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Die Reihenfolge, in welcher die Beisitzer zu den Ver- Handlungen zuzuziehen sind, ist vom Vorsitzenden zu Beginn des Geschäftsjahres so festzusetzen, dasj die einzelnen Beisitzer mög« lichst oft herangezogen werden." Abg. Stadthagen sSoc.): Wenn der Vorsitzende es in der Hand hat, die Beisitzer auSzu» wählen, die er zuzieht, so ist der Willkür Thor und Thür geöffnet. Das Princip, von vornherein festzusetzen, wer hinzugezogen werden soll, ist in bürgerlichen Rechtssachen mit voller Entschiedenheit betont. Merkwürdig, daß es hier in Arbeitersachen anders sein soll. Die Herren vom Centrum haben dies Princip imnier einen Pfeiler deS Zutrauens zu der Unabhängigkeit der Gerichte genannt. Abg. Trimborn((£.): Die Art und Weise, wie die Reihenfolge der Beisitzer ist, muß nach verschiedenen Gesichtspunkten festgelegt werden. Aber ich stimme darin mit dem Abg. Stadthagen 'überein, daß die Festsetzung durch Statut obligatorisch gemacht werden soll. Abg. Stadthagen lSoc.): Wenn der Abg. Trimborn beantragen würde, stattkönnen" müssen" zu setzen, so würden wir unsern Antrag zu Gunsten des seinen zurückziehen. Der Antrag der Socialdemokraten wird abgelehnt und§ ölä unverändert angenommen, ebenso die§§ öle und ölf, die bestinimen, daß die Rentenstclle die Befugnis hat, Zeugen uneidlich zu ver- nehmen, und daß der Vorstand der Versicherungsanstalt das Ver- fahren der Rentenstellen regelt. § 51 g bestimmt, daß die Landes- Ccntralbehörde den Renten» stellen anstatt der gutachtlichen auch entscheidende Thätigkeit bezüglich der Nenlenbewillignng sc. zuweisen kann. Abg. Richter(frs. Vp.) beantragt, diesen Paragraphen zu streichen, der ein Monstrum dar- stelle. Der Reichstag habe sich bemüht, die Landes- Centralbehörde möglichst zurückzudrängen; hier greife sie mit einemmale wieder in die Organisation ein. Es sei nicht möglich, in deck Jnstanzenzug eine Instanz hinein- zudrängen, die also auch von der Versicherungsanstalt so unabhängig sei wie die Landes-Centralbehörde. Abg. Möller-Duisburg snatl.): Wir haben unS grundsätzlich gegen die Rentenstellen überhaupt ausgesprochen, aber wir betrachten die ganze Frage als in der Schwebe, und wollen deshalb, nachdem§ 51 einmal angenommen ist, nicht gegen den§ 51g stimmen. Die Voraussetzung ist, daß die ganze Bestimmung nur als Experiment aufgefabt und nur da an- gewandt wird, wo sich wirklich das Bedürfnis dazu heraus- stellen sollte. Abg. Trimborn iE.) meint, daß eS sich hier in der That nur um einen Versuch handele. Staatssekretär Graf v. PosadowSky Ich bitte Sie, den K 51g so anzunehmen, wie ihn die Kom- misston vorgeschlagen hat. Nachdem Sie das Gesetz und die Be- stimmungen der Regierungsvorlage über die Rentenftellen wesentlich umgestaltet haben, kann ich hier erklären, daß die verbündeten Regierungen nicht die Absicht haben, überall Renten- stellen einzurichten. Wir werden nun erst versuchen, ob die Verwaltungsorgane die ihnen durch das Haus übertragenen Funktionen werden ausführen können.(Hört, hört, rechts.) Nur in industriellen und dicht bevölkerten Gegenden werden wir die Nentenstellen vorläusig errichten. Ich mache darauf aufmerksam, daß den Nentenstellen nach der Vorlage von der Landes-Centralbehörde die Entscheidungsbefugnis gegebe» werden kann, daß sie ihnen aber auch wieder genommen iverden kann. Damit ist gesagt, daß hier von einer dauernden Einrichtung nicht die Rede sein kann, sondern nur ein Versuch gemacht werde» soll. Sie haben die Bestimnningen über die Rcntenstellen schon so oft abgeschwächt, daß ich sie dringend bitte, hier nicht mehr abzu- bröckeln. Ich persönlich halte die Rentcnstelleu für eine segensreiche Einrichtung, die gerade im Interesse der Arbeiter viel Gutes stiften wird und ihnen mehr Segen bringen wird, als mancher social- politische Antrag, der hier schon im Hause verhandelt worden ist. Abg. Witte sfrs. Vp.): Daß der Herr Staatssekretär die Rentenstellen für eine segens- reiche Einrichtung hält, glaube ich, sonst würde er ja nicht mit solcher Zähigkeit an den Bestimmungen der Vorlage festhalten. Ich halte die Nentenstellen nach wie vor für eine grnndverkehrte Ein- richtung und je weniger man davon bestehen läßt, um so besser ist es. Die Diskusston wird hierauf geschloffen, der Antrag Richter abgelehnt.§ big in der Kommissionsfassung angenommen. Ohne Debatte werden die K§ 51h und 51i angenommen. § 51k lautet in seinem ersten Absatz: Wählbar zu Vertretern der Arbeitgeber und der Versicherten sind nur deutsche männliche volljährige, im Bezirke der Ver- sicherungSanstalt wohnende Personen. Nicht wählbar ist. wer zum Amt eines Schöffen unfähig ist(§ 82 des Gerichtsverfassungs- Gesetzes.). Dazu liegen zwei Anträge der Abgg. A l b r e ch t und Genossen (Soc.) vor. 1. Das Wortmännliche" zu streichen. 2. statt der Wortenicht wählbar ist, wer zum Amte eine? Schöffen unfähig ist" zu setzen:Nicht wählbar ist, wer sich nicht im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte bcftndet oder durch richter- liche Anordnung in der Verfügung über sein Vermögen be- schränkt ist". Abg. Wurm(Soc.) begründet den socialdemokratischen Antrag. Der Antrag, das Wort männliche" zu streicken, bezweckt, daß auch weibliche Personen ge- wählt werden können. Den Pflichten, die sie haben, sollen auch Rechte gegenüberstehen. In anderen Staaten erweitert man fort- gesetzt die Rechte der Frauen, erst kürzlich hat man ihnen in Eng« iaud das Gcmeinde--Wahlrecht gegeben. Wir haben den Amrag gestellt, obwohl wir wissen, daß die Mehrheit deS HanseS an den veralteten Anschauungen festhält und ihn ablehnen wird. Den zweiten Antrag haben wir gestellt, damit Personen, gegen die ein Verfahren schwebt, die aber noch nicht schuldig befunden sind, eben- falls wählbar find. Der Antrag ist uni so notwendiger, al« ja die Zuchthausvorlage droht, auch da gerade diejenigen, welche daß Ver- trauen der Arbeiter besitzen, besonders in Gefahr sind, angeklagt zu werden. Wir wollen aber, daß gerade die Personen wählbar sind, die daS Vertraue» der Arbeiter genießen. DaS Wort wird nicht weiter oerlangt. Der Antrag A l b r e ch t wird gegen die Stimmen der Socialdemokraten und Freifinnigen abgelehnt,§ 51k in der Kommisfionsfaffung angenommen, ebenso K 62. Bei§ 52a, der Strafbestimmungen enthält für Personen, welche die Wahl ohne zulässigen Grund ablehnen, beantragen die Abgg. Albrecht(Soc.) und Genossen, folgenden Absatz 2 hinzu- zufügen: Hat der Vertreter der Versicherten die Wahl deshalb ab« gelehnt oder sich nicht rechtzeitig zu den Sitzungen eingeftmden oder einer Obliegenheit sich nicht unterzogen, iveil sein Arbeitgeber ihm ttr ein anderes Verhalten Nachteile in Aussicht gestellt hatte, so st an seiner Stelle der Arbeitgeber mit der Geldstrafe zu belegen." Der Antrag wird, nachdem er vom Abg. Stadthagen (Soc.) mit dem Hinweis darauf begründet worden ist. daß Fälle vor- gekommen sind, in denen Arbeitgeber in der angegebenen Weise ihre Macht mißbraucht haben, abgelehnt: ß 52» in der KommissionS- faffung angenommen, ebenso der folgende 8 59, der von der Haftung der Mitglieder der Organe handelt. 8 60 läßt die Ablehnung von Wahlen zu Ehrenämtern seitens der Arbeitgeber nur aus denselben Gründen zu, auS denen das Amt eines Vormundes abgelehnt werden kann. Doch sollen durch das Statut die Ablehnungsgründe anders geregelt werden können, Abg. Etadthagen(Soc.) beantragt, letztere Bestimmung zu streichen. Wir wollen den Kreis der Abl'ehmmgSgriinde erweitern, nicht einengen. Falls Sie in die Streichung nicht willigen sollten, so bitte ich Sie, diesem Paffus wenigstens folgende Fassung zu geben:Durch das Statut können noch andere Ablehnungsgründe festgesetzt werden." Der Rechts- zustand wäre dann der, daß daS Statut die bisherigen Ablehnungs- gründe unter allen Umständen gelten lassen muß und nur noch weitere hinzufügen kann. Z 60 wird, unter Ablehnung des socialdemokratischen Antrags, angenommen. Die ßZ 61 und 61a werden debatielos angenommen. ß 62 verfügt, daß die Vertreter der Versicherten in jedem Falle, in welchem sie zur Wahrnehmung ihrer Obliegenheiten berufen werden, die Arbeitgeber hiervon in Kenntnis zu setzen haben, widrigenfalls ihnen die im ß 58 vorgesehenen Entschädigungen ver- sagt werden können. Abg. Molkenbuhr(Soc.) beantragt, letztere Strafbestimmung aus dem Paragraphen zu ent- fernen. Ucberfliissig ist sie auf jeden Fall. Und es kann leicht ge- fchchcn. daß der Arbeiter dann auf die Frage, ob er seinem Arbeit- geber Mitteilung gemacht habe, eine unrichtige Auskunft erteilt, um nicht der Entschädigung verlustig zu gehen. Es ist ja die Möglich- keit vorhanden, daß er seines Arbeitgebers gerade nicht habhaft werden kann; derselbe ist vielleicht verreist; bei HauSarbeitern geht es überhaupt schlimm. Also, lehnen sie diese überflüssige Straf- bestinmmng ab I § 62 wird, unter Ablehnung des socialdemokratischen Antrags, angenommen, ebenso die folgenden bis§ 65 inkl. I» 8 66(Veränderungen in den Bezirken der VersicherungS- anstalten usw.) hat die Kommission einen Zusatz angefügt, der die Zusammenlegung, Teilung oder Aufhebung be- stehender Versicherungsanstalten von der Zu- stimmung des Reichstags abhängig macht. Bayrischer Bundesbevollmächtigter Ministerialdirektor Ritter v. Herrmann bittet im Namen der bayrischen Regierung um Streichung dieses Zusatzes. Es liegt keine Veranlasiung vor, von der bisherigen Praxis, die dem Bundesrat die Entscheidung darüber überläßt, ab- zusehen. Sollte der Satz aufrecktcrhalten werden, so würde die bayrische Regierung es sich noch sehr überlegen, ob sie dem ganzen Gesetz wird zustimmen können. Staatssekretär Graf PosadowSky bittet gleichfalls um Streichung dieses Satzes. Nachdem der Aus- gleich nun einmal beschlossen ist. liegt die Gefahr nicht mehr vor, daß Preußen die Anstalten zwangsweise verändern wird. Der Ab- satz ist jetzt nur noch bloße Dekoration. Abg. Hitze(T.) tritt für Aufrechtcrhaltung des Satzes ein. der keineswegs eine bloße Dekoration darstelle. Ein gebranntes Kind scheut das Feuer. Mit der Bollmachterteilung an den Bundesrat haben wir schon böse Er- fahrungen gemacht. Abg. Gamp(Rp.) giebt zu, daß man mit der Vollmacht des Bundesrats böse Er- sahrungen gemacht habe, z. B. bei der Gewecbe-Ordnung und bei der Bäckereiverordnung.(Heiterkeit.) Hier aber liegt kein Anlaß zu Befürchtungen vor. Eine besondere Genehmigung seitens des Reichs- tages ist daher nicht am Platze. Ich würde persönlich gegen das ganze Gesetz stimmen, wenn diese Bestimmung in das Gesetz auf- genommen tvürde. Abg. Stadthagen (Soc.): Ich kann die Ausführungen des Herrn Abg. Hitze nur unter- schreiben, dieser zweite Absatz ist eine absolute Notwendigkeit. Wenn der Reichstag auf der einen Seile den mittellosen VersicherungS- anstalten helfen soll, so muß er als Korrelat auch die Besugnis haben, über dieZnsamnienlegung oder Trennung von VersicherungS- anstalten zu cnlscheiden Es geht nicht an, daß er zwar das Recht hat, Geld zu bewilligen, aber im übrigen die Pflicht zu schweigen. Was der Herr Regierungskommissar für Bayern gesagt hat, trifft nicht zu. Bayern ist viel zu klein, um acht Versicherungs- Anstalten zu haben, die sämtlich prosperieren. Vier von den Anstalten prosperieren, die niederbayrischen nicht. Wenn diese zusammengelegt würden, würden auch sie prosperieren. Der Provinzial- Landrag von Riederbaycrn hat die Regierung schon mehrfach ersucht, die Zusammenlegung vor- zunehmen, die Regierung hätte es bis jetzt noch ohne die Zustimmung des Reichstags thun können, bis jetzl ist eS jedoch nichl geschehen. Wie notwendig es ist, dieses Recht dem Reichstag vorzubehalten, haben gerade die Ansfübrungen des Herrn Abg. Gamp bewiesen. SS heißt doch ein außerordentliches Mißtrauen gegen den ReichSiag hegen, wenn man annimmt, daß er irgend einem vernünftigen Organi- sationsvorschlag seine Zustimmung verjagen werde. Sollte Bayern z. B. mit dem Antrag kommen, die vier Deficitanstaltcn zusammen- zulegen, so würde sicher niemand hier im Reichstag etwas dagegen haben. Wie gesagt, der ReichSiag ist nicht dazu da, nur Geld zu bewilligen, er muß auch mitrede»»nen. Uebrigens hebe ich noch ausdrücklich hervor, daß aus der Mitte des HauseS ein Antrag auf Streichung dieses Absatzes nicht vorliegt. Abg. Hilpert(bayr. Bauen, bund): Ich bitte Sie, den Absatz 2 abzulehnen und den einzelnen Regierungen die Regelung dieser Frage zu überlassen. Gott sei Dank ist die bayrische Regierung noch nicht angewiesen auf die Hilfe der Abgeordneten Stadthagen und Genossen. Direttor im Reichsamt des Innern Dr. Woedtke: Ich habe bereit« in der Kommission gegen diesen Anttag ge- sprachen. Eine Aenderung der Bezirke kann nur von dem herbei- geführt werden, der die Verhältnisse genau übersehen kann, und daS ist der Bundesrat. Der Reichstag hat dem Bundesrat in dem geltenden Recht diese Besugnis übertragen und kann daher jetzt' nicht verlangen, bei derartigen Veränderungen milzu- sprechen. Abg. Röstcke(wildlib.): Ich habe mich gewundert, daß der Herr Staatssekretär sich heute dem Widerspruch de« bayrischen Bevollmächttgten angeschloffen hat. in der Kommission hat er sich für diesen Absatz ausgesprochen. Ich glaube nicht, daß viele Mtglieder des HauseS gegen das ganze Gesetz stimmen werden, falls dieser Absatz fällt. Wenn jetzt den einzelnen Regirrungen diese BeftigniS erteilt werden soll, so haben wir unsere ganze Arbeit umsonst gelei st et. Dann hätten wir eS gleich den Regierungen überlassen können, den Aus- gleich so zu schaffen, wie sie es für richtig halten. DaS Mißtrauen gegen den Reichstag, daß er sich vernünftigen Vorschlägen gegen« über ablehnend verhalten würde, ist durchaus unberechtigt. Wir sind der Regierung in der Frage deS Ausgleichs venranensvoll entgegen gekommen, möge sie dasselbe Vertrauen auch uns gegen- über beweisen. Staatssekretär Graf PosadowSky erwidert, der Bundesrat werde erst nach Abschluß der zweiten Lesung Stellung zu den Beschlüssen deS Reichstag» nehmen. Er hoffe jedoch, daß sich bi« zur dritten Lesung ein Ausgleich irgend wie ermöglichen lassen werde. Abg. Gerstenberger(E.) hält die Beforgnifle de» bayrischen Vertreters für begründet. Auch ich bin dafür, dem Reichstag diese Befugnis zu überlasten, zu ihm können wir jedenfalls mehr Vertrauen haben als zu dem Bundesrat. Abg.«eckh(fts. VP.) erklärt, ganz erstaunt zu sein über den Widerspruch der bayrischen Vertreter. Die bayrische Regierung nehme doch sonst Rücksicht auf die Stimmung im Volke. Diese Stimmung aber sei der vom Bundcsratstisch geäußerten Erklärung entgegengesetzt. Das werde jeder sagen, der die bayrischen Verhältnisse kenne. An der weiteren Debatte beteiligen sich noch die Abgg. Gamp(Rp.), v. S alisch<dk.), Hilpert(bayr. Bauernbund) und Beckh(fr. Vg l. Das Haus gerät dabei in immer größer werdende Heiterkeit, weil sich die Redner gegenseitig fortgesetzt den Vorwurf machen, daß keiner von ihnen von den speciellen Verhältnissen des Bayerlandes etwas verstehe. Die Diskussion wird hierauf geschlossen und§ 66 unverändert in der Fassung der Kommission angenommen. Hierauf vertagt das Hans die Weiterberatnng auf Donnerstag. JpÄvlsmVnkÄvifches. Die Budgetkommission des Reichstags trat am Mittwoch zusammen, um den ihr vom Plenum überwiesenen Nachtragsetat zu beraten. Die Forderungen von 220 000 M. zum Ankauf eines Hauses für das Archäologische Institut in Athen und 70 000 M. zu Reparaturen am Botschaftshaus in Konstantinopel wurden ohne Diskussion bewilligt. Zur Entschädigung der Gebrüder Denhardt für den nach Abtretung des Sultanats Witu an Großbritannien ihnen erwachsenen Schaden wurden statt der von der Regierung vorgeschlagenen 100 000 M. von der großen Mehrheit 150 000 M. gewünscht. Auf Antrag des Abg. Graf S t o l b e r g wird die de- finitive Abstimmung über die Position auf Tonnerstag ausgesetzt. um der Regierung Zeit zu lassen, sich bis dahin über den Wunsch der Mehrheit schlüssig zu machen. Ter Anfang der Liqnidation. Paris , 6. Juni. Rascher als man es unter dem Ministerium Dupuy erwarten konnte, hat die Liquidation des prätorianischen Bankrotts begonnen. Der freche Anschlag der royalistischen goldenen Jugend gegen Loubet hat die Entwickelung beschleunigt. Der Allerwelts-Ministerpräsident sah sich genötigt, seinestarke Faust" endlich einmal in den Dienst der Republik zu stellen. Die einzelnen Maßnahmen der Regierung sind vom Telegraph übermittelt worden. Sie sind zwar an sich ungenügend, aber als handgreifliches Zeichen des durch das Revisionsurteil eingeleiteten Wendepunktes von großen, Wert. Endlich hört die� Straflosigkeit der militärischen Verbrecher und ihrer Helfershelfer auf, das zwanzig Monate laiig mit Füße» getretene Gesetz tritt in seine Rechte. Wenn das Minisierium die gestrige Kammersitznng überlebt hat, so einzig infolge der Einleitung der Vergeltnngsaktton. Die von Dupuy erzielte große Vertraiiensn,ehrheit täuscht niemand über das innere Mißtrauen. das dem Ministerium von scinen eigenen Partei- gängern entgegengebracht wird. Im republikanischen Lager worunter die aufrichtigen Äcpublikaner, von den Socialisten bis zum linke» Flügel der Bourgeoisrepublikaiier, zu verstehen sind, mit Ausschluß des Melmeschcn Klüngels wird Dupuy offen beschuldigt, die royalistisch-prätorian'lsche Schilderhebung gegen Loubet fahrlässig begünsligt zu haben. Zum zweitenmal hat es der Ministerpräsident, der zugleich Polizciminister ist, unterlassen, die nötigen Vorkehrungen zu», Schutz Loubets gegen einen öffentlich bekannt gewesenen An- schlag zu treffen. Das erste Mal, am Tage der Wahl Loubets, wurde der neue Präsident beim Einzug in Paris von bezahlte» Janhagel-Gestalren beschimpft unter den wohlwollenden Augen Dupuys und seiner Polizei. Am letzten Sonntag hat Dupuys Fahr- lässigkeit eine ungleich schlimmere Wiederholung jener Skandalscenen verschuldet. Die Entschuldigungsgründe des Ministerpräsidenten haben in der Kamnier keinen Eindruck gemacht, ja, zum Teil den Verdacht bestärkt. Aber die Linke durfte nicht ein Miinsternnn an demselben Tage stürzen helfen, an welchem es gerade einige Maß- regeln gegen die PrKtorianer getroffen hatte. Auch die socialistische Fraktion stimmte für die Regierung. nachdem die Generalstabsparteienmit Hilfe der Melineschcn Gruppe und einiger gesinmmgsloser, machtlüsterner Wetterfahnen von der Art Ribots ein kunstgerechtes Ministersturz- Manöver ins Werk gesetzt halten. ES ist eine der schlimmsten Seiten der augenblicklichen Lage, daß die Abrechnung mit den Prätorianern unter einem Kabinett Dlipny stattfindet, während andererseits eine Ministerkrise aus ver- schiedenen Gründen ein Sprung ins Dniikle zu sein scheint. Der Hauptgrund ist der, daß die eventnellen regierungsfähigen Nach­folger Dupuys teils ebenso unzuverlässig, teils jeder Energie bar sind. Dazu kommt die schlottenlde Angst des rechten Flügels der Dupuyschrn Mehrheit vor einem radikalen Kabinett oder auch nnr vor einem der radikalen Partei entnommenen Ministerpräsidenten. Mit anderen Worten, des UebelS Wurzel liegt in der heillosen Feigheit und dem gefinnungs- losen Klüngel-Egoismus der bürgerlichen Par- t e i e n. Wie die Revision gegen den hartnäckigen Widerstand der feigen bürgerlichen Parlamentarier erkämpft wurde, so muß auch die Ab- rechnung der bürgerlichen Feigheit abgetrotzt werden. In' dieser Beziehung wäre die Kaiumerfitzung deS 5. Juni von entmutigender Wirkung, wenn eben die bisherigen Erfahnmgen nicht gezeigt hätten, daß die sieghafte Kraft der von einer entfchloffrnen Minderheit verföchte»?» Wahrheit jedem bösen Willen und jeder Feigheit der Mehrheit überlegen ist. Die gestrige Kammersitzung bietet ein unübertreffliches Muster der vollendeten Zerfahrenheit und der ekelhaftesten, hinter heuchlerischen Vorwänden sich verbergenden Feigheit der bürgerlichen Republikaner. Drei Abstimmungen in einer und derselben Sitzung, die einander widersprechen. Ein Schritt vorwärts, ein zweiter Stritt rückwärts und ein dritter Schritt wieder vorwärts... Zunächst billigt die Kammer mit 326 gegen 173 Stimmen die Erklärungen und damit auch die Maßnähmest der Regierung, einschließlich des Antrages auf Verweisung des Generals Mercier vor das Hochgericht deS Senats. Sodann findet sich eine Mehrheit von 299 gegen 238 Stimmen, um den focialistischen Antrag auf sofortige effektive Einleitung der Aktion gegen Mercier abzulehnen. Schließlich aber wird ein ebenfalls socialistiicher Antrag betreffs des sofortigen Maueranschlags des Revisionsurteils in ganz Frank- reich mit 307 gegen 212 Stimmen angenommen. Am wichtigsten ist die Resolution' betreffs Vertagung der Anklage gegen Mercier. Der feige Beschluß wird begründet mit der Notwendigkeit,dem Kriegsgericht von Rennes (das über Drehfus urteilen wird) volle Freiheit" zu laffen I Das heißt, ein sofortiges Vorgehen gegen Mercier würde einen Druck auf das Kriegsgericht im Sinne der Freisprechung von Dreyfus gleich- kommen. In Wirklichtcit aber ist gerade die Resolutton der Kammer darauf zugeschnitten, dem Kriegsgericht eine Ver- urteilung aufzuzwingen bezw. zu erleichtern, da ja die Militärrichter ohnehin von sich auS nur zu sehr geneigt wären, einen neuen, viel abscheulicheren Justizmord zu be- gehen. Die Resolution scheint das Kriegsgericht vor die Wahl zwischen DreyfuS und dem General Dkercier zu stellen. Und doch ist das hauptsächliche der Verbrechen Merciers bereits juristisch vom höchsten Gericht des Landes festgestellt in demselben Revisionsurteil, da? die Kammer in ganz Frankreich zur Aufklärung des Volke? affichieren läßt! Ob an Dreyfus ein neuer Justizniord begangen wird, oder nicht, Mercier ist jedenfalls der Sühne des Gesetzes verfallen. Aber vergebens hat der socialistische Abgeordnete V i v i a n i mit unerbittlicher Logik und streng juristischer Schärfe den Sachverhalt dargelegt, dabei einen erdnickenden Anklage- Akt gegen den galonnierten Verbrecher begründend. Mit Hilse desunentwegt" gesinnungslosen Teils der Radikalen hat eine bunt gemischte, von schändlichen Gründen verschiedener Art geleitete Mehrheit den Versuch gemacht, den General Mercier, den Hauptverbrecher, auf Kosten deS unschuldigen Märtyrers zu retten. Zum Glück ein aussichtsloser Versuch! ES sei denn, daß bis dahin die Republik einem Staatsstreich unterliegt, was aber nach menschlichem Ermessc» ganz ausgeschlossen ist. lieber alles Lob erhaben ist die Haltung der socia- l i st i s ch e n Fraktion in der gestrigen Kammcrsitzung. Sie