Dienstag, 23. Juni 1936 Nr. 146 16. Jahrgang Ehinlprils 70 Heller (Iiuchli.Blich$ Hell.r Part») IENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEM ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung präg xii., fochova a. Telefon 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG . Dardanellenkonferenz in Montreux Vor der Revision des Lausanner Vertrages In Montreux haben sich die Vertreter der Staate« und Mächte cingefundcn, die den Ver­trag von Lausanne im Jahre 1823 unterzeichnet Haden, der die Befestigung der Dardanellen und ihre Sperrung durch die Türkei als Anrainer der Meerengen und des Marmarameeres unter­sagt. Der Vertrag revidierte seinerseits die vielen Abkommen, die seit dem Friede« von Adria- nopel sich im letzten Jahrhundert mit der Meerengen-Frage befaßt haben(insbesondere Pari­ser Vertrag von 1856, Pontusvertrag von 1871, Berliner Kongreßakte von 1878). Jetzt fordert die Türkei , lebhaft unterstützt von der USSR , das Recht zur Befestigung und fakultativen Sper­rung der Vteerengen, da sie die Voraussetzungen des Lausanner Vertrages wachsende Sicher­heit und Abrüstung nicht mehr für gegeben erachtet. Da Rußland mit der Türkei konform vorgeht und die Staaten dar Balkan-Entente, also Runiänien, Jugoslawien und Griechenland , sich kürzlich mit don Türken geeinigt Haden, kann ein Widerspruch nur von Bulgarien und Italien erwartet werden. Italien hat eine» leisen Protest bereits angemeldet. Es ergibt sich der groteske Zustand, daß eine Macht, die vom Völkerbund als Vertrags» und Friedensbrecher erklärt wurde, die eben eia ganzes Land annektiert hat, gegen die noch die Sanktionen wenigstens ans dem Papier bestehe«, zu der Beratung über die Rechtmäßigkeit eines Vertrages zugelassen wird, ja daß sie sich heransuehmen darf, Bedingungen z« machen. Nichts kan de» Zusam­menbruch der internationale»Rechtsordnung, die Unhaltbarkeit des Völkerbundes in seiner jetzigen Form, so deutlich kennzeichnen, wie dieser lächerliche Fall, der den Berbrecher zum Mitglied des Gerichtshofes macht! Der Präsident in Pilsen Pilsen . Sonntag besuchte der Präsident der Republik Pilsen , wo er von der gesamten Bevöl­kerung der Stadt und der Umgebung begeistert empfangen wurde. Nach der Kundgebung auf dem Platz der Republik , wo das Militär, Ehrenabtei­lungen aller turnerischen Organisationen, der Legionäre usw. Aufstellung genommen hatten, wurde der Präsident auf dem Rathaus offiziell begrüßt. Auf die Ansprache des Bürgermeisters Gen. Pik erwiderte der Präsident mit einer kur­zen Rede, in welcher er des verstorbenen Genossen Habrman gedachte und sagte: Die Revolution gegen die Habsburger war nicht nur eine politische, sondern auch eine so­ziale und eine Revolution für die Volksregierung. Die Frage unseres Grenzgebietes, fuhr der Prä­sident fort, ist im gewissen Sinne eine Frage un­seres ganzen Staates, wie wir die Grundsätze der politischen Demokratie» der Freiheit, der Wert­schätzung des Menschen, der Nation und der Menschheit, die Auffassung»von Autorität, Diszi­plin und Freiheit bewahren können, möge ander­wärts was immer geschehen und es anderwärts wie immer verstanden werden. Wir haben schon einmal eine Welle fremder Ideen überwunden, wir zweifeln nicht, daß wir sie auch jetzt aushal- ren werden. Nachmittags fand ein Umzug sämtlicher Turnerorganisationen statt, worauf der Präsident an dem Fest des Pilsner Sokolgaues teilnahm. Die Stadt Pilsen ernannte den Präsidenten zu ihrem Ehrenbürger. Todesstrafe für Bombenwerfer Jerusalem . Die Mandatsregierung hat heute neue scharfe Maßnahmen angekündigt. Eine Verordnung sieht für unbefugten Besitz von Waf­fen, Bomben und Explosivstoffen mindestens fünf Jahre, in schweren Fällen auch lebenslängliches Gefängnis vor. Ferner soll von jetzt an das Wer­fen von Bomben mitdemT ode oder mit lebenslänglichem Gefängnis bestraft werden. Aus Beirut und anderen Städten des Libanon werden Sympathiestreiks für die Araber in Palästina ge­meldet. Bei Tulkarem in Rordpalästina kam es zu größeren Zusammenstößen mit etwa 70 Arabern, wobei Militär, Polizei und Flugzeuge ein­gesetzt werden mußten. Ein Soldat fand den Tod, drei wurden verletzt. Die Araber wurden in die Flucht geschlagen und ließen zwei Tote zurück. blutiger Sonntag in Bukarest Bukarest. (Havas.) Sonntag vormittags kam es in fast allen Bukarester Stadtvierteln zu Zusammenstößen zwischen Arbeitern rind Studen­ten der äußersten Rechten, Die rassischen Studen­ten bildeten Posten, um den Verkauf der demokra­tischen Blätter in den Straßen der Hauptstadt zu verhindern. Demgegenüber haben die Arbeiter und die Redakteure der demokratischen Blätter die Verteidigung der Kioske und Kolporteure organi­siert. Die Rechtsextremisten bemächtigten sich aber trotzdem in verschiedenen Stadtteilen der Auflagen der demokratischen Blätter und verbrannten sie, wobei sie auch Angriffe auf die Lastautomobile mit den Linksblättern unternahmen. Zu blutigen Ereignissen kam es in der Umgebung des Sitzes der ehemaligen Grünen Garde, wo die Arbeiter mit Revolverschüssen überfallen wurden. Hier wurden ein Arbeiter getötet und drei weitere schwer verletzt. Im Zentrum der Stadt wurde ein Polizeikommiffär verletzt. Die Redaktion und die Druckereien der demokratischen Blätter sind ver­barrikadiert. Staatssekretär Bülow gestorben Berlin . Der Staatssekretär im auswärtigen Amt Dr. Bernhard Wilhelm von Bülow ist Sonntag vormittags an den Folgen einer Lun­genentzündung im Alter von 51 Jahren gestorben. Bon Bülow wurde im Juni 1930 auf besonderen Wunsch des Außenministers Dr. Curtius als Nachfolger von Schuberts zum Staatssekretär im Auswärtigen Amt ernannt. Honduras vertut Genf Mexiko . Wie aus Tegucigalpa gemeldet wird, beschloß Honduras , aus dem Völkerbunde auszu­treten. Die türkische Delegation hat bereits ihre konkreten Entwürfe betreffend die Revision des Lausanner Vertrages vorgelegt. Das grüßte Interesse der Delegationen weckt unter den tür­kischen Vorschlägen die Frage der Durchfahrt von Kriegsschiffen durch die Dardanellen. Die türkische Regierung behält sich für den Fall der Kriegsgefahr in dem neuen Entwurf die Ertei­lung einer b e fand e r e n B e w i l l i g u ft g seitens der Türkei für die Durchfahrt von Kriegs­schiffen vor. Samstag und Sonntag fand in Teplih- Schönau das Gau-Kinderfest derKinder­freunde" statt, das jeden, der daran teilnahm, mit Freude und Rührung erfüllt hat. Auch unser Parteiführer Minister Dr. Czech war ge­kommen, seine Rede, die er bei der Kundgebung am Sonntagnachmittag hielt, war der Höhe­punkt der Veranstaltung es war ergreifend, als ihm nach der Ansprache von Kinderhand Blumen überreicht wurden. Der Redner schilderte erst den Eindruck, dendas malerische Treiben unserer prächtigen Jugend" auf ihn gemacht hat, schilderte die Ent­wicklung der Kinderfreunde-Bewegung seit ihrem Entstehen und fuhr dann fort: Wir sehen hier viele Kinder unter uns, die schwere Opfer des Kapitalismus find, der nicht nur der Arbeiterschaft die heiligsten Menschenrechte und Kulturgüter gemuht, sondern auch an den proleta­rischen Kindern schwere Verbrechen begangen hat. Denn aus vielen der Keinen Kindergesichtchen spricht nicht das wohlige Lebensgefühl, das sonst so erquickend an dem kindlichen Wesen anmutet. Ihre zarten Händchen, ihre schier durchsichtigen Glieder, ihr matter Gesichtsausdruck und ihr scheuer Blick, aber auch ihr entsetzlicher Erziehungsnotstand, der vielfach schlimmer ist als der physische, das alles sind schwere Anklagen gegen eine Wirtschafts­ordnung, die zwar den Wohlstand eines Reinen Häufleins von Menschen vermehrte, die aber der großen Masse der arbeitenden Menschen zum Fluch wurde. Wenn ich dies sage und wenn in mir in diesem Augenblick das Blut aufwallt, so geschieht es auf Grund der Erfahrungen, die wir im Zuge der Staatlichen Kinderhilfsaktion gemacht haben, welcher 8000 Kinder und 1000 Jugendliche zuge­führt wurden. Und wenn es auch dank dieser Aktion gelungen ist, das gesundheitliche Niveau der ihr eingegliederten Kinder zu heben, so bleibt immer noch die Frage offen, was aus diesen armen Wesen werden wird, tvenn sie wieder in ihre alten armseligen gesundheitlichen und sozialen Verhält­nisse zurückkehren und das ist unser zweiter großer Schmerz,, welches das Schicksal jener vielen Zehntausenden von Kindern sein mag, die dieser Aktion nicht zugeführt werden konnten. Welch ein erschütterndes Bild rollt sich bei diesen Gedanken vor unserem geistigen Auge auf, wenn wir das, was hier angedeutet wurde, zu Ende denken. Die englische Delegation und eine Reihe anderer Delegationen stimmen mit diesem Vor­schlag offensichtlich nicht überein. Außerdem hält die englische Delegation die Gebühren, die beim Passieren der Dardanellen von Handels­schiffen gezahlt werden sollen, für allzu hoch. Was das Ansuchen der Türkei hinsichtlich der Remilitarisierung des Küstengebietes der Dar­danellen betrifft, werden bisher von keiner Seite nennenswerte Einwendüngen erhoben. Die sozialdemokratische Arbeiterklasse kennt den schweren Notstand des proletarischen Kindes und kennt auch die Aufgaben, die ihr daraus er­wachsen. Sie läßt aus dem Gefühl brüderlicher Solidarität heraus keine Möglichkeit ungenützt, um hier helfend einzugreifen. Darum bringt sie dem vor einigen Tagen veröffentlichten Notruf der .»Kinderfreunde" vollstes Verständnis entgegen. Denn auch sie ist vom glühendsten Interesse und von brennendster Sorge um das Kind erfüllt. Sie weiß, daß es hier um das Schicksal der Gesamtbewcgung und da­mit auch der ganzen sozialistischen Arbeiterklasse geht. Wir wollen alles daransetzen, daß sich die Kinder des Proletariats ebenso wie ihre Eltern stolz zur Arbeiterklasse bekennen. Wir wollen die Arbeiterkinder sehend machen, auf daß sie wissen, daß die Sozialisten hingebungsvolle, aufopfernde und edle Menschen sind und daß ihre Feinde lügen, wenn sie den Sozialisten, zu denen ja ihre Eltern und Geschwister gehören, alles Böse andichten und sie sogar als Mordbrenner und Mörder be­zeichnen. Aber noch eines müssen unsere Kinder wissen, daß die Freiheit der Menschen die Voraussetzung für den geistigen und kulturellen Aufstieg der Mmsch- heit ist und daß nur die Freiheit und die Demokratie den Staat vor den Faschismus bewahren kann und daß der Krieg ein Unglück der Völker und damit auch ihr Verderben ist. Darum muß das proletarische Kind zusam­men mit den Eltern den schweren Kampf um die Befreiung der Arbeiterklasse führen. Aber die Jugend wird dieser Aufgabe nur dann, gewachsen fein, wenn ihr von der ersten Stunde an zielbe­wusste Erziehungsarbeit zuteil wird. Liebe Freundei Die Stunde ist ernst, sie muß uns gerüstet finden. Dazu gehört, daß wir an dem proletarischen Kinde, an unserer Jugend zielklare sozialistische Erziehungsarbeit leisten, daß wir die Arbeiterkinder mit Gemeinschaftsgeist er­füllen, sie zur brüderlichen Solidarität erziehen und sie zu Sozialisten machen. Dadurch werden wir unserer Bewegung immer neue Kämpfer zu­führen und sie mjt Kampfesmut und mitreißender Begeisterung, mit Tatkraft und mit eisernem Sie­geswillen durchfluten, der unsere Bewegung ewig jung erhalten und sie unüberwindlich und unbe­siegbar machen wird. Her Statthalter Hitlers demaskiert sich! Die Rede, die Konrad Henlein in Eger vor den zum Appell befohlenen Getreuen gehalten hat, enthält nur an einer Stelle mehr als das übliche und seit Böhmisch-Leipa immer wieder als Ersatz eines klaren Programms vorgesetzte Ge­fabel: da wo Henlein von der angeblich für die Deutschen untragbaren Außenpolitik der Republik spricht, gebieterisch die Unterwerfung unter die Führung Berlins fordert und ein unumwun­denes Bekenntnis zu Hitler ablegt. Es ist das z w e i t e m a l, daß der Unter­führer desFührers" sich vor der sudetendeut- fchen und tschechoslowakischen Oeffentlichkeit als Gefolgsmann Hitlers demaskiert. Das erste Be­kenntnis lag in derKulturrede" vor(die ja ein Bekenntnis zu den Feinden und Zerstörern deutscher Kultur gewesen ist). Vorausgegangen war die Reise Henleins nach Garmisch-Parten­ kirchen . In eingeweihten Kreisen wußte man bald darauf von Zusammenkünften sudetendeutscher und reichsdeutscher Unterführer Hitlers zu be­richten. Es wurde von gewissen Bedingun­gen gemunkelt, die der SdP angeblich von der reichsdeutschen Bruderbewegung auferlcgt wur­den. Zu ihnen soll ein klares Bekenntnis zur hit- lerdeutschenKultur" gehört haben. Mit den Hintergründen der neuen, deutliche­ren Demaskierung des Henlein-Nazismus sieht es komplizierter aus. Zunächst scheint da ein Widerspruch zu bestehen. Henlein hat gegen einen Teil der ehemaligen Nationalsozialisten in der SdP eine Kampagne eröffnet und sie bis zum Hinauswurf wefentlicher Häupter diesesnatio­nalsozialistischen" Flügels durchgefochten. Auf der andern Seite legt Henlein nun ein glühendes und, nach der tschechoslowakischen Seite hin, heraus­fordernd scharfes Bekenntnis zu Hitler ab. Ein Bekenntnis zu Hitler ist e s. Man rede nicht von Deutschland und dem deutschen Voll, wo es lediglich um das in Deutsch­ land heute herrschende System geht! Es wäre weder Herrn Henlein, noch einem seiner nazisti­schen oder deutschnationalen Vorgänger jemals eingefallen, sich zu dem Deutschland vor Hitler , zu der Weimarer Republik auch nur im entferntesten so leidenschaftlich zu bekennen wie zu dem Deutschland Hitlers . Auch Brüning oder Schleicher hätten solche rückhaltlose Schwüre nicht haben können. Von S t r e s e- mann, Rathenau und Ebert nicht zu reden I Damals hätte sich kein sudetendeutschcr Nazist gefunden, der erklärt hätte, er wolle lieber mit Deutschland gehaßt werden, als aus dem Haß gegen ihn Vorteile ziehen. Und man braucht nur für einen Augenblick den Fall anzunehmen, daß morgen in Deutschland eine andere Fahne weht als die mit dem Hakenkreuz, daß morgen der deutsche Reichskanzler und das deutsche Staats­oberhaupt anders heißen als Adolf Hitler und man wird nicht im Traum daran denken, daß Herr Henlein sich zu diesem Deutschland von mor­gen rückhaltlos und leidenschaftlich bekennen würde. Wie wir ihn kennen, würde er sich lieber mit allem Tod und Teufel verbünden als für ein rotes Deutschland auch nur ein Wort einzu­legen. Daß er sich zu Hitler in so gefährlich lauter Weise'bäennt, kann zweierlei Ursachen haben: entweder deckt Hitler selbst die Abrechnung mit denRadikalen", billigt er den sudetestdeut- schen30. Juni" und Henleins Rede ist nur der RapportandenChef, daß die Aktion auf­tragsgemäß durchgeführt sei, oder aber Henlein ist seines Echos drüben nicht ganz sicher» fürchtet vielleicht, daß die herausgeworfene Opposition an den Ober-Osaf appellieren wird und will sich gegen jede nazistische Strömung in der SdP wie gegen jede Parteinahme Adolfs für die Ausge­schlossenen sichern. Das Ergebnis ist im Grunde in beiden Fällen dasselbe: wer nicht von allen Göt­tern verlassen, völlig blind und taub ist in die­sem Staate, mutz nach der Egerer Rede wissen, woran er mit Henlein ist. Für uns ist das nichts Neues. Unsere Warnungen und Pro­phezeiungen auf die wir uns nichts zugute­tun, denn man konnte sich seit 1983 schon an den Fingern abzählen, welches Resultat die Rechnung Henleins ergibt unsere Auffassun­gen sind vollauf bestätigt worden. Eine anderL Frage ist es, ob gewisse tschechische Kreise Zielklare sozialistische Erziehungsarbeit! Parteivorsitzender Dr. Czech beim Kinderfest in Teplltz