Donnerstag, 4. Juni 1936Nr. 13016. JahrgangEinzelpreis 70 Heller(•iiuchlicBlich$ Heller Porte)1ENTRALORGANDER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEIIN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIKERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung präg xii.,fochova«2. Telefon 53077.HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, FRAG.Ein neuer BluffMussolinisParis. Tas Blatt„Oeuvre" meldet:Nach Informationen, die das französische Außenministerium vom britischen Außenamte erhielt,trifft die italienische Regierung vor dem 15. Junigewiffe„geheime Vorbereitungen"» und zwar so,daß man über sie möglich st vielerfahre.Mussolini bereitot an der österreichischen, jugo-slavischen und französischen Grenze militärische Maßnahmen vor. Die Reservistenerhielten bereits den Einberufungsschein für denFall einer Mobilisierung. Es wurde ferner an-geordnet, daß die Schulen und anderen öffentlichen Gestände vor dem 15. Juni geräumt werden. Auch unternehmen zahlreiche Offiziere desitalienischen Generalstabes Dienstreisen in de»Grenzzonen. Kein auswärtiges Amt glaube jedoch, daß es sich um etwas anderes als um einenpolitischen„Bluff" für den Fall handelt, daß am 15. Juni die Sanktionen nicht aufgehoben würden. Dann dürfte Italien bestimmtemilitärische Demonstrationenan den Grenzen durchführen, wenn auch eineweitere Ausdehnung dieser Militärdemonstrationen«i ch t zu erwarte« steht.Nochmaliger Aufschubder Ratstagung?Paris.(Tsch. P. B.) In gutunterrich-tcten Kreisen verlautet, daß die Einberufung derVollversammlung in Genf etwa für den 23. Junierfolgest werde und daß die für den 15. Juni vorgesehene Sitzung des Bölkerbundrates wahrscheinlich um acht Tage verschoben werden wird.Ausbreitung der StreikwelleParis. Die Streikbewegung hat im Laufedes Mittwoch sowohl in Paris wie in den Borstädten und auch im Norden Frankreichs an Umfang zugenommrn. Rach Schätzungen der Abendblätter beträgt die Gesamtzahl der streikendenArbeiter am Abend 350.000, davon 100.000 imPariser Bezirk. Der wachsende Umfang desStreiks, insbesondere in der Lebensmittelbrauche,beginnt die Behörden zu beunruhigen. In derPariser Borstadt Ranterre wurde die Arbeit inder Gasanstalt eingestellt und es besteht die Befürchtung, daß auch die Wasserwerksarbeiter derPariser Borstadt den Streik verkünden werden.Die Allgewerkschaftsbrwegung hat zugesagt, daßdie Versorgung der Stadt, nicht bedroht sein wird.Ministerpräsident Sarraut hatte Beratungenmit den Delegierten der Arbeitgeber der Metallund der Chemischen Industrie. Gegen Abend gingdas Gerücht, daß der AuSbruch des Streiks inder großen Gesellschaft Hachctte drohe, die inFrankreich ein Monopol auf den Transport sämtlicher Zeitungen besitzt, so daß Paris und Frankreich überhaupt ohne Zeitungen wären. DasHavas-Büro meldet abends, daß die Verhandlungen«egen Regelung der Angestellten-Fordv-rnngen in den Hachette-Untrrurhmmlgen aufgutem Wege zu sein scheinen.Heute Betreuung BlumsHeute, Donnerstag nachmittags, wird dasKabinett Sarraut seine Demission geben. DerPräsident der Republik wird noch gegen AbendLeon Blum mit der Bildung der neuen Regierungbetrauen. Es heißt, daß Leon Blum das Kabinett im Laufe der Nacht zum Freitag bilden wirdund daß er beabsichtigt, sich mit der neuen Regierung schon am Samsrag nachmittags dem Parlament vorzustellen.Frau Zita im Spiel?Berlin. Der römische Berichterstatter des„Berliner Tageblattes" meldet: BundeskanzlerDr. Schuschnigg begab sich Mittwoch vonFlorenz im Automobil nach dem bekannten Badeort Viareggio, in dessen Nähe die E x k a i s e r i nZita ein Schlößchen besitzt, wo sie gern dirFrühlingsmonate verbringt. Die italienischePresse hat ein Schweigeverbot erhalten und berichtet über den Besuch des Bundeskanzlers, alsob es sich um eine Erholungsreise handeln würde.Journalisten wollen jedoch wissen, daß Schuschniggder Habsburgerfrage wegen nach Viareggio gekommen sei.Nazi-Wühlarbeit in PolenBewaffneter Aufstand vorbereitet/ Der Eid auf Adolf HitlerKattowitz. Vor dem hiesigen B-zirksgerichtbegann der große Prozeß gegen 119 Mitgliederder vor einiger Zeit aufgehobenen geheimen deut-,schen nationalsoz. Organisation NSDAP(Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterbewegung),welche unter der Anklage der Vorbereitung einesb e w a f f n e t e n A u f st a n d e s zwecks gewaltsamer Lostrennung Polnisch-Oberschlenensvom polnischen Staat und Angliederung diesesGebietes an das Dritte Reich stehen. Die umfangreiche Anklageschrift enthält u. a. folgendeBeschuldigungen:Alle Organisationsmitglieder legten dasTreuegelöbnis für Adolf Hitler als dem„einzigen Führer der Deutschen" ab und verpflichtete« sich zur Wahrungdes Organisationsgeheimnisses. Dem Verräterder Geheimnisse drohte die Kugel. Der Treueidwurde den neuangeworbenen Mitgliedern voneinem ans Deutschland eingetroffenen SA-Offizier abgrnommen.Das Organisationsgericht hat u. a. dasMitglied der Bewegung P t 0 k wegen Desertionzum Tode verurteilt. Er wurde auch überfallenund schwer mißhandelt, entkam jedoch dem Todeund machte bei den Behörden ausführliche Airssagen über die Tätigkeit der Organisation.Ptok fungiert i« dem Prozesse als Hauptie-lastnngszeuge.Die SkSDAB stand ferner in engemKontakt mit den deutschen Behörden, insbesondere mit der deutschen Polizei in Benthe» sowie mit der Leitung derNSDAP. Einen Beweis für diesem Kontaktliefern photographische Kopien von schriftlichenBerichten» welche von der NSDAB nachDeutschland geschickt wurden und von denpolnischen Untersuchungsbchörden aufgefangenwerden konnten. Aus diesen Berichten gingklar hervor, daß der Aufstand zwecks Lostrennung Polnisch-Oberschlesiens vom polnischenStaat spätestens im Juli 1937, das ist unmittelbar nach Ablauf der Genfer Konvention für Oberschlesien ausbrechen sollte. DieAufständischen sollten mit Waffen undMunition von Deutschlandaus versehen werden.Von den 119 Angeklagten haben sich 90bereits in der gerichtlichen Voruntersuchung dazubekannt, an der Verschwörung teilgenomxnen zuhaben. Die übrigen Angeklagten leugnen jedeSchuld. Der eigentliche Führer der Organisation, Paul M a n i u r a, beging in der Untersuchungshaft Selbstmord durch Erhängen.Deutscher Flleger-Generalabgestürzt. Berlin. Mittwoch vormittags ist auf demDresdener Flughafen das zur Flügbereitschaftdes Reichslustfahrtnlinistrriums gehörige Flugzeug ,,„D-Uzon" unmittelbar nach dem Startabgestürzt. Die Besatzung des Flugzeuges, derChef des Generalstades der Luftwaffe Generalleutnant Wever als Flugzeugführerund der Obergefreitc Kraus als Bordmechanikerkamen dabei ums Leben.Zwei weitere UnsiUcksfälle:Amsterdam. Am Mittwoch abends stürzteüber dem Amsterdamer Flughafen ein österrei chisches Sportflugzeug bei der Landung ab, Diebeiden Insassen, der Generaldirektor der Oester-riichischen Kreditanstalt van,Hengel und derFlugzeugführer, der bekannte österreichischeSportflieger Hauptmann Brunowski, fanden dabei den Tod.Rom. Bei einem Uebungsflug Wer den Ligurischen Apenninen kam ein Bombenflugzeug in6000 Meter Höhe in einen schweren Gewittersturm. In einer Wolkenwand verlor der Pilotdie Herrschaft Wer das Flugzeug. Bei dem Versuch der aus fünf Mann bestehenden Besatzung,sich mit dem Fallschirm zu retten, kamen dreiMann ums Leben.Der Negus in LondonLondon.(Reuter) Der Kaiser von Abessinien traf Mittwoch vor 17 Uhr in London einAuf dem Waterloo-Bahnhof hatte sich eine großeMenschenmenge angesammelt. Die Angehörigender abessinischen Kolonie in London begrüßten, denKaiser mir lauten Zurufen. Sodann hieß ihn derPrivarsekretär des Außenministers Eden willkom men, wie dies für den Fall üblich ist, daß einfremdes Staatsoberhaupt inkognito in Londoneintrifft Unter den Grüßen der Menge fuhr derKaiser nach seinem Wohnsitz unweit der abessinischen Gesandtschaft in London, wo er für die Zeitseines Londoner Aufenthaltes Wohnung nehmenwird.Oie Ankunft des Negus in GibraltarDas Bild zeigt den Negus beim Betreten seines Hotels in Gibraltar. Er war auf einem englischen Kriegsschiff angekommen und setzte die" Reise nach London auf einem englischen Passa-gicrdampfer fort.Osteuropäische GegensätzeUm Sicherheitspakteund Völkerbundsreform—ru. Warschau, Ende Mai.Neben den Großmächten gibt es gegenwärtigin Mittel- und Ost-Europa drei Zusammenschlüssekleinerer Staaten, die sich zu einheitlichem Auftreten entschlossen haben: die Kleine Entente(Tschechoslowakei, Jugosiawien, Rumänien), dieBalkan-Entente(Rumänien, Jugoslawien, Griechenland, Türkei) und den KleinenBaltenbund(Litauen, Lettland, Estland).Von Moskau und von Paris her sieht man diesedrei kleineren Bündnisse als natürliche Stützpunkte künftiger Regionalpakte an, welche demFrieden Europas ein festes völkerrechtliches Gerüstgeben sollen. Eine weitere Staatengruppe, zu derim Osten Polen, Ungarn und Bulgarien zu rechnen find, stellt sich solchen Plänenvon jeher entgegen. Die Regierungen dieser Länder haben sehr verschiedene Beweggründe für einenderartigen Widerstand. Ungarn und Bulgarienwollen sich nicht endgültig mit ihren heutigenGrenzen bescheiden. Polen träumt davon, an derSpitze einer Reihe von kleineren Staaten eineigenes Machtzentrum zu bilden, um dadurchgleichberechtigt neben den größeren Nachbarn indie Geschicke des Erdteils eingreifen zu können.Feste Abgrenzungen bestimmter Sicherheitsregionen würden ihm die Bildung einer solchen Einflußsphäre unmöglich machen.Man hält die polnische Regierung wegendieser Einstellung oft für einen stillen Verbündeten des nationalsozialistischen. Deutschland, dassich wieder aus anderen Gründen gegen eine stabile völkerrechtliche Ordnung Europas wehrt. AberPolen unterdrückt in seinen eigenen Grenzen jedenationalsozialistische Propaganda, und das diplomatische Spiel, welches es zeitweise mit Hitlertreibt, um innerhalb des französischen Bündnissystems mehr Selbständigkeit zu gewinnen, hatdoch niemals zu einer festen Bindung geführt.Einer der in Warschau maßgebenden politisierenden Offiziere, der amtliche Propagandachef OberstMiedzinski, verglich kürzlich in einer Rundfunkrede dieLagedespolnischenStaateszwischen Deutschland und derSowjetunion mit dem Schicksal einesIgels zwischen einem Bären und einem RWclWölfen. Diese RaWtiere würden sich zwar untereinander immer heftig befeinden. Aber wenn derIgel sich vor ihnen retten wolle, müsse er nachallen Seiten seine eigenen Stacheln ausstrecken.Die polnische Berwaltungspraxis in Oberschlesienund an der Grenze gegen Danzig und Ostpreußenhält sich an diesen stachligen Grundsatz, ohne daßder gelegentliche Flirt zwischen Warschau und Berlin etwas daran geändert hätte. Außenpolitischbleibt Polen auch dem Völkerbund treu, in welchem es seinen Einfluß als Ratsmacht nach Kräften ausnutzt. Doch zugleich setzt AußenministerBeck seine Bemühungen fort, die Staatenwelt vonder Ostsee bis zur Adria von den französisch-russischen Sicherheitsplänen zu einer elastischeren Organisation der internationalen Zusammenarbeithinüberzuführen, welche mehr Raum für die polnische Einflußnahme läßt.Im Norden begann Beck diese Werbungvor zwei Jahren. Die skandinavischenStaaten, von sozialistischen Politikern geleitet, bedeuteten ihm, daß sie gegenüber allen Frontbildungen neutral zu bleiben wünschen. Etwas entgegenkommender verhielt sich Finnland, das alsunmittelbarer Nachbar der Sowjetunion einseftigeBindungen an den Osten vermeiden will. Auch inEstland und Lettland erreichte Polen mitfinnischer Hilfe eine Ablehnung der Ostpaktpläne.Die Anknüpfung engerer Beziehungen zu diesenOstseestaaten neutralisierte überdies den KleinenBaltenbund in dem immer noch andauernden polnisch-litauischen Streit um das Wilna-Gebiet. ImW e st e n fand Beck ein gewisses Verständnis fürseine Bedenken gegen das französisch-russische Sicherheitsschema beim belgischen Ministerpräsidenten van Zeeland, der Hitler keinen Vorwandgeben wollte, den Rheinpakt von Locarno zu brechen. Nachdem das Dritte Reich bereits den Abschluß des. französisch-russischen Hilfsvertragesdazu benutzte, um diesen Bruch zu vollziehen, hatsich das belgische Interesse an den anderen Paktfragen wieder vermindert. Einen dritten Vorstoßhat der polnische Außenminister jetzt nach demS ü d 0 st e n unternonnnen, wo Jugosla-