocký selbstverständlich kein Wort. Auch den die neueingegangenen Begrüßungen zahlreicher aus der Rede Zápotockhs war zu erkennen, daß Korporationen und Personen, darunter auch Begrü- die Kommunisten nichts weniger beabsichtigen, als zungsschreiben der Sofolgemeinde, des tschechoslo- die von ihnen angestrebte Gewerkschaftseinheit Montag watischen Nationalrates, der Liga für Menschen- unter ihr geistiges Diftat zu stellen. rechte und des Verbandes der tschechoslowakischen nachmittags hielt dann noch Kopecký eine Studentenschaft verlesen. Begrüßungsschreiben sind nichtssagende Rede über den Kampf um die junge nicht nur aus der Tschechoslowakei , sondern auch aus Generation.

,, Masaryk hat ständig daran erinnert, daß das Verhältnis zu den Deutschen das ernſteſte innerpolitische Problem der Republik ist. Durch den Sieg der Sudetendeutschen Partei, der nie so groß gewesen wäre, wenn der Sieg des Hitleris­mus im benachbarten Deutschland nicht seine Wirkung ausgeübt hätte, ist das Problem er­schwert worden: es hat außenpolitische Busam­menhänge. Wir können nicht die Tatsache über­sehen, daß der Hitlerismus, der einen großen Teil unserer deutschen Minderheit gefangennimmt, in jeinem Programm an erster Stelle die Zuſam menfassung aller Deutschen hat. Es gibt mehr als genug Gründe, damit wir aufhören, uns in flein­licher Weise zu streiten und daß wir uns ernstlich um eine Vereinbarung bemühen, welche Politik wir im Verhältnis zur deutschen Minderheit ver­folgen und durchführen wollen. Dabei handelt es sich auch um die deutschen attivistischen Parteien. Wenn die Sudetendeutsche Partei , wie auch der Ministerpräsident Dr. Hodža erklärt hat, durch ihr Verhalten ihre ideelle Orientierung, ihre organi satorische Struktur, die aktive Zusammenarbeit mit der tschechoslowakischen Demokratie unmöglich gemacht hat, hindert nichts die Zusammenarbeit mit dem deutschen attivistischen Lager( und zwar mit dem gesamten Lager, also auch den deutschen Christlichsozialen) zu vertiefen. Die Verhältnisse

In meinem Sinne?" bebte Schumann. er glücklich war, war es in meinem Sinne." Er hörte die Worte und staunte über ihre Gefühlsseligkeit.

,, Er wird glücklich und unglücklich gewesen sein, wie jeder gesunde Knabe. Er hatte einen guten Willen, schlug sich durch, war sehr zäh. Er machte noch als Knabe die Bürgerkriege mit. Den deutschen Namen legte er ab, wie er sich über haupt ruſſifizierte. Heute heißt er Umanskt. Ich glaube, man ist mit ihm sehr zufrieden."

,, Aber das ist doch wunderschön. Woher wissen Sie denn das alles so genau? Und wo erreiche ich ihn?"

Prag . Der Internationale Freidenfer- on­greß jeste am Sonntag die Kongreßverhandluns gen fort.

-

das ändert doch nichts an der Tatsache, daß ich leicht herrscht auch das Blut meiner Mutter in Sie nicht kenne. Das einzige, was ich von Ihnen mir vor. Das weiß ich ja alles nicht. Jetzt wer weiß, ist der Anklage- Aft, und daß Sie diejenige den Sie sagen, ich bin herzlos. Aber ich bitte, tun Handlung begangen haben, die für mich die ver- Sie es nicht, denn dann müßte ich wieder sagen, dammenswerteste unter fast allen verbrecherischen daß auch Sie es sind, der Sie herkommen um Handlungen ist, die ich mir vorstellen kann." eines Geschäftes willen und die Arbeit und das Leben von vielen Menschen zerstören wollen."

Schumann blieb bewegungslos hocken. Wie hatte er sich unbewußt das Ende dieser Jagd vor­gestellt. Wie hatte er gehofft, mit jubelndem Lachen und Umarmungen eine Idealgestalt ans Herz drüden zu können. Die junge, strenge Stimme neben ihm war verhallt. Aber sie klang für Schumann noch im Raum nach. Er grub die Hände verkrampft in die Taschen, wieder umfaßte er die Lederschleife Gabrieles, die ihn seit Limeo nie verlassen hatte. Er hörte seinen Atem stoß weise gehen und lauschte auf den des anderen. Er kam frei und ruhig und verriet keinerlei Er­Sie schwiegen viele Minuten. Umanſki war tete offenbar auf eine Aeußerung Schumanns. Er

,, Es ist gar nicht so wunderschön, wie Sie sich das denten. Bitte, erschreden Sie nicht: ich bin selber Umanski, und es besteht kein Zweifel nach den Atten, daß ich Ihr Sohn bin." Umaniti hörte einen erstickten Laut, dann regung.

wir können sie ganz ruhig und sachlich besprechen. taſtete sich eine Gestalt zu ihm hin und ſtöhnte:

Sie dürfen auch jeßt nicht aufspringen, sondern müssen ruhig zuhören, was ich Ihnen erzählen werde: Ihre Kinder wurden bei der Zerstörung des Dorfes Gornitsch ins Unbekannte verschlagen. Ihr Sohn Rudolf-

"

Schumann sprang trotz der Ermahnung auf. Es hämmerte gewaltig in seinem Kopf, die Knie schmerzten ihm vor Spannung, zum erstenmal sprach ein Fremder den Namen seines Sohnes

,, Mein Gott, Licht!"

Der Staatsanwalt faßte den Körper, der zu ihm hinstrebte und drückte ihn mit sanfter Gewalt auf die Lagerstatt nieder. Dann löste er seine Hände von dem fiebrigen Griff, der sie umflam mert hatte und legte sie zurück:

Ich habe das Licht absichtlich nicht mit hereingebracht. Sehen steigert die Aufregung und macht sentimental. Wir wollen aber jetzt erst

aus. Und wenn er ihn auch nur in den Akten, in denken..." den Agentenberichten gelesen hatte, so war es flar, daß er sich in besonderer Weise damit beschäfs tigte. Schumann hatte plötzlich keine Feuchtigkeit mehr auf der Zunge. Sie lag trocken wie ein Holz zwischen den Zähnen. Und auch seine Worte fielen hölzern und leer in den Raum:

Ich kannte einen Rudolf Schumann." Die Stimme referierte Gleichgültiges.

,, Und, und...", drängte der Rittmeister. Er wurde ins Russische verschlagen und wuchs hier eigentlich in Ihrem Sinne heran, Herr Rittmeister."

,, Rudolf", wollte Schumann schreien, aber der Name kam ihm nicht durch die Zähne. Er hatte ihn doch nie ausgesprochen. Drei Jahre war dieser Mann da vor ihm alt gewesen, und man hatte zu ihm Rolli gesagt. Wen sollte er um Got­teswillen in der Finsternis da mit ,, Rudolf" an­reden? Er wußte doch gar nicht, was das für ein Mensch war.

Sie werden verstehen", fuhr Umansti fort ,,, daß ich beim Sie" bleibe. Ich habe mir das lange überlegt. Gewiß, Sie suchen mich jetzt und haben es auch sehr lange schon getan, aber

glaubte alles gesagt zu haben. Aber als dieser sich nicht rührte und nicht räusperte, bohrte er den Kopf im Finstern zu ihm hin und begann:

..Ich verstehe sehr gut, daß das Problem auch für Sie furchtbar schiver ist. Aber ich bin doch nicht der verlorene Sohn, der heimkehrt. Ich hatte Sie nicht erwartet, und es wäre mir wahr haftig lieber gewesen, wir wären uns nicht be­

gegnet."

,, Sie sprechen, ohne zu ahnen..."

,,, bitte, nein, das dürfen Sie nicht sagen! Ich ahne sehr gut, was in der Seele eines Men­fchen vorgehen kann. Aber in der meinen geht nichts vor. Vielleicht, wenn ich Sie unter andern Umständen getroffen hätte. Aber ich bleibe ein Mensch ohne Eltern, auch wenn Sie jetzt da sind. Weil ich ohne Eltern aufgewachsen bin. Das ist Schicksal und Sie sind ja auch keineswegs schuld daran. Aber auch ich kann nichts dafür, wenn ich überhaupt nichts spüre von dem, was man bei Ihnen vielleicht ,, Bande des Blutes" nennt. Viel

Wieder entstand eine fürchterliche Pause. Dieser Rudolf sprach im gleichen Rhythmus wie Gabriele. Die Front der Toten und des Leben­den war eins. Schumann verschränkte die Hände hinter dem Kopf, dehnte den Körper und sagte nur:

,, Und wo ist Thessa. Ihre Schwester?"

Er sagte nicht..Thessa, meine Tochter". Es graute ihm vor dieser Formulierung. Hatte ihn Umansti schon so eingeschüchtert? Dieser hustete etwas verlegen und antwortete dann:

,, Thessa und ich blieben damals zusammen. Aber sie ist zehnjährig einer Grippe erlegen. Ich habe sie sehr geliebt."

,, Das ist schön von Ihnen."

Schumann bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Er weinte nicht. Seine Augen tamen ihm wie ausgebrannt vor. Wo hätte er Tränen hernehmen sollen? Er war am Ziel, und es war alles zu Ende. Alles hatte sich auf einfache Art gelöst. Gewiß, das Schicksal, das ihm die Kinder genommen, verstreut hatte und sie so wiederfin­den ließ, war ungewöhnlich. Aber was war in der Welt nicht ungewöhnlich? Alles hing versponnen mit tausend anderen Dingen im Lebensraum, ein Schicksal trieb und formte das andere, eine Ener­gie setzte sich hundertmal um und hatte beim hun dertfünfzigstenmal eine Wirkung, deren Ursache niemand mehr kontrollieren konnte. Ueber all das wunderte er sich letzten Endes in diesem Augen­blick nicht. Aber der Sinn, um dessentwillen er den Atem einsog und ausstieß, statt ihn anzuhal ten und daran zu ersticken, dieser Sinn war ge­wichen.

Forischung folgt.)