Freitag, 25. Dezember 1936
III
Sonderbeilage Spanken
Spanien blutet im Bürgerkrieg. Irun , Ba-| sie wie eine aufgeputzte Megäre, herrisch, mit dajoz, Toledo , Madrid sind Namen des Schreckens dem Ausdruck unbeschreiblicher Impertinenz, geworden. Das Blut der Erschlagenen tränkt die gleich als wolle sie den Fluch des Landes herausspanische Erde. Und vor den Granaten und Flie- fordern". Und das Monumentalbild der Königgerbomben, die den Menschen gelten, flicht die lichen Familie hat der Berliner Kunsthistorifer Kunst. Die Meisterwerfe von Greco, Velas Justi bezeichnet als eine Satire, die die quez, Murillo, Goya , unerfeßlicher Bejizz schlimmsten Erinnerungen der geheimen Gedes Prado , der Madrider Galerie, sind in Sicher schichte aufregt und glaublich macht." heit gebracht worden. Es ist, als sollte der Satirifer Goya noch nachträglich durch eine Satire bestätigt werden: ein Jahrhundert nach seinem Tode noch muß Goya fliehen vor den Schrecken des Krieges, die er verdammt hat.
Blättern wir dieses Jahrhundert zurück. Am 16. April 1828 starb in der französischen Stadt Bordeaux Francisco José Goya. Ein spanischer
CORREOS
1746 ESPAÑA 1828
1
Pta
SANCHEZ TOD
In dieser Zeit ist auch das bekannteste Gemälde Goyas entstanden, das Bild der„ Nackten Maja", dem er dann als Variante die ,, Beklei dete Maja" hinzugefügt hat. Die Legende erzählt, daß die schöne Herzogin von Alba das Modell der Maja gewesen sei. Aber die Herzogin, Gongs aristokratische Geliebte, die er mehrfach porträs tiert hat, stellt das Bild erwiesenermaßen nicht dar; es ist einfach wohl nur eine spanische Surtisane, die Goyas Kunst geadelt hat. Als 1928 das Bild der nackten Maja auf den spanischen. ( ona- Gedentmarken erschien, entrüsteten sich befenders in Amerika die tugendhaften Sittenwächfer ungeheuer eine nackte Frau auf einer Briefmarte! Es gab einen richtigen Maja- Standal. Aber, so erzählt der amerikanische Briefmarkentönig" Mr. S., gekauft worden ist diese Marke gerade in Amerika zu Hunderttausenden. ..lnd," so fügte er hinzu ,,, ich muß gestehen, es war das beste Geschäft meines Lebens."
als
Genialer Satiriker seiner Zeit wird Goya Graphiker. Madiernadel und Aetzsäure,
standen, und es ist die Schmach der gegenwärtigen Zeit, daß es noch immer und wiederum aktuell ist.
Die militärischpolitische Lage
die handwerklichen Mittel graphischer Kunst, preisgegeben. Links im Hintergrunde hängen an| Kunst spricht unsterblich zu uns. Eindringlicher scheinen eigens erfunden, um mit ihrer Baumstämmen noch zwei andere Opfer, elend und noch in diesen Tagen, in denen die SchreckensSchärfe die Satire Goyas zu durchdringen. fläglich auch sie. Rechts aber, dicht vor dem Ge- izenen, die Goya in seinen Desestres" darstellte, Thema dieser Satire wie das Thema der revo- Hentten sigt breit hingelümmelt ein Susar, der von neuem blutige Wirklichkeit geworden sind lutionären Kunst Goyas überhaupt ist die Bête sich mit sadistischem Vehagen am Anblick des Ge- eine Wirklichkeit, vor der nach hundert Jahren humaine", die Bestie im Menschen. In den achtzig hentten weidet. Dieses Blatt, knapp in den Mit- noch der tote, unsterbliche Goya aus dem brenradierten Blättern der„ Caprichos "( Einfälle) teln der Darstellung, monumental in der Wir- nenden Madrid fliehen muß. geißelt er, von revolutionärem Ethos getrieben, tung, ist ein Pamphlet, aus aktuellem Anlaß entim Namen der Vernunft, des Rechts, der Menschlichkeit Laster und Torheiten. Heuchelei und Aberglauben, Ungeist und Elend seiner Zeit, und Aus diesen Kriegsjahren stammt auch ein weder König noch Bettler, Edelmann noch Mönch, Gemälde Goyas, das uns heute noch unmittel Soldat noch Bauer verschont sein beißender barer anspricht. Es stellt die Erschießung aufSpott. Auf einem Bintt sind zwei Junter dar- ständischer Madrider Bürger durch französische gestellt. Sie tragen Schlösser vor den Ohren, denn Soldaten in der Nacht des 3. Mai 1808 dar. m Prag , den 22. Dezember 1936. sie hören nicht; sie haben die Augen gesenkt, da- Scheine einer auf die Erde gestellten Laterne mit sie nicht zu sehen brauchen; die Gehirne sind näueln sich die Todesopfer vor den Flinten der Mit aller Vorsicht, die geboten ist, wenn man ihnen herausgenommen, damit sie nicht zu denken Soldaten, Tote und noch Lebende. Im Mittel- weit vom Schuß über die täglichen Veränderungen brauchen. Und eine Frauengeſtalt mit langen punkt, den Blick auf sich ziehend, steht einer der ausgesetzten Verhältnisse auf dem ſpaniſchen Eselsohren, das arbeitende Volt füttert die Männer in weißer Bluse. Mit ausgebreiteten Kriegsschauplatz beurteilen will, darf man doch Wichte. Dermaßen stroßen die„ Caprichos " von Armen erwartet er die tödlichen Schüsse, und das sagen: die strategische Lage der Volksfront ist zur Maler, der an der Schivelle des 19. Jahrhunderts umstürzlerischen Gedanken, und manche dieser heftige Weiß der Bluse vor dem Schieferblau des Zeit ausgesprochen günſtig. Der mit so großem Spanien noch einmal an die Spitze europäischen Blätter sind Revolutionsplakate geworden. Nachthimmels ist wie ein Schrei. Napoleonische Elan und mit ruhmrediger Siegeszuversicht unterStunstschaffens geführt hatte. Es war ein Zufall, Im Jahre 1807 rücken unter einem Vor- Soldaten waren damals die Mörder uns aber nommene Handstreich gegen Madrid war Mitte daß er sein Leben nicht in der Heimat beendete. wande napoleonische Truppen in das eben noch packt das Bild wie eine der Schreckensszenen von November, nach fünftägigen Kämpfen, zu einer vor seinem Tode hatte er in verbündet gewesene Spanien Ihr Einfall gefangenen Milizsoldaten zu Niederlage der
Lothringiſchen Gawefelbade, Gellung, van feiner ruft einen Sturtland ber connier habe einer gabies to te neemmen ber shperbenieqio: es, mar accinatinige Berfdiebungen, ein Oin und
Gicht suchen wollen. Auf der Reise dahin hatte er französische General Dupont wird mit 20.000 näre Francos zusammenbrachen. Auch dieses Bild her an manchen Stellen, bei dem heute einige sich jedoch bei Freunden in Bordeaux niederge- Mann gefangen genommen. Daraufhin mar- hing im Madrider Prado, von wo es vor den Straßen, ein Gebäudekomplex, ein Streifen Land lassen und war geblieben. Ein Sturz von der schiert Napoleon selbst mit 150.000 Mann in Fliegerbomben Francos fliehen mußte. So ist es dem Sieger von gestern entrissen werden, um morTreppe fezte seinem langen Leben ein Ende. In Spanien ein, erobert Saragossa und bringt bis in doppelter Beziehung ein Symbol der Schrecken gen von ihm zurückgeholt zu werden. Im ganzen Bordeaug lag er auch beerdigt; erst im Jahre Madrid vor. Jahrelang sind die spanischen Pro- geworden, die es darstellt. genommen stehen aber die Fronten seit Mitte No1900 sind die Gebeine des Toten nach Spanien vinzen Schaupläße eines zähen Guerillafrieges, Als Goya dieses Bild malte, als er die ,, De- bember unverändert. Die Attion Francos war gebracht und in Madrid beigesetzt worden. bis die Franzosen 1813 durch den entscheidenden sestres" radierte, war er schon ein alter tauber eine Niederlage; der Kampf, der sich seither ab= Am 10. März 1746 wurde Goya als Sohn Sieg Wellingtons bei Vittoria aus Spanien ver- Wann. 1811. war seine Frau gestorben. Zwanzig ſpielt, ist in Wirklichkeit ſchon die zweite Schlacht armer Bauern in einem Dorfe bei Saragossa ge- trieben werden. Kinder hatte sie ihm geboren, von denen nur ein um Madrid . boren. Wie der junge Goya, der Bauer werden Das Erlebnis des Krieges macht Goya zum Sohn am Leben geblieben war. Goya ist einsam. Diese zweite Schlacht ist nur möglich gewor sollte wie seine Väter, in die Malerwerkstatt sei- Thema seines zweiten graphischen Zyklus. Auf Sein Landhaus schmückt er mit düsteren Szenen, den, weil die Deutschen mit genügend viel nes Lehrmeisters in Saragossa gekommen ist, den fünfundachtzig Blättern der..Desastres de la mit dämonischen Malereien. Aber noch hat er die Waffen- und Menschenmaterial eingreifen konnbleibt im Ungewissen der Legende. Das heiße Guerra"( Das Unglück des Krieges) schildert er Kraft, die Lithographie, die von Alloys Senefelder ten, bevor die Volksfront zureichend ausgestat Blut seiner Jugend treibt ihn in stürmische die Schrecken des Krieges mit unerbittlicher soeben erst erfundene und 1818 publizierte Kunst, tet war, um zum Angriff überzugehen. Die der Abenteuer. Wiederholt muß er fliehen. Erst nach Wahrhaftigkeit, wie schon Jacques Callot zwei sich zu eigen zu machen; zufälligerweise ist es wie zeitige Periode des Stillstands ist wahrscheinlich Madrid , dann nach Nom. Als Dreißigjähriger Jahrhunderte zuvor sie geschildert hatte; die gei schon Mengs wieder ein Deutscher aus Böhmen , für beide Teile vor allem eine Pause, in der die fehrt er nach Madrid zurück. Dort arbeitet der ſtige Verwandtschaft zwischen Goya und Callot der für Goyas Schaffen Bedeutung gewinnt Rüstung vervollständigt wird, Truppenteile, die Italiener Tiepolo , der geniale Maler barocken drückt sich ja auch darin aus, daß schon Callot in Prag , in der Mittergasse an der Stelle der große Verluste erlitten haben, aufgefüllt, neue Schaugepränges, zusammen mit Raphael Mengs , seinen graphischen Satiren Titel gab, die den heutigen Markthalle stand Senefelders Geburts- Formationen teils aus Deutschland herangeschafft, dem in Aussig an der Elbe geborenen deutschen gleichen Sinn haben: Les Caprices" und Les haus. Goyas Lithographien, die Senefelders für teils aus den der Regierung ständig zuströmenden Maler. Mengs verschafft dem jungen Goya den Misères de la Guerre" heißen sie bei Callot . Auf den Musiknotendruck erfonnene Erfindung erst Freiwilligen, besonders aus dem Ausland, neuesten großen Auftrag. Es sind Entwürfe für einem dieser Blätter hat Goya einen Gehenften malig zur künstlerischen Technik erheben, ent- gebildet werden und der Plan künftiger OperaWandteppiche, die das Madrider Königsschloß dargestellt. Das klägliche Opfer, im Hemd, mit stehen in Bordeaur, wo Goya 1824 sich nieder- tionen aufgestellt wird. schmücken sollen. Und Goya legt gleich im ersten herabgestreiften Hosen an einem Baumstamm gelassen hatte. Vier Jahre später tötete ihn ein Anlauf Proben seiner starken persönlichen Künst- hängend, bildet den bezwingenden Mittelpunkt Unglücksfall. lerschaft ab. Er malt für diese Wandteppiche nicht des Bildes, ein Mensch, durch schmählichen Tod Seitdem ist ein Jahrhundert vergangen. die traditionellen antiken Götterspiele und Alle- erniedrigt und noch im Tode lächerlichem Anblick Aber das Werk Goyas, seine revolutionär gesinnte gorien, sondern er greift mitten hinein ins spanische Volksleben und holt sich dort die Modelle für seine Entwürfe, junges Bauernvolt bei Spiel und Tanz. Marktfrauen, Recher und Lautenspie ler, Wäscherinnen und Wasserträgerinnen. Er malt eine Welt, die jeder kennt und jeder versteht. Mit einem Schlage ist Goya berühmt. Er betommt Aufträge. Aber nicht nur der heitere Abglanz des Lebens reizt ihn. Er malt auch das Grauen und die Dämonie. Er geht in die Gefängnisse, in die Kranken- und Irrenhäuser und der religiöse Wahn einer Flagellantenprozession ist ihm ebenso ein künstlerischer Stoff wie das ausgelassene Treiben eines Karnevalfestes. Er malt das Spanien seiner Zeit, in dem 1798 die Teste..Here". öffentlich verbrannt wird.
Rasch steigt die Kurve seines Nuhmes an. Er wird Mitglied der Akademie, dann deren leitender Direktor. Und mit vierzig Jahren avan ciert er zum Maler des Königs. Nicht nur dem Titel nach; schon vorher hat er die königliche Familie porträtiert und die höfische Gesellschaft, Staatsmänner und Minister, Adel und Hochfinanz, Gelehrte und Künstler lassen sich von Goya ihre Bildnisse malen. ,, Geld, Geist und Macht jizen ihm Modell." Aber auch in die Bildnisse töniglicher und höfischer Auftraggeber dringt die unbestechliche Schärfe seines Blides ein, die immer bestimmter seinen Werken das satirische Gepräge gibt. Auch die Königin malt er mit der Unerbittlichkeit seiner fritischen Augen; er mult
QUINTA GOYA
ESPAÑA
RTS
Goyas ,, Nackte Maja" auf der Briefmarkerator ch
Diese relativ ruhige Zeit fügt sich in die bisherige Strategie der Regierungsfront organischer ein als in die der Rebellen und Deutschen ; denn nach den ersten Aufstandstagen, in denen das Volk ganze Provinzen mit einem einzigen Schwung den Aufständischen entrissen hat, war die Taktik der Voltsfront im wesentlichen defensiv. Die Milizen mußten ausgebildet werden, Waffen mußten- unter den durch die heuchlerische Nichtintervention" erschwerten Umständen aus dem Ausland beschafft, die einheimische Rüstungsindustrie mußte entwickelt, andere Industrien mußten auf Waffenproduktion umgestellt werden. Die Zeit war für die Regierung. Das schlagendste Beispiel bietet das Eingreifen der katalanischen Milizen und der internationalen Formationen, die im richs tigen Moment nach Madrid geworfen wurden. Deren lange scheinbare Untätigkeit verschaffte der Madrider Regierung, als eine Entscheidung bevorstand, von einem Tag auf den anderen einen geschulten, disziplinierten, unverbrauchten, wirklich militärisch ernstzunehmenden Truppenkörper, de:: fie Franco entgegenstellen konnte.
Ettvas Aehnliches spielte sich auf der Gegenseite ab, als die militärisch geschulten Deutschen in geschlossenen Formationen anrückten. Indessen zeigte sich zu allgemeiner Ueberraschung, daß diese Vertreter von Europas gefürchtetster Armee keineswegs im Handumdrehen die Milizen überrennen und Madrid einstecken konnten. Im Gegen teil: die militärischen Fachleute, die Hitler mitgegeben hat, müssen zahllose Versager feststellen: die verwendeten Flugzeugtypen bewähren sich