Nr. 247

Der Kongreß des Mittelstandes

Die Radikalsozialisten tagen in Biarrit

Freitag, 23. Oktober 1936

Paris.( MTP.) Die radikale Partei ist| fennt. Die Leute, die in Biarriß zusammenströ radikal für den goldenen Mittelweg", hat men, haben das Gefühl, sich zu einem großen Edouard Daladier einmal erklärt. In diesem Familienfest zu begeben.

Gaz steckt alles, was über diese größte bürgerliche Partei Frankreichs zu sagen ist. Und er wird sich auch auf diesem Kongreß in Biarritz , wo die Par­tei vor ein schweres Dilemma: hie Links, Front Populaire, dort Rechts, Front National, gestellt ist, bewähren. Nur keine Extreme! Nur keine Experimente! Immer die Waage zwischen rechts und links halten, die Gegensätze auszugleichen versuchen, Ruhe um jeden Preis und viele schöne Worte.

Diese Haltung hat die Partei nicht immer gehabt. Sie gleicht einem Mann, der in seiner Jugend recht stürmische Leidenschaften gehabt hat, dann immer behäbiger wird und dessen Haupt­eigenschaft kluge Vorsicht ist. In ihren Anfängen war die Partei wirklich radikal. Ihre Gründung geht noch auf die Zeit von Gambetta zurück, und ihre Radikalität bezog sich auf die entschiedene Bekämpfung der Kirche. Nachdem im Manifest von Montmartre Clemenceau schon 1881 soziale Forderungen in das Programm der Par­tei aufnahm, wurde 1893 der heutige Name ,, radikalsozialistisch" für die neue Partei angez nommen, die nach ihrer Wiedervereinigung mit ihren ursprünglichen Gründern im Programm

von Nanch 1907,, Radikale und Radikalsoziali­stische Partei" genannt wurde.

In der Gestaltung der politischen Schicksale der Dritten Republik hat die Partei oft eine ent­scheidende Rolle gespielt. Im Grunde ist es ihren Anhängern zu verdanken, daß der Boulan gismus 1889 geschlagen wurde: es ist der erste Sieg der demokratischen großen Mittel­standspartei gegenüber diftatorischen Gelüsten. Ihre Glanzzeit aber erlebte die Partei zehn Jahre später im Kampf um die Dreyfus Affäre. Hier erhob sie sich zu einer geistigen und moralischen Höhe, die weit über die Grenzen Frankreichs beispielgebend wirkte. War der Radi­falsozialismus in der Dreyfus- Affäre der schärfste Gegner der Nationalisten und des Mili­tärklüngels, so war er wieder ein Jahrzehnt spä­ter Gegner des Pazifism u s. Die Par­tei bekämpfte zwischen 1910 und 1914 Jaurès. Diese, einer extremen Auffassung entgegengesepte Haltung, bewahrte die Partei auch nach dem Kriege. Man hat ihr oft Schwankungen vorge­worfen, und tatsächlich betrieb sie eine Schaufel­politik, die sehr bezeichnend ist. 1924 ging sie ins Linkstartell und bekämpfte Poincaré , als es sich darum handelte, aus der Sackgasse der Ruhr­besetzung herauszukommen. Aber schon 1926 ging sie mit Poincarè gegen die Linke, als der Franc stabilisiert werden sollte. Und zehn Jahre später geht sie heute und vorläufig wieder mit der Lin­ken, aber sie leidet unter der Belastung durch die Kommunisten, die zur Front Populaire gehören.

Dieser historische Abriß zeigt besonders deut­lich, worin der Radikalismus des französischen Kleinbürgers, der die Wählermassen der Partei stellt, besteht. Achtsam darauf bedacht, als höchstes politisches Gut Freiheit der Gesinnung und Sandlung zu bewahren, ist die ganze Politik der Radikalsozialisten auf die Herstellung und Wah­rung eines Gleichgewichtes der Kräfte gerichtet.

Der Kongreß der radikalsozialistischen Par­tei bietet ein sehr pittoreskes Bild und ist keines­wegs mit einer politischen Versammlung zu ver­wechseln, wie man sie heute in anderen Ländern und bei anderen Parteien auch in Frankreich

Zu den Gemeindewahlen In Jugoslawlen

In Zeitungen, die der Partei nahestehen, konnte man in den letzten 14 Tagen vor dem Kongreß folgende Anzeigen lesen:

,, 248 Francs Gesamtpreis für eine Reise nach Biarritz , Fahrkarte dritter Klasse hin und zurüd. Volle Pension für die Gesamtdauer des Radital­sozialistischen Kongresses( vier Tage und drei Nächte), drei Mahlzeiten und Wein inbegriffen. Keine Trinkgelder. Herrliche Autoausflüge in die Umgebung."

Dies ist keine Anzeige eines Reisebüros. Es ist eine Verlautbarung des Organisations­so mi tees deskongresses, und Bürger Dupont liest sie gern und findet, daß für 248 Francs entschieden viel geboten wird. Er zieht seinen besten Anzug und einen steifen Sragen an, sest einen möglichst breitkrempigen ut auf und begibt sich zum Kongreß, wie sich andere auf eine viertägige Ferienreise begeben. Er braucht nämlich nicht delegiert zu sein. Denn grundsäßlich hat jedes Parteimitglied das Recht,

dem Kongresse beizuwohnen. Und wer es nur irgend kann, tut es auch: die Kongresse sind im­mer überfüllt.

Die Sitzungen find nicht das wichtigste, und der Inhalt der Reden spielt nur für die zünf­tigen Politiker der Partei und für die Presse eine Nolle. Für besagten Herrn Dupont dagegen ist es wichtig, im Kreise seiner Gesinnungsfreunde ganz ebenso familiär gut zu essen und zu trinken wie am Stammtisch seines Heimatortes. Für ihn ist es wichtig, sich einmal nach Herzenslust auszu­sprechen, über Gott und die Welt, über Textil­preise und Schweinezucht, über Steuern und Kommunisten und über alles, was man ja doch nicht ändern kann.

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Volkswirtschaft und Sozialpolitik

Vor diesem Gremium treten allerdings auf die Tribüne des Kongresses Persönlichkeiten sehr großen Manges. Die stürmischen Ovationen, die namentlich erriot bereitet werden, gehen Die Entwicklung weniger darauf zurück, daß die Anwesenden sein seinsinniges Buch über Beethoven gelesen haben, fondern darauf, daß man zu ihm einfach ein herz­liches Verhältnis hat, und daß er seine Pfeife raucht.

der Textilproduktion

und im Verlaufe dieses Jahres ihren Aufschwung Unter den Industrien, die im vorigen Jahre Darum hat es der heutige Parteivorsibende in raschem Tempo fortgesetzt haben, steht die Edouard Daladier auch schwerer. Er ist Textilindustrie an hervorragender Stelle. Nach ein autoritärer Charakter, impulsiv und heftig. dem Statistischen Bulletin des Völkerbundes hat Den braven Bürgern liegt dies Temperament nicht, aber sie geben ihm ihr Vertrauen, weil sie sich der Inder der Textilproduktion( 1929 ist glauben, daß er es schon schaffen wird. Der dritte gleich 100) in den einzelnen Ländern wie folgt große Mann der Partei heute, Camille Chauverändert: temps, imponiert ihnen als ausgezeichneter Kopf und Advokat, und außerdem wissen sie, daß niemand so wie er dazu berufen ist. Kompromisse zu schließen, und das begrüßen sie alle.

In diesem Jahr allerdings kommt noch etwas besonderes hinzu: denn Biarriz liegt ganz nah an der spanischen Grenze. Hier hat man den Kanonendonner von Irun gehört, hierher kamen die Flüchtlinge. Und bei Wein und gutem Effen und zwischen hervorragenden oratorischen Lei­stungen werden die in Biarriß zum Kongreß ver­sammelten Bürger Frankreichs schaudernd von den Schrecken des Bürgerkrieges sprechen und ge­wiß den Schwur tun, mit allen Kräften daran zu arbeiten, daß in Frankreich die Gegenfäße nicht in solchen Formen ausgetragen werden. Wobei sich nur fragt, ob diese Erwägung die kleinen Leute der Mitte nach rechts oder nach links füh­ren wird.

Tschechoslowakei Deutschland Desterreich Belgien. Kanada Chile Dänemark USA Frankreich Ungarn Polen

Jänner 1935 Juli 1936 64.8

85.9

·

. 100.8 .. 126.7

104.8

125.8

59.9

60.8

81.5

109.4

·

205.8

296.1

144,6

89.6

66.3

.

121.5

·

78.6 98.0

169.4 100.0 68.0 149.5 72.8 101.3

Großbritannien

A.-G., die Prager Mustermesse- A.- G., die Brün­ner Ausstellung- A.- G., die Dubrovniker Bäder= und Hotel- A.- G., die Kaschau - Oderberger Bahn­A.-G., die Anglo- Prago- Bank, die Tatra- Bant, und Industriebank usiv. Die Beteiligung von die Böhm. Industrialbank, die Deutsche Agrar­Staatsbetrieben an Privatunternehmungen steht mit etwa 134 Millionen in der Bilanz.

Geringere Arbeitslosigkeit in der Metall­industrie. Der Metallarbeiterverband verzeichnet ein Sinken der Arbeitslosigkeit unter seinen Mit­gliedern. An unterstützten Arbeitslosen während des Monates September der letzten Jahre wurden gezählt: 1931-6126, 1932-8437, 1933­13.891, 1934-10.567, 1935-9056, 1936 5531. Der Monat September 1936 ist also seit sechs Jahren der günstigste, was die Arbeits­Tosigkeit betrifft.

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Ein Streit gegen das Bebeaux- System. In der Weberei der Firma Geiringer in Mistek brach Dienstag ein Streit gegen das dort ebenfalls ein­geführte Vedeauy- System aus, den die Arbeiter schaft nach dem französischen Vorbild durchführte. 145 Arbeiter und Arbeiterinnen übernachteten in der Fabrik. Durch Verhandlungen konnte aber Von den Ländern mit alter Textilindustrie bereits Mittwoch mittag ein Abbruch des Streifs weist demnach die Tschechoslowakei im Juli 1986 erzielt werden und um 13 Uhr wurde die Arbeit die stärkste Erhöhung des Inder gegenüber dem wieder aufgenommen, nachdem den Arbeitern Jänner 1935 aus. Nur in den Ländern, die in eine günstige Liquidierung der Lohnstreitigkeiten den letzten Jahren erst eine eigene Textilindustrie bis spätestens 2. November zugesichert worden aufgebaut, beziehungsweise sie erweitert haben, war. Erhöhung der Holzproduktion. Von Vertre die Einführung von Maschinenkarten angeordnet ist die Textilproduktion stärker gestiegen. Zu die­wird. Für jede in der Industrie verwendete ser Ländergruppe gehören insbesondere Ungarn , tern der Holzproduktion wurde dem Landwirt­Maschine soll zur Ermöglichung der vollständigen Dänemark , Chile . Frankreich und Desterreich schaftsminister ein Ansuchen nach einer Erhöhung Man schreibt uns aus Jugoslawien : Ueberwachung eine derartige Karte angelegt haben im Juli 1936 sogar einen niedrigeren Pro- der Holzproduktion vorgelegt. Das Landwirt­Nach dreijähriger Periode sind heuer in werden. Auf der Starte sollen die einmaligen An- buttionsindex für die Textilindustrie als zu Be- schaftsministerium soll bei Bewilligungen größerer Schlägereien benevolent vorgehen und praktisch Jugoslawien Gemeindewahlen fällig. In zwei schaffungskosten, der laufende Betriebsaufwand, ginn des vorigen Jahres. Banschaften wurden sie bereits durchgeführt, die die hauptsächlichen Reparaturausgaben, die Lei­eine Erhöhung der Holzproduktion bis zu 100 Diese günstige Entwicklung der Textilpro- Prozent zulassen. Gleichzeitig sollen die Gebühren übrigen Banschaften folgen in kurzen Abständen. ſtungs- und Verwendungsfähigkeit der Maschine duktion in der Tschechoslowakei hat zwar die Ar- für die Mehrschlägerung beträchtlich herabgeſetzt Wie zu erwarten gewesen, siegt" in diesem hervorgehen. Es handelt sich bei dieser Anord- beitslosigkeit herabgedrückt. Von den erhöhten werden, wobei aber auf eine Refundierung beim Wahlkampf die Regierungspartei, die Jugoslawi- nung des Reichswirtſchaftsministeriums um eine Gewinnen, die damit für die Textilindustriellen Export verzichtet würde. sche radikale Gemeinschaft( Jugoslovansta radi- Maßnahme, die erst ihre volle Bedeutung ge- verbunden sind, hat die Arbeiterschaft freilich talna zajednica), genau so, wie vor drei Jahren winnt, wenn man sie im Zusammenhang mit ber nichts erhalten. Die Löhne sind durchwegs noch die Jugoslawische nationale Partei gejiegt" hat, Striegsaufrüstung betrachtet. So wie das Arbeits- auf dem Stand des Krisentiefs. Es wäre an der die damals in Belgrad am Ruder war. buch, das für die Arbeiterschaft neu zur Einfüh- Zeit, daß die Textilindustriellen, statt dauernd zu Die Wahlabstimmung ist öffent rung gekommen ist, die Registrierung jedes ein­I ich, wie sie vor drei Jahren zur Zeit der Dit zelnen Arbeiters vervollständigt und dadurch seis lagen, wie schlecht es ihnen geht, sich dazu ver­tatur gewesen ist. Die vom Regime des Doktor nen Einsatz durch die Behörden zu dem gegebe- der Arbeiterschaft entgegenzukommen. Die durchs stehen würden, den berechtigten Lohnforderungen Stojadinović versprochene Wahlreform, haupt- nen Zeitpunkt ermöglicht, so soll die Maschinen aus die kapitalistischen Interessen wahrende Beit­ſächlich Einführung der geheimen Abstimmung, far farte bei der Lösung dieser Aufgabe für die wurde bisher nicht verwirklicht, sondern unter Maschine eine wesentliche Hilfe sein. Die völlige schrift Die Wirtschaft" fagt in ihrer Nummer allerhand Ausflüchten aufgeschoben. Das Regime Ausrichtung der deutschen Wirtschaft auf die so- 40, daß die Textilindustriellen wieder Geld ver­ſagt, die öffentliche Abstimmung verhindere nicht, genannte Wehrwirtschaft bedingt, daß der dienen, auch wenn sie das Gegenteil behaupten, daß der Wahlgang frei sei. oberste Generalstab" mit der Zeit eine genaue benn es hat noch nie einen Textilindustriellen kennzeichnet deutlich die Anleitung des Zentral- Verwendungsmöglichkeit des gesamten deutschen Unternehmer, von einer kapitalistischen Wirt­Wie die Atmosphäre dieses Wahlkampfes ist. Uebersicht über die Leistungsfähigkeit und die gegeben, der jemals zugegeben hätte, daß seine Geschäfte gut gingen". Diese Kennzeichnung der preßbureaus an die Zensurstellen: Maschinenparts hat. Erst dadurch wird es mögs In den Gemeinden, in denen die Liste der lich, den in Nürnberg verkündeten zweiten Bier- schaftszeitung getroffen, gilt nicht nur für die Jugoslawischen Gemeinschaft in der Minderheit ge= blieben ist, darf nur das Resultat gebracht werden, jahresplan und die gesamte Kriegsrüstung über- Industriellen der Textilindustrie, sondern für die haupt mit weniger Reibungen, die sich aus der Industriellen überhaupt. für die Wirtschaft notwendigen Umstellung ers geben, durchzuführen. Ob aber trop Arbeitsbuch und Maschinenkarte die Rechnung der deutschen Diktatoren am Ende sich doch nicht als falsch er­weisen dürfte?

ohne jeden Kommentar."

Und weiter:

Der Presse ist nicht gestattet, zu schreiben, daß ez den Staatsangeſtellten und den Angestellten der übrigen öffentlichen Dienststellen freisteht, Opposi tionslisten zu wählen oder sich gegebenenfalls zu ab­stinieren. Auch die Agitation in diesem Sinne ist berboten."

Kriegspaß für Maschinen. Das deutsche Verwendet nur..Boltszünder"!

Reichswirtschaftsministerium hat an die Reichs­

gruppe Industrie ein Schreiben gerichtet, in dem

Die Beteiligung des Staates an der Privat­wirtschaft. Die Beteiligung des tschechoslowati­schen Staates an der Privatwirtschaft wird, so­tveit sie unter eigener Verwaltung steht, mit 655 Millionen angegeben. In diese Gruppe gehö ren die Drbis" Druds, Verlags- und Zeitungs­A.-G., die Tschechoslowakische Waffentverte- A.- G. in Brünn , die Elbe -, Donaus und Oberschiff= fahrts- Gesellschaft, die Deffentliche Lagerhaus­

Bita Kabátová und Eva Gerová in dem Film ,, Ghe auf Kredit"