Seite 2 Donnerstag, 30. April 1936 Nr. 102 größerem Nachdruck als bisher für den Kampf um die Lösung der dringendsten Existenzfragen der Führung und der Vertretung der Arbeiterparteien anzuvertrauen. Daß dabei die Kommunistische Partei mit ihren Anstrengungen, ohne Rücksicht auf ihre Vergangenheit und. die meisten Grundsätze ihrer Doktrin den Eindruck einer frischen, von Theorien unbeschwerten Kraft zu vermitteln, besonderen Erfolg gehabt hat, steigert ihre geschichtliche Verantwortung vor der Arbeiterklasse, ungemein und macht ihre Rolle in den künftigen Klassenkämpfen in Frankreich bedeutsamer als je zuvor. Der kommende Sonntag erst wird darüber entscheiden, wie weit die neue Kammer in ihrer Zusammensetzung sowohl der Ausdruck der klaren Wünsche der französischen Massen sein wird als auch zugleich ein Werkzeug zu ihrer Erfüllung. einem SdP-Unternehmen kerne Arbestl Im Gesetz selbst wurde dank der Tätigkeit der deutschen Koalitionsparteien dieser Begriff derart definiert, daß der Willkür der Bürokratie ein fester Riegel vorgeschoben ist. RamenS unserer Partei erklärt Herger ab» schließend, daß wir das Gesetz über die StaatSver- teidignng mit Rücksicht auf di« Gefahren, die in unseren Nachbarländern vorbandrn find, als notwendig erachten. Wir sind überzeugt, daß die Durchführung deS Gesetzes weder keine Beeinträchtigung der sozialen Rechte der Ardeiterklaffe bei«, haltet,»och zu einer Schädigung der nationalen Minderheiten mißbraucht werden wird, und werden daher für dieses Gesetz stimmen.(Lebhafter Beifall.) SdP-FUhrer In Glanz In einer Mitgliederversammlung der SdP in Aussig , die sich mit dem Thema Wirtschaftsfragen beschäftigte, meldet« sich kurz vor Schluß der Versammlung ein vielseitiger Funktionär der SdP, Herr Redakteur H ü t t l, zum Worte und erklärte, daß er in der Partei sämtliche Funktionen niederlege. Warum er zu diesem Entschluß gekommen sei, wolle er sich ersparen im Einzelnen zu erklären doch sollten die Anwesenden eins zur Kenntnis nehmen: „Mit Herren, die in Eger , Prag und Asch und so weiter an grünen Tischen fitzen , große Zigarren rauchen, und es sich gut gehen lasten, denen eS mit der Bolksgemeinschaft nicht rasch genug geht, für die sie doch selbst keinen Finger krumm machen und krumm gemacht haben, mit diesen Herren will ich mich, nicht a useinander- setzen! Ich habe genug für diese Bewegung geschuftet, gearbeitet und bin jetzt am Ende meiner Kräfte!• Aus welchen Gründen immer Herr Hüttl diese schweren Anwürfe erhob, sein Urteil über die Drahtzieher der Henleinpartei ist vernichtend. Herr Hüttl war Schulungsleiter der SdP und bekleidete eine Anzahl Vertrauensstellen und einflußreiche Funktionen. Die Herren von der SdP tragen aber selbst die Schuld, daß sich niemand die Mühe nimmt zu überprüfen, was an ihren Beschwerden Agitation und Taktik ist und was davon das deutsche Volk tatsächlich bedrückt. Ihr Schweigen ist eS, das irritiert, mit Mißtrauen erfüllt. Sie verstehen wohl, an Kleinigkeiten unseres Lebens Kritik zu üben, zeigen aber kein Verständnis für das Streben unseres Staates, mit der ganzen Welt in Frieden zu leben. Die Tschechen haben den Mut, eine Lösung ihres Verhältnisses zu den Deutschen im Sinn« Rasaryks zu finden, aber die Partner auf deutscher Sette werden sie sich nur in den Reihen jener suchen, die nicht nur demokratisch reden, sondern auch im tiefsteu Innern demokratisch sind! Debatte dis Mitternacht In der Plenarsitzung des Hauses liefen immer und immer wieder neue Wortmeldungen von Rednern ein, so daß sich die Debatte von neun Uhr früh bis nach elf Uhr nachts hinauszog und fast zwei Dutzend Redner sich auf der Tribüne abwechselten. Unter diesen Umständen mußte das Schlußwort der Referenten und die Abstimmung auf Donnerstag halb zehn Uhr früh verlegt werden. Die Kriegsrüstungen Hitlerdeutschlands wurde vor allem auch von Frau Zeminova(Nat.Soz.) heftig kritisiert. Er werde aber der Toy kommen, an dem auch England und Italien erklären werden, daß ihre Grenzen and er Donau und anderMol- d a u liegen. Jnnerpolitisch nahm sie schärfstens gegen Henleins Londoner Drohungen Stellung und sprach die Verwunderung aus, daß Henlein dafür noch nicht zur Verantwortung gezogen wurde. Trotz ellenlangen Vorlesungen über Litzalität glaube man Herrn Henlein nicht, selbst wenn alle TdP.Abgeordneten auch noch das„Hej Slo' van c" singen würden. Reden sind Reden, aber waS die SdP im Grenzgebiet macht, sind Taten. Dafür werden wir Euch ,rief sie den SdP-Lenten unter großem Lärm z», zur Verantwortung ziehen und strafen. Das ganze Volk wird an unserer Seite stehen,»m euere hochverräterischen Umtriebe Unmöglich zu machen. Unsere Partei fordert, daß man die Henleinpartei auseinanderjage, und bedauert nur, daß die in Verhandlung stehenden Gesetz« nicht zwei Jahre früher kamen. Henlein soll sich beklagen gehen wohin er will, wir werden, wenn nötig, mit eisernen Besen Ordnung machen I Auch die Opposition stimmt pro Der Vertreter der deutschen Christlichsozialen, Dr. Luschka, gab für seinen Klub die Erklärung ab, daß sie für b e i d e Vorlagen stimmen würden. Der Verdacht der staatlichen Unverläßlichkeit werde nach seiner Ueberzeugung von der deutschen Bevölkerung gerade dadurch am besten abgewehrt, daß deutsche Volksvertreter für das Gesetz stimmen. Auch der Sprecher der Hlinka-Partei, Doktor Tiso, erklärte, daß seine Partei es als eine S e l b st v er st än d l i ch k ei t, ja als direktes'Gebot ansehe, zu dem Gesetz einest positiven Standpunkt einzunehmen. Das slowakische Volk sehe in hem Staat der Tschechen und Slowaken seinen Staat und deshalb sei es natürlich» daß es diesen seinen Staat auch verteidige. Für das Gesetz sprach'sich bedingungslos auch die Nationale Vereinigung aus, sp daß bei der Abstimmung zweifellos eine weit über die Stimmen der Koalition hinausgehende Mehrheit für die beiden Vorlagen erzielt werden wird. Der Senat nahm Mittwoch die Regierungsvorlage, durch die einige Bestimmungen des Gesetzes über die Advokaten geändert werden, nach kurzer Debatte in der Fassung des Ausschusses an. Darin wird, wie wir bereits berichteten, u. a. die Konzipientenzeit für künftige Kandidaten der Advokatie auf sechs Jahre verlängert und die Einführung einer obligatorischen Alters- und JnvaliditätSversicherung möglich gemacht. VS« Parlamentsdebatte (Fortsetzung von Sette 1.) Politische Mahnworte in der Wehrdebatte Genosse Jaksch an die Adresse der SdP. was im Deutschen Reiche vorgeht. Selbst wenn man darüber hinweggehen möchte, so sprechen die Tatsachen: Hat sich doch in der letzten Zeit eine große Zahl von politischen Prozessen abgespielt, Spionagep^ozesse, Entführungen, ja politische Morde, an denen nur Henleinanhänger beteiligt sind. Die Hultschiner Brandstifter werden von Deutschland nicht ausgeliefert, weil es sich um politische Motive handelte. Ihr Parteigenosse S ch e i t h a u e r. der den Rosenzweig in Kunau erschossen hat, war ein Funktionär Ihrer Partei... (Zwischenrufe.) Auch er wird von Deutschland nicht ausgeliefert. Das find keine'„Gerüchte", gegen die Sie immer so energisch auftreten, das ^ind Tatsachen, über die man nicht binweg- stommt!(Zwischenrufe, Lärm.) Tatsache ist, daß Sie dir Politik fortsrtzen, die von den Nationalsozialisten begonnen wnrdr! Sie haben ja auch den größten Teil der Nattonalsozialisten in Ihre Reihen ausgenommen. Wie viele junge Leute, die von den Herren Krebs und Jung aufgewiegelt wurden, sitzen heute hinter Kerkermauern, während die Herren in Deutschland Reichstagsabgeordnete find. Auch bei Ihnen(an die SdP gewendet) gibt eS eine große Zahl von jungen Leuten, die nach dem Schutzgesetz und wegen des Geistes, den S i e in die Politik tragen, verurteilt worden find. Der„Kampf gegen die Unternehmer* Genosse Heeger hält der SdP das in der so« ziäldemokratsschen Presse bereits veröffentlichte Rundschreiben des Kreises 14 der Henleinpartei vor. in der Propagandafür Tuchfabriken gemacht wird, deren Inhaber Mitglieder der Henleinpartei sind. Ausdrücklich heißt es darin: Nachstehende Unternehmungen sind„unterstützende Unternehmungen der Hrnleinbewegung". Also die großen Textilunternehmer find„unterstützende" und auch offene Mitglieder der Hrnleinbewegung. DaS hindert aber nicht, daß die Herren von der SdP dann auftreten und sagen: Ihr Arbeiter müßt den Kampf gegen, die Unternehmer führen, von denen diese Partei Unterstützungen annimmt! Herr K u n d t hat in seiner Rede über daS Pqrteiengesetz u. a. auch gesagt, daß hier mit der Demokratie Schindstzdess getxjehep werd«. Sie fassen vie Demokratie" allerdings anders auf: für Sie gilt dir Httlerdivatur als reinste Demokratie!(Zwischenrufe.) Sie hichen hier den Totalitätsanspruch und das Führerprinzip eingeführt, was mit der pri- mitibsten Auffassung von Demokratie im Widerspruch steht. Sie sind nichts anderes als Lippendemokraten, die die Freiheiten der Demokratie nur benützen, um den Kampf gegen sie zu führen I Genosse Heeger befaßte sich dann noch mit einer Behauptung des Herrn Kundt, daß seinerzeit die deutschen Sozialdemokraten die Auflösung der nationalsozialistischen Gewerkschaften gefordert und so die Arbeiter samt ihren Familien um die karge Arbeitslosenunterstützung gäracht hätten. Als die SdP-Abgeordneten so unvorsichtig sind, noch laut zu rufen: Wo ist das Geld? antwortet ihnen Heeger mit der Feststellung, daß im Augenblick der Auflösung gar kein Geld mehr da Var, weil eS vor- her beifritrgeschafft wurde! Was die Unverläßlichkeit betrifft, gegen die die SdP so heftig opponiert, so sei nur daran erinnert, daß dieses Wort schon vorher im Sprachschatz der SdP bestand: Wenn ein Arbeiter nickt Mitglied der SdP ist, so ist er unverläßlich und bekommt bei In der großen politischen Aussprache über daS Staatsverteidigungsgesetz fanden unsere Genossen auch Gelegenheit, sich mit der verantwortungslosen Politik der SdP auseinanderzusetzen. Herr Sandner hatte in seiner Dienstag-Rede nach seinem längst vergilbten Rezept wieder die deutschen Regierungsparteien attackiert, sie als „bedeutungslos" abgetan und ihre Legitimation zur Vertretung sudetendeutscher Interessen bestritten. Ihm antwortete gestern Genosse Jak sch, welcher mit Entschiedenheit die These vertrat, daß die Rettung drs^ sudetendeurschen Volkes mit der Rettung des Friedens unlösbarver- kn ü p f t sei. Darum kämpft unsere Partei leidenschaftlich gegen jene Stimmungen«nd Strömungen, die den Krieg als Helfer und Erlöser herbeisehnen. Der Sprecher der SdP in diesem Hause hätte der Sache des Friedens einen großen Dienst erweisen können durch eine eindeutige Absage an alle Spekulationen auf den su- drtendeutschen JrredentiSmus. Herr Sandner bas Hirse historische Lcrpflicktung n ich t erfüllt, ss stndttv st»^k l e A im» tnrm g r M gemacht und an den erzielte» Verbesserungen kleinliche Partrikritik geübt. Jaksch setzte sich weiter mit der Behauptung Sandners auseinander, daß der deutsche Aktivis- mus keine politische Legitimation besitze, weil er Nicht die Mehrheit der Deutschen vertrete. Dasei eine gefährliche Argumentation, denn die aktivistische Minderheit im deutschen Lager ist weit größer als die deutsche Minderheit innerhalb der Staatsbevölkerung! Wer den Standpunkt verttitt, daß eine Minderheit nichts zu reden habe, der liefert zugleich dem tschechischen NattonalismuS die Begründung für die Bagatellisierung der sudeten deutschen . Forderungen. Die kleine Partei der tschechischen Realisten habe die Geschicke des tsche-, chischen Volkes führend zum Guten gelenkt. Nicht die Zufallsmajorität eines vergänglichen Wahlsieges entscheide, sondern die Idee. Zur vollen Sicherung des Staates sei es aber notwendig, daß die I d e e n M as ar y k s auch auf sozialem und nationalem Gebiete in die Tat umgesetzt werden! „Nut zur Lösung des tschechisch-deutschen Problems“ Ein Vorstoß des tschechischen Genossen Dr. Mares Auch der tschechische Genosse Dr. Mares befaßte sich später mit begrüßenswerter Objektivi- tät mit dem tschechisch-deutschen Verhältnis. Er stellte ausdrücklich fest, daß dieses Problem weiter ex i st i e r e und daß man es von tschechische Seite nicht mit dem Hinweis auf die in den Friedensperträgen, Gesetzen etc. verbürgten Rechte der Minderheiten aus der Welt schaffen könne. Wenn Sandner daS Verhältnis der SdP zur StaatSvettei- digung mit einer Reihe von„W e n n..." verklau- iuliert habe, so habe er der tschechisch-deutschen Annäherung wahrlich nicht gedient und vor allem jenen die Aufgabe erschwert, die ckn die Lösung diese-.Problems reell^h.esangehen wollen,- ,,• Wenn hiervondeurscker Seite Beschwerdest vorgebracht werden, so müsse man wohl unterscheiden, ob sie durch Ueberindustrialisierung der deutschen Randgebiete und durch die Wirtschaftskrise hervorgerufen oder zu einem gewissen Teil nur Agitationsmittel und Gegenstand des Li- zitierens sind. Wenn solche Beschwerden auch aus der Rede des Abg. Jaksch herauszuhören waren, so müssen wir, erklärte Dr. MareS dezidiert, den Dingen auf den Grund gehen und feststellen, ob nicht wirklich zu Unrecht der deutsche Arbeiter von seinem Arbeitsplatz verdrängt«nd den Abiturienten der deutschen Schulen ihr Anteil an der kleinen Partien verwehrt wird, die der Staat heute bieten kann. Ei» einziger billiger Erfolg eines Tschechen auf Kosten eines deutschen schädigt die Interessen aller der Millionen von Tschechen. Steht ein solcher Erfolg dafür, daß der wirklich demokratische Teil des deutschen BolkeS im Grenzgebiet geistig und phvsisch niedergedrückt werde? Wohin haben wir die attiviftischcn Schichten deS deutschen Volkes gedrängt? ES gab Zetten, wo wir viele Dinge rnhiger und billiger hätten lösen können. Mala Von Wer« Inder. Im Süden, an den Ufern des Schwarzen Meeres, " liegt eine kleine Stadt. Sie hat, wie üblich, eine alte genuesische Festung, welche aus Trümmern, Unkraut und Eidechsen besteht. Drinnen ist eine griechische Käffeestube, an deren Wänden sich eine hundertjährige Glycinie emporrankt und ihre seidigen Blütenblätter in den samtglatten Kaffee fallen läßt. In der Stadt gibt es auch einen Markt, der im Sommer voll von Flundern und Pfirsichen ist. Die jungen Maiskolben auf dem Markt haben zarte, graue Härchen und Mausezähnchen; das übrige ist mit eifier grünen Haube bedeckt. Außerdem gibt es im der Stadt noch ein Kino und zwei oder drei Behörden; aber am Ende jeder Srraße ist daS Meer, und alle- andere ist nichts im Vergleich dazu. Auf dem Strand find Netze ausgespannt und Boote ruhen sich aus, auf dem Rücken oder auf dem Bauch. Manchmal rollt eine lange, schaumlos, wie Glas geschliffene Welle heran und, verläuft sich zischend im Sand. In der Stadt gibt es ein Museum... Wenn die Griechinnen auf ihre Männer warten und das Abendessen bereiten, unterhalten sie sich darüber, daß der alte Stawraki, der jetzige Museumsaufseher, und früher einfach ein reicher Mann, daß dieser Stawraki der Enkel eines Schmugglers sei, der sich ein schönes, geräumiges Haus gebaut hatte und auf den Tischen und Diwans all die Wunderdinge und Raritäten ausbreitete, die er i» fremden Ländern gesammelt hatte. Darunter war auch ein persischer Schal, weiß und rosa wie Rosen im Schnee. Sein Sohn Hadrian hatte schon keinen so anständigen Beruf mehr. Er lebte in einer großen Stadt, in Odessa . Dort hatte er einen Laden, in dem Korallen und Kanarienvögel verkauft wurden. Aber sein Sohn, der auch Hadrian hieß, dachte gar nicht mehr daran, den Läden zu übernehmen. Er verkaufte ihn, richtete einen Obsthandel ein, aber selber verkaufen tat er nicht, sondern nahm einen Geschäftsführer. Er selbst fuhr ins Ausland, lebte sehr lange dort, heiratete aber nicht. Dann kehrte er in seine Heimatstadt zurück» setzte das Haus seines Großvaters instand, er schmückte es auch wunderbar aus. Der persische Schal seines Großvaters litt nicht mehr Einsamkeit; er hatte eine ganze Kollektion Kameraden, ebensolche persische Schals wie er. Außerdem gab es dort Bilder, Statuen, alte Möbel, Spitzen und Minerale. So lebte der alte Stawraki, bis er alt wurde. Aber dann kam die Revolution. Das Haus des Hadrian Stawraki wurde in ein Museum umgewandelt und sein früherer Besitzer zum Aufseher gemacht. Als Wohnung wurde ihm ein Eckzimmer zugewiesen, in dem früher eine große weiße Statue lebte, die ein nacktes Mädchen mit einem Spiegel darstellte.- 2 Es ist Sonntag und im Museum sind besonders viele Besucher. Die Tochter der Krämerin Diamando ist schon ganz außer Atem. Sie muß nämlich Eintrittskarten verkaufen und den Besuchern Schirme, Stöcke und sogar Pfeifen abnehmen. Die letzte Vorschrift wird besonders streng befolgt seit dem Vorfall mit dem Fischer Christi, der vor dem Bild des italienischen Malers Canaletto stehen blieb und auSrief: .„Ein schauderhaftes Boot! Verflucht will ich sein, wenn man darin gegen den Wind rudern kann!" Und dabei stieß er mit seiner Pfeife so stark gegen die Leinwand, daß auf der zarten Oberfläche des Meeres ein Loch entstand. Worauf der Vorsitzende des„Fischerbüros", ein junger russischer Bursche, Pavel Sujew, ihm vorwurfsvoll sagte: „Genosse Christo, wir hielten Sie für einen bewußten Menschen, aber Sie haben das Gegenteil bewiesen. Ist es denn überhaupt denkbar, einen Gegenstand der Kunst auch nur mit dem Finger zu berühren? Auf keinen Fall." ; z Di« Arbeiterin Dorotschka Reußmann, braungebrannt, stürmisch, eine begeisterte Sportlerin, die auf dem internationalen Wettschwimmen alle Rekorde geschlagen hat, steht vor einem Gemälde, das eine Spanierin darstellt, in einem steifen Kleid, mit perlengeschmückten Haaren, und erklärt. ihren Freundinnen: „Denkt euch doch nur,- wie daS war, wenn sie sich alle zwei Stunden ihr Haar machten und sich nie richtig wuschen. Und das Kleid... Natürlich haben sie wie Parasiten gelebt." „Aber..."»sie blickt in das Gesicht, sieht darin ein leises Lächeln und fügt fast flüsternd hinzu—„aber sie ist dach sehr schön." Da geht der alte Stawraki vorbei und Dorotschka Reußmann verstummt. An einer anderen Wand steht ein Pionier vor dem Abguß des David von Michelangelo . Er steht breitbeinig da, die Arme auf dem Rücken verschräntt. Seine Mütze ist in den Nacken geschoben, seine rote Krawatte ist fest über der Brust "-rknotet. Schließlich knipst er-Mit den Fingen und ruft aus:„Ein begabter Alter!" „Wer?" fragt streng Stawraki, der seinen Ohren nicht traut. Aber der Pionier ist nicht so leicht einzuschüchtern wie d.ie Arbeiterin Dorotschka Reußmann. «Na, Michelangelo natürlich", antwortet er. „Was doch der Bursche für einen Bizeps hat. Und die Beine! Ja, wissen Sie, der würde bei einem Wettrennen jeden Rekord schlagen, ans jeder Strecke, sogar, wenn er Vorsprung gibt." 3. Der einäugige Afanaffi, jetzt Museumswächter und gleichzeitig Köchin, Waschfrau und Zimmermädchen des alten Stawratt, bringt auf einem kleinen Tablett das* Abendbrot: dicke Sahne in eine« flachen Steingutschale, Gebäck, Butter und Wabenhonig auf einem Weinblatt. Ein köstliches Abendmahl, daS auch ein Grieche der Antike nicht ablehnen würde. Außerdem bringt Afanaffi noch einige Briefe» den gestempelten Fang, den das Meer heMe auf den Schreibtisch des alten Stawraki angeschwemmt hat. Stawraki schraubt den Docht der Petroleumlampe tiefer, verzehrt langsam sein Mahl und überfliegt die erhaltenen Briefe. Sie sind uninteressant. Zwei, drei von seinen Kollegen. Einer von der Zentralbehörde, eigentlich kein Brief, sonders ein« offizielle Verordnung über die Ausfüllung von Fragebogen durch di: Besucher (ein Formular ist beigelegt). Der Alte lächelt ironisch und legt die offiziell« Verordnung beiseite. Und hier endlich ein richttger Brief. Auf einem gewöhnlichen Kuvert ist mit blaffen, ausdruckslosen Buchstaben die Adresse geschrieben. Er öffnet den Brief und liest:.Lieber, teurer Onkel!"— Er hält inne und blickt auf die Lampe ; Onkel, ja wessen Onkel ist er denn? (Fortsetzung folgt.).
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16 (30.4.1936) 102
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