Seite 4Freitag, 15. Mai 1938Nr. 114Vie stärkeren BatailloneDer Leitartikler der„Zeit" mokierte sich inder Mittwochausgabe dieser Zeitung darüber, daßsich Genf immer auf die, Seite der stärkeren Bataillone geschlagen und nie darnach gefragt habe,wo das Recht, sondern immer darnach, wo dieMacht sei. Ganz stimmt die Behauptung der„Zeit" sicherlich nicht. Jedenfalls trifft das vonihr der Genfer Institution vorgeworfene Bestreben westaus mehr auf die SdP zu.Herr Henlein hält es z. B. in D e u t s ch-land unentwegt mit den stärkeren Bataillonenund fragt einen Pfifferling darnach, ob es Konzentrationslager gibt und wie es in ihnen aussieht. Er ist danrit einverstanden, daß die Nazisvon der Macht rücksichtslosen Gebrauch machenund Widerspenstigkeit gegen das braune Regimemit Morden oder durch Kerkerstrasen ahnden.Die stärkeren Bataillone bilden heute auch jeneSdP-Fabrikanten, die sozialistisch gesinnte Arbeiter auss Pflaster werfen und nur Henleinan-hänger in ihre Betriebe einstellen.Es ist gut, wenn man sich über die übleSitte aufhält, den Grundsatz zu mißachten, dereinmal auch im Völkerleben Geltung hatte:„Woes Stärkere gibt, dann immer auf Seite desSchwächeren". Der neue Grundsatz, dem auchdie SdP huldigt, heißt:„Wo es Schwächere gibt,dann immer auf Seite des Stärkeren". Wonimmt also die„Zeit" das moralischeR c ch t her, sich über Genf zu mokieren?Niels Robert äf Ursin, ein Vorkämpfer desfinnischen Sozialismus, ist im Alter von nahezu80 Jahren gestorben. Er war der Sohn einesIlniversitätsprofessors und wurde selbst Lehrerklassischer Sprachen. Auf Reisen ins Auslandnahm er den Sozialismus in sich auf und wurdefortan der Vorkämpfer der Arbeiterbewegung inFinnland. Als 1899 in Abo die Sozialdemokratische Partei gegründet wurde, wählte sie ihn zumVorsitzenden. Der Bürgerkrieg veranlaßte ihn, insAusland zu gehen. Trotzdem verurteilte man ihnnach seiner Rückkehr wegen„Hochverrat" zuZuchthaus, doch wurde er alsbald begnadigt. DemLandtag gehörte er seit der Einführung des gleichen Wahlrechts an und war zeitweise sein Vizepräsident. Er hat das erste Parteiblatt in finnischer Sprache gegründet und bis zuletzt, noch inhohem Alter Bücher und Abhandlungen veröffentlicht.Staatlich betriebener Schmuggel. Der„Daily Telegraph" meldet, daß die britische Regierung in Tokio offiziellen Einspruch erhobenhabe gegen die Begünstigung des Warenschmuggels nach Nordchina durch die japanischen Behörden. Auch die Regierung der Vereinigten Staatenhabe deswegen Vorstellungen in Tokio gemacht,an der ganzen Küste nördlich von Tientsin würdenWaren hauptsächlich japanischer Herkunft zollfreigelandet. Während der letzten Monate habe sich derSchmuggel sehr vergrößert und der Verlust anZollcinnahmen belaufe sich jetzt auf 120.000Pfund in der Woche.Ein diplomatischer Schwindler. Die GenferPolizei hat einen gewissen Maschaureu verhaftet,der behauptet, abessinischer Charge d'affaires inBerlin zu sein. Man fand bei ihm einen falschenDiplomatenpaß und verschiedene Gummistampiglien, die offenbar zur Herstellung falscher amtlicher Dokumente bestimmt sind. Der Verhastetehatte versucht, in Genf mit verschiedenen Dcle-gationc» und. hohen Würdenträgern in Fühlungzu treten^Der Chor„Typographia"-Prag nach So-.,wjetrnßland. Das Radiokomitee der USSR hatseinerzeit den kombinierten Chor des tschechischenArbeitervereins„Typographia" zu Konzerten indie Sowjetunion eingeladen. Die Konzerte destschechischen Chors Werden im September d. I. inder Sowjetunion stattfinden. Die sowjetrussischenMusikerkreise zeigen für diese Konzerte lebhaftesInteresse.Vergiftungen nach dem Genuß von Reiskuchen bei einer Schulfeier in Hamamatsu(Japan) forderten bis jetzt annähernd 50 Todesopfer. Darunter befinden sich 30 Schüler. Vonden insgesamt 1750 Vergifteten sind ferner 127Personen schwer erkrankt.. Anscheinend handeltes sich um einen Racheakt eines entlassenen Angestellten, der in Haft genommen worden ist.Vom Schnellzug überfahren. In Hinter-t k e b a n ereignete sich gestern ein schweres Unglück, bei dem ein Kind ums Leben kam. EinigeSchulkinder, die an den herabgelassenen Schranken auf die Vorbeifahrt des Pilsner Personenzuges gewartet hatten, krochen nach dem Passieren des Pcrsonenzuges durch die Schranken undwurden von dem heranbrausenden PariserSchnellzug erfaßt. Der Lokomotivführer konnteden Zug nicht mehr zum Stehen bringen. MildaE l i ä s e k, zehn Jahre alt, wurde getötet, zweiKinder wurden verletzt.Die englische Fliegerin Amy Mollison, dievor einer Woche den Rekord London—Kapstadtum fast 12 Stunden geschlagen hat, mußte Donnerstag um 19 Uhr 2 Minuten auf ihrem Rückflug nach London eine Zwischenlandung vornehmen. Sie traf um 17 Uhr 15 Minuten über demGrazer Flugfelde ein und flog nach mehrerenKreisen über dem Flugplätze in nördlicher Richtung weiter, mußte aber wegen schlechten Wettersin den Alpen umkehren und in Thalerhof landen.Sie war Donnerstag früh um halb sieben Uhr inKairo aufgestiegen,. hatte in Athen eine Zwischenlandung vorgenommen und wollte bis London durchfliegen.Mussolini— her neue Koloß von Rhodos.Bereits seit zwei Jahren arbeitet man in denWerkstätten von Bongirolamo an einer Kolossalstatue von Mussolini, die auf dem Mussolini-Forum in Kürze aufgestellt werden soll. Die Ausmaße dieser Statue sind so, daß der antike Koloßvon Rhodos, der zu den sieben Weltwundernzählte, neben ihr verschwinden würde. Der Koloßvon Rhodos maß nur 109 Fuß Höhe, währenddie Mussolini-Statue zweieinhalbmal so hoch istiwd genckü'282 Fuß mißt. Ihr'Gewicht wkro nichtweniger als 500 Tonnen betragen. Mussolinisteht, nur miteinemLöwenfellbeklei«d e t, nach antiker Tradition da. Der Schöpfer derStatue ist der BildhauerArnaldo Bellini. Indiesem Zusammenhang mag erwähnt sein, daßdie Naturgewalten sogar den Koloß von Rhodoszerstörten. Bei einem Erdbeben im Jahre224 v. Chr. brach sie in sich zusammen und dieBruchstücke wurden später durch die Sarazenen,die die Insel eroberten, in alle Welt verstreut.Das Sekretariat Roosevelts. Präsident Roosevelt führt eine so umfangreiche Korrespondenz, daßsie sich nur mit denen der größten Filmstars messenkann. Im ersten Jahre seiner Präsidentschaft erhielter täglich im Durchschnitt 10.000 Briefe, die glle erledigt werden mußten. Di« beiden nächsten Jahrewaren etwas„ruhiger", es liefen täglich nur 3000bis 4000 Briefe ein. Aber nun, wo die Präsidenten-1Wahl wieder vor der Tür steht, hat. sein Sekretariatwieder alle Hände voll zu hin. Fünfzig Beamte sinddamit beschäftigt, die Briefe zu ordnen. Dies geschieht in drei großen Gruppen. Tie erste enthältGlückwünsche, Sympathiekundgebungen und ähnlichesund wird durch eine stereotype Dankesformel beantwortet. Di« zweite umfaßt einlaufende Klagen, diezur Untersuchung weitergegeben werden. Die dritteBittbriefe aller Art. Rur ein verschwindend geringerTeil'wird dem Präsidenten selbst vorgelegt, dieübrigen werden von seinen Sekretären erledigt.Uebrigens stammen 90 Prozent der Briefe von kleinenLeuten, die„das Schicksal vergessen, hat" und die sichbeim Präsidenten in Erinnerung bringen wollen.Hochzeit wie noch nie. In einem kleinen Dörfchen in der Vendee, St. Gilbert-de-Bauaine beiSt. Nazaire, fand dieser Tage eine ungewöhnlicheHochzeit statt. Gleichzeitig ließen sich vier Paaretrauen. Di« vier Bräutigame waren sämtliche Brüder, drei der Bräute waren Schwestern. Leider besaßen sie nicht auch eine vierte Schwester, damit manganz„in der Familie" blieb. Die Hochzeit wurde mitgrößtem Pomp und unter Anteilnahme der Bauernaus der ganzen Umgebung abgehalten.Sind dir„Himmelsflöhr" unzuverlässig? Seiteinem Jahr gibt es in Frankreich und in Englandjene berühmten„Himmelsslöhe", diese allerkleinstenEin-Mann-Flugzeuge, deren Kaufpreis und Unkostenganz gering find, kaum teurer als ein mittleres.Auto. Rach sehr großen Anfangserfolgen, dieses neuenTyps, der schon Zehntaüsende von Anhängern gefunden hat, find jetzt in kurzer Zeit nicht weniger alsfünf Todesstürze mit diesen Himmelsflöhen zu verzeichnen. Daraufhin hat sich eine Untersuchungskom-miffion in Frankreich gebildet, deren erste Prüfungenfür di« Konstruktion des„Himmelsslohs" nicht sehrgünstig ausgefallen sind. Man erklärt, der Apparatsei schlecht ausgewogen, so daß er bei stürmischemWeiter Gefahr laufe, das Gleichgewicht zu verlieren.Die Prüfungen werden jedoch fortgesetzt, da seitensder Anhänger des„Himmelsflohs" lebhafter Protesterhoben wurde, jedoch ist damit zu rechnen, daß manzumindest eine neue Konstruktion dieses Flugzeug-tybs verlangen wird, bevor man den Apparat in Zukunft dem Verkauf und Verkehr freigibt.Das schwimmende Aut». Der französische Ingenieur M. Texter hat nach jahrelangen Versuchen daserste Modell seines schwimmenden Autos fertiggestellt,und dieser Tage vorgeführt. Der erste Versuch hattevollen Erfolg, der Wagen fuhr vom Strande beiLe Havre geradewegs ins Meer und bewegte sich aufdem Wasser wie ein Motorboot weiter, drehte dannzurück, kam wohlbehalten auf dem Strand an undfuhr in die Garage. Der Wagen ist ein offenerZweisitzer mit 5 PS, versehen mit einem Seitensteucrund einer automatischen Gleichgewichtsvorrichtung.Statt der vier hat er nur zwei Räder, die sehr großsind und die daher dein Wagen auf dem Lande jedeMänobri ermögllchkest gestatten;Poesie und Technik,(mb.) Der Britische Automo-bilistenverband hat Beobachtungen über die Reocktionder Nachtigall auf die fortschreitende Technisierungdes Lebens angestcllt und gefunden, daß die romantische Sängerin keineswegs vor dem Lärm der Motoren und der Auwhupen die Flucht ergriffen hat. Siehält nicht nur in den Gehölzen an den autobelebtenLandstraßen aus, sondern wandert auch aus denWäldern und Büschen immer mehr in die Parks vonLondon ein. Ein zäher Vogel.Das russische Hollywood. Eine von der Sowjet-Filmindustrie entsandte Kommission ist auf derSuche nach.einem Sowjet-Hollywood, um die Stelleausfindig zu machen, die sich zur Errichtung dergroßen Filmstadt am besten eignet. Das Kubangebiet wurde als ungeeignet befunden. In dieengere Wahl kam Anapa am Schwarzen Meer, daklne schöne Tattschechischer SchulkinderDas Radidjournal erhielt dieser Tage eineseltsame Sendung. Tschechische Schulkinder ausMokropsy hatten eine Sauunlking veranstaltet unddem deutschen Schulfunk ein Paket mit Eiern geschickt, welche unter arme deutsche Kinder verteiltwerden sollten. Das Paket kam zwar etwas be-schädigt an, im Büro des deutschen Schulfunkswurde es aber von den Beamtinnen wieder jnOrdnung gebracht und ergänzt. Das Geschenkwurde an die Volksschule in Neudek wcitergeleitet.dort im Jahresdurchschnitt 233 Sonnentage verzeichnet werden, ein ausgezeichneter Strmid zu finden ist, große Tünengebiete vorhanden sind undeine reichhaltige Flora und Fauna anzutrefien ist.In die Hohe Tatra und nach Bad Lubochna inder Slowakei werden von der tschechoslowakischenStaatsbahn Exkursionen in der Zeit vom 30. Maibis 7. Juni(über die Pfingstfeicriag) mit der Aiög»lichkeit einer Aufembaltsverlängerunz veranstaltetwerden. Tie Kosten für die Tarra-Exkursion(Ta-transkä Lomnice und Strbste pleso) betragen 550 XL,nach Lubochna 420 Xc; im Preise inbegriffen sindFahrpreis für Schnellzug hin und zurück, Logis undVerpflegmig in erstklassigen staatlichen Hotels, Trinkgeld, Gepäcktransport, Führer für die zu veranstal«tenden gemeinsamen Ausflüge und Versicherung.—Vom Mai bis 7. Juni wird eine Touristenreise unterder Devise„W anderungen durch die S lo-w a k e i" für 595 XL veranstaltet werden. Die Ex-kurswn nach Reichen,berg und auf den Jesch-ken am 17. Mai für 95 Xi ist gesichert. Anmeldungenfür die restlichen Plätze mit Anzahlung und detaillierte Prospekte find erhältlich bei dem Tschechoslowakischen Reisebüro der Staatsbahnen und Staatsbäder in Prag, Basar, neben dem Wilsonbahnhof,Telephon 383—35.Ziehung der KlassenlotterleUnverbindlich.Prag. Am Donnerstag vormittags fand mder staatlichen Lotterie-Direktion die letzte Ziehungder 34. tschechoslowakischen Klassenlotterie statt. Aufdas zuletzt gezogene Gewinstlos entfiel eine Prämievon 1,000.000 Ai. Diesen Haupttreffer machte dasmit einem Gewinn von-2000 AL gezogene LosRr. 74.931, welches von einem Prager Losgeschäftin Teillosen an insgesamt sieben Personen verkauftwurde, die zum größten Teile in Prag wohnen»Weiters wurden folgende Gewinste gezogen:10.009»ö die Lose Nr. 101121 55816.5000 Ai die Lose Nr. 95302 34241 78228 11000573212 80285 49675.2000 Kt die Lose Nr. 66091 71351 33247 5351017825 94807 64426 61774 53787 105944 7834 9815812116 105604 109797 89179 9808 91126 7467419304 8975 86044 91535 6868 102207Vom RundfunktalMilaMwwtM mm MM» ProflraMMMiiSamstag:Prag, Sender L: 10.05: Deutsche Presse, 12.16:Operngesänge. 12.35: Mittagskonzert, 15: aus„Aida", 16.50: für die Jugend, 17.55: DeutscheSendung: Aktuelle 10 Minuten, 18.05300 Jahre Klaviermusik, 18.30: Mickeys Maiabenteuer, 18.45: Deutsche Presse, 21: Orchesterkonzert.Sender S: 7.30: Populäres Konzert, 14.10:Deutsche Sendung: Lieder von Streicher und Pro-chäzka. 14.40: Kulturrelief, 18: Leichte Musik.—Brünn: 17.40: Deutsche Sendung: Hauskomponisten.— Preßburg: 16.05: Nachmittagskonzert.—Kascha«: 17.25: Unterhaltungsmusik.— Mähr.»Ostrau: 22.30: Buntes Programm.Ein Österreicherruft zur Besinnung IEin Oesterreicher, der es mit Leib und Seeleist, und dem man weder dieses sein Oesterreichertum'noch di« Unbestechlichkeit seiner Gesinnung mit dembilligen oder verwerflichen Hinweis darauf absprechenkann, das er„Internationalist" oder„Dkarxist" sei,hat gerade in diesen Tagen, da die latent« Krise inunserem südlichen Nachbarstaat von niemandem geleugnet werden könnte, einen prachtvollen und kühnenpublizistischen Versuch unternommen,„PolitischeZeitfragen in ethischer Beleuchtung" von Oesterreich her und mit besonderem Hinblick auf Oesterreich aufzurollen.Man darf vielleicht nicht vorweg feststellen, daßdie offene Sprache, die dieser Oesterreicher in einemin Wien von heute erschienenen Buche zu sprechenvermag, als Beweis dafür gelten kann, daß wir esim österreichischen Kleriko-Fascismus— so furchtbarauch di« Geburtsstunde dieses Systems war und sovormärzlich auch viele seiner andauernden Zuständesind— denn doch mit einer politischen Erscheinung zutun haben, die anders zu beurteilen ist als das DritteReich. Aber nur weil in Oesterreich das Volk sich dochnicht alle Freiheit des Denkens nehmen ließ, konntedort jetzt ein Mann aufstehen und ethisch-politischeWahrheiten aussprechcn. Diese Voraussetzung schmälert aber in keiner Weise das ungewöhnliche Verdienst,das sich unseres Erachtens dieser Mann erwarb. Erheißt Wilhelm Börner und ist seit Jahrzehntenungezählten Oesterreichern als ein wahrhaft ethischerFührer bekannt. Wer je in den Gesichtskreis diesesMannes trat, mußte die Höhe seiner Lebensanschauung, die Tiefe seiner moralischen Gesinnung, dasSegensreiche seiner im herrlichsten Sinn« philantro-Hischen Tätigkeit von jeher bewundern; mußte aufhorchen, als Wilhelm Börner nun mit einem Bucheüber politische Zeitfragen(erschienen im Saturn-Verlag, Wien) an die Oeffentlichkeit trat. Und durfteGlück empfinden bei der folgenden Feststellung, daßWilhelm Börner, der hochadelige Mensch, auch jetztund gerade jetzt in feinstem sittlichen Empfinden undmit beispielhaften Mannesmut Worte fand, die nichtnur Oesterreich braucht.Leider kann hier nicht von dem gehandelt werden, was Börner in seinem' Buche vor allem überGesinnung und Ueberzeugung, über die Autorität undüber das Führerproblem, über Tradition und Varer-landsliebe zu sagen har. Die Feststellung muß genügen, daß Börner alle diese Erscheinungen sozialethisch, modern, unbestechlich und im höchsten Wortsinn demokratisch und menschlich sieht; und daß er aufdieser Basis, von der aus er die Anti-Ethik jedesFaschismus klarlegt, seine für diesen politischen Zeitpunkt so hochbedeutsamen Gedanken über das Oesterreich von heute und morgen aufbaut. Börner rät denVertretern des herrschenden österreichischen Systemsals einen einzigen möglichen Ausweg aus der politischen Krise„Verständigung und Versöhnung" mit jenen breiten Schichten, die durch dieParteiauflösung geistig heimatlos geworden sind, ihregeistige Kraftquelle verloren haben; mit diesen„politisch verantwortungsvollen, aktiven, gewissenhaftenBürgern", bei denen ein„Uebermaß an Selbstlosigkeit, Hingabe, Schwung und Opferfreudigkeit" zufinden ist und deren Ausschaltung aus der legalenPolitik die österreichische Krise herbeigeführt hab«,-! m ü s s e die Verständigung und Versöhnung praktischgesucht und gefunden werden; man müsse aufhören,die abweichende politische Ueberzeugung als Ausflußdes bösen Willens ihrer Vertreter aufzufaffen. Unddaß Börner, obzwar er gelegentlich nicht nur Sozialdemokraten nennt, hier doch fast ausschließlich diesemeint, beweist sein Protest gegen die schlechte Behandlung ehemaliger Führer aufgelöster Parteien:Wie undankbar müßten die Anhänger derehemaligen Parteien sein, wenn sie all die Mühe,Plage, Arbeitslast und Aufregung in einem Jahrvergessen hätten, die ihre ehemaligen Führer durchviele Jahre und Jahrzehnte im Dienste der Par-teien ertrugen! Die junge Generation hat vielfachkeine Ahnung von den ungeheuren Errungenschaften, die sehr breite Bolkskreise ihren politischen undgewerkschaftlichen Führern zu danken haben. Manbraucht nur die Arbeiterschutzgesetze, das Arbtiter-bildungswesen und die volkstümlichen Kulturbestrebungen(Musik, Theater, Sport) etwa zur Zeit1880 mit denen 1930 zu vergleichen, um zu erkennen, was. jene Führer durch stetige, unermüdliche, hingebungsvolle Arbeit im Laufe eines halben Jahrhunderts für Arbeiter und Angestellte geleistet haben. Wäre es vom ethischen Standpunktaus wirklich wünschenswert, wenn die unzähligenMenschen, denen diese gewaltigen Erfolge zugutekommen, sich, von heute auf morgen von ihren ein-stigen Wohltätern abwendeten und in deren Verurteilung«instimmken?Und im Hinblick auf die Demokratie stelltBörner fest, daß man es doch in Oesterreich nicht alsunrecht oder unmoralisch bezeichnen kann, wennjemand sich dort zu dem System bekennt, das etwaM a s a r y k aus reichster Erfahrung und tieffterVerantwortlichkeit als das beste politischeSystem vertritt! Zwang und Druck würden auchin diesem Falle immer nur das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung erzielen.„Welchen Wert",— sofragt Börner—„und welche Bedeutung sollten dennerworbene Gesinnungen überhaupt für den Menschenhaben, wenn ein ,Wink von oben' genügte, alles zuverleugnen, was geistige Haltung, Konsequenz undCharakter bedeutet... Das Vaterland braucht aufrechte, treue, starke Menschen, nicht aber rückgratloseSchwächlinge und Konjunkturpatrioten."Es sei natürlich, daß die durch Jahrzehnte gepflegten Ueberzeugungen weiter be-stehen, weil eben deren Vertreter in Demokratie,Parlamentarismus, Parteienwescn und Sozialismuszwar etwas Unvollkommenes, aber doch Eruwick-lungsmöglichkeiten setzen^ die zu geistiger Kulwr,Wohlstand und Glück des Vaterlandes führen unddeshalb selbstverständlich nur unter Verleugnungihrer Vaterlandsliebe der Verfassung, geschweigedenn der Regierung Oesterreichs von heute zustimmenkönnten. Kritik und'Opposition müßten,gerade im Interesse des Landes, frei sein.Zunz Schluß stellt Wilhelm Börner fest, daß er(der niemals Politiker war oder sein möchte, derauch niemals der Sozialdemokratie angehörte) auStieffter innerer Verbundenheit mit Oesterreich niemals dessen Anschluß an Deutschland förderte. Undso hat er das doppelte Recht, heute diesen Gedanke«auszusprechen:Oesterreich ist eine soziologisch, geistig undkulturell so eigenartige Volksindividualität, daß di«politische Bereinigung mit Deutschland«ine schwereGefährdung gerade des Besten ihrer kostbarenEigenart bedeutete. Bestärkend wirkt noch aufmeine Ueberzeugung, daß ich als Pazifist derAnsicht bin, ein selbständiges, autonomes Oesterreich sei eine unvergleichlich größere Garantie fürden europäischen Frieden als ein Oesterreich, dasdas Deutsch« Reich territorial bis an den Brennerausdehnt. In diesem Punkte weiß ich mich heut»mit allen urteilsfähigen Politikern Europas einig.Wir sind uns dessen bewußt, daß unsere Hin»weise nur ein sehr notdürftiger Ersatz für die sehrnotwendige Lektüre dieses Buches darstellen, deffcaethischer, politischer und ethisch-politischer Wert ohneUebertreibung als ganz außergewöhnlich bezeichnetwerden kann. Wertvoll nicht nur für Oesterreich—»sofern es davon richtigen Gebrauch macht—, sondernauch für die Tschechoslowakei, deren eminentes Interesse an der Wiederherstellung der Demokrafie imNachbarland« wohl außer Diskussion steht. Wirwollen aber nicht so optimistisch sein, um zu hoffen,daß schon die bloße Tatsache des Erscheinens diesesf Buches gebesserte AuSsichien verriete, L. G.