Samstag, 23. Mai 1936
Nr. 121
16. Jahrgang
ERSCHEINT MIT AUSNAHME DIS MONTAG TÄGLICH FRÜH, Redaktion und Verwaltung frag xii.,fochova a. telefon sen. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .
Einzelpreis 70 Heller (einschließlich 5 Heller Porto)
DE NJftUlSCHEitSOZIALDEMOKRATISCHEH ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK
Nur noch
dementsprechend ist auch die Last der Staatsschuld verkleinert. Die Arbeitslosigkeit ist rasch von den Gipfelzahlen des letzten Winters herabgestiegen. Die Abnahme wird offiziell mit 40 Prozent, rund 110-000 Mann beziffert. Jin gleichen Ausmaß ist auch die Kurzarbeit gesunken. Der Real-Stundenlohn der Arbeiter ist zwar durch die Steigerung der Lebcnskosten nach der Abwertung— der Index ist um rund 14 Prozent gestiegen— gesenkt worden, da hie Löhne nicht im gleichen Ausmaß erhöht wurden. Aber dafür ist der Wochenlohn größer geworden, da die Arbeiter immer mehr zur vollen Arbeitszeit übergehen können. Das Programm der öffentlichen Arbeiten iil. fertiggestellt und zum Teil auch schon in Ausführung begriffen. Neue Wirtschaftsorgane sind geschaffen, die dem Staat erhöhte Einflußmög- lichkeit^i auf die Privatwirtschaft gewähren. Bor allen: aber ist die Katastrophenstimmung, die vor einem Jahre im Lande herrschte, überwunden und das Gefühl allgemein, daß cs wieder vorwärts geht.-
Verstaatlichung der Kriegsindustrie von den Sozialisten angekündigt
(Brüssel , E. B.) Durch die Boulevards von Brüssel fahren Propagandawagen. An den Wänden kleben Plakate. Jeden Tag erblickt eine kurzlebige neue Zeitung das Licht der Welt, uin den Ruhm eines Kandidaten, die Korruption eines Gegners, die Durchschlagskraft einer neuen Parole zu verkünden. Am 24. Mai wählt Belgien . Es geht darum, die Fortsetzung des begonnenen Aufbauwerks zu sichern, es über die ihm bisher gesteckten Grenzen hinauszuführen, cs geht dar- uin, ob die Belgische Arbeiterpartei dem neuen Kurs in noch höherem Maße als bisher ihren Stempel aufzudrücken vermag. Das Kabinett Ban Zerland Schon die heutige Regierung, das Kabinett Ban Zeeland-de Man, wie man es nennen darf, die Regierung der„nationalen Erneuerung", wie sie sich selbst nennt, ist keine Regierung unter bürgerlicher Führung im traditionellen Sinn des Wortes. Der Ministerpräsident und Außenminister zugleich steht zwar den Katholiken nahe, aber er gehört jener jungen Reformgeneration an, die mit dem konservativen Flügel der" großen katholischen Partei in erbittertem Kampf steht. Daneben sind noch weitere fünf Vertreter der katholischen Partei in der Regierung. Aber die vier Sozialisten haben Schlüsselstellungen inne. Her Parteiführer Pandervelde ist stellvertretender Ministerpräsident und seine außerordentliche Autorität trägt weitgehend dazu bei, der Regierungspolitik den Kurs zu geben. Hendrik de Man ist Minister für öffentliche Arbeiten und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, wie sein offizieller Titel lautet. D e l a t t r e, der Führer der Bergarbeiter, ist Arbeitsminister, Soudan Justizminister und Paul S p a a k, der einstige Führer des linken Flügels der sozialistischen Partei, ist ein erfolgreicher Minister des Transportwesens geworden. Die drei liberalen Minister spielen daneben eine verhältnismäßig kleine Rolle. Ein einziger von ihnen, D e v e z e, der Landesverteidigungsminister, ist populär. Wichtiger aber als die Zusammensetzung des Kabinetts ist für seinen Kurs seine Entstehungsgeschichte. Es ist der Nachfolger der rein bürgerlichen Deflationsregierungen,> die seit dem Einsetzen der Weltkrise das Land dem Bankrott ent- gegenführtcn. Kein anderes Land des Goldblocks, Polen vielleicht ausgenommen, hat so hartnäckig versrrcht, durch Druck auf Löhne und Preise den Wettlauf mit den sinkenden Währungen der Kon- kurrenzländer aufzunehmen. Das Ergebnis war! der Zusammenbruch der Währung im März 1935 und der drohende Generalbankrott der Banken. Das Ergebnis war eine ungeheure Welle der Auflehnung in den breitesten Massen, weit über die Arbeiterklasse hinaus, die im„Plan der Arbeit" de Mans ihren symbolischen Ausdruck fand. Als der letzte Ministerpräsident der Deflationsregierung Theunis abtrat, Hinterließ er seinen Nachfolgern einen Trümmerhaufen.
Radikalsozialisten bedingungslos in die Regierung Blum
der der for» bei wohnte, hat nicht das Wort ergriffen.
Bei den Beratungen der radikalsozialistischen Partei handelt es sich auch um die Hauptportefeuilles, welche die Radikalen in der künftigen Regierung fordern werden. Die Radikalsozialisten verweisen darauf, daß sie. wenn sie auch gegenwärtig eine geringere Zahl von.Deputierten, in der Kammer haben, noch immer die stärkste Partei im Senate sind, wo der Klub der Demokratischen Linken über 150 Mitglieder zählt, und über die absolute Mehrheit verfügt. Deshalb fordern sie das Portefeuille des Ministerpräsidenten-Stell- vertrters und einige andere bedeutsam«, Portefeuilles.
Wahlaussichten Welche der Parteien wird aus diesem Erfolg Nutzen ziehen? Am stärksten vermutlich die Sozialisten, die alle Aussicht haben, zur größten Partei in der Kammer zu werden. Sie batten bisher 73 Mandate, die Katholiken 79. Aber die Katholiken sind durch heftige innere Konflikte, durch zahllose Affären, die mit der Partei in Verbindung gebracht werden, geschwächt. Sie werden durch die neuentstandene klerikal-faschistische Bewegung der „Rexisten " schwer bedroht.
Leon Degrelle , der„Führer" der Re- xistcn, stammt aus der katholischen Partei. Nach einem abenteuerlichen Leben hat er sich die Rolle des Erneuerers der katholischen Bewegung Bel giens zugedacht. Er wettert gegen ihre Korrup- tionistcn und träumt, dem Beispiel Dollfuß ' und Gil Nobles' folgend, von einem korporativen Staat. Er wird allem Anschein nach den Katholiken einige Mandate abnehmen. Ebenso werden vermutlich auch die Liberalen, die bisher 24. Mandate stellten, an die„Rexisten "— der Name kommt von Christus Rex(König)— verlieren. ' Die beiden Splitterparteien, die Kommunisten mit bisher 3 Mandaten, oie flämischen Nationalisten oder„Frontisten" mit 8 Mandaten spielen politisch kaum eine Rolle. Ihre Chancen sind schwer zu beurteilen. Der entscheidende Kampf wird zwischen den drei Koalitionsparteien geführt, die heftig um eine Machtverschiebung zu ihren Gunsten ringen. Dahinter verbirgt sich die große Frage» ob das Aufbauwerk fortgesetzt, kühne neue Reformen möglich werden sollen oder ob reaktionäre Kräfte dem Neuen den Weg versperren können. Es geht um die geistige und politische Führung des Landes. Die Belgische Arbeiterpartei hat alle Aussicht, diesen großen Kampf erfolgreich zu bestehen.
Der belgische Wahlkampf Kampf um die Führung
8 Tage Alles für den Reichsjugend- und Kreisarbeitertag: Werbt! Agitiert! Arbeitet!
Paris . Der Vollzugsausschuß der radikalsozialistischen Partei nahm am Abend mit allen gegen eine Stimme 'eine Tagesordnung an, die eine bedingungslose Beteiligung radikalsozialistischen Partei an ; kommenden Volksfrontregierung ! dert. Herriot , der der Sitzung
Die Bilanz des Kabinetts Nur widerstrebend haben die beiden großen bürgerlichen Parteien damals vor dem Volkszorn kapituliert. Sowohl bei den Katholiken wie bei den Liberalen hat der rechte Parteiflügel gegen das neue Kabinett, gegen die Zusammenarbeit mit der großen Belgischen Arbeiterpartei Stellung genommen. Als die neue Regierung sich im April des Vorjahres-der Kammer vorstellte, zerfielen die bürgerlichen Parteien in zwei fast gleichstarke Hälften, von denen die eine-für, die andere gegen die Regierung stimmte. Die Sozialisten allein haben von allem Anfang das Kabinett unterstützt. Als ein Jahr später van Zecland dem Parlament seinen Rechenschaftsbericht erstattete, begrüße ihn das Parlament mit einmütigen enthusiastischen Vertrauenskundgebungen. Sein Werk zeugt für ihn. Die Währung ist abgewertet, aber rasch wieder stabilisiert worden und zählt heute zu den, stabilsten Währungen der Welt. Das Vertrauen! ist zurückgekehrt. Aus einem Lande der Kapitalflucht ist Belgien zu"einem Reservoir geworden, das die Äapitalfluchtgclder anderer Länder aufnimmt. Damit verbunden war ein wesentlicher Rückgang des Zinsfußes langfristiger Anlagen. Von früher 6 und 7 Prozent ist der Zinsfuß des! Ttaatskrcdits auf 4 Prozent gesenkt worden und j
Im sozialistischen „P o p u l a i r e" schreibt der Generalsekretär der sozialistischen Partei Paule Faure unter dem Titel„Bon Worten zu Taten", daß die französische Republik in der nächsten Zeit über sozialistischen Vorschlag die Erzeugung der Kricgsmittel, sagen wir direkt, „nationalisieren" wird.Man wird in nichts das Programm abschwächen müssen, das wir«ns durch die allgemeine Abstimmung bestätigen ließen, wenn die Regierung der gleichen Ansicht sein wird. Wir brauchen uns auch nicht
Tltulescu bei L6on Blum Paris . Der rumänische Außenminister Ti- t u l e s c u, welcher Freitag vormittags zu kurzem Aufenthalte in Paris eintraf, hatte mit Leon Blum und hierauf mit dem Staatsminister Paul-Boncoür eine Zusammenkunft. Journalisten gegenüber erklärte Titulescu, daß in der Unterredung mit.Leon Blum alle Probleme der. Außenpolitik geprüft wurden. Die Unterredung mit Paul-Boncour drehte sich Haupt-, sächlich um die V ö l k e r b u n irr e fo rm.
mit einer bloßen Kontrolle zufrirdenstellen, da wir zu ihr kein Vertrauen haben. Kommen sie nicht zu unS mit einer Empfehlung zur Vorsicht, da dieses Wort in diesem Falle keinen Sinn hat, denn es bedeutet Rückzug und Kapitulation. Einstmals verfielen Wahlversprechen ebenso rasch der Bergeffenheit, wie die Wahlflugblätter der Kandidaten verblichen. Künftighin werden jedoch Versprechen in Gesetze umgrwandelt werden.
Nischen Außenminister erklärt habe, die künftige französische Regierung wolle in vollem Einvernehmen mit England, Sowjetrußland und der Kleinen Entente eine Stär- knng der Bedeutung des Völkerbundes anstrr- ben. Sie werde die traditionelle französische Politik der Treue gegenüber dem Völkerbundpakt. der kollektiven Sicherheit und der Beistandspakte stärken. Die französische Regierung werde, bestrebt sein, diese Grundsätze schon bei der bevorstehenden außerordentlichen Tagung des Völkerbundsrates, der am 16. Juni zusammentreten' wird, machen.
Zu der Unterredung, die Minister Titu lescu mit Leon Blum hatte, wird aus informierter Quelle, mitgeteilr, daß der Führer der Sozia-1 geltend zu
1 listen und künftige Ministerpräsident dem rumä-
! Eine feste Burs Der KonsreB des Deutschen Gewerk* ichaftsbundet In der Ttchechoilowakel Von heute ab sind durch fünf Tage in Rei- . chenberg die Vertreter der freien Gewerkschaften - versammelt, die Delegierten von 19 Verbänden ■ und 219.641 organisierten Arbeitern und Arbei- | terinnen werden zu den großen und schwierigen ! Fragen unserer Zeit, unseres Landes und unserer ! deutschen Arbeiter und Angestellten Stellung nehmen, die größte sudetendeutsche Arbeiterorganisation wird durch den Mund ihrer Sprecher all die Sorgen, die^Leiden, die Hoffnungen und Mahnungen’ der arbeitenden Massen des Sudeten - deutschtums der Öffentlichkeit därlegen. Wer | sich wirklich dem deutschen Volk dieses Landes verbunden fühlt, wer das ganze Elend der sude tendeutschen Industriearbeiter empfindenden Sinnes miterlebt hat, wer nicht des trüben Wassers abgestandener Phrasen, sondern den reinen Quell der sozialen Wahrheit liebt, der wird in diesen Tagen aufmerksam den Gang der Verhandlungen in Reichenberg verfolgen. Niemals Haven die Gewerkschaften der Sudetenländer so kritische Zeiten mitgemacht wie in den vier Jahren, die seit dem letzten Gewerkschaftskongreß in Aussig 1932 vergangen sind. Wir waren zwar schon damals mitten in der schweren Krise der. Weltwirtschaft,. aber das ärgste kam noch. Dir Industrie in dem deutschen Randgebiet des Staates schrumpfte völlig zusam- i men, die Arbeitslosigkeit erfaßte in einzelnen Bezirken einen großen Teil der Berufstätigen, einen immer wachsenden Teil der Mitglieder der Ge- tverlschaftsverbände. In dieser Zeit, da die Katastrophe so groß war, daß die Verbände zusammcn- zubrechen drohten, nahmen die gewerkschaftlichen Vertrauensmänner ihre ganze Kraft zusammen und in dem furchtbarsten Sturm, den sie je erlebt, hielten sie mit geradezu übermenschlichem Willen das Steuer ihres Schiffes fest. In dem schrecklichsten Krieg, den der Kapitalismus der Arbeiter- llaffe erklärt hatte, erwiesen sich die Gewerkschaften als die festeste Burg, der stärkste Schutz der Opfer dieses Wirtschaftskrieges. In den vier Jahren von 1932 bis 1935, von denen uns der den Delegierten vorgelegte Bericht erzählt, haben die berichtenden Verbände 140 Millionen Kc an Arbeitslosenunterstützung ausgezahlt, wozu noch ein Staatszuschuß in der Höhe von 443 Millionen KL kam. Staat und Gewerkschaften haben in den vier Jahren den in den Verbänden organisierten Arbeitslosen 583 Millionen ausgezahlt. Was ist dagegen die„Sudeteirdeutsche Volkshilfe" mit 15 Millionen? Gerade der 39. Teil! Selbst i wenn man vom Staatsbeitrag absieht, haben die. armen von der Krise so hart betroffenen Arbeiter neunmal so viel aufgebracht, wie die Massenpartei des Herrn Henlein, die von Volksgemeinschaft, Aufbruch und Einsatzbereitschaft überfließt. Gigantisch steht diese Leistung da— schade nur, daß so wenig Aufhebens davon gemacht wird, während die anderen mit ihrem Lärm eine ihnen dienstbare Presse erfüllen. Daneben haben aber die Gewerkschaften noch andere große Leistungen vollbracht. Das Sprichwort, daß im»Kriege die Musen schweigen, gilt von ihnen nicht. Mitten in dem aufreibenden, die Kräfte verzehrenden Ringen gegen Krise? I Arbeitslosigkeit, Elend und Verzweiflung haben die Gewerkschaften Bildungsarbeit geleistet, haben Alten und Jungen, Männern und Frauen in Vertrauensmännerkursen und Jnternatschnlen ein größeres Stück Bildung gebracht, ihnen Erkenntnisse für sich und damit Waffen für ihre Schicksalsgenossen geliefert. Davon hat Herr Konrad Henlein in seiner Külturrede nichts erzählt und davon weiß die sudetendeutsche Intelligenz wenig. Sie haben von der Kultur nur geredet, die Arbeiterbewegung hat inzwischen gehandelt, sie ist ihrer Tradition treu geblieben und hat in die Hütten der Armen das Licht der Erkenntnis gebracht. Wer.kann aber all die übrige Arbeit unserer Gewerkschaften auch nur streifen. Sie. haben zu I all den schwierigen Fragen unserer Wirtschaft j Stellung genommen, haben auf allen Gebieten der Sozialpolitik*— es sind so viele, daß es den Rahmen eines Zeitungsartikels, überschreiten würde, sie. auch nur aufzuzählen— für die arbeitende Klasse gewirkt, sie haben Lohnbewegungen und Streiks geführt— es ist als ob ein Mensch gegen einen reißenden Strom schwimmte---, sie j haben durch Verträge die Arbeitenden davor be-