Freitag, 12. Juni 1936
16. Jahrgang
Nr. 137
UNTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK
ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung präg kii., fochova«r. Telefon sxm. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB . VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .
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Leon Blums erste Erfolge Arbeiterurlaube angenommen/ Gehaltskürzungen aufgehoben Weitere Abstimmungen in einer Nachtsitzuns
Präsident Dr. Benes zurückgekehrt Prag . Um 19 Uhr abends traf der Präsident der Republik auf der Rückreise aus Rumä nien im Sonderzug auf dem Prager Wilsonbahn- hof ein. Zur Begrüßung hatten sich eingefunden die Borfitzendrn des Abgeordnetenhauses und des Senats Malypetr und Dr. Soukup. Ministerpräsident Dr. H o d 5 a mit den Ministern B e ch Y n i, Dr. Franke, Jng. D o st a- lek, Najman und Dr. Czech, die diplomatischen Vertreter Frankreichs , Jugoslawiens und Rumäniens , Vertreter der zentralen Behörden, Landespräsident Dr. S o b o t k a etc. Bor der Ehrenkompanie des 5. Infanterieregimentes hatte die Generalität mit den Generalen S Y r o v h und K r e j L i an der Spitze Aufstellung genommen. Rach dem Abschreiten der Ehrenkompanie wechselte der Präsident Begrüßungen mit den Vorsitzenden der beiden Kammern, den Mitgliedern der Regierung und dr» Diplomaten; Kundgebungen fanden nicht statt. Bor dem Bahnhof wurde der Präsident von dem angesammelten Publikum herzlich begrüßt. * Bei der Rückreise bildete Präsident Dr. Benes in Rumänien wiederum den Gegenstand spontaner Kundgebungen der Bevölkerung. Auf tschechoslowakischem Boden erwartete den Präsidenten in Csop der Gouverneur von Kärpakho- rußland Hrabar. In Kascha u' meldeten sich vor 8 Uhr früh die Vertreter der Armee und der Behörden. Längs der Bahnstrecke wurde der Conderzug von der Bevölkerung herzlichst begrüßt, vor allem im Gebiet von Teichen und Ostrau. In Oderberg , wo Tausende von Menschen den Bahnhof bis auf den letzten Platz füllten, meldete sich der Landespräsident Cernh. Auch in O l m ü tz war der Bahnhof von Tausenden von. Menschen erfüllt und die Spitzen Rr Behörden und des Militärs, Parlamentarier, Vereine und die Schuljugend begrüßten den Präsidenten. Gegenbesuch Carols im Herbst Halmei. Vor dem Verlassen des rumänischen Gebietes richtete der Präsident der Republik Dr. Benes an König Carol von Rumänien ein Telegramm, in welchem er sowohl dem Könige und der Regierung, als auch der Bevölkerung Rumäniens für die Kundgebungen der Freundschaft und Sympathie dankt. Tas gesamte tschechoslowakische Volk würdige deren Bedeutung als Beweis der unauflösbaren Bande, welche die beiden Länder vcröindcn. Gleichzeitig bekundete der Präsident seine Freude darüber, daß er König Carol im Herbst in der Tschecho slowakei werde begrüßen können.
Van Zeeland gescheitert An der Verteilung der Ministerien Brüssel . Van Zeeland teilte Donnerstag nachmittags dem Könige in einer Audienz, die über- eine Stunde dauerte/ mit, daß cs ihm nicht gelungen sei, das neue Kabine^ zu bilden. Die Ursache des Scheiterns Pan Zeelands sei nicht das grundsätzliche Programm Van Zeelands, sondern es seien die Schwierigkeiten gewesen, die sich bei der Besetzung der wichtigsten Ministerien ergeben hätten. An politischen Stellen wird angenommen, daß sich der König wiederum an einen Soziali« stcnführer wenden und ihn mit der Aufgabe, das neue Kabinett zu bilden, betrauen werde. Unter dem Vorsitz des Königs fand nachmittags eine Parteiführerkonferenz statt, die sich mit der durch das Scheitern der Regierungsuinbildung durch van Zeeland geschaffenen Lage beschäftigte. Die.Einberufung einer solchen ganz ungewöhnlichen Konferenz zeigt den E r n st der Lage.
Gorkis befinden unverändert Moskau . Der über den Gesundheitszustand Maxim Gorkis aüsgegebene Bericht gibt bekannt: Seit Mittwoch abends ist. keine wesentliche Aen- derung im Befinden Maxim Gorkis eingeireten, die Temperatur beträgt 36,5 bis 37,4, der Pulsschlag bewegt sich zwischen 80 bis 120 und erreichte zeitweise 140.
Paris . Die Kammer nahm Donnerstag mit 563 gegen eine Stimme den Gesetzentwurf an, durch den bezahlte Urlaube für die Arbeiter eingeführt werden. Um 21 Uhr nahm die Kammer nach dreistündiger Debatte und nach Ablehnung aller Gegenanträge und Abänderungsanträge der Rechten den Gesetzentwurf an, durch den die früheren Regierungsdekrete über die Kürzung der Staatsangestelltenbezüge, und zwar sowohl die Dekrete der Regierung Laval vom vorigen Jahr als auch die Dekrete der Mgierung Donmergue aus dem Jahre 1934 aufgehoben werden. Ministerpräsident Leon Blum beantragte
Badoglio wieder Generalstabschef Rom . Marschall Badoglio ersuchte den Duce, ihn seines Amtes als Vizekönig von Abessinien zu entheben, damit er unverzüglich seine Tätigkeit als Chef des Zentralgenera l st a b s wieder übernehmen könne. Mussolini gab seine Zustimmung hinzu und teilte Badoglio mit, daß ihn den Herrscher zum Herzog von Abessinien ernannt habe. Zum Vizekünig von Abessinien wurde Marschall G r a z i a n i ernannt. Italien am Vorabend wichtiger Entscheidungen Rom.(E. B.s Wie man aus wohlinformierter Quelle erfährt', bereitet man sich in Italien auf alle Eventualitäten vor, sowohl auf politischem als auch auf militärischem Gebiet. Falls die k o m m e n d e G e n f e r T a g u n g keine für Rom günstigen Ergebnisse zeitigen wird, ist es nicht ausgeschlossen, daß Italien sich auß enpolitisch^n eu orientiert. In
Deutschlands Südost-Pläne Berlin . Zu der Balkanreise des Reichs-' bankpräsidentcn Dr. Schacht, der inzwischen bereits in Belgrad eingetroffen ist, wird gemeldet: Der gegenwärtigen Reise Schachts ging eine Exkursion einer deutschen Industrie- Mission auf dem Balkan voraus. Es handelt sich um Unternehmungen der S ch w e r i n d u st r i e, hauptsächlich der Krupp-Werke. An bestimmten Wirtschaftsstellen wird behauptet, daß sich Krupp um die Gewinnung von Rüstnngslieferungen nach einigen Balkanlöndern bewirbt. An bestimmten informierten Stellen wird erklärt, das Ziel der Reise Schachts sei, die Clearingabkommen mit Jugoslawien , Ungarn , Bulgarien und Griechenland zu revidieren und die genannten Länder dazu zu bewegen, den t s ch e Waren in größerer Menge z« kaufen. Es wird auch behauptet, daß Schacht die Schaffung eines Wirtschaftsblocks Südenropas anstrebt und daß er das System eines regelmäßigen Warenaustausches mit de» Agrarstaaten des Donaubeckens und des Balkans schaffen will.,• Die Londoner„Times" haben sich aus Ber lin ausführlich über die Reise des Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht berichten lassen, über deren Ziele man in Deutschland strengstes Stillschweigen wahrt. In dem Bericht der„Times" wird versichert, daß Schacht zunächst die Bank für internationale Zahlungen in Basel und dann Buda pest , Belgrad , Sofia und Athen besuchen wird. Nicht ausgeschlossen seien auch weitere Besuche in Angora und— nach Beendigung der Bukarester Konferenz— in der rumänischenHaupt- st a d t.. lieber die vermutlichen Absichten Schachts berichten die„Times", daß der Reichsbankpräst- dent, der in. Basel wohl wieder Anleihefragen zur Sprache bringen wird, in Ungarn , Jugo slawien , Bulgarien , mrd Griechenland die besten
die Abhaltung einer Nachtsitzung der Kammer, in welcher alle restlichen Entwürfe, die am Dienstag vorgelegt wurden, demnach sowohl der Gesetzentwurf über die Kollettivverträge als auch der Gesetzentwurf über die 40stündige Arbeitswoche, behandelt würden. * Eine Delegation der streikenden Metallarbeiter unterzcichircte Donnerstag abend das Abkommen mit den Arbeitgebern, behielt sich aber vor, den Text dieses Abkommens der Arbeiterschaft zur Genehmigung vorzulegen. Die Arbeit in den Metallindustriefabriken wird demnach am Freitag noch nicht ausgenommen werden.
diesem Fall soll man in Rom beabsichtigen, auch eine Umgruppierung der Grenzgarnisonen vorzunehme«. Die Garnisonen an der französischen Grenze sollen angeblich verstärkt werden. Nach amtlichen Informationen befinden.sich gegenwärtig 32 Divisio- nenunterdenFahnen, abgesehen von den sieben Armeedivisionen, fünf Divisionen der Schwärzhemden und vier Eingeborenendivisionen, die in Ostafrika stgtioniert sind. Die Munitionswerke find voll beschäftigt. Schweizer Nationalrat Gegen diplomatische Beziehungen zu den Sowjets Bern . Der Nationalrat hat mit 96 gegen 72 Stimmen den Antrag abgelehnt,, mft welchem der Föderalrat aufgefordert wird, die erforderlichen Schritte zur Anbahnung diplomatischer Beziehungen mit der Sowjetunion unter der Bedingung zu unternehmen, daß keiner der beiden Staaten sich in die inneren Angelegenheiten des änderen Staates einmischen wird.
Kundenländer Deutschlands besuchen und zur Er- weiterung ihrer Handelsbeziehungen mit dem Dritten Reiche veranlassen will. Er werde ihnen dabei auch den Vorschlag einer Währungs- Angleichung unterbreiten. Von dem Gelingen seiner Mission verspreche er sich eine Stärkung des von ihm vertretenen kapitalistischen Flügels in der deutschen Regierung. Aber Schachts Resse habe neben dem handelspolitischen auch einen außenpolitischen Zweck: die genannten südosteuropäischen Länder enger an das Dritte Reich zu binden. Die Uneinigkeit der Westmächte in der italienischen Frage, die deussche Propaganda im Zeichen der Olympiade bieten dafür günstige Voraussetzungen, während andererseits die Befürchtungen, die man in Deutschland an die Bukarester Besprechungen knüpft, der Berliner Regierung ein rasches Handeln rassam erscheinen lassen. Gleichzeitig verrät die englische Presse jetzt ihren Lesern, daß Herr v. Ribbentrop , der sich sest Pfingsten als Gast des hitlerfreundlichen Lord Londonderry in England aufhält, die Reise keineswegs nur zu seinem Vergnügen gemacht hat. Er will tatsächlich für ein Angebot Hitlers werben, den Frieden in Westeuropa zu garantieren, wenn man ihm in Osteuropa freie Hand läßt. Ribbentrop habe seinen Aufenthält in England verlängert, weil er hoffe, von Eden empfangen zu werden, aber Eden habe erklärt, daß er nicht zu verhandeln wünsche, bevor Hitler nicht den englischen Fragebogen beantwortet hat. Welche außenpolitischen Absichten die englische Regierung hat, ist im Augenblick unklarer als zuvor, nachdem Baldwin neben dem faschistenfeindlichen Eden und dem hitlerfreundlichen Lord Hailsham auch den musiolinifreundlichen Sir Samuel Hoare seinem Kabinett wieder einderleibt hat. Bei dieser Sachlage ist es nicht zu verwundern, daß sich Ribbentrop , Grandi und der Negus, die jetzt zu gleicher Zeit in England ihre Wünsche Vorbringen, begründete, aber einander sehr widersprechende Hcsftrungenuuuhen.
Landsknechte des Kapitals Lm sozialpolitischen Ausschuß des Abgeordnetenhauses gab es dieser Tage einen Zwischenfall, indem es bei einer Abstimmung zu einem Zusammengehen zwischen der SdP mit Agrariern und der Gewerbepartei kam. Charakteristisch für die SdP war dabei, daß es sich um eine Arbeiterforderung handelte, nämlich um die von den sozialistischen Parteien seit langem geforderte Reform der Arbeitsvermittlung. Die Abgeordneten der SdP wandten sich insbesondere dagegen, daß das neue Gesetz im Verordnungswege in Kraft gesetzt werde. Wenn das Ermächtigungsgesetz im Interesse der besitzenden Klassen gehandhabt wird, hat die SdP nichts dagegen, wenn aber eine Forderung der Arbeiter durch Regierungsverordnung verwirklicht werden soll, dann entdeckt die SdP ihr Herz— nicht für die Arbeiter, sondern für die Ver- fassung. Wieso liegt nun eine Regelung der Arbeitsvermittlung im Interesse der arbeitenden Schichten? Die heutige Arbeitsvermittlung ist anarchisch.'Es gibt eine öffentliche, eine gewerkschaftliche und eine private Arbeitsvermittlung, bei welch letzteren der arme Arbeitslose, wenn er endlich eine Stelle mit schmalem Verdienst erhalten hat, noch zahlen muß. Die Arbeitsvermittlung ist also zersplittert und das hat für die Arbeitsuchenden in der Krise und für die gesamte Wirtschaft die unangenehme Folge gehabt, daß es vielfach an bestimmt qualifizierten Bewerbern für manche fteie Stelle gefehlt hat. Tas ist für die Zeit der Krise unerträglich. Es bedarf daher einer ZentralisierungderArbeits- v e r m i t t l u n g, bei der alle freien Stellen ebenso wie alle Arbeitsuchenden in Evidenz geführt werden und an die sich Arbeitgeber ebenso wenden müssen wie Arbeiter und Angestellte. Wenn nun von Unternehmerseite behauptet wird, daß damit auf die Arbeitgeber ein unerträglicher Zwang ausgeübt wird und daß diese gerade jenen Arbeiter aufnchmen müssen, der ihnen von der öffentlichen Arbeitsvermittlung zugewiesen wird, so ist demgegenüber daran festzuhalten, daß die Arbeitsvermittlungsanstalt nur das Interesse hat, die Vermittlung zweckentsprechend zu regeln, d. h. so, daß der richtige Mann an den r i ch t i g'e n Platz kommt und der Arbeitgeber genau so zufriedengestellt wird wie der Arbeiter. Es handelt sich um keinen Zwang, sondern um die Erledigung einer wirtschaftlichen Angelegenheit zur beiderseitigen Zuftiedenheit der Beteiligten. Allerdings können und werden dabei auch soziale Momente berücksichtigt werden, es kann also bei gleicher Qualifikation derjenige, der drei Jahre arbeitslos ist früher berücksichtigt werden als der, welcher erst drei Monate das Schicksal der Erwerbslosigkeit trägt. Auch wird wohl niemand einwenden, daß der verheiratete, kinderreiche Arbeiter in einem solchen Falle dem ledigen, kinderlosen vorgezogen wird, obzwar immer dafür gesorgt werden mutz, daß auch ein gewisser Prozentsatz jugendlicher Arbeiter untergebracht werden muß— so wie es bei der"produktiven Arbeitslosenfürsorge schon geschieht.. Die vollständige Evidenz der fteien Stellen und der Arbeitslosen ist auch deswegen notwendig, um einen genauen Ueberblick über den Arbeitsmarkt zu erhalten. Denn nur bei einer Erfassung aller Arbeitslosen und fteien Stellen kann festgestellt werden, ob wir an bestimmten Kategorien von Arbeitern zuviel und an andern zu wenig haben. Nur auf dieser Grundlage könnte man an die Frage der Umschulung jener Arbeiter herantreten, deren fachlichen Kenntnisse infolge struktureller Aenderungen im Wirtschaftsleben an Wert verloren haben und denen andere Kenntnisse beigebracht werden müssen, damit sie im Kampf ums Dasein bestehen können. Auch eine Kontrolle der Unterstützungen, nach der die bürgerlichen Vertreter rufen, kann erst wirklich durchgeführt werden, wenn die Verpflichtung festgelegt wird, daß alle freien Stellen ebenso gemeldet werden müssen wie jene, die Arbeit suchen. Den Gegnern der Reform der Arbeitsvermittlung, zu denen auch die„eindeutig Spzialen" gehören, handelt es sich aber gar nicht um eine wirtschaft- und sozial-zweckmäßige und gerechte Regelung, sondern sie streben nach der Herrschaft über den Arbeits- m a r k.t. Sie wollen alle Arbeitsuchenden von sich