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Staat haben wollte. Von all' diesen neuen Punkten deutscher Reichs- expansion aber ist auch kein einziger, auf dem für Kinder und Enkel ein wertvoller Ausbau möglich ist. Die Sümpfe OstafrikaS , die wasserlose Oede Südwestafrilas, die Fieberküste Guineas bieten auch für fernere Zukunft keine Aussicht für eine erfolgreichere Befiedelung für den Europäer. Das Hinterland von Kiautschu aber ist, wo eS nicht rauhes GebirgSIand ist, bevölkert und übervölkert, nimmermehr ein Brachland für deutsche Kolonisation. Und die winzigen aller neuesten Punkte in der Südsee sind ruhige Punkte, schon wegen ihrer Winzigkeit belanglos. Und doch sollen noch immer neuere Punkte gesucht werden. Wo irgend eine Jnselbrocken, wo irgend ein Landstrich zu haben in den Weiten des,' Erdrundes, da sollen wir einsetzen. Und in lodernder Flamme" soll die Begeisterung für diese Pläne empor- schlagen. damit Deutschland ja nicht hinter anderen Nationen zurückstehe, sondernseinen Platz voran" behaupte. Es bleibt ein Geheimnis des Kaisers, wie durch jenes Aufsuchen neuer Punkte, durch das Festsetzen bald hier bald dort. durch hastendes Erwerben von allerlei Kolonialpartikeln deutsche Wohlfahrt gefördert werden könnte. Daß nur dasedle Vollblutpferd" bei diesem Ritt ins roman­tische Land der Ucbersee-Eroberungen nicht schwer zu Falle komme und statt desPlatzes vorn' sich mit einem Platz weit hinten unter den Völkern wird begnügen müssen I Auch wir wünschen, daß das deutsche Volkvorn" unter den Nationen schreite. Möge es die Fülle seiner Fähigkeiten nutzen, um innerlich zu erstarken au Wohlfahrt und Kultur, die dann hinausziehen und anderen Völkern mitteilen mag von ihrem Ueberfluß. DiesenPlatz vorn" haben die großen Denker aller Zeiten dem deutschen Volk als Ziel gesetzt. Der Reichstag beschäftigte sich in seiner gestrigen Sitzung zunächst mit dem britischen Handelsabkommen, das noch zu einer langen Debatte führte. Den Agrariern erstand ein Helfer in der Person des Freiherrn v. Heyl, der nach seinem rollentvidrigen Seiten- sprung auf socialpolitischem Gebiet offenbar das Bedürfnis empfindet, sich bei den Kraut- und Schlotjunkern wieder gut Kind zu machen. Herr v. Heyl beantragte, die Regierungs- Vorlage derart zu modifizieren, daß eventuellTeile des britischen Reiches"(Kolonien) ausgenommen werden könnten. Mit diesem Antrag zusammen wurde die Vorlage an eine Kommission geschicfi. die ihre Aufgabe natürlich sehr rasch erledigen muß, wenn der Reichstag nicht noch beträchlich länger zusammen- bleiben muß, als geplant war. Die Debatte gab Anlaß zu einer kleinen diplomattschcn Komödie. Eine Bemerkung über S a m o a bot dem Herrn Staatssekretär für das Auswärttge: v. Bülow die erwünschte und, wie boshafte Leute vernreinen auch bestellte Gelegen- heit, dem Reichstag über die Lage der Dinge auf Samoa Mitteilungen zu machen, die wir schon vor etwa acht Tagen in Londoner Blättern gelesen haben nur ohne die rhe- torische patriotische Schlußfloskel. Ueber die Debatte, welche nun folgte: erste Beratung des Zuchthausgesetzes, berichten wir an anderer Stelle. Als heiterer Zwischenfall sei hier erwähnt, daß Herr v. Ballestrem, Erster Präsident des deutschen Reichstags, als gegen Schluß der Rede Posadowskys aus der Mitte des Hauses ein lautes Pfui! ertönte, mit Pathos ausrief:Ich muß sagen, daß der Ruf Pfui nicht parlamentarisch ist", welches Wort einen Sturm der Heiterkeit entfesselte, dessen Ursache der Urheber des famosen Bismarck-Pfui, erst hintennach begriff was die Heiterkeit natürlich noch steigerte. Morgen Fortsetzung der Debatte über das Zuchthaus- gesetz. Ob sie morgen beendigt werden wird, ist sehr die Frage. Jedenfalls ist es nach dem gestrigen Beschluß in Sachen des britischen Handelsabkommens und bei dem Hinausziehen der Verhandlungen in den spanischen Tortes über den Karolinen -Verkauf nicht möglich, daß der Reichstag schon Mittwoch in die Vertagungsferien gehen kann. Abgeordnetenhaus. DaS Abgeordnetenhaus nahm heute den Gesetzentwurf betr. die Anstellung und Versorgung der K o m m una l b e a mt e n in dritter Lesung unverändert an und beriet sodann den Antrag Langerhans ist. Vpt) betr. Aufhebung der Verpflichtung der bürgerlichen Gemeinden bezüglich der Pfarr- u. Kirchenbauten. Es handelt sich hier um einen Antrag, der besonders für die Stadt Berlin von hoher Bedenttmg ist. Nach der Konsistorialordnung von 1578 ist die Stadt Berlin verpflichtet, für die evangelische Bevölkerung Kirchen zu bauen, und diese Verordnung ist, wie das Kammcrgericht entschieden hat, noch heute giltig. In den letzten Jahren hat die Stadt für evangelische Kirchenbauten fast 1'/» Millionen Mark zahlen müsien, zu welcher Summe alle Steuerzahler, gleichviel welcher Konfession sie angehören, beisteuern müsien. Bereits im vorigen Jahre hatte das Abgeordnetenhaus den Antrag Langerhan» auf Aufhebung der Konsistorialverordnung angenommen, das Herrenhaus aber ist diesem Beschlüsse nicht beigetreten. In seiner heutigen Sitzung beschloß das Abgeordnetenhaus nach längerer Debatte, dem Anttage seiner Kommission entsprechend, den Antrag LangerhanS abzu- lehnen. An eine Kommission verwies da« Haus sodann noch den Anttag Graf K a n i tz(k.), wonach bei Bildung von Rentengütern die Bestimmungen über die Zuständigkett und daS Verfahren bei Genehmigung neuer Ansiedlungen miberührt bleiben sollen, nament- lich auch die Bestimmungen über die Verteilung der öffentlichen Lasten bei Grundstücks- Vetteilungen und bei Gründung neuer An- stedlungen. Morgen: KarsteitagSvorlage. Deutsches Weich. Gin Invalide deS Freisinns. Herr Reinhard Schmidt, der zweite Bicepräsident des Reichstage» und Vor- sitzende der Kommission deS JnvaliditätSverficherungS-GesetzentwurfS, hat die Annahme dieses Gesetzes mit einem solennen Festmahlt gefeiert. In dem reichgeschmückten Speisesaale de? Savoh- Hotels ver­sammelten sich unter Vorsitz des Herrn Schmidt die in der Kom- Mission thätig gewesenen Regierungsvertreter sowie die KommissionS- Mitglieder mit Ausnahme der Socialdemokraten, welche vermutlich in Rücksicht auf den Grasen v. PosadowSky nicht eingeladen waren. Vielleicht fürchtete der Herr Graf, daß ein focialdemokratifcher Ab- geordneter mit einer roten Kravatte erscheinen konnte. DaS Fest soll sehr anregend verlaufen sein. DaS VerbrllderungSmahl begann und endete bei schäumendem Sekt, welcher verschiedene Reden zu Tage förderte. Als wertvolle und dauernde Erinnerung an diesen Abschluß der Konimissionsarbeit wurde die ganze Tafelrunde photo- graphiert, und hierzu der Moment gewählt, in welchem die Gesell- schaft mit erhobenen Gläsern den glücklichen Abschluß ihrer Kom« missionSthätigkeit feierte. Herr Schmidt will jedem seiner Kollegen ein Exemplar dieser Photographie verehren. So mußte auch das Gesetz der Arbeitsinvaliden die staatS- männische Invalidität des Reinhard Schmidtschen Freisinns bezeugen. Vielleicht setzt die freisinnige Partei dem viceprasidenten die gebührende Rente au», da er nicht mehr im stände ist, daS erforderliche Drittel freisinniger Arbeitsfähigkeit auszuüben. LandratNche Wahlentflellung. Die Wahlprüfungs-Kommi s si on des Reichstags hat die Wahl deS konservativen Abgeordneten Dietrich für den Wahlkreis Ruppin-Templin beanstandet. Die Beanstandung erfolgte vornehmlich, weil Saisonarbeitern. Schiffern und Zieglern in verschiedenen Orten die Aufnahme in die Wählerliste verweigert worden war. Nach dem Wahlprotest deS soeialdemostatischen Wahl- komitecS in Neu-Ruppin hatte der AmtSvorftcher Dommer in Eamp bei Zehdenick auch geäußert, daß die Nichtaufnahme auf An- Weisung deS LandratS von Arnim geschah. Der Bericht der WahlprüfungS-Kommiffion sagt zu diesem Protestpunkt: Die Erklärunsf des Amtsvorstehers Dommer, daß die Nicht- aufnähme der Lipper und Polen auf eine Verfügung des Land- ratS v. Arnim zurückzuführen fei, ist bei diesem Punkt des Pro- testeS besonders in Bettacht gezogen worden. Denn, ist einmal eine solche gesetzwidrige Verfügun g von dem Landrat v. Arnim erlassen, so folgt daraus, daß die an mehreren Orten deS Kreises verweigert« Ausnahme von Wander- und Saisonarbeitern in die Wählerliste systematisch betrieben worden ist. Und daS fällt hier in diesem Wahlkreise um so schwerer ins Gewicht, als Arbeiter in außergewöhnlich Hoher Zahl wenn die Angaben des Protestes richtig sind. cttca 1000 von dieser Maßregel betroffen worden sind. Das mutz besonders beim Resultat der Wahl berücksichtigt werden; denn wenn diese Arbeiter alle hätten wählen können, dann war die Möglichkeit gegeben, daß statt Gräbner, welcher nach dem amtlichen Wahlresultat nur 296 Stimmen mehr erhalten hatte als Apelt, letzterer in die Stichwahl gekommen wäre." Im ersten Wahlgang hatten nämlich die Konservativen 9034, der freisinnige Pfarrer Gräbner 4466, der Socialdemokrat Apelt 4170, ein antisemittscher Kandidat 1214 Stimmen erhalten; in �er Stichwahl siegte Dietrich mit 10 292 gegen 9041 Stimmen. Die Wahlprüfnngs- Kommission Hat amtliche und eidliche Bei- nehmungen beschloffen über die Richtigkeit der Protestbehauptungen. Wir sind nun in der Lage, den B e w e i S für dieses systematisch betriebene gesetzwidrige Handeln des LandratS schon jetzt zu erbringen. Folgendes Aktenstück giebt vollen Aufschluß: Der Landrat des Kreises Templin . Templin . den 23. April 1898. Zur Vermeidung von Beschwerden und Weitläufigkeiten werden die Herren Gemeinde- und GutSvorstcher darauf hingewiesen, daß in die demnächst aufzustellende Wählerliste für die bevorstehende ReichstagSlvahl nur diejenigen Wahlberechtigten aufzunehmen find, welche in dem Gemeinde- und Gutsbezirk ihren Wohnsitz haben. Bei Äufnahme der während der Sommermonate vorübergehend als Ziegeleiarbeiter oder Schnitter imKreise beschäftigten P e r I o n e n ist in jedem einzelnen Falle zu prüfen, ob derbetrcffendeArbeitcraußerhalb des Ortes, in welchem seine zeitige Arbeitsstätte sich befindet, eine besondere Wohnung hat oder mcht. Im erstercn Falle sind die Arbeiter n i ch t in die Wählerliste aufzunehmen, im anderen Falle hat ihre Aufnahme in die Wählerliste erst dann zu erfolgen, wenn der Herr Gemeinde- und Gutsvorsteher sich durch Vorlegung einer polizeilichen Abmeldebescheinigung davonUeberzeugung verschafft hat, daß der betreffende Arbeiter seine» früheren Wohnsitz(Wohn- und Aufenthaltsort) aufgegeben hat. In zweifelhaften Fällen ist meine Entslheidnng einzuholen. An die Herren Gemeinde- In Verttetung und GutSvorstcher deS KreifeS. Rock. Kreisfekretär. Hiermit ist der Beweis für die Richtigkeit des Protestes im weitesten Maße erbracht. Die Wahlprüfungs-Kommissivn wird die Ungültigkeit der Wahl des Abg. Dietrich aussprechen. Germania "-Märchen. Auf unsere Abfertigung, die wir in unserer Sonnabend-Nummer derGermania " zu thcil werden ließen, weiß daS Centrumsblatt nur folgendes zu sagen: Den socialdemokrattschen Terrorisnnis gegenüber unorgani- siertcn oder nicht-socialdemottattsch organisieren Arbeitern, wovon wir wiederholt unter Snsührung von Einzelfällen berichteten, bemüht fich derVorwärts" alsMärchen" derGermania " abzuthun. Wir haben aber in jedem Einzelfalle den Nachweis erbracht, daß eS sich dabei nicht um Stteikbrecher oder um Gesellen handelte, welche eine Koalition mit den übrigen Arbeitsgenossen verweigert oder zu einem niedrigeren Lohnsatze die Arbeit aufgenommen hätten, und dann schwieg derVorwärts". Fühlt derVorwärts" sich und seine Genossen" ganz rein von socialdemokratischem TerrorismuS, und glaubt er einen unwiderlegbaren Nachweis führen zu können, daß auch die Denkschrift in dieser Hinsicht Unrichtigkeiten enthält. so wird er ja unserem Vorschage,«ine parlamentarische Enquete darüber zu v eranstalten, um ein unanfechtbares Beweis- Material zu beschaffen, gewiß keinen Widerspruch ent- gegensetzen." Demgegenüber stellen wir fest, daß dieGermania " es war. die sich in allgemeinen Redensarten erging, ohne bestimmte Einzelfälle anzuführen, während dem wir mehrere solcher Fälle Nor gelegt und nachgewiesen haben, daß die Anklagen derGermania " cftel Flunkerei find. Weder jetzt, noch auf dieselben Angriffe, welche daS Blatt im Herbst 1898 gegen uns machte, haben wir g e- schwiegen, sondern dieGermania ", die zuletzt, in die Enge ge- ttieben, nur noch nach Art derPost" auf dieArbeiterführer", welche dieArbeitergroschen" verprassen, schimpfte, zum Schweigen gebracht. Was nun die parlamentarische Enquete anlangt, die die Germania " empfiehlt, so fürchten wir uns vor dieser nicht. Bei grundsätzlicher Ablehnung der Vorlage hätten wir im übrigen nichts gegen eine objektive parlamentarifcke Enquete wenn mm einmal Untersuchungen über den angeblichenTerrorismus der Arbeiter" angestellt werden müssen einzuwenden gehabt. Jedenfalls würde dadurch dasMaterial" der Denkschrift in eine andere Beleuchtung gerückt werden. Ueber das ThemaZuchthaus-Gesetz" darf nicht gesprochen werden. Der Karlsruher notionalliberale Stadlrar duldet's nicht. Wie man unS aus Baden berichtet, zog der Oberbürger- meister der badischen Residenz im Austrag des Magistrats die erteilte Erlaubnis zur Benutzung der Festhalle zurück. Es hat die nationalliberalen Schloßvögte auf dem Rathause empört, daß in der Einladung zu der für Mittwochabend anberaumten Prote st Versammlung das StichwortZuchthaus " doch zu Tage ttat, wiewohl man es behördlich in dieiem Zusammenhang verwünscht hatte. Die aus dem kommunalen Versammlungsraum ausgewiesenen Arbeiter zogen nach dem Reichshallentheater-Saal. Die Stimmung hob sich durch die so entfachte, wirksame Agitation des Oberbürgermeisters Schnetzler um so mehr und der Protest gegen die streikenden Stadträte reihte sich würdig dem Verdikt über dieZuchthausvorlage" an. vom Terrorismus de» Königs Stumm. König Stumm hatte vor kurzem durch Anschlag am Schwarzen Brett seiner Werke den Arbeitern unter Androhung der Abkehr verboten, in dem Lokal zu verkehren, worin eine Maurerversammlung zur Beratung an die Unternehmer zu stellender Lohnforderungen getagt hatte. Dieser Tage fanden die Sttimmschen Arbetter wiederum einen Anschlag am Schwarzen Brett, und zwar, wie wir derTrierschen Landeszeitung" enwehmen. folgenden Wortlauts: Das in dem Anschlage vom 19. Mai d. I. ergangene Verbot. betteffend den Besuch der Johann Herrmannschen Wirtschaft am oberen Marktplatz, wird hierdurch aufgehoben, nachdem der Wirt Herrmann versprochen hat. in Zulunft sein Lokal zum Abhalten zocialdemokratischer Versammlungen nicht mehr hergeben zu wollen." Der Wirt hat sich bekehrt; er wird von Sr. Gnaden, dem Herrn von Stumm wieder in die Reihe der Ordnungsleute gestellt. So schafft der Gewaltige vom Halberg zuftiedenen und staatserhaltenden Sinn. Von allerleiKompensationen" für den Kanalbau erfährt die«Nationalliberale Korresp." vonbefreundeter Seite", waS wohl heißen soll, auS dem in anderen Fragen befreundeten Lager der Konservativen. Diese sogenannten Konipen- satiönsforderungen, gegen welche man agrarischerseits mit sich reden lassen und die nötige Anzahl Landräte dispensieren würde, sollen sich schon jetzt auf beinahe eine halbe Milliarde Mark belaufen. Weiter verlautet auS derselben Quelle, daß die geplanten Forde- rangen sich keineswegs mit Verkehrserweiterungen und-Erleichte- run'gen begnügen, sondern sich auch auf Dinge erstrecken wie Schulsubventionen und Provinzialdotationen und anderes mehr, was ordnungsgemäß je nach dem Bedürfnis und den Mitteln des Staates im Wege des Etats für die verschiedenen Ver- waltungen zu erledigen wäre. Auch die Polen wollen mit Kompeiisatioilsanträgen kommen. Wenn die Regierung sich auf die Verqnicknng dieser Dinge mit der Kanalvorlage einläßt, dann dürfte vielleicht aus den bisherigen Kaualfreunden eine Majorität gegen den Kanal zu stände kommen. EinDeutscher Bund für Handel und Gewerbe" wurde am Montag in Leipzig begründet. Derselbe bezweckt dieBe- kämpfung von Auswüchsen im Handel und Gewerbe und die Hebung des Handels und Gewerbes". An den Kaiser, König Albert, sowie an den Reichskanzler und den Finanzminifter v. Miquel wurden Telegramme gesandt. Friedliches aus dem Haag. Der deutsche Delegierte Professor Dr. Zorn hat sich »ach einer längeren Besprechung mit dem Grafen Münster nach Berlin begeben. Es verlautet, er werde dort über die Stellung der Konferenz zum Schiedsgericht einen mündlichen Bericht erstatten. In dieser Frage ist in den letzten Tagen der Versuch gemacht worden, die Möglichkeit einer Verständigung durch einen neuen Vor- schlag zu finden, der dahin geht. im Haag ein Bureau mit b e- schrankten Befugnissen einzurichte», welches nicht die Autorität der eigentlichen Vertreter der Mächte besitzt. Dieses Bureau würde im Falle eines Koniliktes zwischen zwei Mächten iind auf Wunsch dieser Mächte verpflichtet sein, ein Schiedsgericht zur Ab- urteilung der Streitigkeiten zu berufen. Es würde also kein ständiges Schiedsgericht bestehen. Man werde ein Ver- fahren festsetzen, welches innegehalten werden müsse, um vor- kommendenfalles das Schiedsgericht zu bilden. Dieses Gericht werde in jedem Falle fakultativ sein. Es sei aller Grund zu der Annahme vorhanden, daß die übrigen Mächte, wenn die Antwort Deutschlands günstig laute, entschloffen seien, diesen neuen Vorschlag als Grundlage der Unterhandlungen anzunehmen. London , 19. Juni. DieDaily NewS" erfährt auS dem Haag: In Begleitung deS nach Berlin gereisten Professors Zorn soll sich der diesem befteundete amerikanische Delegierte Holls befinden. Beide sollen dem Kaiser Kompromiß-Vor- s ch l ä g e vorlegen. Falls der Kaiser dieselben ablehnt, soll Holls ihn auf den bedauernswerten Eindruck in der civilisierten Welt auf- merksam machen und den religiösen Hebel einsetzen. Falls der Kaiser sich dennoch weigert, ein obligatorisches Schieds- gericht anzunehmen, soll er aufgefordert werden, die Konvention be- züglich des Schiedsgerichts unter Reserve zu zeichnen und sich nur zu verpflichten, eventuell daS Verfahren der Haager Konferenz anzunehmen. Der. S t a nd a r d" schreibt: Wir können wirklich über die Halttmg Deutschlands bezüglich der Schiedsgerichte nicht überrascht sein. Schiedsrichter sind leicht geftmden in Fällen, in denen sich ohnedies eine ftiedliche Erledigung leicht erreichen läßt, aber ernste Streitigkeiten, bei denen die Jnteresien der nattonalcn Ehre in Frage kommen, lassen sich nicht oft in solcher Weise behandeln. Ausland. Oestreich- Ungarn . Massendemonstration der Wiener Arbeiter. Am Sonntag fanden in allen Bezirken, von der inneren Stadt bis zu den entlegensten Bezirken, socialdemolratische Versammlungen, im ganzen 56 an der Zahl, statt, die zu- sammen von mehr als 15 000 Arbeitern besucht waren, in denen ein scharfer Prote st gegen LuegerS neue Gemeindewahlordnung, wodurch die Arbeiter deS Wahl- rechts beraubt werden, beschloffen wurde. Zugleich wurde die Regierung aufgefordert, die Wahlordnung nicht zur Santtiomerung vorzulegen, widrigenfalls die Arbeiter WienS die Regierung für alle Folgen ver- antwortlich machen. Alle Redner sprachen auf das heftigste gegen Lueger, weil er vorgestern im Gemeinderat die Socialdemokraten Buben genmntt hatte. Zwei Versammlungen wurden ivegen der Angriffe auf den Bürgerineister aufgelöst. Nur in dem Bezirk Meidling kamen nach Schluß der Versammlung Konflikte mit der Polizei vor, da die Ar- beiter vor das Haus des verhaßten Antisemitcnführers Schneider. ziehen wollten. Zehn Arbeiter lmirden verhaftet. Für nächsten Sonntag ist ein großer Arbciterumzug durch die Stadt be- absichtigt. Fsrnnkreich. Auch Waldeck- Ronssca«, dem alten, allgemein geachteten Republikaner, ist eS bisher nicht ge­lungen. ein Ministerium zu stände zu bringen. Allerdings hat er am Montagvormittag dem Präsidenten die Hoffnung ans- gesprochen, daß die von ihm angeknüpften Vcrhandliingen zu einem günstigen Ergebnis führen würden. Ucbcrraschen muß es. daß Waldeck- Rousicau thalsächlich versucht hat. den früheren Präsidenten der Republik Casimir P e r i e r als KricgSmiuifter ins Äabinet zu ziehen. Waldeck- Rousseau soll ihm anseiuauder- gesetzt haben, daß er, Perier, die griißle Autoritär gegenüber den Generalen besitze, um die Keime emes sich unter denselben geltend machenden gereizten Gefühls zu ersticken. Casimir Perier wandte dagegen ein. daß er sich vom politischen Leben zurückgezogen habe, um nicht mehr in dasselbe zurückzukehren, und lehrne spater definitiv ab. Die meisten Blätter sprechen ihre Zustimmung zu der Be- rufung Waldeck- Rousieaus und zugleich die Uebcrzcngmig anS, daß es ihm gelingen werde, ein Kabinett zu bilden. Die S o c i a- listen versprecken ihm ihre Unterstützung, wogegen die anti- revisionistischen Blätter deutlich ihrer Enttäuschung Ausdruck geben und meinen, man werde auf diese Weise nicht zu einet Beruhigung der Geister gelangen. Die einzigen Namen, welche noch in den Vordergrund treten, sind die von Delcasss und dem S o c i a l i st e n M i l I e r a n d. Gegen des letzteren Eintritt Ministerium soll jedoch der Senat eingenommen sein. Mille- r a n d würde für den Posten des I u st i z m i n i st e r s in Betracht komiiieit Wi< stark sich die Monarchisten. Nationalisten«. eben wieder fühlen, und was sie sich trotz der Schläge, die sie in der letzten Zeit ge- troffen /aben, glauben erlauben zu dürfen, das zeigt eine hochpolitische Rede des Majors M a r ch a n d, der in Paris über die Maßen gefeiert worden ist und der jetzt selbst cäsaristische Anivaiidlungen zu haben scheint.Ich hätte", sagte er,gern noch länger mein bisheriges strenges Schweigen beobachtet, da ich doch nicht sagen darf, was meine Brust schwellt, ich muß aber endlich meinen Daulschrei für mein angebetetes Frankreich ans- tosen, das in einem ungeheuren Zuruf seine vaterländische Lebens- ülle, seinen Glauben, sein Vertrauen zum Heer anSdrüclen wollte. Dieser große tröstliche Schrei richtete die gesenkten Stirnen auf und vereinigte Herzen um den Altar des Vaterlandes.