Sonderbeilage Spanien  

Romantisches Spanien  

Liebe Redaktion!

Von Frank Erck

VII

Freitag, 25. Dezember 1936

Frauen am Brunnen horchen auf, und vom ver-| in höfischer Etikette erstarrte Gefolge des düste träumten Stadtwall kommen die Mädchen ge- ren Königs vorzustellen ihn selbst, den eisigen, rannt: Die rotmüßigen Karlisten, von ihren Flin- unnahbaren Philipp, die unglückliche Königin, den tenpfaffen geführt, rüden wieder an, und hinter Iranten Infanten und Herzog Alba  , den hohl= Wutverzerrt sind die Gesichter. Sie ballen die nen ernst und düster wirkenden Bäumen, Büschen, ihnen das große Heer der fremden Eindringlinge äugigen Toledaner. Nein, dieser Garten mit sei­große Erhebung bricht an. Fäuste. Sie fiebern nach Waffen, Getümmel. Die Beeten vermag das Gemüt nicht zu erheitern. Etwas freundlicher wirkt das Schloß, die

unter, um sogleich mit neuen Kräften wieder zu ben und Wippgalgen, die Foltertverkzeuge der Nagelpeitschen, Würgeisen, Daumenschrau­Inquisition, tehrten nach der Verjagung des Romantisch beginnt dieser Feldzug: Mit zierliche Brücke, die den Tajo   überspannt, der fremden Tyrannen nach Spanien   zurück. Neue großen Parolen und glänzenden Gesten. Mit Mi- Ausblick auf die violett schimmernden Höhen des Aufstände, Bürgerkrieg. Liberale und Ultrafatho- lizianerinnen, Kriegsehen. Stierkämpferbataillo: Guaderramagebirges. Das Schloß, weit ausla= lifen bekämpfen einander. An der Frage der nen. Mit wildwehenden Fahnen, bunten Unifor- dend, bietet innen nicht mehr und nicht weniger Thronnachfolge entzündet sich der Parteienstreit. men, leuchtenden Halstüchern, Paraden, Erotik, als alle anderen derartigen Herrenjige. Stalte Die Guerillos haben rote Wüßen und nennen Trubel und Tumult. Mit verwirrenden Losungen Pracht in ungemütlichen Riesenräumen, neben sich Starliſten. Bis vor Madrid   kommen sie gezo- von Volksgemeinschaft, ungezügelter Freiheit und lächerlicher Primitivität der Privatgemächer. An­gen. Von ihrem Feldherrn; elt sieht man die en- Losgebundenheit. Glänzend und sprühend, wie gehäufte Kostbarkeiten, einige Gemälde spanischer ster des königlichen Palastes in der Sonne blin- alle Nomantit von außen, und grausam und ver- Meister alles Nähere siehe Baedeker. ten. Heroisch widersteht die Stadt. Aber unge zweifelt im Grunde. Wie die Revolution von Der Ort Aranjuez   ist inmitten der dürren, zählte kleine Dörfer werden ihnen leichte Beute, 1789 und 1848. reizlosen Hochebene Stastiliens immerhin eine und das Füsilieren, die so miliärische, so spa­Oase. Obgleich im Sommer der glühenden Sonne, nische Tugend", hält Ernte. im Winter den eisigen Sierrawinden preisgege­ben, ist er doch ein Frucht, Gemüse- und Blu­menmartt. Berühmt sind seine Erdbeeren, voll und groß die Artischocken, zart der Spargel. Ein beliebter Ausflugsort der Madrider   und selbst­verständlich ein stark besuchter Touristenplatz. Deshalb muß man dort auch die Erdbeeren und den Spargel teurer bezahlen als in Madrid  - das hat mit seiner Empfehlung der gute Bae­defer getan".

Romantik ist Auflösung. Sie verwischt die straffen Formen in ihrem aufrührerischen, chaoti­Das brach nicht ab: Strieg und Bürgerkrieg. fchen Gemälde. Sie taucht die durchsichtige Helle Aufstände und Nebellionen gegen Pronuncias in einen verwirrenden Farbnebel und eine zügel­mentos und Staatsstreiche gewittern pausenlos los- bewegte Menschenmenge jagt die wohlagieren­

Sie fragen mich, ob ich einen Artikel über erstehen. das romantische Spanien   schreiben wolle. Gern; die Aufgabe lockt mich. Obzwar wir, wie es scheint, in ganz und gar unromantischen Zeiten leben. Sie haben die althergebrachten Formen und For­meln über den Haufen geworfen. Das roman­tische Spanien   ist ein Klischeebegriff. Seine tras ditionellen Requisiten: der Duft des Weins etwa, der Saft der Frucht, das heiße Lächeln einer schtvarzen Frau, was gelten sie noch? Aber das flingende Wort hat Bestand und das nachhallende Echo des Kanonendonners. Und darüber will ich schreiben. Meine Betrachtung des romantischen Spanien   soll nicht unzeitgemäß sein. Auch Krieg und Kriegsgeschrei sind romantisch in Spanien  . Ueberhaupt: Romantik ist ein Kampfwort. Ist der Feldruf der Jungen gegen das Alte. In un­nahbarer unbewegtheit schwang formschön die klassische Literatur über den Wogen des aufge­wühlten sozialen Lebens dahin. Zwischen Mor­genröten und Morgenröten gab es keine Ston­flitte. Majestätisch schwebte der Sonnenball auf weiter, in Berg und Tal und Baum und Strauch stilvoll gegliederter italischer Landschaft. In ihrem flaren Licht sonnte sich das klassische Schau­spiel. Das Drama der Romantik suchte Volts­nähe und Bewegtheit. Jberien, das wüste, halb­afrikanische Land, wurde zu seiner Bühne und dem starren Prospekt des Klassizismus wurden seine in wilden Farben gemalte Kulissen entgegenstellt, seine großartigen Fluren, die vom zerrissenen Hochgebirge hinabsteigen über sturmburchivehte zyklopische Steinwüsten zu einer kraftstroßenden Erde, die überzogen ist von einem verwirrenden Mosaik bizarrster Gewächse. Das war die Erschaf­fung Spaniens   zum romantischen Land als Pro­test gegen das klassische Italien  , und die neue Idee, über die Spaniens   Flagge wehte, siegte gegen das blutleer gewordene italienische Gestern. Heute steht Spanien   gegen Italien  . Die hundert­jährige literarische Opposition ist zur echten Revos lution geworden: aus der Sphäre der Kunst ist sie hinabgestiegen in die des Lebens.

Das spanische Leben hat sich stets so präsen­tiert, wie der an der romantischen Literatur Orientierte es zu finden erhoffte. An den Straßenecken lagen malerisch hingestreckt die Bett­ler. Auf den Hauptplägen promenierten die Ele­gants, in ihre faltigen Capas gehüllt, und feurige Blicke und heiße Worte schleuderten sie den Schö­nen zu. In der Mitte des Dorfes sprudelt der arabische Brunnen und Wäsche waschende Frauen standen um ihn gebückt. Alte Romanzen langen auf, Sastagnetten schlugen drein; hart stampfen die Sohlen der Männer den Tanzboden; auf den

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Die Madrider Universität

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El Escorial- auch dieser Ort ist mit einem Schillerschen Zitat eng verknüpft. Schlaf find ich im Escorial  ", sagt der grüblerische Philipp II  .

Als Philipp II.  , mit sich und der Welt zer­fallen, einen Ort ersehnte, wo er in asketischer Burückgezogenheit sein Leben beenden könnte, mußten seine Baumeister jahrelang suchen, ehe der geeignete Plaß gefunden war. Etwa 50 Kilo­meter von Madrid   entfernt, fand man endlich auf ödem Felsplateau die Stätte, an der in langer Bauzeit das düstere graue Riesenschloß entstand, Wohnsitz und Grab zugleich.

über Spanien   dahin. Erinnerungsschtver sind die den Typen von der Bühne. Sie hätte gefiegt, Menschen: Die unsichtbare Armee, die Napoleon   wäre ihr Kampf nur gegen das alte, blutleer ge­bezwang und danach die große reaktionäre Belves wordene Spanien   gegangen. Das romantische gung der Karlisten, lebt fort: Sie tämpft gegen Spanien   hatte seine höchste Stunde in den Juli- und abweisend, mit seinen vier trotzigen Edtür­Da ragt es nun seit Jahrhunderten, kalt die modernen Unterdrücker; ihr Heer trägt roman- tagen; über die ganze Welt ist damals die Idee men und der kahlen, vielfenstrigen Front, man tische Dreispitze und romantisch sind die Stampf- Spaniens getreist. Von Italien   aus aber war die spricht von mehr als 1100 Fenstern. Aus seiner formen, denen es zu begegnen hat. Erst das Ban- flassische Reaktion, neu gefügt und gefestigt, in die Mitte erhebt sich die stolze Kuppel der gewaltigen denivesen im Süden, dann die jungsozialistische Welt hinausgegangen, und jetzt stellte sie sich in Vasilita. Gigantisch ist dieser Bau und doch ist und junganarchistische Bewegung. Die Noman- berien dem alten Gegner. Wollte er sie bestehen, seine Wirkung nur eine niederdrückende. Gewis= tit ist eine revolutionäre Strömung. Aber dafür mußte er das romantische Gewand abwerfen. fermaßen das steingewordene Symbol dieses stecken auch in jeder Revolution romantische Strö­Die romantische Literatur ist in den Realismenschheitsfeindlichen Monarchen. mungen. Groß und mächtig schäumen sie auf in mus gemündet. Das romantische Spanien   ist Die kostbarsten Schäße spanischer Kunst den Sulitagen, da die alten Feinde des spanischen gleichfalls tot. Jetzt erſt. Es hat die Realität sei birgt dieses düstere Schloß. Die großen Meister Voltes zum neuen Pronunciamento losschlagen. nes großen, erschütternden Kampfes erkannt. Und Spaniens   gaben ihre herrlichsten Werke zum Pedro der Tischler, José der Schmied und Alvaro so kann es siegen. Wir nehmen gern, froher Hoff- Schmuck der Galerien, Vestibüle und Säle. Ein der Weber, wissen Bescheid. Die wäschewaschenden nung voll, von ihm Abschied. Velasquez  , ein Greco, Rubens und Raffael schu fen im Dienste des Königs.

Fußſpiben wirbeln die Madden und berhen Einst in glanzvollen

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Tagen...

Von Arnold Heilbut, Madrid  

Zwei Städte sind es, die man in diesen| lich vor unseren Augen die Gestalt des unglück­Tagen, da sich das Schicksal der spanischen   Metro- lichen Königssohnes Don Carlos   auf, der hier pole entscheiden muß, oft nennen hören wird: dem starren Zeremoniell des Madrider Hofes ent­Aranjuez und Escorial  

schlägt um ihre schlanken Beine der bunte Falten­rod. Die Männer haben adelige Gesichter. Die Frauen haben breite und leuchtende Augen. Des Sonntags versammeln sie sich am Bahnsteig und sehen, auffeufzend den Zug vorbeifahren, oder sie gegen paarweise den Wall entlang, rings um die schweigenden Städte, die die Geschichte längst ver­gessen hat. Am Abend sißen dann in fachelaus­gelegten Stuben beim weichen Schein des Del- Man bezeichnet das kleine Städtchen lichtes Pedro, der Tischler, José, der Schmied, und Aranjuez   oft als das spanische Versailles  ". Alvaro, der Weber. Sie beginnen zu sprechen. nicht ganz mit Unrecht, denn Bauart des Schloss fes und Anlage der Gärten erinnern in der Tat

Bis dahin ist die romantische Literatur ge­

fommen. Dann erzitterten die Notationsmaschinen. Pedro, José und Alvaro hatten das Gewehr er= griffen. Carmen, Blanca und Dolores waren Strankenschwestern geworden. Die Stierkämpfer ballten die Faust zum proletarischen Gruß, oder sie reckten den Arm und riefen: Arriba España!"

,, Spanien   erwache!" Um die alten Festungen donnerten Geschüße. Lagerfeuer lodern zwischen Palmen und Kakteengesträuch. Wachen liegen auf den eisigen Berghöhen. Aufgeregte Massen durchs fluten die Straßen. Volt ohne Pulsschlag", hatten die Generäle gehöhnt. Lieber aufrecht sterben als gebückt leben", hatten die Volksrebner geantwortet. Und:" Sieg oder Tod" echote die Menge.

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ronnen Erholung gesucht haben mag. Frei­lich, dieser unglückselige Infant entsprach so ganz und garnicht dem romantischen Idealbild, das Schiller von ihm entwarf. Er war ein armer, von der Natur förperlich und geistig stiefmütter­lich behandelter Mensch. Ein Prinz, der an der

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Garten der Klosterbrüder in Escorial  

Die weltberühmte Bibliothek weist mehr als 100.000 Bände auf, die seltensten Handschriften in allen Sprachen der Welt.

Pracht und Lugus überall, kalter Marmor und gleißendes Gold, Juwelen und schimmerndes Silber, starrender Brokatstoff und glänzende Seide. Wie einfach und nüchtern dagegen die Wohn- und Schlafräume des Königs, wie schreck­lich bedrückend düster und kahl jener kleine Raum, mit dem Blick auf den Hochaltar der Basilika, in dem der gichtkranke König einsam seine letzten Tage verbrachte.

Und dann ist da jene Krypta, zu der man auf gewundenen Warmorfliesen hinuntersteigt, zu diesen marmor- und goldstroßenden Grabgewöl= ben, wo in den Nischen die prunkvollen Särge Karls V. und Philipps II. stehen, wo die Ge= beine der Vorfahren und der Nachkommen dieser Fürsten ruhen, eine endlose Flucht von Gewöl­ben und Nischen, überladen mit Marmor und purem Gold.

Wieder oben, durchschreitet man das riesige Schiff der Basilika, den Vorhof von gewaltigen Ausmaßen, den merkwürdigen Raum, der den Namen fala de los secretos"( Saal der Geheim­nisse) trägt. Ein dunkles, winteliges Steinge= mach, in dem man sich in eine Ecke stellt und einige Worte gegen die Wand flüstert, die man ohne Mühe in der gegenüberliegenden Seite deutlich und klar vernimmt.

Man durchschreitet den stillen Garten der Evangelisten und atmet auf, tvenn sich der blaue Himmel wieder über einem wölbt, wenn man dem drückenden, beängstigenden Dunkel und der erstarrenden Stälte der Steine entflohen ist.

Der kleine Ort El Escorial   hat nichts mehr von dem unheimlichen Ernst des Schlosses. Er hat sich im Laufe der Jahre zu einem freundlichen, sauberen Städtchen entwickelt. Die gute Gesell­schaft von Madrid   hat dort ihre Villen.

Den Bruch in der romantischen Literatur füllen die von ihr verschwiegenen Gespräche aus. Es sind großartige, turbulente Gespräche. Nicht enden wollende Kriege durchziehen und durchzittern das Land. Am 2. Mai 1808 steht das Volt von Madrid   gegen die französischen   Besatzungstruppen auf. Mit Messern und Steinen greift es sie an. Wutverzerrt sind die Gesichter der Bürger. Schreckerstarrt die der Reiter. Ihren sich hoch­bäumenden Pferden steht der Schaum vor dem Maul. Getümmel. Das große Gemeßel hebt an. Da, wo einst baufällige Hütten standen, er­Vor den Toren Madrids   dann wartet die lange heben sich heute moderne Hotels, reizende Gärten Meihe der zum Tod Verurteilten auf die Sinrichs laben zur Rast und in den hügeligen Straßen tung. Eine große gelbe Laterne beleuchtet die Sol sieht man die modernsten Autotypen in diesen daten. Sie halten das Gewehr an die Wange ges Straßen, durch die sich einst der todkrante König preßt und den rechten Fuß vorgestellt. Die hnen in seiner harten, engen Holzsänfte dahintragen gegenüber sind in die Stnie gefunden. Einer preßt an das Luftschloß des Sonnentönigs. Aber genau Seite seines verbitterten, menschenfeindlichen ließ. Hinauf zu jener kahlen Steinhöhe mi: dem die Nägel ins Fleisch der Hand. Vom andern genommen ist La Granja" bei San Rafael. Vaters ein trauriges Dasein geführt haben wird. eigenartig geformten Stein, der einen toeiten sieht man nur das Weiße des Augapfels. Feuer! die schöne Sommerresidenz der früheren spanis Inmitten der starren, abgezirkelten Laub- Blid ins Land gewährt, und der noch heute la An allen Eden brannte das Land; der große Un schen Könige und ber jebigen Präsidenten, dem gänge, den streng abgeteilten Beeten und wohl filla del rey"( der Sessel des Königs) ge= abhängigkeitstrieg. Ueberall ist das Voll in Waf- so viel topierten Bersailles weit ähnlicher. ausgerichteten Wegen vermag man sich gut das nannt wird. fen und wo feine Heere geschlagen werden, tau- Aber Aranjuez   ist nun einmal bekannt. Wer chen seine Guerrilleros auf, die nach hunderttaus von uns hat nicht gelegentlich schon einmal das send Kleinattionen sich wieder zu neuen Heeren Bitat angewendet: Die schönen Tage von Aran­fammeln. Sie marterten Napoleon   wie die Flies juez sind nun zu Ende...". Und sicherlich hat gen den Löwen in der Fabel. Es war unmöglich, sich ihrer zu erwehren. Immer waren sie auf der Flucht und immer aufs neue bereit zum Angriff. Eine Gespensterarmee führte da Kriep: Unsichts bar war sie, unfaßbar und unzerstörbar. Septe man ihr nach, tauchte sie im Schoße des Voltes

er dabei den Namen unwissentlich falsch ausge­sprochen. Es heißt nämlich Aranchuéß, und der Ton liegt auf der leßten Silbe.

Schlendert man durch die zahllosen sich freu zenden Hecken und dunklen Laubgänge( sie sind teilweise etwas verwahrlost), so steigt unwillfürs

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Das Schloß Aranjuez