Sozialdemokra

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION   UND VERWALTUNG PRAG   XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB  . VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG  .

16. Jahrgang

Dienstag, 5. Mai 1936

Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5 Heller Porto)

Nr. 105

Großer Sieg der französischen   Linken Das politische Ende

146 Sozialisten, 73 Kommunisten Absolute Mehrheit der Volksfront

Der Sozialismus und die Demokratie haben in Frankreich   eine harte Wahlschlacht geschlagen und einen überlegenen Sieg errungen, der das Herz jedes Sozialisten höher schlagen läßt. Nach all den Prophezeiungen von Hitler­anbetern und Miesmachern, daß es mit dem Sozialismus nun endgültig abwärts gehe, haben wir kurz hintereinander Siege der Sozial­demokratie in den nordischen Ländern, in England, in Spanien   und nun auch in Frankreich  . Die faschistische Welle hat sich überschlagen, die Demotratie. ist wiederim Vormarsch. In der Stunde des Jubels und der Freude, die wir ob des Sieges unserer französischen Freunde r leben, wollen wir nicht vergessen, daß der Fa schismus in Europa   eine Macht darstellt, die nicht unterschätzt werden darf. Hitlers   Herrschaft in unserem größten Nachbarstaat bedeutet ständige Kriegsgefahr und Mussolini   hat durch den Sieg über Abessinien seine Macht gestärkt. Aber das Ziel des Faschismus, ganz Europa   zu unterjochen und die sozialistische Arbeiter­bewegung zu vernichten, mehr als ein halbes Jahrhundert Geschichte einfach auszulöschen

dieses Ziel wird. nicht erreicht werden. Der europäische europäische   Faschismus hat seinen Höhepunkt überschritten, Frankreich   und England sind für ihn ebenso verloren wie die nordischen Staaten, die Schweiz   und die Tschechoslowakei  . An der Demokratie und am Sozialismus liegt es nun, auszuharren und nicht nur das, wieder berwärts zu schreiten, den verlorenen Boden zu rückgewinnen im Bunde mit allen, die den Fa schismus als Todfeind aller Kultur und Mensch­lichkeit ansehen. Für alle diese und insbesondere für uns Sozialdemokraten sind die Wahlen in Frankreich   die frohe Botschaft. Wir beigen Euch hoffen!

Paris  . Das Innenministerium veröffentlicht eine Statistik über die künftige Zusammensetzung der Kammer nach dem Ergebnis der, Stichwah­len. Bei einer Gesamtzahl von 618 Mandaten fehlen drei Ergebnisse, und zwar aus Martinique, Guadeloupe   und Dran. Die politische Gruppierung der neuen Rammer ist folgende:

Kommunisten.

Unabhängige Kommunisten( Prolet. Vereinig.) Sozialisten.

Republikanisch- sozialistische Vereinigung.

Unabhängige Sozialisten

Radikale und Radikal- Sozialisten

Volksfront insgesamt:

Unabhängige Radikale

•

+

•

Republikaner der Linken und des Zentrums Volksdemokraten

Republikanisch- demokratische Union Aeußerste konservative Rechte.

Rechte insgesamt:

Zahl Gewinn Verlust

.

73 10

62

+

146 50

||| g| 3

11 1999

12

43

+

+

25

9

+

115

379

•

+

31

·

34

4

83

-

16

23

88

11

+

236

1725

1

Unter den wiedergewählten bekannten Persönlichkeiten befindet sich auch Herriot  . Ueber das Wahlergebnis meldet Havas: In siegesfreudigen Aufschriften teilen die Blätter der äußer­sten Linken mit großer Freude und tiefer Befriedigung den Wahlerfolg der Volksfront mit. Auf der Rechten herrscht große Bestürzung über die mit elementarer Wucht hereingebrochene Links= schwenkung der Wählermaffen, die nicht einmal die schwärzesten Voraussagen ahnen ließen."

Sozialisten zur Kabinettsbildung bereit

Vier Mitglieder der Regierung wurden gefäumen wollen, daß wir bereit sind, die Aufgabe schlagen, ein fünftes Mitglied hat nicht kandizu erfüllen, die uns als stärkste Kammergruppe diert. Bei dieser Situation erscheint der Fort- gebührt, nämlich die Regierung der bestand des Kabinetts Sarraut   und seine 2oIts front zu bilden und zu leiten. Das Interesse Europas   wendet sich nun der Vorstellung in der neuen Kammer unmöglich. Die Verhandlungen der nächsten Tage wer­Frage zu: Was wird in Frankreich   geschehen, Das Kabinett verbleibt wahrscheinlich bis Ende den sich hauptsächlich um die Unterredungen der wie wird die neue Regierung des Monas im Amte, wo dann der Präsident der Führer der Linksfront, namentlich Leon Blums  ausschauen? Daß der französischen   So- Republik eine Persönlichkeit mit der Zusammen- und des Vorsitzenden der Radikalen Partei, Da­zialdemokratie und ihren Führern eine sehung des neuen Kabinetts betrauen wird. ladier, drehen. Die Kommunisten erklärten, in bedeutsame Rolle bei der Regierungsbildung zu Der sozialistische Deputierte Leon Blum   die Regierung nicht einzutreten, sind jedoch fallen wird, steht außer Zweifel. Die französische erklärte: Wir beharren auf unserer Erklärung, bereit, ein Kabinett der Linksfront je nach ihrem Sozialdemokratie wird ihre Entscheidung fällen, wobei wir auch nicht eine einzige Stunde ver- Programm zu unterstützen. getragen von der Verantwortung, die sie der ge= jamten europäischen Demokratie und der Ar­beiterbewegung aller Länder gegenüber in diesem Augenblide trägt. Freilich ist sie, obwohl nun­mehr die stärkste Partei der Kammer, nur ein Teil der siegreichen Linken. Neben ihr sind die Kommunisten und die Radikalsozialisten. Die Kommunisten das sei schon heute ge An Bord des englischen sagt tragen die Mitberantwortung für das Kreuzers ,, Enterprise" Schicksal der französischen   Demokratie, sie werden

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jezt die Probe darauf abzulegen haben, ob sie ihren eigenen ansehnlichen Erfolg, den sie der Stichwahlhilfe der Sozialisten und der Radikalen berdanken, in die Waagschale werfen und so mit­helfen werden am Triumphbogen der europäischen  Demofratie mitzubauen.

Der Negus nach Haifa  

unterwegs

London  . Der Negus ist mit seiner Familie am Sonntag gegen 2 Uhr nachmittags mit dem Zuge in Dschibuti  , dem Hafen von Franz- Somaliland, eingetroffen. Schon vor seiner Abreise aus Addis Abeba   hatte er dem eng­lischen Gesandten den Wunsch mitgeteilt, sich mit seiner Familie na ch P a 1 ǎ= stina zu begeben. Die britische Regierung hat, wie Außenminister Eden im Unterhaus mitteilte, es für ihre Pflicht gehalten, diesem Wunsche nachzu­kommen und die Reise des Negus nach Jerusalem   zu erleichtern.

Mit Zustimmung der französischen   Regierung wurde der britische Kreuzer Enterprise" nach Dschibuti   beordert, um den Negus und seine Beglei tung direkt nach Haifa   zu bringen. Der Negus hat sich mit seiner Familie am Montag an Bord des Kriegsschiffes begeben, das um 7 Uhr in See ging. Er hat die Erklärung abgegeben, daß er auf die Leitung der Staatsgeschäfte verzichtet und sie auf den Ministerrat übertragen hat.

des Negus

Ein symbolischer Fall

Wie die Laufbahn so vieler berühmter Män­ner vor ihm, solcher, die unstreitig größer, und solcher, die kleiner waren als er, endet auch die politische Karriere des Negusa nagast Hailé Se­laffié mit wenig rühmlicher Flucht. Dennoch wird jener Mensch, der sich einen Rest moralischen Be wußtseins und kulturellen Schamgefühls bewahrt hat, den Fall des dunklen Kaisers nicht ohne bits tere Gefühle ansehen. Nicht daß es, wo so viele Opfer fielen und Tausende Untertanen des abes= jinischen Selbstherrschers grausamer endeten, um das persönliche Schicksal des einen Mannes ginge. Aber es geht von diesem einen Fall eine zu starke Symbolwirkung aus, als daß man nicht einmal den Teil für das Ganze, den einen für viele nehmen und sich bewußt werden mußte, daß mit Haile Selassié   und sei­nem Staate e in Prinzip unterlegen ist. Die Niederlage dieses Prinzips aber schließt vielleicht für viele der heute lebenden und das Schicksal Abessiniens gleichgültig Mit- Erlebenden die Sicherheit eines düsteren Endes ein.

Haile Selassié   war vielleicht der letzte Staatsmann beider Hemisphären, der an jenen neuen Geist der Weltpolitik und des Völker­lebens glaubte, der seit 1917 die Erde erfaßt haben wollte. Er ist in gewissem Sinne der Letzte von Woodrow Wilson   dü= pierte Politiker gewesen, ein Spätling unter den Illusionisten, die vor fast zwei Jahr­zehnten die lockenden Klänge des Rattenfängers von Washington   für die Verheißung einer wirk­lich besseren Zukunft nahmen und ihm in deit verzauberten Berg folgten. Der Völkerbund  , den der amerikanische   Senat schon 1919 durchschaute und ablehnte, an dem dann soviele gezweifelt. den soviele halb ernst genommen, zu dem die meisten wohl die Stellung bezogen haben, die der Komiter Vallentin zu seiner Brille ohne Gläser hat: ,, Besser als gar nichts!" dieser Völkerbund erschien dem Aethiopierfürsten als eine Institu tion, auf die man bauen könne. Haile Selassié  hätte seinen Thron und die Unabhängigkeit ſei= ner amharischen Feudalherren auf mancherlei Weise retten können. Er konnte im vorigen Früh­jahr einen Präventivkrieg gegen die Italiener führen. Er konnte sich mit Mussolini   verständi­gen, indem er ihm ein Drittel seines Reiches hin­warf und für den Rest eine italienische Ober­hoheit in Kauf nahm. Er konnte durch Abtretung der Randprovinzen die Italiener hinhalten und inzwischen wirklich rüsten. Jeder dieser Versuche wäre aussichtsreicher gewesen, als das, was er dann getan hat, getan im Glauben an die Heilig= feit der Verträge, im Glauben daran, daß die Mächte, die täglich von den heiligen, unauflösli­chen, unverbrüchlichen Verträgen reden, für die Einhaltung dieser Verträge etwas tun würden.

Die Mächte haben Abessinien untergehen

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den er

lassen. Mit den lächerlich sanften", gerade die nicht erfassenden friegswichtigsten Rohstoffe Santtionen haben sie Mussolini   eher gestärkt und jedenfalls ermuntert, als geschwächt. Sie haben dem römischen Kater, der die abessinische Maus Ebenso wird es bei den kommenden Ent fing und noch zappeln und umherlaufen ließ, ein scheidungen auf den zweiten Partner der fran­wenig das Fell gefrault: negen den Strich, daß zösischen Sozialdemokratie, die Radikalen, der Kater manchmal bös knurrte und fauchte. antommen, die bei den Beratungen über das Aber mehr taten sie nicht. Mussolini   durfte den Programm der kommenden Regierung zeigen Widerstand der äthiopischen   Krieger mit einem müssen, ob sie den ernsten Willen haben, einem der scheußlichsten Giftgase brechen und zugleich vier Verträge in einem: den Frieden radikal- demokratischen, wirtschafts- umgestaltenden formell nie aufgekündigt hatte den Völkers und sozialpolitischen Regierungsprogramm zuzus stimmen. Nur so kann der Wille der Wähler, der bundpakt, den Kellogpakt und die Gaskonvention. Ruck nach links, in der Bildung einer ausge­In Dschibuti   wurde der Negus vom fran- eine kurze Mahlzeit ein; sie hatte seit dem Abend Die Mächte taten ihm nichts. Und diejenigen un sprochen linken Regierung zum Ausdruck kommen. zösischen Gouverneur und dem militärischen Orts- zuvor nichts zu sich genommen. Zum Kaiser, der ter den europäischen   Mächten, die am lautesten Die Rechte ist wohl besiegt, aber sie ist weiter ein fommandanten in Galauniform empfangen. Eine die Nacht im Palais verbrachte, wurde niemand die Heiligkeit der Verträge hinausgeschrieen hat­Faktor der französischen   Stammer, eine Uneinia Stompanie Senegalschüßen bildete Spalier. Der zugelassen, außer den offiziellen Persönlichkeiten. ten, wenn es ihre Sache betraf, waren zuerst feit der Linken würde die Position der Geschla Staiser lehnte jedwede Abgabe von Erklärungen bereit, die Vertragsverlegung in Afrika   zu sant­genen stärken. Dazu werden es die demokratischen ab. Ein italienischer Journaliſt versuchte, den sich der Negus in den Tagen vor seinem letzten zuletzt hatte der Negus auf Genf   gesetzt und Nach Meldungen aus italienischer Dulle hat tionieren, statt sie unter Sanktion zu stellen. Bis Sieger nicht kommen lassen. Negus zu photographieren, doch wurde er recht­Europa ist heute das Schlachtfeld zwischen zeitig daran gehindert. Die kaiserliche Familie fuhr Aufenthalt in Addis Abeba   in einem Kloster süd- Silferuf über Hilferuf nach Genf   entsandt. Statt faschistischer Reaktion und demokratisch- soziali- vom Bahnhof zum Palais des Gouverneurs. Zu- lich von Sokota, also in einem von Italienern Waffen und Geld erhielt er Vertröstungen dar­stischem Fortschritt. Die Schüßengräben ziehen fammen mit dem Negus trafen etwa 30 hohe schon lange besetzten Gebiet, verborgen gehalten, über, daß alles sich im„ Geiste und im der Verfolgung Rahmen des Völkerbundes" ab­jich durch alle Länder. Wohl halten die Faschisten abessinische Würdenträger in Djibuti   ein. Im Ge- nachdem es ihm gelungen war, durch den aufrührerischen Galla- Stamm zu entwickeln werde. Der Rahmen ist aus Tanks und große Territorien noch in ihrem Bejiß, aber ein folge des Kaisers befand sich auch Prinz Ma­großes Land ist ihren Raubtiertrallen entrissen tonnen und die faiserlichen Brinzessinnen, wei- sehen. Italienische Kundschafter hatten dieses Ber Bombengeschwadern gebaut, der Geist ist ters Ras Kassa, der Außenminister und ſted ausfindig gemacht und italienische Flugzeuge Senf gas. Auch für uns nähert sich die Stunde des andere Würdenträger. Ser Strifer ita in Palais Addis Abeba   zu erreichen trachtete, feine Berfol­Vormarsches. Vorläufig heißt es für uns: Ar- und sichtlich ermüdet. Nach der Ankunft im Palais des Gouverneurs nahm die Familie des Negus| beiten und bereit sein!

worden.

übernahmen, als der Negus mit kleinem Gefolge Fortschung auf Seite 2)

Es geht uns alle an und darum rührt es gleichgültige, vielleicht trop aller Ritterlichfeit

beklemmend an unser Herz, wenn dieſer an sich