,, Sozialdemokrat" Nr. 202

Sonntag, 30. August 1936

Scite 13

Durch Qualitätsarbeit sich schuf

die Marke SBOR den besten Ruf!

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Der lachende Papierkorb eine fächſiſche Spezialität.

Wenn eine Redaktion von einem in drei Jahr­sehnten neben dem Papierkorb gereiften Redakteur ausgerechnet Redaktionserinnerungen haben will, so kann es sich nur um eine Jubiläums­nummer handeln. Denn sonst pflegen Zeitungs­leute nicht gern mit. Erlebnissen aus dem Bau auf­zuwarten, weil damit zuviel schöne Illusionen der Leser zerstört werden könnten. Ich will also hier aus dem Papierkorb nur Episoden fischen, die den braven Glauben des Lesers an die Redaktion nicht allzu sehr gefährden.

Meine journalistischen Memoiren reichen ins wilhelminische Deutschland zurück, und da taucht als Hauptfigur aus dem Nebel der Vergangenheit vor allem der Staatsanwalt hervor. Denn die Jüngsten mußten immer verantwortlich zeichnen, unsere Wege waren mit Paragraphen gepflastert, man wurde vor den Gerichten sehr bald ein abge­brühter Stammgast, der bei der Feststellung der Personalien schon nicht mehr hinhörte. Und so pas­fierte es denn einmal, daß ich meine Frau ver Leugnete. Wir hatten am Tage vorher geheiratet, ohne Aufsehen zu erregen. Nur ein Gang zum

Standesamt, von dort wieder in die Redaktion aus rid. Es war damals unsere Art Protest gegen bürgerliche Konvention( während man heute jedes Fest bereut, daß man nicht feierte, wie es fiel!). Am nächsten Tage stand ich vor meinem irdischen Richter. Die üblichen personellen Fragen, die übli­chen Antworten. Verheiratet?" ,, Nein... Ja doch, entschuldigen Sie, seit gestern." Da wankte selbst die sementene Würde ver­preußter Richter und stille Seiterkeit schmolz wie Buttet über ihre Gesichter.

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Unser Erbfeind saß als erster Staatsanwalt in Görlitz . Verfolgte unsere Kopfblätter. Einmal be­fam er mich au fassen. Beleidigung preußischer Richter. Klopige Sache. Ich verteidigte mich mit einer gewaltigen Rebe a la Rosa Luxemburg , deren Haltung vor Gericht uns Jungen von damals als Vorbild voranleuchtete. Ich donnerte: Sie, meine Herren, Sie haben die Macht, Sie können mich ver­urteilen, aber stärker als Bajonette und Paragra­phen--" ustv. uſtv. Ergebnis: sechs Monate Gefängnis. Der Staatsanwalt beantragte sofortige Berhaftung, aber das Gericht machte nicht mit. She ich die Strafe antrat, Teistetech mir nach altem Brauch eine Reise. Mazedonien . An der albani­schen Grenze tobte gerade ein Aufstand gegen die Jungtürken . Von dort schrieb ich dem Staatsanwalt eine Karte: Herzliche Grüße aus der türkischen Freiheit." Als ich mich einige Monate später im Görlizer Gefängnis zum Strafantritt einfand, atmete er hörbar auf. Er war mein Gefängnis direktor und gestand mir später einmal, daß er auf die Karte hin schon den Steckbrief entworfen hatte.

Dieselbe Staatsanwaltschaft wurde von uns mit einem Aprilschera hereingelegt. Ich hatte für die Aprilnummer einen Versammlungsbericht ge­dichtet, wonach Genosse S. vor der Freidenkergruppe in Heidenau einen mit Beifall aufgenommenen, tief­schürfenden Vortrag hielt über das Thema: Der liebe Gott, wie er ist und wie er sein follte." Gotteslästerung, dachte der Staats­anwalt, furchte die Stirn und sandte dem Genossen S. eine Vorladung. Die Sache endete mit Lachen Tints auf der ganzen Linie. Denn damals gabs immerhin noch Humor in Deutschland .

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Glücklich die Redaktion, die feinen Brief­tast en betreuen muß. Manche Leser scheinen sich hartnäckig den Kopf zu zerbrechen, um Anfragen ein­zuschicken, die dem Redakteur Hellen Schweiß auf die Platte treiben. dit es wahr, daß Wilhelm II.

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Wäre Amerita

ein Muttermal hat und wo?" glücklicher, wenn es 800 Jahre später entdeckt wor­den wäre?" ,, Wie lang ist ein mittelgroßer Koh­lenkahn?" ,, Kommt eine Made, wenn man sie mit einer Pflaume verschluckt, tot im Magen an oder lebendig?" Ergrimmt antwortete ich auf die letzte Anfrage: Wenn Sie die Made energisch auf den Kopf beißen, tommt sie unten tot an." Die Leserin beschwerte sich bei der Preßkommission.

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Einmal wurden atvei Antworten vertauscht. Lefer A. fragte: ,, Kann ich ohne Kündigung aus­ziehen, wenn der Hauswirt mich beleidigt?"- B. hingegen wollte wissen: Welches Mittel empfehlen Sie gegen Ratten?" Die Erkennungszeichen wur den verwechselt und so erhielt A. gegen seinen Haus­wirt den Rat: ,, Kaufen Sie Strychnin." Während der mit Ratten geplagte B. bedeppert Tas, er solle auf die Ratten einen Rechtsanwalt loslassen.

Wer entsinnt sich noch der Operette Dobo"? Ein Dresdner Theater taufte fie um, telephonierte unferer Sekretärin, der Titel müsse in der Ankündi gung lauten: ,, Unsere Kleine Frau." Die Sekretärin gab den neuen Titel in die Seßerei. Dort stand unglüdlicheptveise ein Inserat für das Wanzenmittel

Toto". Der Metteur vertvechselte D und T, be­fanntlich eine sächsische Spezialität. Abends lasen die verblüfften Leser im Inseratenteil:

Unsere Kleine Frau, bas beste Mittel gegen Wanzen!

Es hat keinen Zwed, darüber au grübeln, wie so ettvas möglich ist, denn in der legten Stunde des Umbruchs, der Fertigstellung der Seiten, rast der Sebersaal mit 100 PS. Da werden selbst harm­lose Wise leicht zu Shänen. So stand ich einmal fröhlich beim Umbruch und betrachtete eine Ueber­schrift. Sie hieß: Steine statt Korn. Folgte ein Bericht über die russische Wirtschaftslage. Ich mache ein Späßchen und lese Taut: Steine statt alten Korn."( Ein bekannter Schnaps.) Der Seßer hörts, es halt sich in ihm fest. In der Beitung stand prompt:

Die russische Wirtschaft

Steine statt alten Korn

Die kommunistische Presse bemächtigte sich des Happens und bezichtigte uns schamloser Gemeinheit.

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Von Druckfehlern will ich nicht lange sprechen, fie find unvermeidlich, sonder Bahl und mitunter von prickelnder Niedertracht. Unser Mitarbeiter Her­ mann Wendel litt besonders unter dieser und anderer Teufelei. Namentlich wenn sein Vorname mit dem eines anderen Namensvetters verwechselt wurde. Eines Tages brauchten wir eine telephonische Unterhaltung mit ihm. Die Geschäftsleitung hatte strenge Aniveisung gegeben, mit Ferngesprächen zu sparen. Warum also sollte der Mitarbeiter nicht einmal anrufen? In der Seßerei stand ein

teressierte mich. Ich bestellte ihn in die Nedaktion,| Ferienvertretung waltete, der Roman ging qus, rasch an seiner Stizze müsse eine kleine Aenderung vor­genommen werden. Als der junge Autor" blaß und vermickert vor mir stand, tat er mir leid. ,, Ja, lieber Dichter, die Skizze ist Teider ettvas Tangweilig. Göttin Gerechtigkeit- eine abgegrif­fene Allegorie...."

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Er wurde verlegen, stammelte eine Entschuldi­gung, er sei ja leider noch Anfänger, die nächste Arbeit würde besser werden.. Er gebe zu, die Ge­schichte sei ettvas dürftig.

Ein Kollege von mir, der Zeitung Tesend als Beuge dabei stand, griente niederträchtig. Autoren­stolz wallte in mir hoch. Na, trösten Sie sich", sagte ich zu dem Abschriftsteller, nicht ohne blechernen Klang in der Stimme, so schlecht ist die Stizze nun wieder nicht". Aber er machte sich immer be­scheidener. Doch, die Geschichte sei wirklich dürftig geraten, wo er doch eben erst anfange, zu schreiben. Und so mußte ich mit wachsendem Ingrimm mein eigenes Opus gegen den Plagiator verteidigen, ehe ich ihm den Todesstoß versetzte: Wenn Sie ab­schreiben, so ist das schlimm, Verehrtester, aber wenn Sie dann zu ihrer Abschreiberei nicht einmal fehen und meine Geschichte madig machen, so' setzt das dem Faß die Krone auf...."

Da sant er auf einen Stuhl und gestand ren­mütig. Im Samburger Echo" hatte er die Sache gefunden und gedacht. Dresden sei doch sehr weit von Hamburg weg. Ich aber kam auf diese durchaus ungewöhnliche Weise zu einem Honorar für einen Nachdruck, von dem ich vorher nichts wußte. Und die Hamburger Kollegen wiederum staunten, wie ge­wissenhaft ihr Blatt in der Dresdner Parteiredaktion gelesen wurde.

Vor dem Kriege saß im Nasseler Voltsblatt auch Philipp che i de ma nn, immer zu Streichen aufgelegt. Einer davon hatte auch für uns Folgen. Lebte da in Staffel ein Lokaldichter mit Samtjade und allem Zubehör, der dem Volksblatt" eine Er­

artikel von ihm im Sab, fachmännische Besprechung eines fachmännischen Buches. Wir machten den rich tigen Titel weg, festen darüber die in diesem Falle sinnlose Ueberschrift: oppla, wir leben Dazu unten den falschen Vornamen. Schickten so­fort einen Abzug nach Frankfurt a. M. mit der höfählung andrehte. Eine jener Liebesgeschichten, in wit Enbe nimmt. Die bas Geſdnäble des jungen Baares fein lichen Bitte, die Korrektur selbst zu lesen, weil wir Fortſebung bereits gebar solche Angst vor Druckfehlern hätten. Ain nächsten Proteſtkundgebungen verärgerter Leser. Da faßte Morgen war der erwünschte Anruf ba. Wendel die Nedaktion einen mannhaften Entschluß. Scheide­tobte: Ob wir ihn in den Tod treiben wollten?! Die Ueberschrift blöd, die Unterschrift blöd!! Ob in mann, der in seinem Blatt jede Woche eine schnur­rige Sonntagsplauderei in hessischer Mundart unter der Redaktion die Tolltvut oder die Schlaffrankheit dem nom de guerre ,, Struwlpeter" schrieb, mußte ausgebrochen sei? eingreifen. Und so lasen denn die Abonnenten vor der vierten Fortsetzung eine Erklärung, wonach Strumpeter die Geschichte in seiner mit Recht so be­liebten Art zu einem würdigen Ende bringen werde.

Aber wenn nun durch ein Versehen der Artikel so gekommen wäre, wenn unsere Konterordre im Tempo der Seßerei untergegangen wäre, wenn ich tvage die Sache nicht zu Ende zu denken.

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abgeschriebene Geschichte ausgerechnet dem rich- Plagiiert wird oft, aber daß der Plagiator die tigen Verfasser zum Abbrud anbietet, das dürfte immerhin ſelten vorkommen. Der Richtige wat in

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Die Stizze hieß: Göttin Gerechtigkeit." in einem unserer Agitationskalender, fiebelte in die Parteipreffe über. Nun ging mir mein Opus plöß­lich als Einsendung eines anderen au. Titel und alles tvar jo geblieben, nur die Unterschrift war ver­ändert: Evald Schurig, Dresden . Der Mann in­

Was nun begann, legte die Leser auf den Rücken. Das Gefose hörte buchstäblich mit einem wuchtigen Schlage auf, das Liebespaar entartete in wenigen Spalten derart, daß es beiderseits hanes büchene Senge gab, Gefreisch, Scheiben zertlirrten, die Nachbarn kündigten, die Hausfassade mußte aus gebessert werden. Traurig, wie rasch und peinlich eine so große Liebe enden konnte. Nach der fünften Fortsetzung lief der entseßte Autor weinend und händeringend in der Redaktion ein.

Die Folgen waren auch bei uns in Dresden anormal. Der Feuilletonredakteur weilte auf Urlaub.

Blick vom Marienberg über Aussig

Zeichnung von Helmut Krommer.

mußte eine Lücke gefüllt werden, der Kollege sicht im Kasseler Parteiblatt die beginnende Erzählung, verläßt sich auf den Geschmack seiner dortigen Kol legen, schneidet aus, gibts in die Setzerei. Nach der dritten Fortsetzung sieht er im Voltsblatt" die unerforschliche Wendung, die Struwvlpeterei. siebts mit giftgrünem Blick, denn wer sollte wissen, wie der UL in hessischer Mundart endete, faßt sich eben­falls rasch und energisch und beendete die Erzäh Tung mit der dritten Fortseßung, indem er den Hel­den leichtsinnig an einem Neubau vorüberstreichen und von einem herabfallenden Balken erschlagen

ließ. Tot. Aus.

So sah die betroffene Samtiacke ihr Werk

810e imal gedruckt und beide Male falsch, verstüm melt und geschändet von wahnsinnig gewordenen Robert Größsch.

Redakteuren.

Die Mode

vor fünfzehn Jahren

Die ersten Nachkriegsjahre haben nicht bloß auf den Gebieten des öffentlichen und persönlichen Lebens große Veränderungen gebracht, auch im Reiche der Mode geschahen bedeutende Umwälzungen und es wurde mit vielem aufgeräumt, was mit der freieren und fortschrittlichen Lebensweise nicht mehr in Einklang zu bringen war. Es verschwand das fischbeingepanzerte Storsett, das langschleppende Straßenkleid, der steife Stehkragen( die Herren der Schöpfung tragen ihn immer noch), die Haarunter­lage aus Roßhaar oder Draht und andere einst un­entbehrliche Requisiten der Toilette, welche heute Spott- und Lachluſt unserer Töchter erregen. Nach den Entbehrungen des langen Krieges, als es feine Stoffe, kein Leder und fein Geld gab, nur Angst und Sorge um die im Felde Stehenden und um die Bukunft, waren die Frauen eifrig dabei, sich zu schmücken, wieder schick und fesch zu erscheinen, als es wieder möglich hat, bie Genfucht nach neuer Garderobe zu erfüllen. Und so brachten die ersten Nachkriegsjahre, besonders das Jahr 1921, eine Fülle von Modeneuheiten und zugleich eine Entfal­tung fünstlerischer Ideen, gepaart mit dem fort­schrittlichen Geiste der Frau auch in Bekleidungs­fragen, wie es wohl nie zuvor der Fall war.

Die Modeschöpfungen des Jahres 1921 waren besonders reizend anzuschauen und geeignet, die An­mut der Trägerinnen zu betonen. Auch fanden viele Modesachen dieses Jahres eine noch heute andauernde und allgemeine Verbreitung.

Kleider und Röcke reichten bis unterhalb der Wade. Man bevorzugte ganze Kleider, Rock und Bluſe waren nicht beliebt. Die Schnitte waren nicht zu eng, durchgehend glatt, der Aermel anliegend, der Ausschnitt schmucklos und ziemlich weit. In Taillen­höhe ein schmaler Gürtel aus dem Material des Kleides, der es zusammenhielt. Stickerei und Ajour waren ein begehrter Aufpuß. Zum Kleide wurden dreiviertellange Jacken getragen, gearbeitet aus dem Material des Kleides, in der Form ähnlich der Tunique dieses Jahres, mit glattem Aermel und Gürtel. Diese zusammenstellung hat ſich bis heute

als Complet erhalten. Der Ießte Schrei" war schwarzer Samt als Material, der gerne als an­Tiegender Oberteil mit angereihtem Rock verarbeitet wurde, die Jacke mit Affenpelz verbrämt oder mit Marder. Leichte, Stoffe nahmen sich sehr gut aus in Fichue- oder Wickelform mit weitem schmal­pliffiertem Rock.

Bum Complet trug man eine ffeine anliegende Kappe oder Turban, die Filzglocke war sogar im Sommer beliebt, obzwar es als schick galt, ohne Hut zu gehen, besonders am Vormittag.

Der Schuh verlieh dem Modebilde die eigent liche Note. Ein Schnürstiefel mit hohem Absatz. dessen Schaft fast die ganze Wade hoch und eng um schloß, war eine wirklich fesche Mode, welche schlanke Beine sehr zur Geltung brachte und in hellgrau mit Lack tombiniert oder einer sonst zum Anzug passen den Farbe sehr, sehr elegant wirkte.

Im Jahre 1921 wurde das Badetrikot auch für die Damenwelt allgemein. Wenn es auch noch nicht so tühn war wie heutzutage, erregte es doch oft ge­nug bedenkliches Kopfschütteln. Auch das Dirndl wurde so allgemein, daß es ein Hauptstück der Gar­derobe wurde. Es wurde sogar in der Stadt ges tragen als vollivertiger Straßenanzug, oft sogar aus Seide. Obwohl es heute nur für die Sommer­frische und Ausflüge in Frage kommt, hat es von seiner Beliebtheit so wenig eingebüßt, daß sogar ganz große Toiletten dieses Jahres vom Dirndl inspiriert wurden. Der handgestrickte Lumberjak war der Vor­läufer des heutigen Pullowers.

So war das Modejahr 1921 ein wichtiges im Reiche der Frauenmode, dessen Gaben sich noch nach anderthalb Jahrzehnten bewährt haben.

Valerie Krommer.