Ur. 151 Sonntag, 28. Juni 1938 Seite 3 (Zeichnungen von Georg H. Trapp) Die Preußen kommen! Mit banger Sorge blickten im Frühjahr 1866 die Bewohner der böhmischen und schlesi­schen Grenzgebiete der österreichischen Monarchie auf die weitere Entwicklung des Konfliktes, der zwischen den beiden deutschen Großmächten Oesterreich und Preußen, scheinbar wegen der 1864 gemeinsam den Dänen abgenommenen und nun umstrittenen Provinzen Schleswig-Holstein , in Wahrheit um die Vorherrschaft in Deutschland entstanden war. Während das Wiener Bürger­tum in dulci jubilo dahinlebte und noch wäh­rend der heißen Schlachten seine Praterfeste feierte während die Wiener Presie sich rühmte, man werdedie preußischen Schneidergesellen (so verspottete man das Reservistenheer) mit nassen Fetzen davonjagen" und während die Wirtshausstrategen von Benedeksgeheimem Plan" fabelten, sah man die Dinge an dec Grenze selbst doch ernster an. Von Benedeks Heer, das sich bei Olmüh konzentrierte, war in Böhmen nichts zu sehen, ein einziges vorgescho­benes Korbs stand an der Jser. Als die Preußen Sachsen besetzten und die sächsische Armee nun über die Erzgebirgspässe nach Böhmen mar­schierte, als sich in der Lausitz und in Schlesien nahe der Grenze große preußische Heeresmassen versammelten, begannen die Grenzler mehr und mehr mit einer Invasion zu rechnen und Bene­deksMarsch nach Berlin " zu mißtrauen. Die Stadt Trautenau hatte besonderen Grund zur Besorgnis. War das aufblühende Städtchen am Fuße des Riesengebirges doch erst vor wenigen Jahren 1861 von einem ver­heerenden Brande heimgesucht worden, der es in eine rauchende Trümmerstätte verwandelt und das Vermögen vieler Bürger ebenso wie die, letzte Habe der armen Leute verzehrt hatte. Und nun drohten die Schrecken des Krieges, von denen man seit fast hundert Jahren, seit dem siebenjährigen und dem Kartoffel- oder Zwetschgenkrieg von 1778 verschont geblieben war. Schneller als man fürchtete, brach der Feind ms Land. Während nun endlich auch die öster­reichische Armee sich in Bewegung setzte und von Olmütz auf Josefstadt marschierte, durchschritten die Spitzen der 2. preußischen Armee, die unter dem Befehl des Kronprinzen(Stabschef General Blumenthal) stand, die Pässe zwischen Liebau und Nachod . Am frühen Morgen des 27. Juni gingen die beiden Divisionen des preußischen 1. Korps(aus West- und Ostpreußen bestehend) die Grenze. Die 1. Division marschierte von Liebau, die 2. von Schömberg aus gegen Parschnitz, wo die Straßen sich, wenige Kilometer von Trautenau , vereinigen. Ueber Q u a l i s ch rückte, aus dem Braunauer Ländchen kommend, noch die 1. Gardedivision an, die aber Befehl hatte, in Parschnitz links einzuschwenken und die Aupa abwärts auf E i p e l zu gehen. Als er mit seinen beiden Divisionen durch die Defileen des Gebirges zog, ließ er vorsichtig alle Dörfer, Höfe, Seitenwege und Abhänge erkunden. Die Soldaten mußten in voller Marschadjustie­rung die steilen, bewaldeten Abhänge absuchen, ob sich nicht irgendwo ein Feind verborgen halte. So kam die Avantgarde des preußischen Korps, bei der Bonin sich befand, später im Aupatal an als das Gros, das um acht Uhr früh Parschnitz er­reichte. Statt sich an die Spitze zu setzen, blieb aber dieses Gros in Parschnitz stehen, bis die lang­sam nachrückende Avantgarde von Liebau her anrücktr. Inzwischen war die Avantgarde der Oester­reicher, die Brigade Mondel, bei Traute­ nau angekommen und hatte die Höhen südlich der Grabdenkmal bei Alt-Rognitz (Frhrr. Kruchina v. Schwan berg) Stadt besetzt, die damals weit weniger bewaldet waren als heute. Nur auf den'Gipfeln fand sich Unterholz und Gebüsch, gegen die Stadt zu dehn­ten sich, wo heute der herrliche Stadtpqrk von Trautenau den Abhang ziert, Felder aus, so daß die Truppen auf dem Johannes-(Kapel- l e n-) und Hopfenberg(heute Knebels­berg) freien Ausschuß nach der Stadt hatten. Die Kavallerie der Oesterreicher , die Windisch- grätz-Dragoner(Nr. 2) hatte mit den Preußen Fühlung bekommen und im Aupatal wo sich heute das Grab des ersten Gefallenen vom 27. Juni an dem Wege TrautenauParschniP be­findet die ersten Kugeln gewechselt. Nun schwärmten die Dragoner südwestlich der Stadt unterhalb des Galgen-(Gab l e nz-)B e r- g e s, während die Preußen in aller Ruhe die Stadt besetzten, auf dem Marktplatz lagerten, Wasser holten und keiner weiteren Störung ge­wärtig schienen. General Bonin schien sich über die Situation auch insofern völlig im unklaren zu sein, als er dauernd nur die Straße nach Pil- nikau im Auge hatte, während es für ihn doch auf die Straße über HohenbruckNeu-Rognitz nach Josefstadt ankam, auf der Gablenz mit dem gan­zen Korps im Anmarsch war. Panikl Es war gegen zehn Uhr vormittags. Die er­müdeten Grenadiere und Füsiliere der Preußen freuten sich der Ruhe. Brennend lag die Sonne über der aufgeregten und buntbewegten Stadt. Da ertönten plötzlich Schüsse, Kugeln pfiffen den preußischen Posten am Südrande um die Ohren und bei den schlecht geführten Truppen entstand eine furchtbare Panik. Man suchte die Schützen in den Häusern, bald wollte man genau wissen, daß aus diesem oder jenem Hause geschossen wor­den sei, daß es bereits Straßenkämpfe gebe, daß man in eine heimtückisch gelegte Falle geraten sei. Es wirkte alles zusammen: der überraschende Angriff von den Höhen, die man sträflicherweise nicht beachtet hatte, die Ermüdung der Truppen, wohl auch die glühende Hitze, die auf die Hirne drückte, die schlechte Stimmung, die der ängstliche Bonin durch seine Marschmethoden und seine übervorsichtigen Rekognoszierungen erzeugt hatte. Sofort wurden der Bürgermeister Doktor Roth und die Stadträte von Trautenau der Apotheker Carl Czerny , der Hotelier Stark, der Kais. Rath S ch e p s, dazu die Herren L e s k» G u t f ch, F i e d l e r, C a p o u s e I, Zub und H o n i g(die große Zahl slawisch klingender Na- men fällt auf!) verhaftet und in Ketten gelegt. Obwohl man sich wenige Stunden später hätte darüber klar sein müssen, daß derUeberfall" und derStratzenkampf" eine tolle Phantasie, eine Fata morgana seien, hat man die Traute- nauer Bürger als regelrechte Gefangene nach Glogau geführt und dort 80 Tage in strengem Gewahrsam gehalten. Die Großväter der heutigen SA- und SS -Männer haben die Großväter der heutigen Henleinleute auch keines­wegs höflich behandelt. Manche der Gefangenen klagten über die üblen Verhältnisse in der Haft, einige auch darüber,, daß man sic geprügelt habe. Die Methoden, mit denen die Preußen das deutsche Nationalgefühl erwecken, waren also 1866 schon ähnlich wie 1966... Daß man die Trautenauer Bürger so lange in Haft behielt, daß man gegen alle Beweise und wohl auch gegen besseres Wissen ihre Schuld be­hauptete, hatte seine Gründe darin, daß die Nie­derlage der Preußen am 27 Juni eine drastische Erklärung brauchte. E n t st a n d e n a u s einer Panik, wurde die Trautenauer Affäre für die preußische Propaganda dann eine sorgfältig gehütete Dolchstoßlegende. Denn militärisch verliefen die Dinge an jenem 27. Juni für die Preußen nicht günstig. Dem Sieg, den Bonin über den Bürgermeister Roth erfochten hatte, vermochte er keinen Sieg über Gablenz hinzuzufügen. Zwar räumte die Brigade Monde! über Be­fehl Gqblenz', der inzwischen selbst auf den Höhen erschienen war, ihre Stellung, die mit nur sieben Bataillonen gegen die sich enttoickelnde preußische Uebermacht nicht zu halten war, aber Gablenz zog sich nur zurück, um besser springen zu kön­nen. Die Höhe mit der Kapelle wurde von einer Nachhut erbittert verteidigt und die auf Neu-Rog- nitz zurückgehenden Truppen das Regiment Parma Nr. 24(Kolomea), Mazzuchelli Nr. 10 (Przemysl ) und das 12. Jägerbataillon be­kamen als erste an diesem blutigen Tag die furcht­bare Gewalt des Zündnadelgewehrs zu fühlen, das in den dichten Reihen der Oesterreicher ver­heerend wütete. General Bonin, der sich Vorsicht ist der Tapferkeit besserer Teil auf die sichere Kom­mandeurhöhe auf dem linken Aupaufer zurückge­zogen und dort auch seine Artillerie aufgestellt hatte, die ihm auf diese Weise nichts nützte, glaubte nun, der Sieger des Tages zu sein. Er ließ die Truppen biwakieren, schickte seine Kaval­lerie gegen Pilnikau vor, von wo sie nach einem Gefecht mit den österreichischen Dragonern in übler Verfassung zurückjagte, und meinte sich sm übrigen durch die Besatzung auf den Hohen zur Genüge gedeckt. Von Parschnitz aus hatte er zwei Regimenter unter Generalmajor Buddenbrock mit vollem Gepäck über den steilen Rand des Tales heraufklettern laffen. Diese Truppen, seit drei Uhr morgens auf den Beinen, mußten dann noch­mals in einen tiefen Einschnitt und auf die nächste Bodenwelle hinauf, ehe sie, todmüde, zwischen Hohenbruck und Alt-Rognitz in Stellung gingen, von der Oesterreichischen Artillerie, die hinter Hohenbruck auffuhr» unter heftiges Feuer ge­nommen. Bonin konnte den Tag gewinnen, wenn er jetzt sein Gros auf die Höhen führte und auch Artillerie nachschob. Beides unterließ er. Radefckymarsdil Um drei Uhr ging ein leichter Gewitterregen nieder, der den Staub löschte und ein wenig ab­kühlte. Um eben diese Zeit begann das österrei­chische Artilleriefeuer gegen die vordere Stellung der Preußen(das 44. und 45. Regiment) hefti­ger zu werden. Die Regimentskapellen der an­rückenden Oesterreicher jedes Regiment hatte eineMusikbande" von 48 bis 60 Mann, auch die Jägerbataillone hatten eine Kapelle spiel-, ten den Radetzkymarsch und mit jenem großarti­gen, auch von den Preußen in diesem ganzen Feldzug immer wieder bewunderten Elan, der die k. k. Armee von damals charakterisierte, stürzten sich von Alt-Rognitz her die beiden Regimenter der BrigadeGrivicic auf den linken Flü­gel der Preußen. Im ersten Treffen stürmten die dichten Kolonnen des RegimentsA i r o l d i" Nr. 23(aus dem Banat ergänzt) und das mäh­risch-schlesische 16. Jägerbataillon. Die Anhöhe zwischen dem Wäldchen, an des­sen Rand sich heute das Grabdenkmal des Frei­ herrn Kruchina von Schwanberg be­findet und der A i r o l d i- Höhe, von der hoch­ragend ein Obelisk Zeugnis von dem blutigen Ge­schehen vor 70 Jahren gibt, spielten sich Sturm» Rückzug und blutige Tragödie der tapferen Ru­mänen, Schwaben und Ungarn vom 23. Regi­ment ab. So kühn sie losstücmren im Feuer der preußischen Hinterlader fielen sie wie die Aehren unter der Sense. 950 Mann verlor das Regiment Airoldi ast diesem Tage, nahezu jeder Wettlauf nach Trautenau Die österreichische Heeresleitung hatte keine blaffe Ahnung von Moltkes Plänen. Sie begriff nicht, daß der große Stratege damals ja. noch ein unbeschriebenes Blatt, so unbekannt, daß noch auf dem Schlachtfeld von Königgrätz ein preu­ßischer General den Ordonnanzoffizier, der einen Befehl überbringt, fragen wird:Wer ist denn eigentlich dieser General von Moltke?" es wagen würde, den Angriff aus zwei Fronten vorzutragen und im Angesicht des Feindes eine ganze Armee aus den Pässen debouchieren zu. laffen. So vermuteten Benedek und sein len­kender Geist, der Generalmajor Krismanic, etwa sechs preußische Korps im Anmarsch von der Lausitz an die Jser, in Schlesien aber nahmen sie höchstens zwei Korps an, die lediglich Demon­strationen, Störungsmanöver, Diversionen, wie man damals sagte, ausführen würden, um die Oesterreicher auf ihrem Marsch an die Jser zu behindern. Statt sich vor die Pässe zu legen und die nächste feindliche Armee mit Ueb-rmacht an­zugreifen, schob Benedek zunächst nur zwei Korps gegen die wie er meintedemonstrierenden" Preußen vor. Das X. Armee-Korps unter Feld- marschalleutnant Gablenz dirigierte er auf Trautenau , das VI. unter Ramming auf Skalitz . So fand an dem frühen Morgen des 27. Juni, einem glühendheißen Sommertag, von bei­den Heeren ein Wettlauf gegen Trautenau statt. Die Preußen hatten näher, aber die Oester­reicher marschierten an jenem Tage schneller. Der Kommandant des preußischen I. Korps, v. B o- n i n, war ein unfähiger und übervorsichtiger Vcarm, ein typischer Günstling und Hof-General.' Skizze zu den Kämpfen am Nachmittag des 27. Juni 1866(Preußen: schwarz; Oesterrei- cher: schraffiert) Skizze zu dem Gefecht bei Neu-Rognitz- Brikersdorf am 28. Juni 1866