Freitag, 15. Mai 19S6
Nr. 114
16. Jahrgang
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IE NTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOnOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME OES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung präg xiufochova 42. Telefon non. HERAUSGEBER« SIEGFRIED TAUB. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR« DR. EMIL STRAUSS  , PRAG  .
Der Außenhandel im April Ausfuhr geringer als im Vorjahr Aus den vom Statistischen Staatsamt ver­öffentlichten Ziffern über den Außenhandel im April geht hervor, daß die Entwicklung der Aus­fuhr in dem genannten Monate nicht günstig war. Während im April 1935 Waren für 622,036.000 KL ausgeführt wurden, waren es ,1936 nur 569,626.000. Dagegen ist die Einfuhr gestiegen und zwar von 518,604.000 KL sm April 1935 auf 654,563.000 im April 1936. Daß mehr Rohstoffe eingeführt werden als im Vorjahre ist immerhin eine Hoffnung, daß die Verringerung der Ausfuhr im Monate April nur eine vorüber­gehende ist. Was die Entwicklung des Außenhandels In den ersten vier Monaten 1936 betrifft, sind die Ziffern der Ausfuhr nur wenig höher als im Vorjahre. Die Ausfuhr betrug in der Zeit von Jänner bis April 1935 2202,510.000 KL, heuer 2297,136.000 KL, die Einfuhr 1865 Mill. 619.000 KL und 2316 Mill. 220.000 KL.
Sozialdemokratische Kundgebung in Berlin  Tausende beim Begräbnis Klara Boehm- Schuchs DerPrager Presse" wird aus Berlin   ge­meldet: Die Becrdingung der früheren langjähri­gen Rrichstagsadgrordneten der Sozialdemokrati­schen Partei Deutschlands   Klara Bohm- Schuch, die vor einigen Tagen em Alter von 47 Jahren einem Schlaganfall erlegten war, ging gestern unter überraschend großer Beteiligung der früheren sozialdemokratischen Parteimitglied­schaft vor sich. Obwohl Tag und Stunde der Be­erdigung öffentlich nicht bekanntgegebrn worden war, hatte sich vor dem Friedhof Baumschulwrg eine nach mehreren Taufenden zählende Men­schenmenge versammelt, von der nur ein kleiner Teil zur eigentlichen Traurrfeier Einlaß fand. Bei keinem der zahlreichen Begräbnisse von be­kannten sozialdemokratischen Parteifunktionären, die in der letzten Zeit stattfanden, hatte sich eine so beträchtliche Zahl von Traurrgästen eingefun- den. Am Grabe der Verstorbenen wurde eine Rede gehalten, in der die Bedeutung der Toten gewür­digt wurde.
Absage der französischen   Kommunisten Paris  . Der politische Ausschuß der kom­ munistischen   Partei hat Donnerstag nachmittags die Antwort an die Sozialisten auf dir Einladung der Kommunisten zur Regierungsteilnahme aus­gearbeitet. Die Kommunisten erklären» daß sie in die Regierung nicht eintreten, sie jedoch bei der Berwirklichung ihres Linksprogrammes loyal und aufrichtig unterstützen werden.
England gewinnt Aegyptens Freundschaft Der LondonerDaily Herold" veröffent­licht ein aufsehenerregendes Interview seines Korrenspondenten mit dem Führer, der ägyptischen Wafd-Partei, dem neuen Premierminister Na­has Pascha, der bisher als Vorkämpfer der eng­landfeindlichen ägyptischen Nationalisten galt. In dem Interview, das am Montag, also am Tage nach derKaisetproklamation" Mussolinis stattfand, erklärte Nahas Pascha:Die Parla­mentsmitglieder glauben, daß man sie bald ein­berufen wird, um einen Bündnis- und Freundschaftsvertragmit Bri-j t a n n t e*n zu ratifizieren, der, wie wir hof­fen, für immer die Bande gegenseitiger Achtung und Freundschaft festigen wird, die bereits zwi­schen den beiden Ländern bestehen." Diese Fest­stellung ist, wie der.Daily Herald" hinzufügt, von besonderer Bedeutung im Hinblick darauf, daß in ägyptischen Parlamentskreisen der Glau­ben herrscht, daß Mussolinis Traum von einem östlichen.Imperium Aegypten   einschließt. Es scheint also, daß Mussolinis als Schlag gegen das englische Imperium gedachte Proklamation den Effekt hat, die Glieder des englischen Welt­reichs noch fester zusammenzuschmieden.
Schuschnigg   entfernt Starhemberg Widerstandsversuch des Ausgeschifften/ Kein Kurswechsel?
Die Rede, die der Vizekanzler Starhemberg   dar einigen Tage» in Horn hielt, ließ große Spannungen innerhalb des österreichischen Kabinetts erkennen. Diese Spannun­gen habe« sich durch die sonntägigen Vorfälle in Nie« und vor allem durch das eigenmäch­tige außenpolitische Vorgehen Starhembergs so gesteigert, daß sich Schuschnigg   veranlaßt sah, die Zusammenarbeit mit seiuem meist betrunkenen und immer»nznrechnnngsfähigcn Vizekanzler anszugebea. Er warf Starhemberg   regelrecht aus der Regierung hinaus und mit Starhemberg auch dessen Intimus, den Außenminister Berger-Waldenegg  . De  » letzten Anstoß zu diesem Schritt soll das Einschreiten der englischen Gesandtschaft wegen des Glückwunschtelegramms gebildet haben, das Starhemberg an seinen Geld- und Auftraggeber Mussolini   anläßlich der Annektion Abessiniens geschickt hatte.
Die neue Regierung Die amtliche Mitteilung über den Regie­rungswechsel lautet: Bundeskanzler Dr. Schuschnigg   überreichte dem Bundespräsidenten Miklas   seine Demission. Ter Bundespräsident entsprach diesem Ansuchen, betraute aber gleichzeittg Dr. Schuschnigg mit der Bildung der neuen Regierung und über­trug ihm dir Leitung des Amtes des Bun­deskanzlers sowie des Amtes des A u ß e n- Ministers und die Leitung der Landesverteidigung. Ueber Vorschlag Dr. Schuschniggs ernannte der Bundespräsident folgende Minister und Staatssekretäre:> Zym Stellvertreter des Bundeskanzlers Eduard Baar-Baarenfels  , welcher gleich­zeitig mit der sachlichen Leitung der Ange­legenheiten der inneren Verwaltung ein­schließlich der Sicherhritsbehörden betraut wurde(Heinuvehr); zum Justizminister Hans Hammer st ei n- E q u o r d a(Hrimwehr); zum Unterrichtsminister Dr. Hans Pern- 1er; zum Minister für soziale Verwaltung Doktor Josef Resch  ; zum Finanzminifter Dr. LudwigDrazel (Hcimwehr); zum Handels- und Berkrhrsminister Fritz .Stockingrr; zum Staatssekretär für Landesverteidigung den General der Infanterie W. Zehner; zum Staatssekretär im Bundeskanzleramte Quido Zernatto. Der Vorschlag betreffend die Ernennung des Ministers für Land- und Forstwirtschaft bleibt Vorbehalten. Bis zur Ernennung des neuen Mini­sters wird Bundeskanzler Dr. Schuschnigg   dieses Ressort leiten. Die Mitglieder der neuen österrei­ chischen   Regierung legten den Eid in die Hand des Bundespräsidenten   ab. Der bisherige Vizekanzler Starhemberg   gehört der neuen Regierung nicht an. Die Regierung hat sich die Aufgabe gestellt, alle Kräfte der Vaterländischen Front zu konzen­trieren. Schuschniggs verstärkte Stellung Die Vereinigung wichtiger Ministerien in der Hand Schuschniggs stärkt dessen Position in der Regierung außerordentlich. Aufmerksamkeit erregt nicht nur die Entlassung Berger-Walde- neggs, sondern auch die Auswechsiung des Sozial­ministers Dobretsberger durch den Christlichsozia­len Dr. Resch. Schuschnigg   nahm Starhemberg  auch die Leitung der Vaterländischen Front ab, die er jetzt selbst betreut. Starhemberg   mußte seine Zustimmung zum Eintritt von Heimwehrmitglie­dern in die Regierung geben, doch ist der Heim­wehreinfluß im ganzen viel geringer als vorher. Kein Kurswechsel? Schuschnigg   hat sich beeilt, der italienischen Regierung ein Ergebenheitstelegramm zu schik- ken, da die Ausbootung Starhembergs   in Rom  konsternierend gewirkt hat. In diesem Telegramm versichert Schuschnigg  , daß in der Außenpolitik der österreichischen   Regierung keine Aenderung eintre­ten werde. Amtlich, wird außerdem folgendes mitgeteilt:' Die Regierung'wirb hauptsächlich die Kon- i zentration der vaterländischen Kräfte anstrrbrn. i Tiefe Konzentration erfordert allerdings eine
Fürst Starhemberg  , der gestürzte österreichische Vizekanzler
vollkommene Vereinheitlichung der politischen Führung und speziell eine Klärung der Verhält­nisse zwischen der Regierung und der Vaterlän­dische». Front. Aus diesen Umständen heraus übernahm auch Dr. Schuschnigg die Leitung der Vaterländischen Front, so daß der bisherige Du­alismus Schuschnigg-Starhemberg, der die Lösung politischer Fragen hemmte, beseitigt ist. Diese Umstände ermöglichen es dem rekonstruierten Ka­binett Schuschnigg  , die bisherige Innenpolitik und Außenpolitik fortzusetzen. Die Heimwehren blei­ben als Faktor einer konstruktiven Arbeit der österreichischen Staatspolitik erhalten. Schwenkung zur Demokratie? Der Wiener   Reutrrberichtrrstatter meldet, daß die Rekonstruktion des österreichischen Kabi­netts ein enges Zusammenwirken mit den demo­kratischen Elementen des Landes ermöglichen solle. Die Unterstützung der Heimwehren durch Rom   sei in den letzten Monaten sehr, schwach gewesen. Die französischen   Linkskreife fordern die Demokrati­sierung Oesterreichs  . Starhembergs Widerstandsversuch Starhemberg ist nicht freiwillig von seinem Posten geschieden, sondern wurde aus der Regie­rung regelrecht hinausgeworfen. Er versuchte einen Widerstand der Heimwehr zu organisieren, indem er wenige Stunden vor dem Regierungs­wechsel dem Hauptstab der Heimwehren die, Er­lassung des folgenden Befehles äuftrug:Kame­raden, Mitglieder der Heimwehren l Bewahret Ruhe und Ordnung. Lasset Euch nicht provozie­ren und handeltnurnach denBefeh- len Starhembergs I" Die Befehle sind schließlich ausgeblieben, offenbar wurde auch der Aufruf Starhembergs nicht weitergegeben. Der Widerstandsversuch Starhembergs wird auch da- d.urch erwiesen, daß entgegen allen Gepflogenhei­ten, nicht die Regierung um die Demission einkam, sondern Schuschnigg   den Bundespräsidenten um die Abberufung des Kabinetts ersuchte.' *- Starhemberg fuhr. Donnerstag abends nach Rom  , um, wie es heißt, in. seiner Eigenschaft als Führer der Turn- und Sportfront an dem.Fuß- bgll-Länderspiel Oesterreich-Italien teilzunehmen. Man hat erfolglos versucht, ihn von dieser Reise abzubringen. Der Generalsekretär der Vater­ländischen Front, Oberst Adam, ist zurückgetreten. j
Der Rücktritt des österreichischen Vizekanz­lers Starhemberg  , des typischesten Vertreters des Faschismus in diesem Lande, zeigt, daß die Fronten in den faschistischen Ländern in Bewe­gung geraten und daß Oesterreich   seit dem 12. Feber 1934 nicht imstande ist, ein-stabiles Regime einzurichten, daß die Grundlagen des österreichischen Ständestaates im Winde schwan­ken. Die Welt wird nicht überrascht sein, wenn das österreichische Regierungssystem eines schönen Tages zusammenfällt wie ein Kartenhaus. Innenpolitisch bedeutet das Ver­schwinden des praepotenten, unseriösen, alkoholi­sierten und skandalierenden, unwürdigen Nach­kommen des Wiener   Türkenbefreiers zweifellos eine Schwächung des radikalen Heimwehrflügels innerhalb der Re­gierung. Wohl sind weiter Vertrauensleute der Heimwehren Mitglieder des Kabinetts, aber sozu­sagen zivilisiertere, die dem Kanzler Schuschnigg  das Leben nicht so sauer machen werden wie es Starhemberg getan, der seine eigene auswärtige Politik betrieb und mit seiner Pariser   Reise im Winter und jetzt mit dem Telegramm an Mussolini   die Kreise der offiziellen Außenpolitik des Landes gestört hat. Sicher ist, daß die Stellung Schuschniggs, der neben dem Kanzler­amt das Aeußere und die Landesverteidigung leitet, stärker geworden ist und eine kleine Hoff- ! nung bedeutet der neue Dozialrstinifter Resch-, der seinerzeit erträgliche Beziehungen zur Sozial- demoktatie unterhalten hat und ein alter Christ­lichsozialer ist. Wahrscheinlich wird Starhemberg  auch vom Kommando der Miliz entbunden wer­den und lediglich Turn- und Sportführer bleiben. Es ist nicht anzunehmen,' daß er sich mit dieser Rolle wird begnügen wollen, viel wahrscheinlicher ist ein Bündnis zwischen ihm und den bereits früher abgesägten Heimwehr-Intriganten, also eine weitere Verengung und Gefährdung der Regierungsbasis. Autzenpolitis ch scheint uns das Ausschiffen Starhembergs nicht von großer Be­deutung. Wohl galt der Heimwehrfürst mit den großen Schulden und wöchentlichen Skandal­affären als der entschiedenste Vertreter' des italie­nischen Kurses, aber der neue Leiter des Außen­amtes, der Herr Schuschnigg ist, wirb selbst wenn er diese Absicht hätte an der außen­politischen Linie des Landes nicht viel ändern können. Er hat deswegen Mussolini   und Göm- bös sofort verständigt, daß alles beim alten bleibt, d. h. daß Oesterreich an dem römischen Protokoll festhält. Das wird der Bundeskanzler mit höflichen Gesten, die er von Zeit zu Zeit an die Pariser  , und Prager   Adresse richten wird, zu vereinen wissen. Das erscheint uns auch als das Entschei­dende. So lange Mussolini   der eigentliche Herr am Wiener Ballhausplatz'.st, ist an eine wirkliche Schwenkung in der österreichischen Politik nicht zu denken. Das Schicksal Oesterreichs   ist seit Kriegsende von den internationalen Verhält­nissen und der Mächtegruppierung Europas  entscheidend beeinflußt worden, eine wirkliche Umkehr in Oesterreich   ist von einer außen­politischen Wandlung zu erhoffen, oder vielmehr vom Eintreten außenpolitischer Ereignisse, welche die österreichischen Machthaber dazu zwingen, werden, die sozialen Grundlagen der Regierungs­macht zu verbreitern? Das kann für diejenigen, welche den Anschluß an das Dritte Reich nicht wollen, nur die Annäherung an die demokratisch- sozialistische Arbeiterschaft sein. So lange das nicht geschieht, wird man Herrn Schuschnigg irgend einen innenpolitischen Kurswechsel nicht glauben. Das Regime des Bundeskanzlers wird stets ein schwankendes bleiben, es wird sich nur bei Windstille erhalten, der erste Sturm stnrd es umwerfen, wenn er nicht dafür sorgt, seinem Hause solide Fundamente zu geben. Er muß Taten setzen,- will er die Sympathien der demo­kratischen Welt gewinnen. Eine solche Tat wäre, die Schaffung von aus dem freien Willen der Arbeiter entstandenen Gewerkschaften möglich zu machen. Erkennt Herr Schuschnigg   die Zeichen der Zeit nicht, dann kann ihn einst mehr geschehen als in die Wüste geschickt zu werden.