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Dienstag, 23. Juni 1936

Nr. 146

jetzt endlich klarer sehen, oder ob sie abwarten werden, wann unsere weiteren Schlußfolgerungen sich erfüllen werden. Daß sie bestätigt werden, daran ztoeifeln wir nach Eger weniger als je vorher. Noch ein scheinbares Rätsel bleibt: an dem sudetendeutschen 30. Juni haben i m H i n t er­gründ gewisse tschechische Ratge­ber und Freunde der SdP mitge­wirkt. Ilm die Herren Stoupal und P r e i ß darf man die Leute suchen, die bei diesem 30. Juni die gleiche Rolle gespielt haben wie einst vor zwei Jahren bei der Original-Aktion Musso­ lini und einige englische Geldleute. Wie reimt sich aber Henleins Bekenntnis zu Hitler mit der Rolle zusammen, die der tschechische Faschismus bei der Reinigung" der SdP von denradikalen Ele­menten" ohne Zweifel spielt?! Der Widerspruch ist nur scheinbar. Wer sich wie wir seit Jahren darüber im klaren ist, daß der tschechische Faschismus eine P o l i t i k d e r K a- pitulation vor Hiller, eine Poli­tik des nackten Landesver­rats betreibt, daß er bereit ift, für einen faschistischen Kurs im Innern die Unabhängigkeit der Republik als Preis zu erlegen, den wird Eger

auch nach dieser Richtung hin nicht überraschen. Der krttische Beobachter wird nur bestätigt fin­den, was Einsichtige seit langem erklären, daß der tschechische und der sudetendeutsche Faschis­mus gemeinsam darauf ausgehcn, aus dem Boll­werk der Demokratie und des Friedens in Mittel­ europa einen Anhängewagen jenes Berliner Schnellzuges zu machen, der mit verderben­schwängeret Eile dem Abgrund des neuen Welt­krieges entgegenrast. Im tschechischen Lager war bisher die Zahl der Einsichtigen, die Zahl der wahren Patrioten des demokratischen Staates, bei wei­tem größer als die Zahl der Kapitulanten und Verräter. Die Kundgebung von Eger wird hof­fentlich dazu beitragen. Zweifelnden die Augen zu öffnen und Einsichtige vonderErkennt- niszurTatzu führen. Sie könnte aber auch gewisse Leute im deutschen Lager belehren: dar­über nämlich, daß es eine Narretei ist» sich im Kampf gegen Walter Brand auf die Hilfe Hitlers zu verlassen. DerSozialismus" der radikalen Nazi bei uns wird von Hitler genau so preis­gegeben und an den Stärkeren verraten werden wie derSozialismus" der Radikalen im Reich..«

Die Steuernovelle im Plenum Scharfe Kritik von Koalitionsseite an der Flnanzverwaltuns

Prag. Rach den bisherigen Dispofitionrn soll das Abgeordnetenhaus, das am Montag die Aussprache über die Steuernovelle eröffnete, in ganztägigen Sitzungen ab Mittwoch das restliche Programm erledigen und Samstag mit­tags in die Ferien gehen. Der Diens­tag bleibt fitzungsfrei, um dem Hause die Tell- nahme an der Beisetzung d«S früheren Kammer­präsidenten Dr. Stankt zu ermöglichen. Reben der Steuerreform und der Bruderladensanierung befindet sich auf dem Programm noch die vom Se­nat angenommene Berlängerung des Kolportage­verbotes nach dem Pressegesetz und ferner der Ini­tiativantrag Klein über die Dienstverhältnisse der Redakteure. » In Gegenwart des Ministerpräsidenten und der Minister hielt Kammerpräsident Malypetr dem verstorbenen Abgeordneten Dr. Stanek einen herzlichen Nachruf, worauf die Sitzung zum Zeichen der Trauer geschloffen wurde. * 10 Minuten später wurde eine neue Sitzung eröffnet, in der der tschechische Volksparteiler Dr. N o v a k über die Novelle zu den direkten Steuern referierte. Er ging davon aus, daß dar Koalifionskomit«, das die Vorlage einer gründlichen Umarbeitung un­terzog, dabei von zwei Motiven geleitet war: das Steuersystem gerechter zu gestalten und das Verhältnis zwischen Steuerträger und Finanzver­waltung zu bessern. Die neuen Gedanken, die man in der umgeavbeiteten Vorlage find«, seien Zeichen einer neuenOrdnung, die im Werden begriffen sei und die-um erstenmal ihren Ausdruck in dieser Nopelle gefunden habe. Während man früher dem Parlament von gewisser Seit« Mangel an Initiative vorgeworfen hab«, sei es jetzt von der­selben Seite angegriffen worden, weil es die Steuer­reform gründlich durchführen und sich nicht mit der ausgearbeiteten Vorlage begnügen wollte. Daraus sei unschwer der Einfluß jener Kreise er­sichtlich, denen die Initiative des Parlaments ge­rade in dieser Richtung unangenehm war. Di« Steuerkommission der Koalition war an die Voraussetzung gebunden, daß die Vorlage nach der

Umarbeitung dem Staat nicht weniger eintragen "darf als früher. Von diesem Gesichtspunkt aus nmßte sie sich schließlich mit der Erhöhung der Rentensteuer abfinden, obwohl durch sie die kleinen Sparer hart be­troffen werden. Die- gab jedoch den Anlaß, sich auch mit den großen Einkommen gründlicher zu beschäftigen. Unsere großen Wirtschaftsführer dis­ponieren heute nicht mehr mit eigenem, sondern mit ««vertrautem Kapital; auf die wirtschaft­lichen Ergebniffe der von ihnen geleiteten Unterneh­men hat immer die Gesetzgebung Einfluß und nicht nur die private Initiative der Direktoren. Daher sind auch ihre Bezüge eine Angelegenheit de- Staats­ganzen. In dieser Richtung wurden in der Novell « bereits gewisse Korrekturen durchgeführt. Zuwendungen im Zusammenhang mit dem Dienst­verhältnis werden, falls sie 20.000 Kd übersteigen, entsprechend versteuert, und auch Gehalte über 260.000 Kd werden aus dem Titel der Erwerbs­steuer des auszahlenden Unternehmen- betroffen. Auch die Erträgnisse der Holding-Gesellschaften wer­den wenigstens so erfaßt, wie es der Rentensteuer aus den Dividenden entsprechen würde. Man hat auch verhindert, daß bedeutende Gewinne in Form von hohen Gehalten verschwinden und das betref­fende Unternehmen dann nur die Minimalsteuer zu zahlen hätte. Auch hier ist gute Arbeit geleistet wor­den. Man sollte nicht zögern, in dieser Richtung noch weiterzugehen und jene Wirtschafts- und' Gesell­schaftsordnung herbeizuführen, die dem heutigen Ge» sellschaftS und Wirtschaftsleben entspricht. Wenn nicht jene die Steuern zahlen, die sie zahlen können, weil sie entsprechende Gewinne aufzuweisen haben, so müßte man die fehlenden Gelder ja sonst bei den breiten Massen beschaffen. Was das Verhältnis zwischen Steuerzahler und Finanzbevwaltung betrifft, so macht der Referent der Finanzverwaltung den Vorwurf, daß sie das bishe­rige Gesetz nicht zu handhabenver- ft a n d. Sie hat weder Vorschreibungen noch Re­kurse rechtzeitig erledigt und die Bezahlung der Bor- schüffe für da- laufende Jahr verursachte eine solche Verwirrung, daß sich eine Aenderung des Steuerjahres als notwendig erwies. Auch sonst wurde die Stellung des Steuerträgers verbessert, die Strafsanktionen gemildert und ein Unterschied zwi­schen absichtlicher Steuerdefraudation und bloßer

Unachtsamkeit oder Vergeßlichkeit gemacht. An die Steuerbeamten richtet der Referent den Appell, sich dem normalen Steuerträger gegenüber nicht einfach auf den Standpunkt zu stellen, daß das Amt der Herr sei. Namens der koalierten Parteien des Bud» getauSschuffes sprach der Agrarier T e p l a n- s l y, der Vorsitzende deS Budgetausschusses. Er ma.t die Finanzbehörden nachdrücklich dar­auf aufmerksam, daß die p r a k t i s ch e Durchfüh­rung der Vorlage alles bedeute. Die Finanzverwal­tung dürfte dem Steuerträger nicht den Glauben an dar Recht nehmen. Angesicht» der erhöhten Ansprüche, die an die Staatskasse gestellt werden, konnte man dem Steuerträger bei bestem Willen nach der m a- teriellen Seite hin keine beträchtliche Erleichte­rung bringen: dafür waren alle jwalitionsvertreter in der Auffassung einig, daß man dem Steuerträger eine größereRechtSstcherheit bieten und dieSteuerpraxiS vereinfachen m ü s s e. Es ist ein eminentes staatspolitisches In­teresse. daß zwischen dem Steuerträger und der Fi- nanzverwaltung Ruhe. Rechtssicherheit und Ordnung einlrete. Der Steuerdruck ging in einzelnen Fällen so weit, daß er das ruhige Verhältnis des Bürgers zum Staat bedrohtem I« der Dteuerpraris der Finanzverwaltung «miß auch die traurige Erscheinung aufhör««, daß sich di« Behörde« in gewiss«« Fälle« einfach nicht »ach der ständigen Judikatur des Oberst«« Ber- waltungsgerichtshifeS richteten, und die Finanz- Verwaltung mutz sich dessen bewußt sei», daß die Gesetz auch für sie gelten, und muß sich nach ihnen richtm, auch wenn die Entscheidung gegen sie ausfällt. Die Borschreibung der Steuern für das lau­fende Jahr ist die erste Voraussetzung, um Ord­nung in die Steuersachen zu bringen, und sie wird sicher zur erfolgreichen Liquidierung der Steuerrück- stände beitragen. In der Slowakei , wo die Leute an die einfachen und klaren ungarischen Steuergesetze gewöhnt waren, sind 80-Prozent der U n z u f r je­de n h e i t, die sich in dem Ruf nach der Autonomie äußert, auf die Kompliziertheit de» Steuersystems zurückzuführen, welches da- einfache Boll nicht ver­steht. Das Steuerkomitee der Koalition empfiehlt da­her bei den kleinen Steuerträgern ein einfaches Pauschal für alle direkten Steuern. Der Steuer­träger darf in der Finanzverwaltung nicht feinen größte« Feind sehen. Die Meldungen über Konflikte zwischen der Koalition und dem Finanzministerium weist der Redner zwar znriick, doch betont er gleich nach­drücklich, daß es der Wunsch des ganzen Parlamentes sei, daß in unserer Fi- nanzverwaltung nicht ein Element im Staate heranwächst, das ohne Rücksicht ans dir Inter­esse» des Parlaments oder vielleicht gar über dem Parlament stehend, willkürlich vorgehe« wollte. Aehnliche Erscheinungen würden in Hin-, kunft im staatSpolitischen Interesse mit der größ­ten Entschiedenheit unterdrückt werden. Der Redner erinnert weiter daran, daß ein Wunsch der Selbstverwaltung erfüllt wurde, indem den Ländern di« Möglichkeit gegeben wird, den Ge­meinden die Ein Hebung der Zuschläge unter entsprechenden Garantien zu bewilligen.- Die KoalitionSkommiffion sei jedoch überzeugt, daß man im Interesse der Selbstverwaltung für rin völlig neues Fmanzgesetz für die Selbstverwaltung sorgen müssen wird, damit diese einwandfrei ihre Aufgaben erfülle« könne. Der Ausschuß empfiehlt der Regierung einen allmählichen Umbau unserer Steuer­gesetzgebung. In erster Linie wäre ungesäumt die Ausarbeitung einer allgemeinen Steu- erordnung zu beginnen, worin die Vorschriften für alle Steuern zusammengefaßt sind, dann müßten ein einheitliches Steuerstrafgesetz, ein neues Ge- bichrengesetz und ein Rahmengesetz für alle indirek­ten Steuern folgen. In der Debatte sprach als erster Ritsch(Zipfer deutsche Partei), der e- bedauerte, daß dieFrei- zügi^eit", die Dr. Englii der Wirtschaft einge­räumt habe, nunmehr aufgehoben werden und einem FiÄkaliSmus Platz machen solle.

Dr. Klapka(Nat.-Soz.), der gelegentlich als Kandidat seiner Partei für das Finanzministerium genannt wird, erklärte u. a., in der Republik könne eS nicht zwei Regierungen geben; allein entscheidend in Wirtschaftssragen könne nur die Regierung der Tschechoslowakischen Republik und keineswegs die Re­gierung derZivnobank sein. Der Motivenbericht zur Steuerreform aus dem Jahre 1027 erkläre, daß das Gesetz soziale Gesichtspunkte berücksichtige, daß der Kapitalsertrag mehr belastet und Rücksicht auf die subjektive Tragfähigkeit genommen werden soll. Diese sozialpolitische Aufgabe, die Dr. Englis der Steuerreform gestellt habe, habe in der Praxis völlig versagt. Die Steuerlast wurde nicht den kapitalskräftigen Schichten auferlegt, sondern auf die breiten Bevölkerungsschichten überwälzt. Im Jahre 1027 habe Dr. Englis die Ein­nahmen des Staates und der Selbstverwaltung aus der Wirtschaft beschränkt und der Effekt war, daß während die Privatwirtschaft in die Krise mit gewissen Reserven ging, der Staat und die Selbst­verwaltung als Bettler in den Kamps mit der Krise gingen. Jng. Dr. Toutek(Rat. Ber.) polemisiert gegen Dr. Klapka und erklärt, daß ohne Stabilisierungs­bilanzen, die zur Anhäufung unversteuerter Re­serven dienten, viele Unternehmungen die Krise nicht hätten überdauern können. Nach Kräften ninunt er die Wirtschaftskrise um die Zivnobank in Schutz, so namentlich die Holdinggesellschaften vor dem Vorwurf, daß ihr Hauptzweck die Steuerflucht sei. Er kündigt an. daß seine Partei gegen die Vorlage stimmen wird, weil ihre Anträge nicht be­rücksichtigt worden seien. Um 7 Uhr abends wird die Debatte abge­brochen. Nächste Sitzung Mittwoch um 10 Uhr früh. Dr. Hodia Uber die Koalition Verengung der Koalition wäre Zersetzung Ätubnanskä Teplice. Sonntag sprach hier Ministerpräsident Dr. HodZa. Nach Ausführun­gen über die vorbereitete Autonomie Karpatho- rußlands betonte er, daß die Koalition in der Zu­sammensetzung wie sie heute besteht, bleiben wird, gegebenenfalls um solche Komponenten erweitert wird, mit denen es möglich sein wird, sich über ein gemeinsames politisches und wirtschaftliches Pro­gramm zu einigen.-Das Programm der gegen­wärtigen Koalition ist solcher Art, daß es sich direft auf die Bestandteile stützen muß und noch lange wird stützen müffen, die als Vertreter der Erzeugungsintereffen und der sozialen In­teressen Übereinkommen müssen, wenn die Stabilität unseres Wirtschaftslebens auch in der Zukunft garantiert sein soll. Nach Beendigung der gesetzgebenden und' finanziellen Maßnahmen zur Verteidigung des Staates werde die Koalition in intensiver Weise ihr Programm fortführen, Es kommt daher absolutnichtinFrage, daß irgendein Bestandteil die heutige Koa^itzi^pn v ssKl/iH^^xde Verengung der heurigen Koaimon nmrve^Zerseh'ustg bedeuten, wahrend es die Aufgabe jeder vernünftigen Staatspolitik, insbesondere in der gegenwärtigen Zeit, ist, allmählich alle staatsbildenden Kräfte in der Regierung, im Parlament und im ganzen öffentlichen Leben zusammenzufassen.

Wahlen bei der Prager Eisen. SamStag spät nachts wurden die Wahlen in die Betriebs­ausschüsse der Prager Eisen beendet. Der Jn- dustrieverband(Kommunisten) erhielt 1863 Stimmen, neun Mandate(bei den heurigen Mai­wahlen, gegen die protestiert wurde, 1913 Stim­men mit zehn Mandaten), die gemeinsamen Kan­didatenliste der Metallarbeiter und Meiallbearbei- ter(sozdem. und natsoz.) 833 Stimmen, vier Mandate(823, 4), die nationale Vereinigung 884 Stimmen, drei Mandate(848, 2),

10 Wir suchen ein Land Roman einer Emigration Von Robert Grötzsch Copyright by Bugen Prager-Verlag, Bratislava .

Justus hörte nur zerstreut hin. Was ging's ihn an, er zahlte sein Tagegeld; es mußte also wohl noch einiges andere im Hinter­gründe sein. Aha, jetzt räusperte sich Herkner, seine Augen streiften über den Tisch hin von einem zum anderen. Und dann kam es. Nun noch etwas, unter uns, ehe die Jun­gens antanzen." Er holte Lust.Du mußt das Kommando, übernehmen, Max. Morgen haue ich ab." Handbewegung nach Norden.Alles ist klar. Wenzel nimmt mich früh im Auto mit... Guckt nicht so entgeistert... Ich muß hinüber, muß, ich halte es nicht mehr ab... ich will wissen, was mit meiner Frau los is!" Er gab sich einen Ruck. So, das war heraus. Klar und fest sah er zu den beiden hinüber, leicht und frei, wie einer, der weiß: jetzt nimmt die Qual ein Ende, so oder so... Pause. Die Gesichter verschwammen im zunehmenden Dunkel. Ueber Schwarzers gefurchtes Gesicht mtt der breiten Stirn hing eine graue Haarsträhne.^ Ueberleg dir's noch einmal, Karl", sagte er langsam. Nichts mehr zu überlegen. Ich bin nicht von Eisen, ich hab nur immer so getan... ich halte es nicht mehr ab." Justus Augen verloren ihren stumpfen Ton, bohrten sich mählich durch die Brille. Er hatte tagelang geschrieben, von ftüh bis in den späten Abend, zwischen den Fingern saß ihm noch ein Gefühl wie Schreibkrampf, unter der Schä­deldecke lasteten geschichtliche Gedantenketten, die herunter gejchrieben jein wollten... Er nickte

nur. Also doch. Es war zu greifen gewesen: der war nicht lange mehr zu halten. Und keine Abschiedsfeier, nich?l Ihr wißt Bescheid, außer euch und Gusti brauch's keiner zu wissen, daß ich drüben bin... Je weniger Gerede desto besser. Wenn jemand ftagt: beson­dere Aufgabe an der Grenze. Das klingt so schön, nich?" Er lachte, ftei und heiter, wie Schwarzer ihn lange nicht mehr gehört hatte. Meinen Koffer nehm ich zum Scheine mit. Er bleibt bei Ignaz." Wird man dich Wiedersehen? dachte Justus. In der Kehle würgte etwas. Er schwieg. Den konnte ja doch keiner mehr halten, den mußte man gehen lassen, wenn er einmal dazu ent­schlossen war. Er kannte diesen Schlag, es war das Beste von den Kerntruppen des Sozialis­mus. Wo man so etwas hinstellte, da stand es für seine Sache: unpathetisch, tönenden Phrasen abhold, kernfest und für die Dauer. Wie die Stiefel, mit denen diese Männer marschierten: durch vier Jahre Krieg hindurch, für die Re­ publik , in den Kolonnen des Reichsbanners, in den Tod für die Freiheü, wenn das Kommando dazu gekommen wäre. Jetzt handelte er unter eignem Befehl, jetzt wollte er sich in die große Dschungel wagen, die viele der Besten ver­schlang. Ueberleg dir'S noch mal", wiederholte Schwarzer warnend.In paar Tagen kann bessere Nachricht da sein." Wie lange ich darauf schon warte, wißt ihr ja... Anna wohnt jetzt in einem anderen Viertel, dort kennt sie vorläufig niemand. Die Gefahr is nich mehr so groß." Er zählte einige auf, die hinüber gingen und heil wiederkehrten. JuftuS schluckte etwas herunter. Bei man­chen war es schief abgelaufen. Die Dschungel verschluckte sie.Und wie stehts mit dem Mam­mon, Herkner?" Seine Stimme klang heiser. Herkner wiegte küchelnd den Kopf.Kauf­mann Wenzel wird mir was vorschietzen..." Er legte den Finger an den Mund, Man hörte, wie

die Burschen durchs Tor brachen; sie klatschten das Badezeug draußen auf die Bank und Moses jubelte:Man riecht Kartoffelpuffer. Gustis Spezialität. Soll ja wohl für Erdarbeiter be­reits eine Delikatesse sein." Gusti schwankte aus der Küche herauf, die Backen hochrot, zwei volle Schüsseln in den Armen:Da steht man stundenlang in der Hitze für die Bande und in fünf Minuten iS die schönste Präpelei runtergewürgt. Was bleibt mal von meiner Arbeit? RichtSI" Heißhungrig stürzten die Burschen auf daS Gebackene. JuftuS nickte traurig.Ja, Gusti, du schaffst das Notwendigste und Vergänglichste. Wenn wir dir's nicht danken die Nachwelt flicht der Köchin keine Kränze..." Und da war Gustis duftendes Werk buchstäblich schon wieder vertilgt. An diesem Abend kam Bier auf den Tisch und bei den Burschen herrschte großes Staunen, als sie vernahmen, daß Herkner für zwei Wochen an die Grenze ging.Man nich zu nahe", warnte Peter.Vor paar Tagen is wieder einer ver­schleppt worden,"Einfach hinüber jeschleppt", echote Paul und bastelte am Radio herum. Seit einer Woche schon war eS kaputt, bockte und pfiff. Neue Teile mutzten her, aber wer hatte das Geld dazu? In seinem Zimmer oben überzählte JuftuS seine Barschaft. Viel war's nicht mehr, aber ein paar Scheine konnte man dem Herkner wohl mit­geben. Das einzige, was sich vorläufig tun ließ. Am anderen Morgen war Herkner schon reisefertig, als die anderen noch hinterm Kaffee saßen. Also an die Grenze geht der Boß? Aber warum verschwand Gusti weinend in der Rich­tung zur Küche, als es ans Abschiednehmen ging? Und weshalb war Herkner so aufgeräumt, wo Anna doch krank lag und er die Frau an der Grenze jetzt keinesfalls treffen konnte?MoseS ahnt alles, Moses weiß alles", raunte der im Vorbeigehen dem Kleinen ins Ohr«

Von der Straße her winkte Herkner noch einmal zurück, dann schritt er straff drauflos. Das Auw wartete dort, wo sich die Turmspitze über die Häuser schob. Noch einmal hörte er seinen Namen, wandte sich um. Atemlos kam der Kleine angcjagt. Sein heller Schopf flog im Winde. Er drückte dem Boß ein Kuvert in die Hand, Justus habe es vergessen...Und weißt du, Genosse Herkner... damals abends in deinem Zim­mer... da hab ich wirklich nix gewollt, bloß sagen, daß ich gern mit dir hierher ging..." Herkner schlug ihm auf die Schulter.Schon gut, Ernst, bist'n braver Kerl, wir kennen uns doch lange genug, nich? Wirst mal'n fester Hund!" Dann war er fort. Sein Hut mit der vorn herunter gezogenen Krempe verschwand hinter den grünen Karrees einiger Hopfenfelder. Fort... Alle in der Spinne sind so stumm und jeder denkt: Ob wir den Wiedersehn? Er ist der tüchtigste Heimleiter der ganzen Emigration! Mensch, ob wir den je Wiedersehn? Achtes Kapitel, Am Hange buddeln fünf Mann. Schwarzer hat das Kommando und weiß nicht recht, was er mit Paul anstellen soll. Der Bursche ist mürrisch und kann mit Frosch beim Steineabtragen nicht richfig ins Geschirr kommen. Denn Peter fehll, Peter hat heute Stubendienst, und es rächt sich immer, wenn die beiden auseinander gerissen werden. In der Nacht hat eS gewittert, nun schmort die Morgensonne hinter Weißen Wöllchen über dem Tal und drückt den Dunst nieder. In einer Buch» tung des Bergzuges dämmert eine Siedlung. Gelb grün liegt der durchsonnte Dunst darüber; es ist, als schaute man auf den Grund eines Hellen tiefen Wassers. »(Fortsetzung folgt.