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Sonntag, 30. August 1936
Schnipsel aus dem Gerichtssaal
( rb.) Der Gerichtssaalreferent, der seine täg| lasen mit Rührung von dem traurigen Geschick der Tiche Aufgabe im engen Rahmen seiner Mlubrit lementine N. Der Autor dieses Referates, ein erfüllt, muß dabei seinen Lesern manches schul- erfolgreicher und fruchtbarer Romanschriftsteller, dig bleiben, was er nur bruchstückweise an an- suchte und fand in den trockenen Akten psychologische derer Stelle und zu anderer Gelegenheit nachtragen kann. Aus der Unzahl der ernsten, tomi- Busammenhänge, tragische Situationen und Komplis schen und grotesken Episoden, die der Gerichts- fationen in Hülle und Fülle. Er schilderte die ein saalmann im Laufe der Jahre zu bemerken Ge- fame Jugend des mutterlosen Mädchens im Hause Tegenheit hat, greifen wir heute aufs Gerate- eines lieblosen Waters und einer noch liebloseren wohl einige heraus, um den Lesern das Ge- Stiefmutter, ihre Sehnsucht nach Glüd, die sie zu schehen im Gerichtssaal einmal auch von einer einem flüchtigen Abenteuer verleitete, infolgedessen anderen, sozusagen inoffiziellen Seite vorzu- sie Mutter und aus dem Vaterhause verstoßen wurde, führen. während der getvissenlose Kindesvater, ben sie nicht näher fannte, verschwunden blieb. Weiter tourde geschildert, wie nach mehreren Jahren Elends die Erbschaft von 800.000 Kč nach ihrem Vater sie der Eristenasorgen enthob und wie sie nun einen Vater für ihr Töchterchen suchte, um abermals eine furchtbare Enttäuschung zu erleben. Wie fie nun nach einem wenn auch milden- Urteil einsam dastehe, ohne Freunde und mit schwer erschüttertem Vertrauen zu Welt und Menschen...
Senatspräsident als Gerichtskassier
Einer der ausgezeichnetsten Richter des Prager Straftreisgerichtes war DGN Dr. Jaroslav Kvapil , der vor einigen Jahren in den Ruhestand trat. Wer ihn zuerst sah, wie er mit grimmig verzogenem Gesicht, zornige Blike durch seine scharfen Brillengläser schießend, dem Angeklagten audonnerte: ,, Mensch, eine furchtbare Strafe wartet Ihrer!" der mußte ihn für die verkörperte Unerbittlichkeit halten. Und doch hat kaum ein Richter mildere Urs teile gefällt wo es am Blaze war und doch hat tein Richter, wenn er in dem Angeklagten ein Opfer verhängnisvoller Umstände erkannte, einen formell faum möglichen Freispruch so zu begründen gewußt, wie Dr. Kvapil, der ein ebenso vorzüglicher Gesetzfenner wie Mensch war!
Eine kleine, aber bezeichnende Episode ist mir in Erinnerung geblieben. Eine Verhandlung hatte sich bis spät in den Nachmittag ausgedehnt, so spät, daß die zwölf vorgeladenen Zeugen die Gerichtskassa bereits geschlossen fanden. Es waren durchwege arme, ölutarme Teufel, Holzfäller, landwirtschafts liche Arbeiter und kleine Häusler, von denen kaum einer mehr als einige Kronen in der Tasche hatte. Sie tvaren aus einem Dorf an der Eazawa nach Prag gekommen. Das Fahrgeld hatten sie aufgetrieben, aber für die Rückfahrt reichte es nicht mehr.
Sie hatten mit Recht erwartet, daß man ihnen ihre Beugengebühren auszahlen werde und nun war durch irgendein Versehen die Gerichtsfassa geschlossen. Nat 103 famen sie zurück in den Gerichtssaal, wo sich OGR Kvapil eben seines Talares entledigt hatte und sich anschickte, die Wanderung nach seinem Stamm taffeehaus anzutreten. An einen Heimiveg zu Fuß war für die Beugen nicht zu denken, denn die Entfernung betrug an die siebzig Kilometer.
Dr. Kvapil hörte ihre Klagen an und machte ein grimmiges Gesicht. Dann aber holte er seine Brieftasche heraus und überzählte deren Inhalt. Ez reichte gerade und so zählte er den Beugen aus eigener Tasche ihre Gebühren hin. Ihren Dank schnitt er lura ab. Heute werbe ich im Kaffeehaus
Man fagt, daß es keine eblen und guten Menschen mehr gebel
„ Steven
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Sie auf, Herr Beuge. Dort haben Sie nichts zu suchen!" Mühsam erhebt sich Herr Halamo, immer in fich heineintichernd, und nun sieht man, daß er recht unsicher auf seinen Füßen steht.
,, Sozialdemokrat" Nr. 202
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dem Angeklagten auf die Anklagebant fallen läßt ,, niemals hat sie mich fahren lassen. Nicht aus den daß sie erkracht. Augen läßt sie mich, kein Glas Bier gönnt sie mir. Aber gegen die Vorladung vom Gericht fann fie nichts machen. Hahaha- und so bin ich ihr ausges fommen. So eine Vorladung, meine Herren, das ist fo twie ein Urlaubschein beim Militär." Die Majestätsbeleidigungen des Tippelbruders
Sie sind ja betrunken", ruft der Vorsitzende eraürnt. Sie fönnen ja taum stehen und riechen wie ein Bierfaß. Wie können Sie sich unterstehen, so vor Gericht zu erscheinen"
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,, Es ist nur, Herr Oberrat aber nein, das ist doch Hahaha Ich will nur sagen" Tallt der Beuge mit schwerer Bunge, indem er eine Stübe an der Kante des Richtertisches sucht.
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Wenn Sie sich nicht sofort vernünftig benehmen, lasse ich Sie abführen und auf zwei Tage einsperren", droht der Vorsitzende grimmig. Und sofort schlägt die bierfröhliche Stimmung des Beugen ins Gegenteil um. Flehend erhebt er die Hände au den Richtern. Haben Sie Mitleid, hoher Herr Vorfizenber... Ich bin ein ehrlicher Mensch... Er sieht ein großes Taschentuch hervor und trocknet sich schnaufend die Augen, aus denen Tränen quellen.
„ Genug! sagt der Vorsitzende energisch. Jest werden Sie hübsch vernünftig meine Fragen beantworten." Und nun geht alles leidlich glatt. Die Personalien stimmen.„ Ferdinand. Halama 48 Jahre alt- Grundbesitzer aus Lhota. Nummer 74
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Solchen Skeptikern müßte der Stoß von Briefen gezeigt werden, den Kollege X. in den folgenden Tagen auf seinem Redaktionsschreibtisch vorfand. Man sollte gar nicht für möglich halten, wie viele wadere Männer sich erboten, der armen, vereinsamten Klementine die Hand zu einem neuen Lebens. Mein, bitte", meint der mun ganz ernüchterte glück zu reichen. Jeder von ihnen, der eigenen Aussage nach, ein Musterstück aller erdenklichen männe Salamo schüchtern Nummer 12, bitt' ganz er lichen Tugenden. Und jeder bat den hochverehrten gebenst." Der Vorsißende korrigiert den Akt und Herrn Redakteur", er möge doch gütigst die Be- nun soll Halama nach bestem Wissen und Gewissen fanntschaft mit dem schwergeprüften Mädchen ver- die reine und lautere Wahrheit und nichts als die mitteln. In keinem dieser edlen Angebote fehlte frei Wahrheit darüber aussagen, wie es lam, daß sein lich die mehr oder weniger deutliche Frage, obiene Nachbar Nebuška, der heute der satveren Körpers 300.000 Kč nicht vielleicht ein Drudberlegung angeklagt ist, bei einer Wirtshausrauferei fehler seien. fein Glas am Kopfe eines gemeinsamen Bekannten zerschlug. Aber Herr Halama schweigt wie das Grab, tritt bon einem Fuß auf den andern, schwitzt, fährt sich mit dem Beigefinger hinter den Kragen und fühlt fich sichtlich äußerst unbehaglich.
Hand in Hand mit diesen schriftlichen Angeboten gingen persönliche Vorsprachen bei dem geplagten Autor jenes Referates, die ganz dem gleichen Zweck dienten. Zwei unter diesen Heiratskandidaten, er sichtlich Herumtreiber erster Sorte, stellten sich sogar als jener seinerzeitige Verführer und Spurlos verschwundene Kindesvater vor und bekundeten ihre Sehnsucht nach„ Weib und Kind" immer vorausgesetzt, daß es mit den 800.000 Kč seine Richtigkeit habe...
Während noch der Redakteur mit der Abwim melung der ungebetenen Wohltäter befaßt war, gingen verschiedene Gesinnungsgenossen dieser unters nehmenden Leute einen anderen Weg, indem fie fich an den
„ Nun?" drängt der Vorsitzende.„ Was wissen Sie von der Sache?"
Bitt ergebenst", twürgt der Beuge hervor, „ nichts".
Wie? Sie find doch als Hauptzeuge geführt?! Sie waren doch dabei und haben beim Untersuchungsrichter alles bis aufs i- Pünktchen geschildert.
Bitt' ergebenft, das tvar der andere." Welcher andere?"
Der andere Ferdinand Halama. Der aus dem
schuldig bleiben müssen", murrte er, aber seid froh her fenenden des Senates Niederdorf. Der von Nummer 74. Mein Namens
daß ich gestern mein Gehalt bekommen habe. Wenn
heute ein höheres Datum wäre, hätte ich auch nicht
helfen können."
Fall verhandelt hatte, mit dem bescheidenen Ersuchen, die Vermittlung der Bekannts fchaft zu besorgen. Und als schließlich mitten in einer Verhandlung dem Vorfißenden sogar ein expreß- rekommandierter Brief mit dem gleichen Anfinnen zugestellt wurde, riß diesem die Geduld und er warf bem zufällig anwesenden Redakteur wütend den Brief au mit der Aufforderung, gefälligst selbst Die 30jährige Mementine. war wegen fal- auszulöffeln, was er durch seinen allzu eindrucks
Eln rührender Gerichtssaalbericht und seine Folgen
scher Zeugenaussage in ihrem Ehescheidungsprozeß zu zwei Monaten bedingt verurteilt worden. Sie wollte von ihrem liederlichen Mann loskommen, den sie nur deshalb geheiratet hatte, um ihrem unehelichen Seinde einen legitimen Vater zu verschaffen. Der Mann war ein Taugenichts, der von dem Gelde seiner Frau ein Lotterleben führte, bis sie schließlich die Scheidungsklage einbrachte. Im Verlauf dieses Prozesse3 machte sie dann in einem heiflen Buntt unter Zeugeneid eine falsche Aussage, die das straf
gerichtliche Nachspiel zur Folge hatte.
Klementine. hatte ein Vermögen von 300.000 Kč.
Das ausführlichste und farbigste Referat schrieb Redakteur X., Gerichtssaalreferent eines in lein bürgerkreisen weit verbreiteten Blattes. Das Referat erschien am Sonntag und Zehntausende von Lefern
Bild eines Tagbaues
Aus dem Roman Dorf in Scherben"
Von Josef Hofbauer Meine Beine, gelenkt von unbetvußten Gedanken, trugen mich zu den Schaufenstern der Buchhandlungen. Bücher! Ich weiß nichts Schöneres zu schenken!
bollen Bericht eingebrockt habe.
Vorladung als ,, Urlaubscheln"
..Herr Ferdinand Salamo...!" er schallt der Beugenaufruf des Aufsehers auf dem Gerichtskorridor.
Herr Ferdinand Salamo betritt den Gerichts
faal. Ein rundlicher, rotbadiger, vor Gemütlichkeit und Gesundheit stroßender Bauer. Ueber der prallen Wefte eine dide Uhrkette mit einem wahren Bündel
aller möglichen Anhängsel.
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„ Guten Mittag, hoher Gerichtshof, geb' Gott - Hihihi. einen guten und fröhlichen Mittag!"- hahaha Befrembet blickt der Vorsitzende auf den wohl gelaunten Zeugen, der sich, gemütlich ächzend, neben
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better."
Großer Gott im Himmel", schreit der Vor
fibende mit einem Fauſtſchlag auf den Richtertisch, Sie find also gar nicht der Beuge, den wir geladen haben?" Wozu sind Sie denn dann nach Prag gefommen? Jetzt können wir die Verhandlung vertagen. Warum haben Sie denn die Vorladung überhaupt angenommen, he? Warum haben Sie dem Brief
träger nicht gesagt, daß Sie die Sache nichts angeht, he? Ich hätte Lust
„ Bitt' schön, hoher Gerichtshof, ich hab' halt geglaubt, die Vorladung ist für mich. Ich kenn' mich nicht so aus in amtlichen Sachen..."
Da half nichts die Verhandlung mußte vertagt tverden...
Herr Halama war aber gar nicht der ahnungsToſe Mann am Lande, den er gefchidt genug gemimt hatte. Er wußte sehr wohl, daß die Vorladung nicht ihm gehörte. Aber er nahm fie gerne an und hütete sich, den Irrtum aufzuklären. Als wir mit ihm die Treppe heruntergingen, war seine Duliöt- Stimmung trieber da und er machte aus seinem Herzen teine Mördergrube.„ Meine Alte, ihr Herren, meine Alte, das ist ein Luderchen; ein Luderchen, mit Verlaub. Wie oft hab ich schon nach Prag fahren wollen, aber
schmalen Geleisen standen, und anders, wenn aus ihm das bunte Gemisch vieler Geräusche: Kreis schen der Maschinen, Klirren der Haken, Gespräch und Geschimpfe der Männer emporstieg.
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abgerissen. Und dort, too der Maler stand, um die Eigenart dieser Industrielandschaft zu erfasfen, dort ist der Eingang und Abstieg zu dieser leinen Hölle. Manchmal blieb ich, wenn ich meinem Vater das Geleite gegeben hatte, dort Die im Lärm und Braus der Arbeit stehen, stehen, um den frischen Morgen mit feinen glu- die murrend oder lachend hinuntersteigen zu neuer tenden Lichtern auf mich wirten zu lassen. Auf Schicht oder müde und auffeufzend herauftom den Gräsern blintte Tau- und vor mir alles men zu ersehnter Rast, au ein wenig Kurzweil Im großen Schaufenster einer Buchhand- schwara! Eine Lerche jubelte sich zum blauen und ein bißchen Liebe sie werden von diesem lung sind einige Bilder ausgestellt. Vorübers Himmel empor- und an mir vorüber gingen Bauber nicht erfaßt. O ja, auch fie freuen sich wandelnde bleiben gleich mir auf dem Gehstein schwarze Männer in die Tiefel Lange, bevor ein eines Sonnentages! Auch sie heben manchmal, stehen, vertiefen sich in das Betrachten der Kunst- Maler dorthin tam, um in der Enge von Lärm froher gestimmt, die Augen, wenn Lerchentriller werte. Freilich, viel mehr Vorübergehende haben und Staub, inmitten von Abbruch und Ber- au ihren Ohren drang. Aber es wirkte lächerentweder überhaupt keine Beit, stehenzubleiben störung einer Idylle und der Auftlüftung der lich, fpräche man zu ihnen einmal von der eigen oder werfen nur einen hastigen Blick den Bildern Erbe und dem Legen von Schienen und dem Krei- artigen Schönheit der Induſtrielandschaft, au zu. Manchmal bleibt jemand stehen, schaut eine fen und Senten und Wiederaufsteigen der Bag- ihnen, die in dieser Landschaft arbeiten müssen, Minute, audt mit den Achseln und geht weiter. ger Schönheiten zu entdecken, ahnte ich, erfühlte schwere, schmußige, gefährliche und schlecht Kunstverständige, Kunstkritische? Oder Gelang ich hier Quellen der Schönheit, sah ich fie in dem entlohnte Arbeit leisten. weilte, denen die Bilder nichts bedeuten? Auch Widerspruch des Neuen zum Alten, in der Ber Ich habe mich oft über die Bergarbeiter ges Kinder bleiben vor den Bildern, guden ein Weil- änderung der Landschaft, in der Arbeit der Men wundert, kaum sie richtig verstehen können, ob chen nach ihnen, ſchauen nach dem Dargestellten, schen und der Maschinen. Nur daß ich nie mit wohl ich doch selber ein Bernarbeiterkind bin. Sie fehen nur die Dinge, wo andere Farbe und Stim- Worten fo fprechen tonnte wie der Maler burch fönnen so lange, so unendlich lange so vieles ermung sehen. Bald eilen sie wieder weg. seine Farben. Und erst recht heute, nach so vie tragen! In Reiten bitterster Not eine Explosion Ein Bild, das mich besonders erfreut, wird len Jahren, lann ich das mächtige Gefühl, das Troß, Wut, Empörung, Streit. Und dann freilich anderen taum gefallen. Es zeigt einen von all den toten und bewegten Dingen um mich Tagbau. Und ich bilde mir ein, es sei fuit fener, her und von der grotesten Landschaft auf mich in dem mein Vater so viele Jahre feines Lebens überging, nicht in Worte vingen. Jede der als Verdammter verbrachte, bei schwerer, lebens wechselnden Beleuchtungen des Tages schuf gefährlicher Arbeit. 3a, es tann nicht anders andere Stimmungen. Anders war der Tagbau sein, es ist dieser Tagbau! Früher stand dort ein im Morgenlicht und anders, wenn er unter dem blühendes Dorf. Jest gähnt dort eine von Bag- Schleier der Nacht mit seiner Umgebung ausamgern aufgeriffene, von tausend hackenden Sieben mensufließen schien au einer einzigen dunklen tiefer in die Tiefe getriebene Schlucht. Die kleine| Welt. Anders war er an fenen wenigen Feier Kirche steht noch. Einige zerstörte Häuser ragen tagen, an denen die Arbeit völlig ruhte, auch die om Rande auf. Die Schule droben wird eben Maschinen ruhten, berloren die Hunte auf den
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wieder ein Zurüdſinten ins Gewohnte, die Welle revolutionärer Empörung berflutet in den Alltag mit seinen kleinen Erlebniffen und großen Sorgen. In zu wenigen geht die fäh aufgefladerte Begeisterung in dauernde Glut über.
Ja, aber ist es denn bei anderen Arbeitern, anderen Berufsgruppen so viel anders?
Lange betrachtete ich das Bild. Wie gol dene unten stiegen mir Gedanken ins Bewußts sein, die mir erstanden in fener Reit, da ich so oft diese Landschaft sah. In ihrer Dürftigkeit
„ Das wäre also Ihre fünfundsiebzigste Strafe" meinte der Vorsipende nach verkündetem Urteil au dem alten verhußelten Männlein auf der Anklagebant. Und Ihre 68 Jahre haben Sie auch schon auf dem Budel. Wer weiß, wie weit Sie es noch bringen."
Vergelts Gott , Herr Rat", grinfte der Ber urteilte und ließ sich abführen. Weswegen und zu urteilt wurde, ist mir entfallen. Aber seine sonder welcher Strafe damals der alte Franz stemine! ver bare Lebensgeschichte habe ich mir gemerkt, wie sie mir der Staatsanwalt erzählte, der diesen Kaus als junger Bezirksrichter in irgendeiner füdböhmischen Stabt lange vor dem Kriege kennen lernte und in der Folgezeit noch vielemale mit ihm zu tun hatte.
Franz Křeminet war von Jugend an ein un berbesserlicher Landstreicher. Er war auf teine Weise, weder durch Bureden, noch durch Strafen zu einem feßhaften Leben und regelmäßiger Arbeit zu brin gen. Im übrigen tat er niemandem etwas auleibe, stahl nicht und bettelte bei den Einheimischen auch bloß um etwas Essen. Höchstens Fremde ging er um Geld an. Er vazierte nämlich nur in einem berhältnismäßig fleinen Gebiet, wo ihn die Leute brachte ihn keiner. fannten und sogar gern hatten. Aber zum Arbeiten
Den ganzen Frühling und Sommer trieb sich Křeminek ledig und ungebunden herum, übernachtete im Freien, in verlassenen Wächterhütten oder im Heu. Sobald aber der Herbst mit Kälte und tegen tam, suchte er sich ein Winterquartier im Gerichtsgefängnis. Um dahin zu ge langen, mußte er sich zunächst etwas hinreichendes zuschulden kommen lassen, um für einige Monate ihm die Pforten des ersehnten Asyla öffnete, war bersorgt zu sein. Nun. der Bauberschlüffel, der damals, in der Vorkriegszeit, der Majestätsbeleidi gungsparagraph. Zur Begehung dieses Deliktes
hatte er seine besondere Methode, die er Jahr für Jahr mit geradezu ritueller Strenge einhielt.
So gern und geschickt er sonst den Gendarmen aus dem Weg ging zur Herbstzeit suchte er selbst zur Gendarmeriestation und wenn der Wachtmeister ihn fo daherlommen fah, legte er gleich die Protofollformulare zurecht und griff nach Helm und Säbelkoppel, denn er wußte, was nun kommen würde.
Křeminet trat nach höflichem Anklopfen ein, nahm den durchlöcherten Filz vom Schädel und stand in Habt- Acht!"- Stellung vor dem Herrn Wachtmeis fter. Auf dessen barsches Was wollen Sie?" erfelgte die stramm- militärische Antwort:
Sefr Wachtmeister, meldengehor famft, der beer Kaiser tann mich."
Das Weitere fand sich von selbst. Für das
Winterquartier war gesorgt.
Nebst diesen termingemäßen Strafen liefen noch verschiedene außertourliche teine Verurteilungen wegen Vagabundage, Trunkenheit u. bgl. auf, aber nie ein Eigentums delitt, worauf Křes minet sich viel einbildete. Nach dem Umsturz sah sich indessen Křeminek dieses nüblichen Paragraphens beraubt und mußte sich nach Erfaß umsehen. Es heißt übrigens, daß er, der sich um das, was in der Welt vorging, grundsäblich nicht fümmerte, im Herbst 1918 vom Busammenbruch Desterreichs dadurch er fuhr, daß der Gendarm auf seine übliche Meldung" fuchte zuerst, die nüßliche Beleidigung der Majestät freundlich erwiderte: Mich auch!" Křeminek vers burch Beleidigungen der republikanischen Gendarmen zu erseben, aber das führte nicht zum erwünsch ten Biel und bekam ihm auch anderweitig schlecht. nun begab er sich auf„ große Walz“ und ließ sich in seinem früheren Wirkungsgebiet nur selten sehen. füllte sich immer mehr auch ohne Majestätsbelei Die Jahre vergingen und die Straffarte Křeminets digungen.
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Wir haben seither Křeminek nicht wiedergesehen. Vielleicht ist ihm während der inzwischen vergangenen Jahre bereits ein ewiger Rubeort auteil geworden.
hatte ich nach Schönheiten gesucht und sie gefunden und damit den Weg zur Lebensfreude...
Blaubernde, lachende Damen und Herren Streifen vorüber. Die meisten haben für das Bild taum mehr als einen flüchtig darüber hinweggleitenden Blick. Welcher Einfall, so etwas Häßliches au malen!
Gleich neben der Buchhandlung lockt ein Kaffeehaus, Wird die Türe geöffnet, so quillt Mufit heraus, Tanamusit, neue Schlager. Dort brinnen wird gescherzt und gelacht und geflirtet. werden ernste Gespräche geführt und Geschäfte abgeschlossen. Ich weiß schon, daß auch so mancher seine Sorgen mitnimmt ins Raffeehaus. Und bochin mir steigt jäh der Gedanke auf, daß all das Geflüster und Gejauchze der Freude und alles fröhliche Lachen sich wandelte in einen einaigen wilden, lagend anklagenden Schrei des Schmerges, des Entfebens und des Grauens, tönnte man mit plöblichem Griff die Insassen aller Kaffeehäuser und aller Vergnügungsorte des Landes hinwegreißen von den Klängen füßer Musit, von Spiel und Tanz, aus den Stunden genießerischen Tändelns, hinweg von den Tischen der Lebensfreude, und sie hineinstoßen in bie dunklen Schlünde der Bergwerke, in die Gluthike der Hochöfen, in die Riegeleien und in den Lärm der Fabriken oder hineinstellen in die Woh, nungen der Arbeitslofen, in diefe Wohnungen mit ertalteten Herden und leeren Speiseschränken! Welch ein Schreckensschrei würde die Welt durchs gellen!
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Rein Schrei erhebt sich Mufit, füße Musit strömt aus dem benachbarten Kaffeehause und ich stehe noch immer sinnend vor dem Bilde.
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