Seite 2 Sonntag, 14. Juni 1936 Nr. 139 Arbeiterschaft tief eingewurzelt war,.fast völlig verschwunden und hat einem starken Interesse für das Verteidigungsproblem Platz gemacht. Die schwedische Arbeiterregierung hat schon in den letzten Budgets die Beträge für die Rüstungen erhöht, allerdings die endgültige Bestimmung des Umfanges der Aufrüstung der Behandlung des heurigen Reichstages überlasten. Die bürgerlichen Parteien, und zwar ebenso die Konservativen und die liberale Volkspartei wie auch die sonst mit der Sozialdemokratie verbündete Bauernpartei haben jedoch die Frage der Aufrüstung Schwedens zu einer innerpolitischen Streitfrage gemacht, in­dem sie durch eine maßlose Schreckenspropaganda und ein Hinauftreiben der Rüstungsziffern auf eine der Regierung untragbar erscheinende Höhe, sich eines populären Schlagers für die Herbftwah­len versichern wollten. Bei Len Rechtsparteien der Konservativen und der Liberalen ist das aller­dings leichter verständlich als bei der Bauernpar­tei, denn während jene nach der erfolgreichen Regierungsführung der Arbeiterpartei nach einem solchen Wahlschlager suchen mußten, ist der Er­folg der Bauernpartei bei Len Wahlen auf Kosten der Rechten und der Liberalen so gut wie gesichert. Die Regierung und die Arbeiterpartei gingen mit ihrem Angebot für die Aufrüstung bis zu einer Höhe, die sich um keinen bedeutenden Betrag (rund 72 Mill. XC) von der Forderung der bür­gerlichen Parteien unterschied, jedoch nach Ansicht der Arbeiterpartei die äußerste tragbare Grenze im Rahmen des gegenwärtig Möglichen darstellte. Dabei wird von feiten der Regierung betont, daß in diesem Kostenrahmen durchaus eine effektive Aufrüstung durchgeführt werden könnte, wenn gleichzeitig auch die entsprechende Modernisierung und Neuorganisation des HeereswesenS vorgenom­men erfolge. Aber gerade gegen die Durchführung einer solchen Neuorganisation laufen die bürger­lichen Parteien Sturm aus Angst um priviligierte Stellen ebenso wie aus Gründen der Wahlkreis­strategie, in der ja die Lage von Garnisonen eine bedeutende Rolle zu spielen pflegt. Um jedoch eine Einigung zu erzielen und zu verhindern, daß die Rüstungen gegen den Willen einer so starken Min­derheit wie es die Arbeiterparteien sind bei den letzten Wahlen hatten ja die Arbeiterparteien sogar ein« kleine Stimmenmehrheit von einer bürgerlichen Parlamentsmajorität beschlossen würde, was nur dem Verteidigungsgedanken än sich schaden müßte, hat die Arbeiterpartei ihr An­gebot auf die Höhe der Forderung der bürgerlichen Parteien erhöht, jedoch hat Ministerpräsident Hanffon die Führer der Parlamentsfraktionen zu Verhandlungen eingeladen, in denen dieses An­gebot mit einer Reihe von sozialen Forderungen der Arbeiterschaft junktimiert wurde. Die Arbei­terpartei, welche nach einem Wort Per Albin Hanssons» nicht nur eine äußere Verteidigungs­bereitschaft, sondern auch eine innere, näm- 4 lich gemessen am sozialen Standard des Bolles, kennt, hat erklärt, daß ein« Aufrüstung in der von den bürgerlichen Parteien geforderten Höhe ohne die Gefahr einer Soziasreaktion nur mög­lich ist, wenn die besitzenden Klaffen bereit sind, die notwendigen Opfer nicht auf die sozial schwa­chen Schichten des Bolles zu Lberwälzen, sondern selbst zu übernehmen. Um diese Forderung der Arbeiterregierung werde nun gekämpft. Es ist möglich, daß die Regierung es vorzieht zurückzu­treten, zumal da ja in kurzer Zeit Neuwahlen stattfinden, was der Sozialdemokratie Gelegen­heit gibt, ihren Standpunkt, di« Aufrüstung nicht den sozial schwächsten, sondern den sozial stärksten Schichten des Volles aufzulasten» den Wähler« massen zur Entscheidung vorzulegen. Der Präsident In Brünn , begeistert empfangen von der Bevölkerung des ganzen Gebietes Der Präsident der Republik Dr. Edvard Benes bat SamStag vor Mittag in Begleitung feiner Gemahlin seine siebentägige Reise nach Myhren angrtreten. Rach kurzen Unterbrechungen in B.-Trübau und in Boskowitz , wo der Prä­sident ebenso wie entlang der ganzen Strecke mit Herzlichkeit begrüßt wurde, traf der Zug um 15.20 Uhr in Brünn ein. Die Bevöllerung Brünns bereitete einen würdigen und herzlichen Empfang des Präsiden­ten der Republik und seiner Gpmahlin vor. In der Stadt war von früh an erhöhter Verkehr und es herrschte eine freudige Stimmung, die sich auch in dem reichen Schmuck der Straßen, di« in einer Ueberschwemmung von Farben, unzähligen Fah­nen und Flaggen untergehen, zeigte. Die Häu­serfronten sind geschmackvoll dekoriert, insbeson­dere das Bahnhofgebäude ist mit Reisig und Grün sowie mit Fahnen reich geschmückt. In den Geschäftsauslagen und in den Fenstern der Woh­nungen sind Bilder und Büsten des Präsidenten, das Staatswappen, Flaggen und Transparente mit Blumen und Grün bekränzt. Nach dem Empfang auf dem Brünner Bahn­hof schritt der Präsident mit seinem Gefolge die Ehrenrotte ab, worauf er sich auf die Tribüne vor dem Bahnhofsgebäude begab, vor welcher große Menschenmengen Aufstellung genommen hatten. * Im Namen des mährisch-schlesischen Lan­desausschusses und der Landesvertretung begrüßte den Präsidenten Landesausschußbeisitzer Prof. Drobnh, hierauf im Namen der Stadt Brünn Bürgermeister Dr. Spazier. Der Präsident antwortete auf die Anspra­chen mit einer Rede, in welcher er seine Absicht bekanntgab, alljährlich Reisen zu unternehmen, um mit allen Landesteilen in persönliche Berüh­rung zu kommen.Für den Präsidenten der Republik," sagte Dr. Benes ,ist nicht ein Teil der Republik mehr wert und wichtiger als der andere. So hat es Masaryk verstanden, so ver­stehe auch ich es." Der Präsident verabschiedete sich dann von den anwesenden Persönlichkeiten, nahm in dem bereitstehenden, von einem militärischen Ehrenge­leite begleiteten Automobil Platz und der ganze Zug bewegte sich vom Wilionplatz vor dem Brün­ner Bahnhof durch die Straßen der Stadt zu dem Gebäude der Landesbehörde auf dem LaZanskh-Platz. Auf dem ganzen Wege standen Militär und Legionäre Spalier, dahinter stand die Bevöllerung in dichten Reihen, die Fenster waren überall von Menschen überfüllt. Einen schönen Anblick bot der FreiheitSplah, wo sich die Menge üusbreiten konnte. Dem Lajanskh-Platz gaben die Spaliere der Legionäre, der Angehö­rigen der Italienischen Landwehr, der Sokoln," der Orels, der Mitglieder der Arbeiterturnver­einigungen, des Makkabi und anderer Turnkor­porationen das Gepräge. Unsere Partei nahm an der Begrüßung teil durch Abteilungen der Republikanischen Wehr, der Sozialistischen Jugend und durch unsere Vertreter in der Brünner Stadtvertretung und der mährisch-schlesischen Landesvertretung. Im Gebäude der Landesbehörde empfing der Präsident den ersten Präsidenten des Ober­sten Gerichtes Dr. Vladimir Fajnor, den Lan- deSmilitärkommandanten von Mähren -Schlesien , Divisionsgeneral E. Kadlec und den Landesgen­darmeriekommandanten General Mlädek. Ferner empfing der Präsident der Republik die Mitglie­der des mähr.-schlesischen Landesausschuffes, welche Landespräsident Eernh einführte und vor­stellte. Bei dieser Audienz überreichten die Mit­glieder des Landesausschuffes dem Präsidenten ein Memorandum des Landes Mähren-Schlesien und wertvolle Ehrengaben. Gegen 18 Uhr veranstaltete der Landesprä­sident Dr. Eernh und seine Gemahlin einen Empfang zu Ehren des Präsidenten. Abends be­suchte der Präsident eine Festvorstellung im Lan­destheater. FilrdieVerteldisunssanlelhe, für unsere Freiheit Das politische Ziel aller demokratischen Deutschen dieses Landes, aller jener, welche die Freiheit als ein hohes Gut betrachten und die sich nicht unter das Joch eines Diktators beugen wol­le», ist die materielle Existenz des Sudeten­deutschtums zu erhalten und seine politische Frei­heit zu wahren. Wollen wir daS, so müffen wir uns gegen alle imperialistischen Pläne deS Fa­schismus wehren, der Europa seiner Herrschaft unterwerfen will. Auch dem Angreifer mußeSals ein Risilo erscheinen unsanzugreifen. Erscheinen wir ihm wehrlos, dann ist die Versuchung deS Faschismus über«nS herzufallen größer, als wenn er weiß, daß wir entschlossen und fähig sind,«nS zu ver­teidigen. Eine Demokratie, die nicht ihre Existenz verteidigen will, ist nicht wert, daß sie besteht sagte einst Präsident Benes und danach müssen wir auch handeln. Wir wissen, daß es der Welt viel besser ginge, wenn dir Staaten statt aufzurüste« lieber abrüsteten. Da aber die Imperialisten rüsten, müssen wir alles zu unserer Verteidigung tun. Wir wollen den Frieden, der Präsident und die Regierung wollen ihn auch. Aber wirwollen niemals und unter keinen Um­stände n S k l a v e m des Faschismus werden. Deswegen müssen wir dem Staate geben, was er z« seiner Verteidigung braucht. Jede Krone, die für die Berteidigungsanleihe ausgegeben wird, wird für unsere Freiheit, für die Demokratie gegeben. Wir deutschen Sozial­demokraten müffen in diesem Augenblick unsere Pflicht tun, die nicht nur im Reden, sondern im "Handeln besteht. Deswegen werden wir alles tun, damit die Berteidigungsanleihe einen volle« Er­folg habe. Os» bisherige Ergebnis der Zeichnung Während der nicht ganzen ersten Woche wurden für die Staatsverteidigungsanlrihe bei allen Zeichnungsstellen 4>^Aige und 3%igt Schuldverschreibungen im Gesamtnominalwert von 420,735.500 gezeichnet und bezahlt. Zu dieser Mitteilung erfahren wir» daß von der angeführten Gesamtsumme die Zeichnungen i der 4%%tgen Schuldverschreibungen 365 Mil­lionen und der Zeigen Schuldverschreibungen 55 Millionen Kronen ausmachen. Lehrreich ist ein Vergleich der Ergebnisse die- ser ersten Woche der Zeichnung der Staatsvertri- digungsanleihe und jener, welche bei der Zeich­nung der letzten Anleihe erreicht wurden, nämlich bei der Zeichnnug der Arbeitsanleihe. Das Er­gebnis» welches für die erste Woche der Zeichnung der Staatsverteidigungsanleihe erzielt worden ist, ist um 150,000.000 XC höher als es dies in der gleichen Periode bei der Zeichnung der Arbeits­anleihe der Fall war. Für die Schaffung eines Arsenals setzt sich die ZeitschriftProgram" und auf Grund eines Artikels in dieser Zestschrift auch das VeLerni Ccske Slovo" ein. Die Erzeugung von Kriegsmaterial in eigener Regie des Staates bzw. des Militärs, würde verhindern, daß sich einige wenige an den tschechoslowakischen Rüstun­gen bereichern. Welche Gewinne da erzielt wer­den, dafür gibt das Blatt folgendes Beispiel an: ein Tank mit allem Zubehör kostet etwa 1 Mil­lion XL, der Produktionspreis beträgt aber nur 300.000 bis 400.000 XL. Die Rüstungsindustrie verdient also an einem Tank rund 600.000 XL, das ist bei 500 Tanks 300 Millionen XL. Ein an­deres Beispiel dafür, was die Rüstungsindustrien verdienen, ist die größte deutsche Rüstungsfirma Krupp, die vor dem Weltkrieg jährlich rund 100 Millionen, im Kriege aber selbst ungefähr 220 Millionen jährlich rein verdient hat. ' Regierungsverordnung über Erleichterungen für Motorfahrzeuge. Der Ministerrat genehmigte in seiner am Freitag den 12. Juni abgehaltenen Sitzung den Gesetzentwurf des Ministeriums für öffentliche Arbeiten über Erleichterungen für Motorfahrzeuge. Da die Dringlichkeit der Ange­legenheit es erforderlich macht, daß die Maßnah­men zugunsten des Motorismus beschleunigt in Kraft treten, wurde der Vorlage die Form einer Regierungsverordnung gegeben, welche auf Grund des Gesetzes über die außenordentliche Verordnungsgewalt erlassen wurde. Belgrad . Der' deutsche ReichSbankprästdent Dr. Schacht ist nach zweitägigem Aufenthall in Bel­ grad nach Athen abgereist. Paris . Gesandter Dr. Osusky wurde Samstag von dem neuen französischen Außenminister Dellbos in Audienz empfangen. Die Unterredung betraf aktuelle außenpolitische Fragen. Nanking.(Reuter) Amtliche Nankinger Kreise sind der Ansicht, daß jetzt der Weg für die Lösung des Konfliktes zwischen den Führern der Provinzen Kwangtung und Kwangsi mit der Nankinger Regie­rung frei gemacht ist. Madrid . In politischen Kreisen spricht man von der möglichen Einbeziehung der sozialdemokratischen ^Gruppe des Abgeordneten Prieto in die Regierung und der nach einem etwaigen Ministerwechsel erfol­genden Verleihung besonderer Vollmachten an das umgebildete Bolksfrontkabinett. 12 Wir suchen ein Land Roman einer Emigration Von Robert Grötzsch Copyright by Sagen Prager-Verlag. Bratislava . Im Tale setzte er den schweren Koffer ab. Das Landhaus Maria war schon hinter der Anhöhe verschwunden. Wieder einmal stand er mit dem Rucksack vor Neuem, Unbekanntem. Wie vor einem Jahre, als die Braunen ihm drüben das Mobiliar klargehackt hatten. Was er ret­tete, füllte einen Rucksack. Fort damit. Daheim erstickte das Leben. Für einen sozialdemokrati­schen Feuilletonredakteur gab's dort einstweilen nichts mehr zu schreiben, nichts mehr zu wirken, gab es keinen Platz mehr. Höchstens im Konzen­trationslager. Sinnlos viele Märtyrer ver­bluteten dort. Niemand draußen hörte ihren Schrei. Wem nützte ihr Opfer und Leiden? Der Atem der Welt stockte kaum einige Augenblicke, dann rotierte der Bettieb weiter. Die Welt war stumpf ge­worden von vielem Erleben... Justus bekommt ein müdes Gesicht, wenn er dieser Schande ge­denkt. Mit dem Rucksack auf dem Rücken kam er vor einem Jahr über die Grenze. Merkwürdig, was man kurz vorher noch alles für nötig hieü! Meh­rere Zimmer, einen vollen Garderobenschrank, tägliches Bad, fünf Paar Sttefel, Holzschnitte, Bildermappen, Vasen all'.r Formen, kleine, in­time Kostbarkeiten... Plötzlich reißen einige Dämme, eine Schlammflut brodelt durch Land, man steht wieder mit nackter Brust vorm Leben und preist das bißchen Unterwäsche im Rucksack. Und denkt zurück, weit zurück, wie man damals, ein Jahrzehnt vor der Jahrhundertwende, als neubackener Buchdruckergehilfe mit dem Fell­eisen auf der Landstraße dahinpilgerte. Eine Bürste war drauf geschnürt und drin noch we ­niger , als jetzt im Rucksack: ein altes Hemd, ein paar Sttümpfe. DaS wichtigste dazwischen: ille­gale Literatur. Denn die letzten Wochen deS So­zialistengesetzes zuckten über Deutschland hin, auf sozialistische Agitation stand Gefängnis und Lan­desverweis. Auch er wurde über die Grenze ge­schoben, der neubackene Buchdruckergehilfe, kaum von der Mutter fort, siebzehn Jahre alt, glatt das Kinn und die Stirn voller Sommersprossen. JustuS putzt die Brille und wischt sich den Schweiß vom Hutrand. Tja, alles kehrt einmal so ähnlich wieder, aber immer sind neue Runen, neue Züge im wenigen Gesicht des Lebens. Nicht einmal die illegale Literatur fehlt in meinem Rucksack. Nur: damals trug ich sie heimlich von Kollegen zu Kollegen, über die Grenzen herüber und hinüber heute schreibe ich sie. Und heute muß sich die ganze Welt mit den neuen Gedanken von damals auseinandersetzen, in allen Formen, auf Leben und Tod. Hörbar, sichtbar und un­sichtbar, im Angesicht des Diktators wie unter der Sonne der Freiheit, werben die Gedanken neuer höherer Menschlichkeit» schwärmen aus in immer neuem Gewand und umwirbeln die Köpfe ob man uns fesselt oder frei laufen läßt. Er zieht den Rucksackriemen an. Nun war also schon wieder ein Koffer hinzugekommen, ein verkappter Anker der Seßhaftigkeit. Bücher, Klei­der, die wackere Kameraden herüber bugsierten. Er schaut zu dem dunkelbraunen Kasten hinab. Der Griff hat sich halb zur Seite gelegt, wie ein schräg gerichtetes Hundeohr. Er packt den Kasten beim Ohr und wandert weiter. Der eingedrückte runde Hut hängt im Genick. Ein kleines Gasthaus steht am Wege. Feiner, warmer, röstbrauner Dust, dunkelbrennend und lockend in seiner Kraft, streift die Nase, weht durch Fenster und Türen, eine unsichtbare Fahne stiller Freuden... Böh­mischer Kaffee, böhmische Buchteln, böhmische Lieder wenn man die Augen schließt und sich den Koster hinweg denkt, könnte man ttäumen, alles andere sei nicht gewesen, die Zeit stünde still, man wanderte wie damals, man schlürfte das erstemal böhmischen Kaffee und alles begänne von neuem. Als Justus nachmittags in der Spinne an­kam, roch die große Zigarrenkiste, wie Gustt das Haus nannte, noch stark nach Lack und Farbe, aber alles war schon ziemlich manierlich hergerichtet. Wände und Decken gestrichen, die Fußböden in Ordnung, acht Zimmer parat; in den großen schliefen immer zwei. Feldbetten standen an den Wänden. Decken lagen aus den Tischen, sogar Bilder hingen da und dort. Manches hatte man aus der Villa Wanja gerettet, manches stifteten die Genossen von Litosch und der anderen Stadt stromaufwärts. Im Keller gab es eine Werk­statt mit wichtigem, zusammengeschnorrtem Werk­zeug. Peter und Paul zimmerten dort alte Di­wane zurecht, sogar, das Polstern hatten sie ge­lernt. Eine Fabrik pfiff sechs Uhr und die Mäyner der Spinne hockten unten am Wasser. Gusti führte den Neuen in sein Zimmer hinauf.Sogar die Treppen schon gestrichen", lobte Justus,oh deut­sche Ordnung, segensreiche.. Bor dem Fenster seiner Stube stand sogar ein alter, dunkler Schreibtisch.Alles für das bißchen Geld? Fabel­haft, was hier einem armen Emi alles geboten wird!" Er sah das'Bücherbrett an der Wand. Ich danke ihnen, Frau Schwarzer. Sie haben gewiß ein Herz für die Literatur! Hier laßt uns dichten!" Gusti erstrahlte. Endlich mal ein Mensch, der sich bedankt. Das hatte sie an ihrer Meute lange nicht mehr erlebt. Und ein volles, warmes Lachen, wenn er lacht» dachte sie, als sie die Trep­pen hinabstieg. Dreiundsechzig will der sein? Sollte man's glauben? Wie ein Fünfziger hielt er sich. Justus stand am Fenster. Zwecklos groß und verlassen dehnte sich der Hof. Der Garten, sagte Gusti. Dann kam die lange wellige Steppe und weit, weit darüber hinaus sah Justus daS Wasser des anderen Ufers glitzern. Eine Dampfwalze ratterte in der Nähe, die Landstraße wurde auS- gebeffert. Unten am Hause begoß Gusti den einzigen Baum des Anwesens: eine kleine, schüchterne Linde. Wohlgefällig schaute Justus über die kräftig ausladende Gestalt der Frau. Mit der würde man in Frieden leben können. Gut in diesen Zeiten, wenn die Nerven bißchen weich und fleischig gebettet sind. In den Luftschlössern, die er als junger Mensch gebaut, hatten immer üppige Frauen gehaust. Merkwürdigerweise war's dann später in der Praxis anders gekommen. Die Sehnsucht aber blieb... Wie alt mochte die Frau sein? An die Vierzig? In ihrem Gesicht ver­steckte sich gedämpfte Schwermut,«in feinerer Zug, der sich nicht heraustraute, weil er sich vor der Robustheit der Welt schämte... Er hing seine Kleider in den Schrank, den Peter neu hergerichtet hatte. Die Tür quarrte, als wäre sie dieses ewigen Auf- und Zuklappens müde. Vom Flusse her tönte Musik. Ein Vergnü­gungsdampfer schaukelte durch die Wellen. Das Gras der Uferwiesen senkte dürstend die Halme. Barhäuptig querte Justus durch die kleinen Sand­mulden, die sich um die Spinne lagerten, zur Straße hinüber, dem Städtchen entgegen. Eine Fabrik ragte auf; er bog zum Flusse hin ab. Die ersten Häuser blieben hinter ihm. Ein Kram- strden. Ein Bäcker. Ein Fleischer. Gärten mit sarbenspeienden Tulpenbeeten. Dann wieder Wiesen. Der schmale Weg stieß auf den Uferpfad. Justus ließ sich am Rande der Böschunq nieder. Der Wall des Weidengebüsches war hier zu Ende. Von weit draußen kam der Lärm badender Men­schen. Di« Abendsonne färbte den Wellen violette Streifen auf den Rücken; sie rollten dahin wie geschmolzenes Blei. Vom anderen Ufer leuchteten rotglühende Fenster zwischen Bäumen. Justus hörte Sttmmen. Ein Mädchen und ein junger Mann, Badeanzug unterm Arme, schlenderten stadtwärts. ^Fortsetzung folgt.)