Mittwoch, 29. April 1936 Nr. 101 16. Jahrgang 70 WMfw (aiiuchliafilich 5 Haller Forts) IE NTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung frag xiufochova a. Telefon 53077. HERAUSGEBER! SIEGFRIED TAUB . VERANTWORTLICHER REDAKTEURi DR. EMIL STRAUSS, PRAG . Offizielles österreichisches Kommunique; Phönix-Korruption zum Teil Vaugin und Strafella Fütflliillf unter den Geopferten UIUIUIII Wien. Dir Regierung hat sich endlich genötigt gesehen» einen amtlichen Bericht über den Phönix-Skandal anszngeben, in dem zum erstenmal über die Geheimliste der vom Phönix Korrumpierten Aufschluß gegeben wird. Wenn auch sicher über die Finanzierung der Heimwrhrrn und gewisser Führer durch den Phönix der Schleier christlicher Nächstenliebe gedeckt und nur lumpige 95.000 Schilling für diesen Zweck und noch dazu als„Regiebeitrag für eine Kollektivverficherung" ausgrwiesen werden, während man den jüdischen Rationalfonds mit 590.000 Schilling anführt, und sogar die Sozialdemokraten bewußt mit hineintunken möchte, weil der Herr Nationalrat Z r l e n k a, der seinerzeit wegen seiner Korrup- tionsafsärrn in seiner„Technischen Union" mit Schimpf und Schande aus der Partei ausgeschlossen worden war, in der Aufzählung mit einem größeren Betrag figuriert, so muß doch die Regierung eine Reihe der treuesten Stützen des Systems in aller Form fallen lassen, so die Staatsräte Baugoin, 6 o- rrth, den Generalobersten Schönburg- Harten st ein und den von den Sozialdemokraten schon vor langer Zeit als Korruptionisten entlarvten Herrn S t r a f e l l a, der vor nicht allzu langer Zeit von den heutigen Machthabern noch ans den fetten Posten eines Leiters des Orsterreichischen Fremdenverkehrsbüros befördert worden war. Daß all den genannten Herren amtlich der „gute Glaube" zugebilligt wird, ändert nichts an der Tatsache, daß die größten Stützen des heutigen Systems in Oesterreich , Männer, die an der Borbereitung der Heimwehrdiktatur und an der Unterdrückung der österreichischen Arbeiterbewegung die größte Schuld tragen, nunmehr vor aller Welt als offene Korruptionisten daftehen. In der offiziellen Meldung heißt eS u. a.r Die in der Oeffentlichkeit vielfach genannten „Listen" wurden bei der Direktion der„Phönix " vorgefunden und befinden sich in den Händen der Behörden. Es handelt sich hieboi um eine Liste, bestehend aus 24 Blättern, die lückenlos vom Jänner 1931 bis 17. Feber 1936 geführt wurde. Die Gesamtsumme der darin verzeichneten Beträge beläuft sich auf 2^14.000 Schilling und 7000 K£. Von dem in der Liste enthaltenen Gesamtbetrag entfallen 600.000 Schilling auf Remunerationen. Aushilfen und Zuwendungen für Wohlfahrrszwecke an Angestellte der„Phönix ". Für Preffezwecke wurden' 1,098.000 Schilling ausgegeben. Von diesem Betrag entfallen 633.000 Schilling auf den Herausgeber der„Sonn- und Montagszeitung" Ernst Klebinder. der Rest auf mehrere Blätter, unter denen sich keine führende Tageszeitung Oesterreichs befinde. Der Betrag von 94.329 Schilling ist auf die Buchstaben-Chiffre„O" eingetragen. Hiebei liege der Verdacht vor. daß es sich um jene Summe handelt, die dem Leiter der Aufsichtsbehörde Sektionschef O ch s e n e r(der bekanntlich Selbstmord verübt hat) zugekommen ist. An Beträgen, die politischen Parteien oder anderen Organisationen zu- gefloffcn sind, ergeben sich nachfolgende Summen: Der jüdisch-nationale Fonds erhielt unter dem Titel einer Ueberprovision äoo.000 Schilling. Die Nationalsozialisten erhielten rund 494.000 Schilling. Die- P f r i e m e r» Heimwehr erscheint unter den Geldempfängern mit 18.000 Schilling. der Landbund mit 182.000 Schilling. Hiezu kommen noch namhafte, zum Teil unkündbare Darlehen zu niedrigem Zinsfuß an einige Mitglieder des ehemaligen Landbundes. Die„technische Union" sZelenka) erhielt ein Darlehen von 300.000 Schilling, von dem 250.000 Schilling abgeschrieben wurden. Zu Händen Dr. Berliners ist ausgewiesen ein Betrag von 13.000 Schilling sowie«in'weiterer Bktrag von 95.000 Schilling, der ihm im Jahre 1932 von der Kompaß-Bank zugegangen ist. Ein Giftpfeil segen Prag ... Ein Betrag von 4 bis 5 Millionen Schilling, der sich nach den bisherigen Erhebungen etwas erhöhen dürste, wurde nach den Vorgefundenen Belegen zum Rechnungsabschluß der„Phönix ". au? dem Jahre 1934 von der Wiener Zentrale für„außer- ordentlich« Ausgaben inPrag" verwendet.. Ein detaillierter Ausweis über diesen Betrag jei in den Wiener Belegen nicht vorhanden.. Laut Liste ging in verschiedenen Teilbeträgen ein Betrag von zusammen 76.200 Schilling an den Rechtsanwalt Dr. Grimeisen und 80.000 Schilling während der Jahre 1933 bis 1935 in gleichen Monatsraten an Friedrich Karl Rokitansky. Vie Sühnopfer: Von Personen, die im öffentlichen Leben hervorragende Stellungen bekleideten und die Mitglieder des Verwaltungsrates wären, werden Staatsrat General der Infanterie Karl Baugoin als Vizepräsident, Staatsrat Gotho Coreth und BundeSwirt- schastSrat Generaldirektor ReininghauS als Lerwal- tungsratsmitglieder angeführt. Von ihnen wird behauptet, daß sie von den Unregelmäßigkeiten im Phönix keine Ahnung gehabt hätten. Vougöin hatte Bezüge von 1000 Schilling monaüich, Corech ebenfalls, letzterer auch noch Tantiemen. Obwohl„keinerlei ehrenrühriger Borwurf" gegen sie erhoben werden könne, so hätten doch alle drei ihre öffentlichen Aemter niedergelegt, so Baugoin feine Stelle als Präsident der,Bundesbahnen. ■ Der ehemalige Heeresminister Generaloberst Schönburg-Hartenstein habe sich zwei Polizzen"der Riunione Adriatica aus dem- Jahre 1920..„gutgläubig" auf 15.000, Schilling„a ufwerten" lassen. Für. 1935 habe ihm der verstorbene Dr. Berliner aus. dem Titel einer Vergütung ohne sein Barcelona . Dienstag nachmittags überfiel eine Gruppe von unbekannten Angreifern den ehemaligen Chef der Barcelonaer Polizei Michael Badia und tötete ihn durch mehrere Schüsse, als er seine Wohnung verließ.. Dir Angreifer, die vor dem Haufe lauerten, erschossen auch den Bruder Badias und flohen. Der ermordete Badia war in Barcelona sehr bekannt und wurde als Führer der kata- l a n i s ch e n I u g e n d z« der Zeit, da die Macht wieder auf die katalanische Regierung überging, zum Polizeichef ernannt. Das Verbrechen wird den Anhängers der äußersten Rechten zugrschriebrn und als Rachealt bezeichnet. Badia hat sich im Ottober 1934 an der Revolution beteiligt und mußte nach der Unterdrückung derselben nach Frankreich und nach Amerika fliehen. Nach den Frberwahlen ist er zurückgekehrt. Er wußte, daß ihm Gefahr drohe, ging aber ttotzdem unerschrocken auf die Straße. 611 kodier unter Pollzelschutz Madrid . Der Führer der rechtsorientierten Volksfront, Abgeordneter Gil Nobles, wurde Dienstag früh bei einem Zusammenstoß seines vle Aussichten für die Stichwahl Die Sozialisten rechnen auf weitere 110 nandate Paris . Nach den erste» amtlichen Statistiken haben die Kommunisten Heuer im ersten Wahlgang 1,454.000 Stimmen erhalten, während im Jahre 1932 nur 796.000 Stimmen auf sie entfielen. Die Sozialisten erhielten 1,887,000 Stimmen, im Jahre 1932 m i t den gegenwärtigen Reosozialisten 1,964.000 Stimmen. Die Radikalsozialisten haben Heuer 1,400.900 Stimmen und im Jahre 1932 1,837.000 Stimmen erhalten. Für die Rechtsgruppe der republikanischdemokratischen Union wurden 1,578.000 gegen 1,233.000 Stimmen im Jahre 1932 abgegeben. Die Sozialisten«eisen darauf ihn, daß in der Statistik vom Jahre 1932 auch die Stimmen der gegenwärtigen Reosozialisten, die ein gutes Fünftel ihrer gesamten Stimmenzahl ausmacheu, mit eingerechnet sind. Dir Sozialisten erwarten im zweiten Wahlgang die Wahl von 110 Deputierten zu den gegenwärtigen 23 Gewählten. Dir Kommunisten erwarten die Wahl von mindestens 50 iweiteren Abgeordneten.,. Zukun 10.000 Schilling angewiesen, die der Generaloberst nicht angerührt und später zurückgegeben habe. Trotzdem habe auch Schönburg-Hartenstein sein Mandat als Staatsrat n i e d e r g ele g t. Weiters wird genannt der Landesleiter der Vaterländischen Front in Wien , Oberstleutnant a. D. Seifett, der monatlich einige hundert Schilling „zur Unterstützung notleidender.Kameraden" erhalten habe. Etwas stärker'eingetunkt wird der bekannte Herr Strafella, der dem Phönix in den letzten drei Jahren Lokallbahnaktien, sogenannte Exoten, d.' h. an der Börse nicht offiziell gehandelte Papiere, für 550.000 Schilling angehängt hat, obwohl der Phönix solche Papiere überhaupt nicht ankaufen durste, ganz zu schweigen von dem wirklichen Wett, den die Papiere offenbar hatten. Strafella wurde deshalb seiner öffentlichen Funktionen enthoben. Offizielle Korruption: Zum Schluß kommen ganz verschämt und unter harmlosen Titeln Beiträge für o f f i- zielleund halboffizielle Organisationendes Regimes.*, Der Reichsbund derO e st e r- reicher(Wiesner) erhielt laut Beleg durch drei Jahre je 3000 Schilling, insgesamt also 9000, die o st märkischen Sturmscharen zwei Spenden von 1000,'insgesamt also 2000 Schilling, die seinerzeitige g r o ß- deutsche Bolkspartei erhielt 47.000 Schilling, und zwar als Provision für eine von derselben durchgeführten Kollektivversicherung. Der Heimastschutz bekam als„Regie- ikostenbeitrag" für eine Kollektivunfällversicherung 5000 Schilling monatlich, zusammen 95.000 Schilling. Autos mit einem Lastwagen verletzt. Das mit Polizisten besetzte nachfolgende Auto, dessen Insassen den Abgeordneten vor einem eventuellen Ueberfall schützen sollten, stieß gleichfalls gegen das Lastauto, wobei ein Polizist schwer und vier weiter« leicht verletzt wurden. Azana Präsidentschaftskandidat Madrid . Am Montag abends fanden zwischen dem Ministerpräsidenten Azana und den linksrepublikanischen Ministern sowie zwischen Azana und Mitgliedern des Nationalrats der Partei Besprechungen über die Ernennung eines Kandidaten für die am 10. Mai l. I. stattfin- drnde Präsidentenwahl statt. Man kam grundsätzlich überein, den Ministerpräsidenten Azana als Präsidentschaftskandidaten der linksrepublika- nischen Pattei aufznstellm. Madrid . Nach den bisherigen Ergebnissen sind 414 Wahlmänner für die Präsidentenwahl gewählt worden, von denen 350 der Linksfront und 64 den Parteien der Mitte angehören. Tod des ägyptischen Königs König Fuad I. von Aegypten ist am Dienstag, den 28. April, um halb 2 Uhr nachmittags nach längerer Krankheit im Alter von 68 Jahren gestorben. Fuad wurde 1917 nach dem Tode seines Onkels Hussein Sultan von Aegypten . 1922 nahm Fuad den Künigstitel an. In diesem Jahre gewann Aegypten seine Souveränität, allerdings unter militärischer Aufsicht Englands. König 'Fuads Bestreben war es, zwischen den verschiedenen ägyptischen Parteien ausgleichend zu wirken. Dabei war er eigentlich immer der Beauftragte Englands, das ihn einmal auch zur Auflösung des ägyptischen Parlaments zwang. Die zweite La- bour-Regierüng schloß mit Aegypten ein Abkommen ab, durch das. Aegypten eine Vertretung im Völkerbund erhielt. Die englischen Besatzungstruppen wurden zurückgezogen, die britischen Konsulargerichte abgeschafst. 3m Jahre..1930 schaltete der König das Parlament aus, er regierte„selbstherrlich", das heißt mit England und ohne die ägypstschen Parteien. Im Iahte 1935 stellte er die Rechte des Parlaments wieder her. England befürchtet, daß der Tod des Königs unangenehme Verwicklungen in Aegypten zur Folge jhabenwird. noisdiHdikelt und nationale frage In einer Versammlung, welche dieser Tage in Prag stattfand und in welcher über das Verhältnis von Tschechen und Deutschen in diesem Lande gesprochen wurde, machte der tschechische Universitätsprofessor Dr. Hromädko eine kluge Bemerkung, die der Erwähnung wert ist. Er erzählte, daß er als junger Mensch in den Bannkreis des nationalen Kampfes geraten sei und die Deutschen nur als nationale Gegner gesehen habe. Er habe das Deutschtum als etwas Abstraktes gesehen und erst in späteren Jahren das Konkrete, den Deutschen selbst, d. h. den Menschen im Deut schen erkannt. Hromädko empfiehlt also seinen tschechischen Mitbürgern gleichsam hinter den Vorhang zu sehen, vor dem sich die Kämpfe der Völker abspielen und wo man das Tun und das Lassen, die Freuden und Leiden der Menschen selbst erblickt. Der tschechische Universitätsprofessor, der diesen Gedanken äußerte, weiß vielleicht gar nicht, daß er sich damit einer Anschauung genähert hat, die von sozialistischer Seite seit Jahrzehnten vertreten wird. Die Auffassungen des nationalen Problems durch die Sozialdemokratie haben eine gewisse Wandlung durchgemacht. In der ersten Zeit waren die Sozialdemokraten-— wie das Otto Bauer in seinem großen Werk über das nationale Problem gekennzeichnet hat— naive Kosmopoliten, d. h. sie glaubten das Bekenntnis LUM internationalen Sozialismus allein überbrücke alle nationalen Verschiedenheiten. Gerade der Marxismus hat aber uns Sozialisten später tiefer sehen gelehrt: Wir haben die nastonalen Probleme erkannt, indem wir zu ihren sozialen Ursachen vorgedrungen sind, d. h. wir haben den sozialen Charakter des nationalen Problems gesehen. Nur wenn man die soziale Problematik des deutsch -tschechischen Verhältnisses erkennt, kann man es begreifen und daher auch lösen. Und was sind die sozialen Ursachen anderes als die menschlichen Verhältnisse, von denen Prof. Hromädko gesprochen hat? Wer nicht hinter dem sudeten deutschen Problem das ganze Leid der deutschen arbeitenden Klasse dieses Landes sieht, die jahrelange Arbeitslosigkeit, den ganzen Jammer in der Familie, die Unmöglichkeit Frau und Kinder ordentlich zu ernähren und zu bekleiden, die ganze Hoffnungslosigkeit, welche die Menschen angesichts eines Lebens ergreift, das ihnen verpfuscht erscheint— der wird das Verhältnis der zwei Nationen im Lande, der wird dieses bedeutsamste innerpolitische Staatsproblem nie begreifen. Das nationale Problem bei uns einer Lösung näherbringen bedeutet ein Stück Menschlichkeit verwirklichen. Weshalb sind wir leidenschaftliche Gegner eines Ktteges in Europa , weshalb sind wir Feinde des Faschismus, weshalb streben wir eine andere Form der Wirtschaft und Gesellschaft an? Doch deswegen, weil wir eben den Menschen vor uns sehen, den leidenden und strebenden, der sich nach ein paar glücklichen Erdenjahren sehnt. Weil wir menschlichere Verhältnisse schaffen wollen, deswegen die sittliche Kraft und die Opferbereitschaft, welche Sozialisten eigen ist, die bisherigen Erfolge der Arbeiterbewegung möglich ge-. macht hat und den weiteren Durchbruch unserer Kampfreihen durch alle Hindernisse und alle Barbarei des Jahrhunderts erzielen wird. Ueber alle Tücken herrschender Gewalten werden auf die. Dauer nicht jene siegen, welche ihre Sache auf nichts anderes als die Gewalt gestellt haben, sondern jene, welche— allerdings mit allen Mitteln, welche ihnen der Gegner aufzwingt— die höhere Menschlichkeit, die höhere Sittlichkeit und das höhere Leben der ungeheueren Mehrheit der Menschen anstreben. .Daß diese Auffassung auch von den besten Männern der tschechischen Nation geteilt wird, gibt uns die Hoffnung, daß es gelingen wird, über alle Fragen des nattonalen Lebens der Tschechen und Deutschen eine Verständigung zu erzielen. In der Prager Diskussion, von der hier ausgegangen wurde, war es neben dem bereits genannten Prof. Hromädko der tschechische sozialdemokratische Abgeordnete Prof. Dr. M a c e k, welcher Verständnis für die soziale, d. h. die menschliche Seite der Not sudetendeutscher Menschen fand, woraus wieder einmal ersichtlich wurde, daß eine wahrhafte 'Lösung.des Reben-, und Miteinandeilebens und Faschisten als Mörder Politische Mordtat In Barcelona
Ausgabe
16 (29.4.1936) 101
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