Nr. 139 Sonntag, 14. Juni 193k Sette 5 Einer der besten Kenner der internationalen Rohstoffwirtschaft, BrooksEmeny, kommt in seinem eben in New Jork erschienenen Buch„Strategie der Rohstoffe" zu recht interessanten Ergebnissen. Er stellt zunächst eine Liste von 22 für die Kriegführung unentbehrlichen Roh- st o f f e n zusammen und untersucht sodann die Verteilung dieser wichtigsten Stoff« unter den einzelnen Staaten. Es stell: sich zum Beispiel heraus, daß in M a n g a n e r z e n, die für die Stahlproduktion unentbehrlich sind, Rußland allein selbstgenügsam ist, alle anderen Staaten sind mehr oder minder auf Einfuhr angewiesen. K a n a d a ist der größte Lieferant von Nickel, während China die größten Vorräte von Antimon aufweist. Spanien und Ita lien , die sonst sehr arm an Rohstoffen sind, find reich an Quecksilber. Die Vereinig ten Staaten können sich in sieben der wichtigsten Rohstoffe selbst versorgen und können, bei entsprechender Vergrößerung der einheimischen Produktion, auch in fast allen anderen Rohstoffen selbstgenügsam werden. Nur bei sechs Pphstüffen: Kautschuk, Chrom, Zinn, Antimon, Nickel und Mangan sind die USA . heute auf Einfuhr angewiesen. Das Britische R e ich muß gleichfalls sieben von den für die Kriegführung unentbehrlichen 22 Rohstoffen einführen, und zwar: Erdöl , Baumwolle, Quecksilber, Antimon, Kali, Phosphate und Schwefel. Rußland muß gleichfalls bloß sechs Rohstoffe einführen. Anders ist die Situation von Deutschland , Italien und Japan . Deutschland ist auf Einfuhr von 18Rohstoff«n^ die für die Kriegführung unentbehrlich sind, angewiesen; Italien aus die Einfuhr von 15, I a p a n auf die Einfuhr von 14. Es ist interesiant, daß Frankreich , obschon die zweitgrößte Kolonialmacht der Welt, gleichfalls auf die Einfuhr von 14 Rohstoffen von den 22 angewiesen ist. Man sieht also, daß die sieben Großmächte des Erdballs in ihrer Rohstoffversorgung in zwei ungleiche Gruppen geteilt sind, von denen die eine über fast alle Rohstoffe verfügt(USA , Britisches Reich, UdSSR .), während die ander« im wesentlichen auf die Einfuhr angewiesen ist. USA und das Britische Reich ergänzen einander in der hält dadurch ein politisches Aussehen. Vor einigen Schaufenstern der„Galeries Lafayette? sammeln sich Menschen an. Die Streikenden haben ihre Forderungen angeschlagen.„Voilll— pourquoi nouz lut- tons." Da stehen die Lohnforderungen: Mindestgehalt für Männer 1200 Franken und für Frauen 1000 Franken pro Monat, für Jugendliche unter 16 Jahren 500 Franken und 16 bis 20 Jahren 800 Franken; dann ein gestaffelter bezahlter Urlaub und verschiedene andere gewerkschaftliche und betriebliche Forderungen. Hoch oben auf dein Dachgarten sitzen die Streikenden, lesen und spielen, unten, an den Personaleingängen steht Kontrolle für die Ein- und Ausgehenden. Der Betrieb ist hier rege, es ist Mittagszeit. Nahrungsmittel werden gebracht. Und so wiederholt eS sich an allen besetzten kleineren und größeren Betrieben. An den Toren die Kontrolle. Hier und da wehen Trikolore und rote Fahnen. Einige Anschläge, die über Streikforderungen und Betrieb-Verhältnisse Auskunft geben. In den letzten Tagen find noch Sammelbüchsen hinzugekommen: Für die Verpflegung der Streikenden. Schon hat die Neugier der Passanten nachgelaffen. Man erwartet die Wiederaufnahme der Arbeit. Noch aber feiern viele Betriebe, deren Ordnung und Sicherheit allen aufgeregten Gerüchten zum Trotz wohl niemals besser war als gerade jetzt, da sich die Arbeiter Tag und Nacht in ihnen bewegen. Stefan Stralsund. den Fenstern einige Streikende. Die großen Gebäude machen einen verlaffenen Eindruck. Gehen wir weiter,— die Avenue de la Opere entlang nach der Oper hinüber. Unterwegs liegt ausgestorben ein Einheitspreisgeschäft»Monoprix". Auch hier das eiserne Eingangsgitter verschlossen. Einige bunte Plakate kleben an den Scheiben:„Rouveautks d'Lte"— Sommer-Neuigkeiten. Ob damit wohl der Streik und das verschlossene Tor gemeint sein mögen? Jedenfalls, die Plakate lügen nicht, der Streik hat das Interesse für die letzten Hutmodelle für einige Tage in den Hintergrund geschoben. Einige Schritte wefter ein Kaffeehaus. An der Tür ein Zettel:»Geschloffen wegen Streik des Personals". Die großen blanken kupfernen Kaffeemaschinen stehen verlassen im kahlen Raum. Am Büfett lehnen einige Angestellte und schauen heute geruhsam durch di« Scheiben hinaus auf den Verkehr. Hinter der Oper liegen die großen Magazins „Printemps " und die„Galeries Lafayette". Auch in dieser Gegend herrscht beinahe Feiertagsbetrieb. Es fehlt die unabsehbare Menschenmenge der herein- und herausströmenden Besucher. Nur zahlreiche Zeitungsverkäufer rufen ihre Zeitungen aus. Fast alle Parteien find vertreten und das Straßenbild er» sächsischen Reiche zusammen nahezu selbstgenügsam sind. USA können die Briten mit Erdöl und Baumwolle versorgen, während die Amerikaner aus dem Britischen Reich Kautschuk, Nickel und Wolle erhalten können. Die reichsten Rohstoffgebiete des Erdballs befinden sich unter der Herrschaft der Angelsachsen. Auf die beiden angelsächsischen Reiche entfallen über 60 Prozent der industriellen Produktion und über 75 Prozent aller Mineralvorräte der Erde. Ein englischer Kenner der internationalen Rohstoffwirtschaft, Prof. T. H. H o l l a n d, schließt sein gleichfalls unlängst erschienenes Buch„Die Mineralsanktionen" mit der Bemerkung: Nur die beiden angelsächsischen Nationen find imstande, lange Zeit einen Krieg mit Hilfe ihrer eigenen Rohstoffe zu führen. Die Angelsachsen seien also, meint der englische Professor, wohl vorbereitet, sowohl für den Krieg als für die K r i e g s v e r hütung. Falls sie einer kriegführenden Nation ihre Mineralvorräte verweigern, werde diese Nation nicht lange«inen Krieg führen können. DaS ist zweifellos richtig, es fragt sich nur, ob di« ,-beiden angelsächsischen Nationen" oder vielmehr ihre herrschenden- Schichten tatsächlich an- der Verhütung des Krieges'Interessiert find. Vie Rohstoffvorräte entscheidend im nächsten Kriege Volkswirtschaft und Sozialpolitik Welthandel nur langsam vorwärts Im Gegensatz zu der Entwicklung der industriellen Weltproduktion, die Ende 1935 schon über den Umfang des Hochkonjunkturjahres 1929 hinausgckommen ist, kann sich der Welthandel nur schwer von den Rückschlägen erholen, die er durch die Weltwirtschaftskrise erlitten hat. Das wird erneut durch die Berechnungen des Statistischen Reichsamtes in Berlin über den Welthandel im ersten Vierteljahr 1936 bestätigt. Danach hat der Welthandel gegenüber dem letzten Vierteljahr 1935, in dem eine etwas raschere Erholung zu verzeichnen war, wertmäßig- sogar wieder einen Rückgang zu verzeichnen. Im Vergleich zum ersten Vierteljahr 1935 ergibt sich im ersten Vierteljahr dieses Jahres weiter eine Zunahme. In 52 Ländern, die von den Berechnungen des Statistischen Reichsamtes erfaßt werden, ist der gesamte Umsatz ihres Paris , Anfang Juüi 1936. »Die Arbeiter halten di« Betriebe besetzt",— die Meldung klingt nach Panik und Chaos, nach Ge walt und nach Terror. Und es gibt reaftionäre Dun kelmänner genug, die solche naiven Vorstellungen mir Bedacht zu verbreiten suchen. Solche Versuche und Spekulationen aber stehen auf schwachen Füßen. So sehr man sich auch bemühte, den in den Betrieben verharrenden Arbeitern Gewaltmaßnahmen anzudich ten, so sehr mußte man bald damit Schiffbruch er leiden. Panik und Chaos gehören seit je nicht zu den Dingen, die bei den arbeitenden Massen in Gunst stehen,— ihr Kampf steht nicht im Zeichen des ChaoS, sondern in dem der Ordnung, einer neuen und gerechten Ordnung. In einzelnen Betrieben geben die Belegschaften genau acht, daß die Direk tion nicht unkontrollierte Afte vornimmt, daß sie ihnen nicht einen Sabotageaft vorsetzt und da,'n in die Schuhe zu schieben versucht. Es ist eine elemen tare Wahrheit: nirgends findet man eine fester« und kameradschaftlichere Disziplin als bei der freitm'ligen Einordnung der in den Kampf getretenen Arbeiter massen. Die französischen Betriebsbesetzungen der letzten Tage zeigten das von Neuem mit besonderer Eindringlichkeit. Wenn irgendetwas in diesen gespannten Tagen ^chaotisch" war, so war es daS Wetter. Diese ersten Junitage waren ein Rückfall in den Herbst. Der Juni begann mit einem echten Novemberwetter, mir Kält«, Wind und Regen. Es schien, als hätte sich der Himmel gegen die Streikenden verschworen, als wolle er ihnen den Kampf noch erschweren . Drau ßen, am Ende von Paris, saßen Arbeiter auf einer besetzten Baustelle verfroren und naß in einem dürf tigen Bretterbau. Der Wind pfiff. Die Stimmung blieb davon unberührt. Nachts brannte ein helles offenes Feuer. An einem Mast wehten die Trikolore und eine rote Fahne. Hin und wieder aber kam tags über doch die Junisonne hervorgekrochen, Straßen musikanten fanden sich ein und vertrieben den Strei kenden die Zeit. Nässe und Kälte waren schnell ab geschüttelt. Einige versuchten sogar einen baskischen Tanz. Man wartete auf den Delegierten, der über die Lage berichten sollte. Wir gehen durch Paris. Am Boulevard Ras- pail ist das Tor des großen Gebäudes von Hachette — daS Herz des Pariser Zeitungsvertriebes— ge schloffen. Als dieses Tor zufiel, fielen tausend an dere mit zu: die der Zeitungshandlungen und der Kioske. Paris blieb am folgenden Morgen ohne Zeitungen. Nichts bemerkenswertes ist am besetzten Hachette-Gebäude zu sehen. Hinter dem großen Eifentor spielt eine Ziehharmonika flotte Melodien. Die Belegschaft tanzt, die schlürfenden Tanzschritte vernimmt man auf der Straße. In der Gegend der großen Warenhäuser herrscht fast Feiertagsruhe. Stille liegt um die Häuserblocks der Kaufhäuser»La Voile Jardiniöxe" und»Samaritäine". Hier geraten wir in der Rue de la Monnaie auf offener Straße in eine Versamm lung der streikenden Warenhausbelegschaft hinein. Vom Dach eines Taxi herab erstattet ein Gewerk schaftsvertreter Bericht. Er sprüht über die For derungen der Streikenden und betont immer wieder: keiner dürfe entlassen werden. Er ermahnt die Ver sammelten zu Disziplin und zu Vertrauen für die gewählten Delegierten. Es kommen Zwischenrufe: »Wir wollen alle zu den Verhandlungen gehen oder wollen eine größere Delegation schicken I" Der Red ner rechnet der Versammlung vor, wieviele Kilometer die Menschenschlange lang sein würde, falls alle Streikenden nach dem Verhandlungslokal ziehen woll ten. Man lacht. Dann noch eine Mahnung: Drszt- plin und»Pas du politique!"— keine Politik, es geht bei diesem Kampfe um rein wirtschaftliche und gewerkschaftliche Fragen. Danach steigt der von den Verkäufern gewählte Delegiert« auf das Taxi: Man werde kämpfen bis zum Siege,—» vor allem aber werde man auch Disziplin zu halten wissen.„Disci- pline, camerades, disciplinel" Die. Redner fahren im Taxi davon, die Menge verläuft sich in Ruhe. Am Kaufhaus Louvre, einige Schritte weiter, find die eisernen Rolläden Heruntergelaffen. An den Eingängen stehen einige Neugierige, hier und da an jLiohstoffversorgung, so daß die beiden angele Ost und Belehrung finden unsere Gemeindevertreter in reichem Maße in der „Freien Gemeinde“ Redaktion und Verwaltung. Prag XII.» Fochova 62/V. Außenhandels von 21.4 Milliarden Reichsmark im ersten Vierteljahr 1935 auf 22.6 Milliarden im ersten Vierteljahr 1936 gestiegen. Die Umsatzerhöhung macht demnach 5.9 Prozent aus. Die Einfuhr in diese Länder stieg von 11.3 auf 12 Milliarden RM oder um 6.4 Prozent, die Ausfuhr von 10 auf 10.6 Milliarden RM oder um 5.3 Prozent. Die Ausfuhrerhöhung war demnach nicht so stark wie die Einfuhrerhöhung. Bemerkenswert ist, daß die Erholung in de« europäischen Ländern langsamer vor sich geht alS in den außereuropäischen. So beträgt die Zunahme der Einfuhr in 26 europäischen Länder« vom ersten Vierteljahr 1935 zum ersten Vierteljahr 1936 5.7 Prozent» bei 26 außereuropäische« Ländern aber 7.7 Prozent. Die Ausfuhr stieg in der ersten Gruppe um 2.6» in der zweiten Gruppe der außereuropäischen Länder aber um 8.4 Pro- zent. Liegt der Umsatzwert im ersten Vierteljahr 1936 für beide Gruppen zusammen um 5,9 Prozent höher, so beträgt die mengenmäßige Zunahme nur 1.6 Prozent. Damit erreicht der Welthandel im Jahresdurchschnitt mengenmäßig etwa kaum 80 Prozent seines Höchstumfanges im Jahre 1929, während er dem Werte nach noch immer erst bei unter 40 Prozent des gleichen Jahres angelängt ist. In den 52 Ländern nahm der Welthandel dem Werte und der Menge nach im ersten Vierteljahr der nachstehenden Jahre folgende Entwicklung(1929 ist gleich 100): Werte Mengen 1. Vierteljahr 1932 41.4 78.2 1. Vierteljahr 1933 34.2 73.6 1. Vierteljahr 1934 33.4 74.9 1. Vierteljahr 1935 32.2 74.6 1. Vierteljahr 1936 34.1 75. 8 In den europäischen Ländern hat die Ausfuhr wertmäßig nur wenig zugenommen. Verhältnismäßig am stärksten ist sie in den Agrarländern gestiegen, während sie in Frankreich , den Niederlanden , Rußland und Italien zurückgegan gen ist. Obwohl Italien keine Ausfuhrstatistik mehr veröffentlicht, ist es ganz zweifelsfrei, daß seine Ausfuhr einen starken Absturz erlitten hat. An d«sr Einsuhrstetgsrung der europäische« Staatmd^ nehmen mit Ausnahme Deutschlands , der Schweiz und Spanien alle anderen Länder teil. Steigen der Hypothekarverechuldung Die Hypothekarverschuldung hat allein in Böhmen von27MilliardenKronenim Jahre 1928 auf 48 Milliarden Kronen im Jahre 1935 zugenommen. Dazu muß freilich bemerkt werden, daß der Löwenan-. teil dieser Zunahme noch auf die Jahre vor dem Ausbruch der Krise und auf dem Baumarkt fällt. In der Tschechoslowakei war die Bautäfigkeit bis zum Jahre 1931 sehr umfangreich. Erst in den folgenden Jahren ging sie zurück, um dann im Jahre 1934 und auch 1935 beinahe sttllzuliegen. Erst in den allerletzten Wochen macht sich wieder ein stärkerer Aufschwung bemerkbar. Es werden auch von den zuständigen Finanzierungsstellen jetzt wieder Bau- und Hypothekarkredite in normaler Weise zur Verfügung gestellt, allerdings erst dann, wenn die Sicherheit und die Rentabilität eingehend geprüft worden ist. Ce«ell Von M. Djavachischviü „Chatuta, erzähle dem Gast ein Märchen... Chatuta schien darauf gewartet zu haben. Sie setzte sich zu meinen Füßen, stützte die Ellbogen auf die Knie, vergrub das Kinn in die Hände, starrte mit ihren kohlschwarzen' Augen in die meinen und begann, sich hin und herwiegend, mich einzuschläfern. Chatutas reglos hastender Blick, ihr Lächeln und ihre Stimme, gleichmäßig und tönend wie das Plätschern eines Bächleins, verschlossen meine Lider mit Schlummer und hüllten alles in eine undurchsichtige Wolke. Die Augen fielen mir zu und ich wiegte mich wie Chatuta hin und her. Plötzlich unterbrach sie die Erzählung und änderte den Rhythmus. Ich öffnete mühsam das eine Auge. Djurcha lächelte Chatuta zu und bat sie flüsternd:«Es ist doch mein Bruder... schäme dich nicht..." Wer Chatuta war verlegen. Sie verdeckte das Gesicht mtt den Händen und wehrte sich leise:„Ich kann nicht Für dich hab ich mein Zicklein geweidet. Damit ich„Cacali" erfüllen kann." Ich unterbrach das Lied:„Chatuta, was bedeutet»Cacali'?" Im dunklen Winkel brach Mzekale in Lachen aus. Nach ihm Jamze. Aus Djurcha gurgelte das Lachen wie eine, Fontäne. Das Mädchen sprang völlig verwirrt auf und lief davon. „Djurcha, was ist.Cacali'?" Wermals Gekicher und Verlegenheit. „Ich sag dir'S dann, Vadjiko. Wenn du schlafen gehen willst, so..." „Ach, lieber Djurcha, freilich will ich schlafen gehen." „Nun, dam. komm, ich bette dir auf dem Dach auf. Fürchtest du nicht die Kälte?" „Nein, ich habe doch die Burka." Djurcha geleitete mich die innere Treppe auf daS flache Dach hinauf, lachte noch eine W«ile und stieg wieder hinunter. Noch einmal streckte er den Kopf durch die Dachöffnung und rief mir zu:„Nur keine Angst, Vadjiko l" Was soll das heißen? Wovor soll ich Angst haben? Worauf bereitet er mich da vor? dachte ich, während ich die Kleider ablegte, die ich drei Tage nicht vom Leib bekommen hatte. sam wie ein Schleichender zum Dach heraus. Ich öffnete die Augen... Dunkle, stille Nacht. Unweit von hier ragten unbeweglich dl« Berge wie schwarze Riesen empor. Und in der Ferne die kaukasischen Gipfel in weißen Burkas, als stünden sie Wache. Am tiefblauen Himmel glänzten unzählige Sterne. Plötzlich fällt em Schatten auf mein Lager. Ich hebe den Kopf und sehe. Jemand beugt sich über mich.„Chatuta!"„Pst... still!" Das Mädchen ist nackt unter der Burka. Trübe blitzt di« Klinge des Kindschal auf. Ein Augenblick— und Chatuta schlüpft zu mir unter den Pelz. „Chatuta! Meine Chatuta!" „Still, sag ich! Schweig!" Sie krümmt sich und zittert und ihre Zähne schlagen wie im Fieber aufeinander. „Bist du es, Chatuta? Warum hast du den Kindschal mit?" „Rühr mich nicht an! Ich bin gekommen, um das„Cacali" zu erfüllen. Ich komme zu dir, da du mit Djurcha aus einem Sibberbecher getrunken und einen brüderlichen Schwur geschworen hast." Ich näherte mich ihr und spürte den— blanken Kindschal. Er lag zwischen unS und in seinem harten Schweigen war etwas Furchtbares. Jetzt begriff ich alles. Ich erinnerte mich Chatutas Geflüster und ihres verschämten Liedes, Djudchas Warnung und jener merkwürdigen Chewsuren-Sitte, von der ich einmal erzählen gehört habe— jenes grausamen.Cacali', ein zartes, aber tödlich strenges, nationales Gebot — der höchste Ausdruck brüderlicher Liebe für den willkommenen Gast. Bis heute weiß ich nicht, ob es nur ein barbarischer Brauch oder etwas Uebermenschliches ist. Etwas Göttliches oder Satanisches. Der Chewsure.schickt dem Gast seines Stammes oder dem, mit dem er sich verbrüdert hat, nachts ein ihm nahvevwandtes Mädchen aufs Lager. Aber beim Morgengrauen muß sich dieses Mädchen unschuldig, uicherührt erheben. Der Kindschal ist die schreckliche Mahnung, die Grenze, di« nicht überschritten werden darf. Ich erkannte jetzt auch ohne Erklärung den qualvollen Brauch und wagte eS nicht, Chatuta zu berühren. - Beim Morgengrauen erhob sie sich unberührt, doch... vermochte sie kaum aufzustehen. Wir hatten das groß« Kreuz quälender Lust auf uns genommen und einander völlig entkräftet. Als sie sich anschickte, fortzugehen, streckte ich die Hand nach ihr aus:„Bleib, Chatuta! Warte... Zeig dich..." Die Burka fiel wieder auf mich. Der Mond stand schon ttefer am Himmel. Neugierig blickten uns die Sterne an und ich flüsterte auf den Knien wie im Gebet:„Geh nicht fort,«Chatuta!" „Es ist kaü, Vadjiko, kalt..." Und sich in die Burka hüllend versengte sie mich noch einmal mit ihren müden Lippen und eilte fort. (Aus dem Georgischen von Julius Mader.) Nein.. ich schäme mich, Djurcha... Ich schäme mich..." „Mädchen", rief Djurcha, ,Welche Ikon zürnt dir heute?" Da sprang Chatuta auf und griff nach dem Saiteninstrument. Dann setzte sie sich wieder zu meinen Füßen und begann zu singen: „Seit der Kindheit künden mir die Sterne Das Lager erwartete mich: zuunterst ein Bärenfell, statt der Decke ein Schafpelz und als Kissen drei zusammengerollte Häute. Ich legte mich hin und schloß gleich die Ueber den heimatlichen Bergen deine Ankunft, I Augen. Da schien es mir, als stiege jemand behüt-
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