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Sonntag, 29. November 1936

Nr. 278

Das war Madrid  

Die unspanischste, ja unsympathischste Stadt[ lettes. Am reichsten aber war Madrid   an echten der iberischen   Halbinsel, kleiner als Barcelona  , Bettlern, Menschen von so unvorstellbarem Leid wertärmer als Toledo   oder Sevilla  , wenn man und Schmuß, daß ihr Dasein schon eine ständige, vom. Museum des Prado   absicht, der als eine Art entseßliche Anklage gegen die Rückständigkeit stiller Fremdkörper am Rande eines Riesenplages dieses Landes war. Diese Armeen von Krüppeln, steht, dessen einzige Berechtigung die gelegentlich linden, Lahmen sind Opfer der unerhört schar= stattfindenden Voltsfeste mit Karuffel, Achter- fen, tausendjährigen Spannungen in der spani= hahn, Budenreihen zu sein scheinen. Unspanisch schen Gesellschaft, die nur ganz reich und ganz sind die Palastkolonnen der Gran Via  , die grauen Mietstafernen der Arbei-.. terviertel, die Backstein­bauten der Aemter. Mas drid ist eine Beamten­stadt. Man hat von Re­gierungs wegen alles ge= tan, um den Beamten hiet das Leben angenehm zu machen. Sie hatten eine höchst elastische Ar= beitszeit, die sich den Lebensgewohnheiten des Kastiliers anpaßt: vor elf Ihr vormittags ist kein Mensch in irgendeinem Büro zu erreichen ge= wesen, um zwölf begann die Tischzeit, die im Wins ter bis vier Uhr, im glühenden Sommer bis zum Abend dauerte, und inn   meisten Behörden fonnte man zwischen acht und zehn Uhr abends die Beamten antreffen. Dann erst ging man zum Abendessen und anschlie= Bend ins Stino, Beginn der letzten Vorstellung gegen elf Uhr...

Hauptpostgebäude in Madrid  

Das Madrider Königsschloß

Im westlichen Stadtgebiet Madrids, unweit des Manzanares, erhebt sich der gewaltige Bau des Königsschlosses. Es ist in den Jahren 1738 bis 1764 erbaut worden. In dem südwest­lichen Nebenflug.1 ist die berühmte Waffen sammlung der spanischen   Könige untergebracht dem Bürgersteig ihre Sessel aufgestellt hatten. moderne Bauten, teilweise schon im Betrieb, ein Sier saßen sie, die Zigaretten im Mund, und Hentrum spanischer und europäischer Wissenschaft ließen sich die Stiefel pußen, taub für die Stim- zu werden versprachen. Noch weniger vollendet men der sie umschwärmenden Bettler. Nur in der blieb allerdings das stolzeste Projekt Madrids  , Arenaloge auf dem Stierkampfplay vergaßen sie die Ministerstadt", ein ganzes Stadtviertel weit ihre vornehme Nuhe und brüllten im Chor mit, draußen im Nordwesten, das sämtliche Negie­wenn das Blut im Bogen sprißte. rungsbehörden beherbergen sollte. Fertig davon ist schon der Rohbau sowie die besondere Attrats tion dieser Beamtenstadt: ein unterirdischer Tun­nel, vornehmlich dazu bestimmt, bei Unruhen Truppen von außerhalb direkt von den Bahn­höfen und Zufahrtsstraßen in die Ministerien zu befördern, um sie gegen Aufständische zu vertei Sigen. Jene Regierung, die diese Ministerstadt zu bauen begann, ahnte nicht, daß durch diesen Tun­rel vielleicht einmal ihre eigenen Freunde als Aufständische in die Hauptstadt der spanischen  Republik einzudringen versuchen würden.

Sonst aber ist die Sprache Madrids   von föstlichem Wohlflang, es ist die wunderbare, be­zaubernde Sprache Kastiliens  , das schönste Idiom ganz Westeuropas  , und steht in seltsamem Ge­gensatz zu Madrid   selbst, diesem Steinhaufen in­mitten einer Steinwüste. Aber sie gehört zum Temperament dieser Menschen, ihrer Fähigkeit, für eine Idee zu sterben, und ihrer stets Projekte machenden Phantasie.

Manchmal wurden solche Projekte auch aus­geführt, wenigstens begann man damit: zum Beispiel die Universitätsstadt  ", deren schöne

Ein japanischer Fachmann über dle Wehrfähigkeit der Sowjetunion  

Ela.

Wer Madrider   Beamte und Aemter kennen ler nen wollte, mußte einmal das Zentrum der Se guridad", der Sicher­rer der Roten Armee, meint Oberst Hata, glau> heitsbehörde besuchen ben, daß nach dem Aufkommen der Flugwaffe die zu deutsch   Polizeiprä= entscheidenden Schlachten nicht auf den Vorder­jidium, Kriminalabteilung. Sie liegt in einer der arm kannte, Opfer des Drecks und der fehlenden( Ru) In der Tokioter Zeitschrift Toio" ist linien geschlagen werden, sondern im Herzen des winzigen Altstadtgassen zu ebener Erde. Man Sygiene für das Volf, der Wohnungsverhältnisse, ein Aufsehen erregender Aufsatz über die wirt- feindlichen Landes selbst. Daher könne der Sieg hatte Mühe, sich durch die Menge der rauchend, die den Krankheitsteimen alle Wege ebneten, des schaftliche, politische und militärische Situation am sichersten und schnellsten dadurch erreicht wer­schwäßend und tauend herumstehenden oder schla- mittelalterlichen Aberglaubens, den die Inqui- der Sowjetunion   veröffentlicht worden. Der Auf- den, daß man das feindliche Gebiet von der Luft fend auf Sofas liegenden Leute- Detektive, fition einst vor der Keßerei der Wissenschaft fat stammt vom Obersten Hata, einem der her angreift, wodurch die gegnerische Front voll­Neugierige, Fremde, Freunde oder Kunden" der Schüßte, und der ärztlichen Unachtsamkeit. Ampu bekanntesten japanischen Militärschriftsteller, Lei- fommen demoralisiert werden und sogar ein Bür Polizei hindurchzuarbeiten. Straßenjungen, tieren geht schneller als komplizierte aseptische ter des Pressebüros des Kriegsministeriums und gerkrieg im Hinterlande entstehen könne. Gegen teils mit und teils ohne Zeitungsstöße, lungerten Behandlung. Man sah diese Aermsten allnächtlich früheren Militärattaché in Warschau   und Mos- Ende dieses Jahres werde die Rote Armee   in zwischen den Schreibtischen herum, öffneten unbe- auf den Stufen der Untergrundbahn übernachten, tau. pata kennt die russische Sprache sehr gut Fernost an 300.000 Soldaten zählen, außerdem fümmert die Attenfaſzitel, o durcheinander. Den 3tiſchen, der prächtigen Bantpaläſte ſchliefen heiten sehr gut informiert. In politischer Hin fei auf zwei Gruppen verteilt, Wort die Madrid   in tollen Windungen durchquert; in und ist überhaupt über die russischen Angelegen- 1000 Tanks und 1000 Flugzeuge, Deftliche und leſen konnten, und brachten Das Gegenstück zu dieser geradezu orientalischen obdachlose Frauen mit kleinen Kindern, zu müde ficht könne man, nach Ansicht des japanischen Ober- die östliche. Besondere Bedeutung vom japani­Schlamperei bildete die selbstsichere Beredsamteit um zu betteln. sten, das Sowjetregime als gefestigt betrachten, da schen Standpunkt habe die östliche Gruppe, der Sherlock Holmese von Madrid  , die jeden Dieb Diese Obdachlosen, diese Paläste waren die es sich auf die Jugend stüße. Vom wirtschaft- die zwischen Wladiwostok   und Nikolst konzentriert zu fassen versprachen, sobald man eine Diebstahls Symbole der spanischen   Hauptstadt, deren bedeutlichen Standpunkt betrachtet, haben die beiden sei. Hier seien nicht nur ausgezeichnete Vers anzeige vorbrachte, und ihn doch nie faßten. same Mission in der Zentralisierung des Kapitals Fünfjahrespläne zu einem gewaltigen Wachstum fehrswege gebaut worden, sondern man habe auch Madrid   war überreich an Beamten und an bestand, das in den Hochöfen von Bilbao  , den der Schwereisenindustrie geführt. In den letzten eine Kriegsindustrie geschaffen, die dieses Bettlern. Saß man auf der Straße am Café- Fabriken von Barcelona  , den Quecksilberminen fünf Jahren habe die Aufrüstung der Sowjetunion   Gebiet vollkommen unabhängig von Mos tisch, so konnte man pro Stunde 60 bis 80 von von Almaden   arbeitete und Zinsen aus der von einen gigantischen Fortschritt gemacht. tau mache. Von den russischen Flugbasen des ihnen zählen, die in den verschiedensten Rollen bettelarmen Kleinbauern beackerten Erde der auftraten: als Losverkäufer, Schuhpußer, Hau- Granden zog. Die Herren Spaniens   zeigten sich sierer und Croupiers tragbarer Eiswaffel- Rou- 1 gern dem Volk: in ihren Klubs, die mitten auf

Die Entwicklung der Notenschrift

Armee  

Die Sowjetunion   besize gegenwärtig die Küstengebietes könne man in dreieinhalb Stunden größte Armeeder Welt: 1,300.000 Sol- jeden beliebigen Punkt des japanischen Territo­daten, 5000 Flugzeuge, 5000 Tants. Die Füh- riums mit Bomben belegen.

Takt und Tempo

Schritten und lebergängen herangezogen wur-( rück; erst durch dieses System ist die schriftliche| laturen sind vielfach durch Zahlen oder Buchsta­den. Alle Kompliziertheiten der späteren griechi- Festlegung der absoluten Tonhöhe möglich ge- ben anstatt der Tonhöhe die Griffe auf den Sai­schen Musik konnten mit diesem System ausge- worden. ten bezeichnet. drückt werden. Es mußte allerdings eine Bezeichnung hin­Von der alten Tragödienmusik ist nur ein zukommen, die man Schlüffel nennt. Durch ihn Wenn der Laie eine moderne Partitur in kleines, arg verstümmeltes Bruchstück erhalten. die Hand nimmt, so versteht er faum, wie aus Immerhin sind aber eine Anzahl zum Teil in diesen Linien, Punkten, Zeichen, Strichen, Schlüß- Stein gemeißelter, zum Teil auf Papyrus ge­jeln auf mehr als einem Dußend übereinander schriebener Musikstücke aufgefunden worden, deren geordneter Systeme jemals Musit abgelesen wer- Analyse zusammen mit den zahlreich erhaltenen den kann. Der Musiker indessen liest in einer mufiltheoretischen Schriften ein ganz gutes Bild Partitur wie ein anderer in einem Buche; er von der Musitübung der alten Griechen ergibt. hört, während er liest, die melodischen, harmoni­schen, kontrapunktischen, rhythmischen und instru­mentalen Führungen in allen Einzelheiten. Aber auch der Musiker steht einer Partitur aus dem 10. oder 11. Jahrhundert oder gar einer Notie rung altgriechischer Musik hilflos gegenüber, wenn er feine spezielle Vorbildung hat. Je komplizier ter und vielseitiger die europäische Musik im Laufe der Zeiten geworden ist, umso zeichenreicher und nüancierter mußte auch ihre schriftliche Fixierung werden. Das Bedürfnis nach einer Aufzeichnung bestand von seher und war schon dadurch gegeben, daß für den Unterricht und den Chorgesang eine schriftliche Verständigung erforderlich war.

Neumen und Tonhöhe

ner Strich an einer Linie angedeutet. Er findet sich in den Tabulaturen schon im 15. Jahrhundert, während er in den Stimmbüchern der Sänger bis 1600 fehlt.

wird am Anfang des Notenstückes angegeben, Das Mensuralnotensystem gab ja schon durch nach welchem Ton sich das System zu richten habe. die Zeitwerte eine Rhythmik an, doch war diese Dies geschah zuerst durch Buchstaben, später durch fortlaufende Schrift sehr kompliziert zu lesen. besondere Schnörkel auf bestimmten Linien, die Das 17. Jahrhundert brachte endlich die Erlö­als Schlüssel über die gemeinte absolute Tonhöhe sung durch Einführung des Taktstriches. Damit Aufschluß gaben. Zu den ursprünglichen vier war eine übersichtliche regelmäßige Gliederung in Singschlüssel für Distant, Alt, Tenor und Baß das Notenbild hineingekommen. Der Tattstrich famen später Violinschlüssel, Bariton und Sub- durchschneidet in seiner heutigen Form senkrecht baß- Schlüssel hinzu. Heute üblich sind im wesents alle fünf Linien in der Weise, daß er immer un­Die moderne Entwicklung der Musik des lichen der Violinschlüssel, bei dem das g auf der mittelbar vor die den Schwerpunkt des Taktes be­Abendlandes machte vor allem die schriftliche ein- zweiten Linie von unten steht, der Baß- und zeichnende Note zu stehen tommt. Der Taktstrich deutige Bezeichnung von drei verschiedenen musi- Altschlüssel. Der verschieden große Umfang der war bereits früher für die Komponisten unent­falischen Prinzipien notwendig: der Tonhöhe, der Spezialinstrumente verlangt gelegentlich für die behrlich gewesen und wurde von ihnen als klei­Dauer der einzelnen Töne und der rhythmischen Blasinstrumente auch noch andere Schlüssel. Gliederung. Zu diesen Grundformen kommt dann noch die Tonart und die dynamische Bezeichnung. Die Notenwerte und Tabulaturen Die Neumen waren ursprünglich aus vor- Die im 12. Jahrhundert ausgebildete Mens christlicher Zeit übernommene Zeichen, die dem furalnote gibt durch ihre Form an, welche Dauer Gi Eigentlich gibt es nur Takte zu zwei und mittelalterlichen Kirchenfänger als Hilfsmittel bem einzelnen Ton zukommen soll. Sie traten an drei Einheiten; alle anderen Taftarten sind aus beim Auswendiglernen dienen sollten. Die frü- Stelle der Neumen und brachten eine neue Qua- diesen Grundformen zusammengesetzt. Es ist hen derartigen Notenzeichen aus dem 8. bis 10. lität in das Schriftbild. Die Noten waren zuerst üblich geworden, gleich hinter den Schlüssel die Jahrhundert gleichen stenographischen Schriftzei- schwarze Kästchen von mehr oder weniger breiter Bezeichnung der Tattart durch einen Bruch zu ſet­chen. Die Deutung dieser einzeln stehenden oder Form, mit Stilen und Fähnchen versehen. Im zen, der ausdrückt, wie der Takt unterzuteilen ist. Schon um 700 vor Chriſti Geburt gibt es gebundenen, auf und ab steigenden Hätchen, Krin- 15. Jahrhundert wurden sie in weiße, schwarz nachweislich bei den Griechen eine Aufzeichnung gel und Schnörkel ist heute kaum möglich. Aber umränderte Rechtecke oder Sterne umgewandelt, Aber auch dies genügt noch nicht zur Fest­ihrer Musik, die bekanntlich im Altertum unter auch zu ihrer Zeit waren die Zeichen der Neu- und erst im Drud um 1700 nahmen sie die heute legung der absoluten Geschwindigkeit, die vom den Künsten, besonders für die Bühne, eine große men durchaus unsicher. Um dem abzuhelfen, zog üblichen runden Formen der Notentöpfe an. Die Komponisten für ſein Stüd gefordert wird. Die­Bedeutung hatte. Die Gesänge der Chöre waren man im 10. Jahrhundert eine waagerechte Linie, gleiche Entwicklung machten auch die Zeichen für fer Festlegung dienen die Bezeichnungen der einstimmig und wurden von den Instrumenten im die f- Linie, und setzte die Zeichen für die Töne, die Pausen durch. Gangart, die Allegro, Andante, Presto, etc., die Einklang oder in der Oktave begleitet; eine Poly- Intervalle, Schleifen, Triller, etc. zu dieser Linie Notenwerte mußten eindeutig festgelegt wer- durch Uebereinkommen ungefähr festgelegt sind. phonie oder Harmonie in unserem Sinne gab es in Beziehung. Eine zweite Linie, die c- Linie den, wenn man ohne weitere Erklärung geschrie- Genauer bezeichnet wird das Tempo durch eine nicht. In der Schrift wurden die einzelnen Töne tam bald hinzu und so entwickelte sich allmählich bene Mufit wiedergeben sollte. Die Tabulatur Biffer, die angibt, wie viel Viertel eines Lattes durch Buchstaben bezeichnet. Eine ältere diato= ein Liniensystem, in das die Reichen eingetragen war das, was heute die Partitur ist. Man unter- in einer Minute gespielt werden sollen. Diefe nische Gestalt erhielt sich noch in der Notierung wurden. Das größte Verdienst um diese Seite der scheidet die italienische Orgeltabulatur von der Angabe der Metro omzeiten findet sich auch heute für, die Instrumente, als für die Gesangsstim Notenschrift erwarb sich der um 995 geborene deutschen und der spanischen   und von der Lauten- noch nicht auf allen Notenschriften. men schon eine enharmonische, chromatische Ton- Benediktinermönch Guido von Arrezzo. Diefer tabulatur. Es sind die früher üblichen Notie- Das heutige Notenbild ist noch weiter fom­folge eingeführt war. hochgelehrte Mann fügte zwischen die rote f- Linie rungsformen für Instrumente, die mehrere In- pliziert durch die dynamischen Zeichen für forte

Die Buchstabennotenschrift

In der griechischen Buchstabentonschrift dies und die gelbe c- Linie eine schwarze a- Linie ein strumente gleichzeitig anschlagen tönnen. Die und piano, Anschivellen und Abschwellen, durch nen immer drei Buchstaben als Gruppe für die und ergänzte das System nach Bedarf durch früheren Tabulaturen des 16. Jahrhunderts Pedalzeichen beim Klavier und mancherlei andere Bezeichnung eines Halbtones, tobei Betonungen weitere Linien oberhalb und unterhalb. Das bis haben schon wie unsere Slavienoten zwei Fünf- Feinheiten, die die moderne Muſikübung aus­innerhalb der Gruppe für die Bezeichnung von heute übliche Fünfliniensystem geht auf ihn au- liniensysteme untereinander. Bei den Lautentabus( gebildet hat. G. J.