Sozialdemokrat

Zentralorgan der Deutschen   sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik

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17. Jahrgang

Herausgeber: Siegfried Taub- Berantwortlicher Redakteur: Karl Kern, Prag  

Dienstag, 19. Jänner 1937

Machtvolle Manifestation in Karlsbad  :

9000 Glas- und Keramarbeiter verlangen von der Regierung rasche Hilfe

Ginzelpreis 70 Heller( einschließl.5 Seller Porto)

Aus dem Inhalt:

Abg. Jaksch über die nationale Frage

Der Aussenhandel 1936

40- Stundenwoche auf den französischen   Bahnen

Tempo!

Nr. 16

In Karlsbad   hat gestern nachmittags eine Massentundgebung stattgefunden, die weit mehr als lofales Interesse beansprucht. Der Zweck die ser Kundgebung war, die Oeffentlichkeit und vor allem die Prager   Zentralstellen auf die beson dere Krise aufmerksam zu machen, in der sich die Porzellan- und Glasindustrie und deren Ar­beiterschaft befinden. Während eine Reihe son Branchen bereits deutlich eine Aufwärtsentwick lung zeigt, hat die Porzellanindustrie 1936 weniger ausgeführt als 1935 und auch in der Glasindustrie ist die Wes­ferung nur eine geringe. Der ebenfalls geitern erschienene Bericht über den Außenhandel im Jahre 1936 zeigt, daß die Ausfuhr von Glas und Glaswaren 1936 rund 609 Millionen gegen 579 Millionen ein Jahr zuvor betrug, während in der Gruppe Tonwaren die Ausfuhr in dersel ben Zeit von 185 Millionen auf 182.4 Millionen zurückgegangen ist. Es gibt Gebiete, wo seit 1929 etwa 70 Prozent der einstmals beschäftigten Glas- und Porzellanarbeiter arbeitslos sind.

Karlsbad.( Eigenbericht.) In den Nach zum größten Teil im Zusammenhange der stattfin-| Beschaffung aus, wobei auch der Staat den Vorteil mittagsstunden des Montag stand die im winter- benden Frühjahrs- und Herbstmessen ihre Auslands- gefteinerter Balutaeinfuhr genießt. lichen Schlaf liegende Kurstadt Karlsbad   ganz im aufträge herein. Wenn nicht eine beschleunigte Er- Die schwer betroffene Arbeiterschaft der Bor­Banne einer gewaltigen Manifestation, zu der der ledigung der Export- Hilfsmaßnahmen für diese In- zellan-, Steingut- und Glasindustrie ist am Ende Berband der Glas- und Keramarbeiter die Ange- buſtrien seitens der Regierung erfolgt, gehen weitere ihrer Widerstandskraft gegen Wirtschaftsnot und hörigen dieser Berufe aufgefordert hatte. Es war sechs Monate für eine Produktionsbelebung und die Krisenclend angelangt und befindet sich in einer wohl die größte Kundgebung, die jemals Glas- erfolgreiche Bekämpfung der Arbeitslosigkeit verloren. verzweifelten Situation. Die Porzellan- und Stein­Die versammelte Arbeiterschaft fordert aber autindustrie weift im Jahre 1936 wiederum einen und Borzellanarbeiter und-Arbeiterinnen in fol- auch, daß bei den Berhandlungen, die dem Abschluß Exportrüdgang um rund 8 Brozent gegenüber dem cher Bahl vereinigte und die nur zu vergleichen von Handels- und Kontingentsverträgen voraus- Nahre 1935 auf. Aber auch die Glasindustrie ver­ist mit unseren Maidemonstrationen. Es war gehen, besonders der Borzellan- unb Steingut- acidmet nur eine sehr geringe Befferuna. Jede Ver­ein Ausdruck der unerträglich gewordenen Lage, industrie, aber auch der Glasindustrie eine größere aögerung der Maßnahmen für den Wiederaufbau in der fich die Arbeiterschaft diefer wichtigsten zwei Berücksichtigung für ihre Warenausfuhr nach dem biefer. Exportindustrien bedeutet eine weitere wirt Berufszweige Weſtböhmens befindet, die diese betreffenden Land zuteil werde, um auch auf diefe fchaftliche Schädigung und eine Verschärfung der Menschen hier zusammenführte. In stundenlan- Weife beizutragen, eine günstige Auswirkung der ohnedies großen Arbeitslosigkeit. ( Ein Auszug aus dieser Entschließung ging gen Fußmärschen sind sie an diesem, bitterkalten, Exportförderungs- Maßnahmen zu gewährleisten. Wintertag nach Karlsbad   gegangen, andere tamen Die Möglichkeiten einer erfolgreichen Be.telegraphisch an alle zuständigen Minister ab.) Diese noch immer fatastrophale Lage in den in Autobussen und mit der Bahn, um ihren durch fämpfung der großen Arbeitslosigkeit in der Bor­Die Arbeiterschaft der Porzellanfabrik Thun zellan-, Steingut- und Glasindustrie durch För. ben Mund des Verbandsobmannes Genossen Neu­beiden Industriezweigen erfordert besondere berung der Warenausfuhr find gegeben in einem in Rlöfterle, bie fich wegen der großen Entfernung ilfsmaßnahmen. Als solche kommt mann verdolmetschten Forderungen Nachbruc zu Maße, wie in feiner anderen Industrie unseres nicht verfönlich beteiligen konnte, hat ein Shmiegt hauptsächlich die Befundierung der Handels­autorites, fe, bis 30 mr biefes Waffen. Stantes. Ster, hanbelt es sich um ausgesprochene athletelegramm gefchtet, ebenfa bie Arbeiterschaft ſteuern in Betracht, damit die Induſtrien tontur­aufmarsches. von gut 9000 Menschen waren. bobenständige Wirtschaftszweige, welche sehr geringe der Fabrit Schulthes in Gießhübel bei Buchau. renzfähig werden. Wenn ein Produktionszwe in machte die Versammlung tiefen Eindrud, und sie Mengen von technischen Rohstoffen für die Brobul Eine weitere Kundgebung fand am gleichen einer solchen Bedrängnis ist, wie es hier der all wird die Wirkung sicher nicht verfehlen, die sie tion aus dem Ausland benötigen. In unferer Bor eizielen sollte: vor allem ben verantwortlichen zellan- und Steingutindustrie beträgt der Lohnanteil Lage im vollbesetzten Saal des Gasthauses Becher ist, dann muß man die heimische Industrie voch Stellen in Prag   begreiflich zu machen, daß es 50 Brozent der Gestehungskosten, auch die Glas in Ladowib für die Betriebe in Dug, Litwit und wenigstens in dieselbe Lage bringen wie die Ken­höchste Zeit ist, diesen beiden Industriezweigen die industrie weift einen Lohnanteil von 40 bis 50 Bro- Labotvis statt, in welcher die Kollegen No II turrenzindustrien des Auslandes, die ähnli he Bilfe zu bringen, auf die fic Anspruch haben und sent auf. Ein gesteigerter Export wirkt sich hier in deutsch   und Schweinfurter   tschechisch zu Lasten nicht zu tragen haben. Das müßte aber von der ble Wieberbelebung der Wirtschaft in ſehr hohem Maße in Form von sufählicher Arbeits- I ben Forderungen der Keramarbeiter referierten. ich geschehen. Es iſt unmöglich, dem Indu­tatenlos zuzusehen, es

Weftböhmen abhängig ist.

Bei dem Hotel Lyon  ", bei dem unfer Be

richterstatter auf den Bug stieß, zeigte sich fein Ende und auch der Versuch, auf einem Nebenwege beim Hotel Paradies" der Spitze des Zuges zus vorzutommen, mißlang, denn es zeigte sich, daß die ersten Teilnehmer längst schon auf dem Becher plaß angelangt waren und einen großen Teil des selben besetzt hatten, während der Anmarsch der unteren Stadt immer noch vor sich ging. Ein Blick zum Strudel zeigte immer noch fein Ende des Ruges, in dem Transparente mit den For derungen der Glas- und Keramarbeiter, die ja auch die Forderungen der übrigen Arbeiterschaft find, getragen wurden. Da an die zum großen Teil schlecht bekleideten Menschen nicht die Bus mutung gestellt werden konnte, au warten, bis aut die lebten Demonstranten eingelangt sind, mußt: die Kundgebung vorzeitig eröffnet werden. Eine Lautsprecheranlage übertrug die Rede des Ver bandsobmannes Neumann, dessen Ausführun gen wiederholt von stürmischem Beifall begleit waren.( Wir werden seine Rede noch im Aus­zug nachtragen. Die Red.)

Sodann verlas Genosse üttl die Ent schließung, die von den Massen einstimmig anges nommen wurde.

SdP- Intrigen mißlungen

Deutsche   Bischofsabordnung beim& apst

Beschwerden über die Verfolgung der Kirche

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tirchliche Lage in Deutfchland be­apgen habe. Beim Vatikan   find nämlich in der lebten Zeit immer schlechtere Nachrichten über die Verfolgung von Katholiken und hauptsächlich von Ordensgeistlichen eingetroffen. Verschiedene Frauen- Orden, welche ihre Schulen sperren muß Nom. Der Papst hat Sonntag vormittags ten, wollten einen Teil ihrer Ordensschwestern in die Kardinalerzbischöfe von München  , Köln   das Ausland schiden, damit diese dort ihrem und Breslau   und die Bischöfe von Berlin   Lehrberuf nachgehen können. Die deutschen   Be und Münster   zu einer einstündigen Audienz hörden haben ihnen jedoch im letzten Augenblick, empfangen. Anschließend fand eine weitere Un- als sie bereits die Bewilligung und die Fatrlar terredung mit dem Kardinalstaatssekretär statt. ten erhalten hatten, die Ausreise aus Aus gut informierten Kreisen des Vatikanse u ti hland untersagt. Ferner berlautet, daß sich die Audiens nicht so sehr auf tönne man beobachten, daß in Deutschland   inste Diözesan  - Angelegenheiten der einzelnen Bischöfe, matisch daran gearbeitet wird, den Glaubenseifer fondern vielmehr auf die allgemeine der Katholiken einzuschläfern.

Die geplatzte Seifenblase

Der Westen zu den Hitler  - Märchen von den russischen Flugplätzen in der ČSR  "

ittleſterben in Nord- und Be Westböhmen länger

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dieser beis den Notindustrien eingehend geprüft, es ist wie wir hören von den beteiligten Aemtern alles vorbereitet worden und an der Regierung liegt es nun zu entscheiden. Diese Entscheis dung muß noch diesen Mon folgen, weil gerade im Jänner in den beiden Industrien die Ab­schlüsse getätigt werden. Es wäre sonst ein halbes Jahr verloren und das könnte mun nicht ruhigen Gewissens verantworten. Mit aller Dringlichkeit sei daher die Forderung erhoben. daß in den nächsten Tagen die Exporterleichteruns gen für die Glas- und Porzellanindustrie_ver= wirklicht werden. Ganze Bezirke und Tausende von Menschen warten darauf.

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In diesem Zusammenhang ist es nicht ohne Nußen, sich die Entwicklung des Außenhandels der Republik   im abgelaufenen Jahre 1936 anzu sehen. Es ist erfreulich, daß sowohl die Eintuhr als auch die Ausfuhr gegenüber dem Vorjahre gestiegen ist. Die Einfuhr betrug 1935 tund 6738.6 Millionen, 1936 7904 Millionen, hre

Der Gegenschlag, den die Regierung der Me- der Nazi zu befürchten. St. Brice billigt die Zunahme betrug 1165.4 Millionen, die Ausfuhr publik gegen die nazistischen Berleumdungen über Anlehnung der Tschechoslowakei   an England und ist in derselben Zeit von 7418 auf 8014 alio um 596 Millionen gestiegen. Eine Steigerung der russische Flugplätze in der Tschechoslowakei  " ge- die versöhnliche Haltung gegenüber Desterreich. führt hat, ist zu einem großen Erfolgun Zugleich gab die Versammlung der SdP und ferer Politik auf der ganzen Linie gewor- Peuple" betont in einem Leitartikel, daß die bedenkt, daß die Devalvation erst im Oftober Sogar Taittinger   im Ami bu Ausfuhr um fast 600 Weillionen Kronen ist im merhin bemerkenswert, insbesondere wenn man ihrer Scheingewerkschaft, die in ihrer Verärgerung ben. Nachdem bereits die englische Bresse sich mit ganze hitleristische Propaganda nur dem Zweck durch Zeitungsartikel, Flugblätter und schnell fa ber Angelegenheit ausführlich beschäftigt, die diene, die Tschechoslowakei   su isolieren, weil sie durchgeführt worden ist. Gerade im Dezember. da braferte Telegramme bie Bebentura ber eine hitlerdeutſchen Bilgen zurücgewieſen and ale i ben preußischen Eroberungsplänen hinderne für die ausfußt und 215 92iffionen( trofer at schaftlichen Attion herabzusehen versucht hatte, in geschaffenen Borwand einen in den Weg stelle. Frankreich   dürfe die war Ausfuhr um größer als der Meinung, die Arbeiterschaft von der Kundrischen Ueberfall auf die Tschechoslowakei   entlarvt fch e choslowakei um teinen Preis ein Jahr zuvor, so daß von der gesamten Jahres gebung abhalten zu tönnen, die entsprechende Ants zunahme der Ausfuhr mehr als ein Drittel auf wort, die gerade in der riesigen Teilnahme am hatte, wendete sich Sonntag auch die große fran- verlaffen. 8öfifche Bresse dieser Frage zu. den Monat Dezember entfällt. So gibt die Ents wirtungsvollsten zum Ausdrud tam. Als Hüttl wicklung der Ausfuhr in der allerlebten Zeit die Machinationen der SdP- Leute erwähnte, bes einige Hoffnung, daß bei tatkräftiger Durchfüh träftigte ein vieltausendstimmiges rung der mit der Devalvation am 8. Ottot er Pfui diesen Protest. 1936 begonnenen neuen Handelspolitik eine weis tere Steigerung der Ausfuhr, damit eine weitere Belebung der Exportindustrie und eine Besserung der Lage der fudetendeutschen Bevölkerung ein­treten wird..

In aller Ruhe und Disziplin löste sich dann die Versammlung auf. Ein Ang. Paul P of ta von der SdP, der durch ungehörige Bemerkunge.: zu provozieren versuchte, wurde von der Polizei sichergestellt.

Die einstimmig angenommene Resolution hat folgenden Wortlaut:

Die am 18. Jänner 1937 in Karlsbad   verfam.

melten 9000 Arbeiter und Arbeiterinnen verlangen

"

Der Populaire" lobt die tschechoslowa­tische Regierung, weil sie die Nerven nicht ver­loren, fondern in der fachlichsten Weise die Ber leumbungen widerlegt habe.

Der Temp 8" schreibt, daß die Ursache der Sehe der Beistandspalt der Tschechoslowakei   mit Rußland   und Frankreich   fei, obwohl biefer Bats rein defenfib fei und niemanden bedrohe.

Bemerkenswert ist, daß aber auch die Breffe ber franzöfifchen Rechten­bie fich hierin wohltuend von der Breffe der fchedischen Resten unterscheidet ganz und gar nicht geneigt ist, auf die Pro baganbalüge der Berliner Antibolschews" herein zufallen, sondern Manöver durchschaut.

Ein Bumerang

London.  ( Reuter.) Die Times", veröffent. lichen einen Brief ihres Berliner   Korrensponden­ten, der sich mit den deutschen   Gründen für die Ablehnung der tschechoslowakischen Einladung be. faßt, daß der deutsche Attaché in Prag   die tsche­hoslowakischen Flugpläbe besichtigen möge. wo bei die samstägige Berliner   Börsenzeitung" an Wie notwendig eine Ausweitung unseres führte, daß solche gut vorbereiteten Besuche nicht Exports ist, zeigt auch ein Vergleich der Aust: h: geeignet seien, das zu zeigen, was gesehen werden im leßten Kalenderjahre mit jener im Hoh.on sollte. Der betreffende Nebatteur sagt, buß mit juntturjahr 1928. Damals erreichte die tschechos diefer deutschen   Auslegung gerade fenes flowafische Ausfuhr ihre höchste Entwicklung mit Vorgehen distrebitiert werbe, das einem Wert der ausgeführten Waren von 21.2 Deutschland   häufig au seinem Ber  - Milliarden. In der Krise ist dieser Ausfuhr­teil ausnüße und welches eigentlich bewirkte, daß wert bis 1933 auf 5.9 Williarden, d. 1. auf 28 fchen Angelegenheit sprechen fonnte.. Es ist notwendig, dies zu berücksichtigen, da mit der Charalter der deutschen   Propaganda ber und die Kommunisten feien eine politisch im letzten Jahre offenbar werde, wenn sie jeßt ver­fucht. Zweifel über den Wert aller amtlich ange ordneten Inspektionen zu erweden.

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von der Regierung bie beschleunigte Erledigung ber Exporthilfsmaßnahmen für die Borzellan, Stein­gut und Glasindustrie. Diese Industrien mit ihrem ausgesprochenen Exportcharakter weifen fchon feit nichts lächerlicher fei als die Behauptungen von fieben Jahren ständig die stärkste Arbeitslosigkeit auf, beren erfolgreiche Belämpfung nur durch Maßnah der Bolfchewisierung der Tschechoslowakei  . Es men ber. Begierung Aur Steigerung der Ausfuhr sebe hier teine tommunistische Gefahr

fowie des inländischen Abfahes möglich ist.

Die Porzellan- und Steingutinduftrie fowie die Grunde bedeutungslose Gruppe. Gefahr fei Hauptsächlichsten Zweige der Glasindustrie nehmen für den inneren Frieben nur von der Agitation

Ausfuhr auf rund acht Milliarden d. f. 38 Pro­sent, also um 2.1 Milliarden oder zehn Bros zent( der Ausfuhr von 1928) gestiegen. tefe Riffern fagen alles. Sie beweisen einen Aufstieg, der allerdings langsam ist und welcher der Rus  Inahme des Welthandels nachhinft. Dieser langs