Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB . VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .

16. Jahrgang

Dienstag, 28. April 1936

Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5 Heller Porto)

Nr. 100

Neuer Vorstoß nach Süden Konservatives Frankreich :

Asmara. ( DNB.) Am Sonntag hat eine riesige aus 3000 Lastautomobilen bestehende Ko­lonne, die sich in den letzten Tagen in Dessie versammelte, den Marsch nach Süden angetreten. Die Kolonne wird den Eingeborenen- Abteilungen folgen, die vor einigen Tagen aufgebrochen sind und verhältnismäßig rasch marschieren. Die Kraftwagen- Abteilung ist mit den allermodern­ſten technischen Mitteln ausgerüstet. Auf vielen Lastwagen sind kleine Tants aufmontiert. Graziani kommt nicht weiter?

Addis Abeba . Von abessinischer Seite wird gemeldet: Nachdem die erste italienische Offensive bom 14. bis 17. April an der Südfront verlust­reich zusammengebrochen ist, haben die italieni­schen Truppen am 24. April zu einer neuen grö­Beren Offensive in Richtung Sa isabanehan­gesetzt. Der Angriff wird von allen Truppengat­tungen, die verfügbar sind, durchgeführt. Troßz dem großen Einsatz ist es den Italienern während der schon drei Tage andauernden Schlacht nicht gelungen, Safiabaneh und die Stellungen südlich davon zu erreichen. Am 25. April sind von den Truppen südlich von Sassabaneh fünf italienische Bombenflieger abgeschossen und zwei Tanks durch Abwehrgeschüße zerstört worden.

Von der Nordfront zurückfehrende Verwuns dete berichten, daß die Erfolge der Italiener zum großen Teil darauf zurückzuführen seien, daß die Stämme der Raia- Azebu und Galla die kämpfen­den Abessinier vom Rüden her augrif fen und ihre Lager ausplünderten. Diese räuberischen Stämme würden von den italieni­schen Fliegern reichlich mit Geld, Waffen und Munition sowie auch mit tattischen Weisungen bersehen. Diese Stämme hätten auch den Fall Dessies verschuldet, da sie drei Tage vorher in einem nächtlichen leberfall die Waffen- und Benzinlager des Negus gestürmt und verbrannt

hätten.

Chamberlain in Budapest Budapest

. Austen Chamberlain be­fuchte Sonntag vormittags den Ministerpräsiden­ten Gömbös , mit dem er eine längere Unter­redung hatte. Sodann wurde Chamberlain vom Reichsverweser Horthy in Audienz empfangen. Montag mittags trat Chamberlain die Rückreise über Wien nach London an.

Der Todeskampf König Fuads

Wahlen der politischen Stabilität

Sozialisten gut behauptet

Kleine Erfolge auf den extremen Flügeln Die Linke im Vorteil für die Stichwahlen Paris . Das Innenministerium hat Montag gegen Abend eine Stati­stik von 616 Ergebnissen aus insgesamt 618 Wahlbezirken herausgegeben. Im ersten Wahlgang wurden 183 Deputierte gewählt. Engere Wahlen finden in 433 Wahlbezirken statt.

Nach dieser Statistik ergibt sich folgendes Resultat:

Kommunisten

+

Sozialistisch- republikanische Vereinigung

Sozialisten

Unabhängige Sozialisten

Radikalsozialisten

Unabhängige Radikale

Linksrepublikaner und Unabhängige

Volksdemokraten

Republikanisch- demokratische Union

Konservative Rechte.

6673

Gewählt Gewinn Verlust

9

3

23

2

5

+

1

25

2

13

2

38

12

51

11

6

13

-

2

Es fehlen noch zwei Ergebnisse aus Korsika. Nach den letzten Berichten vom Abend führt Chiappe in Ajaccio mit ungefähr 200 Stimmen gegen Lan­dry, doch stehen noch die Ergebnisse aus zwei Gemeinden aus, welche über den Sieg entscheiden werden.

Nach dem ersten Wahlgang, welcher in der Mehrzahl der Bezirke eher einen lokalen und persönlichen Charakter trug, wird der zweite entscheidende Wahlgang vor allem politischen Charakter tragen. Bis zum Zeitpunkte der Stichwahlen werden sich die Kandidaten und die politischen Parteien über die gegenseitigen Ronzessionen einigen. Mittwoch tritt eine gemeinsame Sit­zung der die Volksfront bildenden Parteien zusammen.

Der Wahlgang vom 26. April hat Frank- leberraschungen, mit umwälzenden Machtver reichs alten Ruf als konservativstes Land des schiebungen gerechnet haben. Wir haben nicht zu Kontinents erneut bestätigt. Konservativ hat hier ihnen gehört. Unsere Prognosen haben keinen freilich nicht den gleichen Sinn wie für den Mit Erdrutsch" vorweggenommen und wir sehen das teleuropäer, es schließt nicht die Elemente eines bestätigt, was wir seit Monaten für wahrschein­vorbürgerlichen Weltbildes in sich, aber es be- lich hielten: daß sich auch in Frankreich Ansäte deutet ein starkes Beharrungsverjener Entwicklung zeigen, die Mitteleuropa durch­mögen, ein Festhalten an liebgewordenen For- macht, also Tendenzen zur Zerreibung der bür­men, gewohnten Programmen, bewährten gut gerlichen Mitte, zur Stärkung der ertremen Rech­ten und der extremen Zinken, darüber hinaus eine oder schlecht bewährten So ist der Wahlausfall für alle diejenigen estigung der demokratischen eine Enttäuschung geworden, die mit großen Widerstandszentren gegen den Fa­

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Männern.

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schismus. Aber was man sonst befürchten oder er­hoffen mochte, ist ausgeblieben. Da gab es im Nazilager in Deutschland und bei uns- Leute, die an Hitlers Prophezeiung von der nahenden Bolschewisierung Frankreichs glaubten. Noch am Vorabend der Wahlen schrie= ben hitlerdeutsche Blätter von der nächsten Etappe der Weltrevolution"; dann gab es Leute, die ein rapides Anwachsen der faschistischen Rech­ten erhofften oder befürchteten. Insbesondere in Italien glaubte man gern und stark, daß die ,, la= teinische Schwester" schon aus Sympathie für die Giftgastultur Roms radikal rechts wählen würde. Und endlich gab es Illusionisten der Volksfront", im fommunistischen wie im sozialistischen Lager, die an einen geivaltigen Sieg der vereinigten Lin­fen, an eine Zerschmetterung der schleichenden Reaktion dachten. Nichts dergleichen ist einges treten.

Das französische Wahlverfahren verlegt die endgültige Entscheidung über die Zusammenset­zung der Kammer in den zweiten Wahlgang, die Stichwahlen. Aber da es feste Kartelle der Par­teien gibt, Bindungen für den zweiten Gang, so läßt sich schon jest ungefähr übersehen, wie die Ergebnisse des kommenden Sonntag aussehen wer­

den. Während die Rechte sich anscheinend, indem sie weniger Kandidaten aufstellte, im ersten Wahl­gang start ausgegeben hat, dürfte die Stärke der Linken erst im zweiten Wahl= gang sichtbar werden. Denn diesmal kämpften neben einem bis zwei Kandidaten der Rechten in manchem Kreis drei bis vier Kandidaten der Lin­ken und der Mitte miteinander um den Kammer­siz. Erst kommenden Sonntag werden Radikale, Sozialisten und Kommunisten geschlossen für den Mann stimmen, der am 26. April innerhalb der Front papulaire" die meisten Stimmen auf sich vereinigt hat. Das wird voraussichtlich zu einer Sicherung des Besitzstandes der Sozialisten und Radikalen, zu einer Vermehrung der kommunisti­ schen Mandate führen, denn durch ihre Isolie rungspolitik war bis 1932 gerade die KPF bei der Mandatsverteilung benachteiligt. Aber es ist durchaus möglich, daß die Erfolge der Volksfront andererseits die der Rechten

"

Göring - Diktator über Rohstoffend auf Stoſten der Mittelgruppen und und Devisen

schränkung und allmähliche Ausschaltung der bis­herigen so bedeutenden und einflußreichen Tätig­keit Schachts bedeutet, wird sich bald zeigen müssen.( Tsch. P.-B.)

*

Berlin . Das Deutsche Nachrichtenbüro dem Vernehmen nach gegenwärtig auf Urlaub und meldet amtlich: ,, Da bei der Bearbeitung der die wird erst im Mai zurückkehren. Ob, wie manche Rohstoffe und Devisen betreffenden Fragen zahl- wissen wollen, die neueste Regelung eine Ein­reiche staatliche und parteiliche Stellen zusammen­wirken müssen, hat Reichskanzler Hitler den preu­sischen Ministerpräsidenten Göring mit der Prüfung und Anordnung aller erforderlichen Maßnahmen beauftragt. Ministerpräsident Göring kann hiezu alle staatlichen und partei­lichen Stellen anhören und anweisen. Er kann sich von den zuständigen Reichsministern unter­stützen und nötigenfalls vertreten laffen." Schon seit einigen Tagen gingen in Berlin Kairo . Das Leben Königs Fuads geht trop Gerüchte um, daß Ministerpräsident Göring zum der aufopfernden Fürsorge der Aerzte schnell zu Vizetangler ernannt werden solle, Ende. Das letzte ärztliche Bulletin besagt: Der Sitler in der Regierung ebenso zu vertreten, wie Zuſtand des Königs verschlechtert sich ständig. Die deß deſſen Stellvertreter in der Partei ist lokale Infektion wird ständig ernſter. Im Hin- Ueberraſchenderweiſe iſt nun Göring mit der An­blick auf die langandauernde Krankheit und mit ordnung aller notwendigen Maßnahmen hinsicht Rücksicht auf die Infektion und die Schwierig- lich der Rohstoffe und Devisen beauf keiten der Absorbierung der Nahrung, wird der tragt worden. In Induſtries und Handelstreifen Gesamtzustand des Kranken ständig ungünstiger. mengt sich in die leberraschung auch einige Die Mitglieder der königlichen Familie Be stürzung. Man sagt sich, daß die Aende­wurden an das Krantenlager des Königs be- rung der bestehenden Zustände und Kompetenzen nicht notwendig wäre, wenn alles in schönster Ordnung ginge. Die Beauftragung Görings laffe aber vermuten, daß doch zwischen staatlichen und Parteistellen gewisse Reibungen vorkamen und vorkommen.

rufen.

Nach den letzten Meldungen liegt der König bereits in Agonie. Da die Parlamentswahlen am 2. Mai stattfinden, müßte für den Fall seines Todes noch das alte Parlament binnen zehn Tagen einberufen werden. Der König hat bereits im Jahre 1922 für den Fall seines Todes drei Regenten bestimmt, deren Namen noch geheim ge­halten werden. Der Kronprinz ist erst 17 Jahre alt und weilt derzeit in England.

um

Die Stellung des Reichswirtschaftsministers und Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht wird allerdings in gewisser Hinsicht erleichtert, da für bestimmte unbeliebte Verfügungen Göring jetzt die Deckung übernimmt. Dr. Schacht selbst ist

nicht auf Kosten der jeweils extremen Gegner gehen. Es ist bezeichnend, daß Herriot und Rey­ naud im ersten Wahlgang unterlegen sind, wäh reno de Kérillys und Thorez gewählt wurden.

Die Sozialisten haben sich gut geschla gen und soweit sich übersehen läßt, ihre Stimm­zahl von 1932 mindestens behauptet, obwohl sie inzwischen die Abspaltung der Néos" zu über­winden hatten( deren Kandidaten sich im übrigen auch gut gehalten haben). Daß Frankreich eine revolutionäre Welle wie Spanien erleben würde, fonnten nur Illusionisten erwarten.

Warschau . Durch ein Dekret des Präsiden ten der Republik wird die gebundene Devisen ausgang die Bedeutung und die Arbeit der Es wäre falsch, wenn man nach dem Wahl= wirtschaft eingeführt. Diese Maßnahme wird da-" Boltsfront" unter schäßen wollte, wie man sie mit begründet, daß in den letzten Monaten im zeitweise vor den Wahlen über schäßt hat. In Inland vielfach Gold und Devisen the sau der Abwehr des Faschismus hat die Volksfront riert und so der Wirtschaft entzogen worden seit Jahr und Tag Hervorragendes geleistet und seien. Für die normalen Wirtschaftsoperationen ohne ihre Gründung hätte vielleicht Sonntag der mit dem Ausland werde das neue Devisenregime französische Faschismus einen Sieg erfochten. Aber kein Hindernis darstellen; auch die Versorgung die Grenzen der Volts front waren für mit Rohstoffen und den notwendigen Fertigwaren jeden nüchternen Beobachter immer deutlich abge­werde in keiner Weise zu leiden haben. Es handle steckt. Sie lagen vor allem in der strukturellen sich ausschließlich um Schußmaßnahmen für den Buntheit der Linken, in der Unklarheit über das wirtschaftlich aktiven Teil der Nation gegen Ziel, in der Ungewißheit darüber, was man mit Spekulation und wirtschaftlichen Defaitismus. der Macht anfangen würde.

Ebendies, was nach dem 3. Maige

Wahlsieg der Linken in Neupesti che ben wird, bleibt auch jetzt unklar. Wird das Kabinett Sarraut- Flandin einer Linksregierung Budapest . Die Gemeinderatswahlen, die am| Daladier- Blum weichen oder wird sich die tragi­Sonntag in Neu pest, dem größten Budapester komische Verkettung von 1924 und 1932 wieder Vororte, stattgefunden haben, erbrachten für die holen, daß Wahlerfolge der Linken damit enden, vereinigten Lintsparteien einen überraschenden daß die Rechte wieder regiert? Das ist die Frage, Erfolg. Diese Parteien vermochten ihren bis- die im Augenblick aktueller ist als die scheinbar berigen Besitz von 36 auf 51 Mandate zu erhöhen. näherliegende, welche Fraktion bei den Stich­Die vereinigten Rechtsparteien von Neupest gin- wahlen um ein Dußend Mandate besser oder schlechter abschneiden wird, gen von 24 auf 9 Mandate zurück.