Sozialdemokrat

Sentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik

Erscheint mit Ausnahme des Montag täglich früh

Redaktion und Verwaltung: Brag XII., Fochova 62

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Telephon 53077- Herausgeber: Siegfried Taub - Verantwortlicher Redakteur: Karl Rern, Prag Dienstag, 2. Feber 1937

Cingelpreis 70 Heller( einfalteßt.5 Heller Porto)

Aus dem Inhalt:

Interview Dr. Hodžas für die..Morning Post"

Polnische Olympiade­Mannschaft erhält keine Reisepässe

Trautenauer Textil­industrie wesentlich besser beschäftigt

Nr. 28

17. Jahrgang

Gegen Unrecht und Hunger

Eine deutsche sozialdemokratische Konferenz für Menschlichkeit in der Arbeitslosenfürsorge Mangelnde Einsicht der Behörden

Sonntag, den 31. Jänner 1937, fand in Prag im Ingenieurhaus eine vom Parteivorstand der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei ein. berufene Beratung der in den Bezirkssozialkommissionen tätigen Funktio näre der Partei statt.

Die Konferenz, an der 61 Delegierte teil- sich mit ihrer Handhabung durch die Bürokratie nahmen, wurde nach 9 Uhr früh vom Parteivor- befaßte.( Einiges aus dem Inhalt des Referates fitenden Minister Dr. Czech eröffnet, der ins- und der Debatte verarbeiten wir an anderer besondere die Vertreter der Zentralgewerkschafts- Stelle. Die Red.). tommiffion( Weigl, Baur ), des Kleinbauern­

verbandes( 3enker) und des Jugendverban- Bevor in die Debatte eingegangen wurde, bes( Geiler) begrüßte. In feiner Eröff- wurde eine Kommission gewählt, die aus den Ge­numgsansprache legte der Parteivorsitzende den noffen Wunderlich, Lorenz, Jatsch), Vatter, Bie­Zweck der Beratungen dar, der darin besteht, die rer, Geißler, Weigl und Zenker bestand. In der Erfahrungen der in der Arbeitslosenfürsorge Debatte felbst sprachen die Genossen Legat tätigen Genoffen auszutauschen und die erfor-( Karlsbad ), Nichter( Brüg), oren derlichen Maßnahmen zu treffen, denn der Augen-( Teplit- Schönau), Wunderlich( Graslių). blick mache den Eingriff der Partei notwendig. Niedl( Tetschen ), Geißler( Teplitz- Schö­Nachdem hierauf ein Präsidium, bestehend aus nau), Seidler( Bautsch ), Bierer( Mähr. den Genossen Dr. Czech, Abgeordneten& at Schönberg), Trcek( Erdweis), Edl( Poder ( Falkenau) und Nitschmann( Neutitschein) fam), Stern( Komotan), Niebl( Saaz ), gewählt worden war, erstattete Genoffe Abgeord Gerbrich( Braunau ), Lienert( Schmiede­neter Taub. ein ausführliches Neferat. Der berg), Bettt( Nendek), Denk( Kruman), Referent legte den Stand der Arbeitslosigkeit in Fidert( Neudek ), 2urianek( Asch), der Tschechoslowakei , insbesondere in den deut Gartner( Tachau ), Denk( Plan), Ne fahren Gebietsn dar und wandte sich dann befon- iedli( Schönlinde) und Nitschmann( Neu­ders der Ernährungsaktion zu, wobei er den In- titfchein), worauf Genosse Kremser noch die halt der einzelnen Erläffe eingehend barlegte und Bufammenfehung der Konferenz bekanntgab.

Namens_der Antragsprüfnugskommiffion schlug dann Genoffe Sakse eine Resolution vor, die wir nachstehend veröffentlichen und die nach einem Schlußwort des Genoffen Taub einstimmig angenommen wurde. Daraufhin konnte der Vorsitzende Genosse Katz die erfolgreich ver laufene Konferenz, welche eine große Fülle von Material zu Tage gefördert und einen tiefen Einblick in die Verwaltungspraxis gewährt hat, mit den Worten schließen, daß die sozialdemokratische Partei ent fchloffen ift, alle reaktionären Anschläge auf die Ar beitslosenfürsorge abzuwehren. Die Fürsorge für die Ar­beitslosen ist gerade im gegenwärtigen Moment nicht nur Menschenpflicht, fondern auch ein Stück Staatsverteidigung.

Die Entschließung:

Die am Sonntag, den 31. Jänner 1987 im gung3oeseves die Erledigung vieler Ange­Ingenieurhaus in Prag tagende Konferenz der Mit- legenheiten in einem außerordentlichen Wake ver­glieder der Bezirtssozialkommissionen stellt folgendes zögert und daß vielfach die Durchführung notwen feit: diger Maßnahmen unmöglich gemacht wird.

Die Arbeitslosigkeit weist im allgemeinen er­freulicherweise gegenüber dem Jahre 1935 eine sin­tende Tendenz auf. Immerhin muß aber festgestellt werden, daß in unserem Organisationsgebiete mit 31. Dezember 1936 noch immer eine Arbeitslosen zahl von 248.242 gemeldet wurde. Es darf nicht übersehen werden, daß die Arbeitslosigkeit in einzel­nen Gebieten schon durch sieben Jahre hindurch dauert und daß die lange Dauer der Arbeitslosigkeit einen außerordentlichen Not it and in den betroffenen Familien hervorruft.

Schwere Mängel

der Arbeitsbeschaffung

Troß diesen Erfahrungen war die Konferenz der einmütigen Auffassung, daß die Ver­trauensmänner der deutschen Arbeiterbewegung ihre verdienstvolle Tätigkeit als Anwälte der ärmiten

Krisenopfer in den Sozialkommissionen nicht auf=

Für Verbesserung der Richtlinien

Am Sonntag hat eine ernste Beratung fozialdemokratischer Vertrauensmänner stattge­funden, die sowohl bei den kompetenten Behörden als auch in der Oeffentlichkeit Beachtung finden sollte, weil sie tiefen Einblick in die eiden der Arbeitslosen gewährte, insbesondere in ihren Kampf um das bißchen

eben dürfen. Mit gleicher Einmütigteit erhob Nahrungsmittel, das ihnen der Staat in Form sie dagegen Protest, daß einzelne Bezirkssozial- von Ernährungskarten gewährt, welche ihnen tommissionen geradezu dem Diktat der Ver- jedoch unter hundert Vorwänden und Ausflüch= treter der Finansbürokratie unten vorenthalten werden. Gerade die de utiche terworfen werden oder nur zum Prellblock awvi- Oeffentlichkeit müßte dafür lebendiges schen den berechtigten Forderungen der Arbeitslosen und leidenschaftliches Interesse zeigen, weil auf und den oben charakterisierten unsozialen Erspa- die Sudetendeutschen ein unverhältnismäßig grö­rungsmaßnahmen verschiedener Behörden degradiert Berer Anteil der Arbeitslosen entfällt als auf die werden sollen. Tschechen. Während von der Bevölkerung Böh­ mens auf die Deutschen 32.72 Prozent entfallen, betrug der Anteil der deutschen Bezirke an der Arbeitslosigkeit im Dezember 1936 nicht weniger als 56.4 Prozent. Vom November bis Dezember des vergangenen Jahres stieg sogar der Anteil der deutschen Bezirke Böhmens an der Gesamtzaal der Arbeitslosen des Landes, und zwar von 54.3 auf 56.4 Prozent! Das ist der Beweis dafür, daß die Fürsorge für die Arbeitslosen weiter notwendig und daß alle Ursache Wir vertreten nach wie vor den Standpunkt. vorhanden ist, diejenigen, die zu Unrecht aus der Ernährungsaktion ausgeschlossen und so dem daß es Aufgabe der Regierung sein muß, der Arbeits­lofiakeit vor allem durch Arbeitsbeschaffung Hunger überliefert werden, zu schüßen und ihre zu steuern. Für jene Arbeitslosen, die vorläufig nich: Interessen in der Verivaltung mit allem Nach­in den Brobultionsprozeß aurüdgeführt werden fön- druck Geltung zu bringen. nen, muß die staatliche Sozialpolitik, aum mindeſten in einem Ausmaße forgen, welches ihren dringen benLebensbedarf sicherstellt.

Die Erfahrung hat gelehrt, daß die im Jahre 1988 ausgegebenen Nichtlinien für die vrattische Durchführung der Ernährungsaktion überholt find. Die lange Dauer der Krise macht es zur ge­bieterischen Notwendigkeit, daß die Richt Linien verbessert und dadurch den aegenwärtigen Verhältnissen an­epaßt werden.

Zuerst Arbeitsbeschaffung

Zwölf Forderungen:

müssen, sind die willkürlichen, dem Geist der Wei­Wogegen wir uns ganz besonders wenden sungen des Fürsorgeministeriums widersprechen­ben Ausscheidungen bedürftiger Menschen aus der Ernährungsaktion. Der Referent und die Debatteredner haben da Bei­piele angeführt, welche jeden sozial empfinden­den Menschen mit Empörung erfüllen müssen. Da wird eine arbeitslose Frau ausgeschieden, weil der - mit den Mann 100 monatlich verdient- 3 täglich sollen die beiden leben! Einem Familienerhalter, der vier Menschen zu ernäh= 3. Förderung der Errichtung neuer Industrien ren hat, wird der Anspruch auf die 20 abge­in ben Notgebieten.

Aus der Situation ergeben sich in Anlehnung an die gemeinsame Kundgebung der Spibentörper­schaften der deutschen Arbeiterbewegung vom 13. No vember 1986 unsere nachstehenden Forderungen: 1. Umfassende systematische und beschleunigte Exportförderung. Beſoitigung der Deviſenbeschrän. tungen.

2. Novellierung des Kartellgesetzes.

4. Außerordentliche Dotierung der produktiven Arbeitslosenfürsorge. Ermöglichung von Notstands­arbeiten durch erhöhte Zuwendungen an jene Selbst­verwaltungskörper, die aus Eigenem nachweisbar den auf fie entfallenen Lohnanteil nicht aufbringen fön­

nen.

sprochen, weil er eine Rente von 59 monatlich hat, ein anderer Mann wieder bekommt nichts, weil seine Frau 20 bis 30 wöchentlid, ver­dient, eine Frau wieder, die fünf Kinder hat, wird abgewiesen, weil der Mann eine Pension von 180 monatlich hat die Behörden glau ben wahrscheinlich, daß sieben Personen davon fürstlich leben können. Erwachsene Menschen be= kommen keine einzige Starte, weil der Vater als

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5. Zuführung außerordentlicher Mittel für den Die Folgen für den Staat Straßen- und Elettrifizierungsfonds, für Melio­Die außerordentlich ernsten wirtschaftlichen und rationen und Wafferleitungen und Verwendung die fozialen Verhältnisse in den Krifengebieten werden fer Mittel vor allem in den Notstandsgebieten. von politischer Seite in demagogischer Weise 6. Liberale Handhabung der sich in der bis- utscher 40 Wochenlohn hat. In Nordwest­ausgenüßt. Die traurige Lage der Arbeitslosen herigen praktischen Durchführung als hemmend aus. böhmen darf man nicht Kohlen flauben und einen fördert nicht nur die radikalen Strömungen in der wirkenden Bestimmungen des Staatsverteidigungs- Sack davon verkaufen weil man sonst für un­Innenpolitik, sondern sie wird auch dem Auslande gesetzes und Beschleunigung des Verfahrens. würdig erachtet wird, eine Zehntronenkarte zu gegenüber als Beweis für die völlig unzureichende 7. Berücksichtigung deutscher Bewerber in allen erhalten. In Podersam bezieht einer eine Sente Krisenbekämpfung in der Tschechoslowakei mißbraucht weigen der öffentlichen Verwaltung und in den von 85 monatlich, er hat mehrere Kinder. Hut und hat bereits dazu geführt, daß Ansland 8- Staatsbetrieben. Berücksichtigung der deutschen nichts, er bekommt nichts. Im Erzgebirge rer­hilfe angesprochen wird. Kriegsbeschädigten bei Vergabe von Trafiken. dient eine Arbeitslose durch Selöppeln zwei Kro­nen täglich, sie wird als so wohlhabend angese­

Unhaltbare Zustände

In der Ernährungsaktion

8. Parlamentarische Verhandlung des Antrages Sampl- Taub nach Einbeziehung aller über 65 Jahre alten bedürftigen Personen in das Ueber­altertengefeb.

s nicht für notwendig erachtet, Wir haben gern zur Kenntnis genommen, daß eine einzige armselige Ernährungskarte zu er­fich die Gesamtregierung nunmehr mit den Ursachen Besonders bei der Durchführung der Ernäh 9. Novellierung der Richtlinien, die vom Mini- halten. Im Böhmerwald geht jemand Pilze ber Arbeitslosigkeit und mit ihrer Linderung in er- rungsaktion häufen sich die Klagen über die fterium für soziale Fürsorge bezüglich der Ernäh- suchen, ihn trifft dasselbe Schicksal und in Schin­höhtem Maße beschäftigt. Das von den Deutschen be- mangelnde Berücksichtigung der tatsächlichen Not. rungsaktion ausgegeben wurden, insbesondere hin- delwald wird jemand mit der frechen Bemerkung wohnte Gebiet ist infolge seiner befonderen wirt- Wir anerkennen, daß einzelne politische Besichtlich der Jugendlichen, der sogenannten Saifon- abgewiesen. er würde schon Arbeit finden, wenn Ichaftlichen Struktur vor allem hart betroffen. Das airsbehörden für den Ernst der Situation Bertan arbeitet und der Famiſtenerhalter: In diefen nicht, er wollte. Ein Martyrium haben die Saison­Ausmaß der Arbeitslosigkeit wird durch die Natio- nis aufbringen, es muß aber andererseits festgestellt linien ist ben Behörden die Pflicht aufzuerlegen, arbeiter zu erdulden. Die Behörden haben nalisierung. durch die Auswüchse des Startelsystems. werden, daß viele politische Bezirksbehörden und vor auf die Höhe der Miete und der Lebenserhaltungs- das Bestreben, womöglich überhaupt alle Saison­durch die ungenügende Berücksichti- allem die böhmische Landesbehörde an den traurinen foften in einzelnen Gebieten, auf die Notlage der gung des von den Deutschen be Verhältnissen in den Notstandsgebieten achtlos vor- arbeitslosen Händler sowie der Heimarbeiter, auch arbeiter auszuschließen, was aber kein Grlaß vors wohnten Gebietes bei Vergebung übergehen, ohne auf die politischen Auswirkungen wenn fie formell felbständige Gewerbetreibende find, schreibt. Furchtbar ist auch das Schicksal der iu= bon Staatsaufträgen. dura die unges einer derartigen Haltung Bedacht zu nehmen. Bei Nüchficht zu nehmen. Im Zuge biefer Novellierung gendlichen Berfonen, die nicht in ber nügende Dotierung der einzelnen Messorts, so des einer ganzen Reihe vone Bezirken muß festgestellt fordern wir ferner: Einbeziehung erwerbslofer Lage sind, den Nachweis einer früheren drei­Ministeriums für soziale Fürsorge, des Ministeriums werden, daß die Anforderungen für die Ernährungs- Kleingewerbetreibender, die infolge der Kriſe ihr monatlichen Beschäftigung zu erbringen und die für öffentliche Arbeiten, des Ministeriums für Ge- attion niemals den tatsächlichen Bedürfnissen ange Gewerbe abmelden mußten und deren Lebensunter- bem körperlichen und moralischen Verderb ausge fundheitswesen und schließlich des Landwirtschafts- vaht find. In den meisten Fällen werden die von den halt gefährdet iſt, in die Ernährungsaktion. Anerten liefert werden. Man dente nur an die he im- ministeriums( 8. B. Förderung der Baubewegung. Bezirksbehörden schon restringierten Anforderungen nung des dreimonatlichen Arbeitsnachweiſes auch Straßenarbeiten. Durchführung von Meliorationen. oon den Landesbehörden in einem außerordentlichen vann, wenn unverschuldete Unterbrechungen vor. gelehrten Soldaten, die zwei Jahre ihre von Wasserleitungen, Wasserstraßen, Elektrifizies Make ae türat. Wir müssen überhaupt eine verliegen. staatsbürgerliche Pflicht erfüllt haben und daun rungsanlagen) und endlich. Die ooriia, unaufdicctuartige Zureauna cer 10. Fortfehung der außerordentlichen Unter- nicht einmal eine Ernährungskarte bekommen!

reidende eranaichung berbeut Richtlinien, die vom Ministerium für soziale ftübungsaktionen über das vorgesehene Zeitausmaft Im Saazer Bezirk will man nicht einmal die fen Bewerber bei efebung von Fürsorge ausgegeben wurden, konstatieren. Die Mit- hinaus in den vom Notstand ganz befonders hart be. Lehrlingszeit als Arbeitsbeschäftigung ansehen, Stellen im öffentlichen Dienste wirtung der Sozialkommissionen erfolgt nicht überall troffenen Gebieten. Ausdehnung dieser Aktionen auf womit sich der Jugendliche das Anrecht auf die und in Staatsbetrieben außer in dem. Make, wie es wünschenswert wäre. Die bie Gewerkschaftsmitglieder, welche nach Artikel I Unterstützung erwirbt, obzwar dies der Geiverbe­ordentlich verschärft. Die öffentliche Arbeitsbeschaf Arbeitervertroter in diefen Kommissionen machen oft- und II des Gefetes 1930/74 nicht mehr als 50 ordnung widerspricht. Wenn ein ausler cine fung wird vielfach in unverantwortlicher Weise burdi mals ein wahres Martyrium durch, wenn sie ange- wöchentlich besichen. bie schleppende Art der Erlebinunn der Eingaben fichts der gekürzten. Ruwe fungen vor der Unmöglich- 11. Errichtung von Landessoziaffonimiffionen. Halbverfallene Sütte fein Eigen nennt, stempelt gehemmt. Siezu tommt noch in letter, Reit der Um- teit fehen, nimt einmal die minima? ften Ansprüche 12. Erweiterung der Attionen bezüglich der ihn die Bezirksbehörde zum wohlhabenden Mann, stand, daß sich durch unsachgemäße Handhabung ein- der ordentlich remeldeten und a's bedürftig aner Heimstätten, der Arbeitslager und der vom Gefund der keinen Anspruch auf eine Ernährungstarte zelner Bestimmungen des Staatsverteidi attion niemals den tatsächlichen Bedürfnissen ange- heitsministerium eingeleiteten Genesungsaktion. hat. Hat ein industrieller Arbeitsloser das Unglück

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