Sozialdemokrat

Zentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik

Erscheint mit Ausnahme des Montag täglich früh/ Einzelpreis 70 Heller

Redaktion und Verwaltung: Prag XII., Fochova 62

17. Jahrgang

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Telephon 53077

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Herausgeber: Siegfried Taub - Verantwortlicher Redakteur: Karl Kern, Prag

Donnerstag, 17. Juni 1937

Aus dem Inhalt:

Kulturverband vor der Spaltung?

Lohnbewegung der Flakon­arbeiter im Isergebirge

Wie soll unsere Verwaltung beschaffen sein?

Blatnitzer Streik erfolgreich beendet

Die Arbeitslosigkeit im deutschen Gebiet

Nr. 141

Blum siegt nach dramatischem Kampf Blums Kammersieg

Finanzvollmachten mit 346 gegen 247 Stimmen von der Kammer genehmigt

Paris . Die Kammer hat am Mittwoch nach einer die ganze Nacht dauernden Sitzung, die von 22 Uhr bis 6 Uhr 15 Minuten früh dauerte, die zeitweilige Vollmacht der Regierung in Finanzangelegenheiten genehmigt. Die Rammer hat diese Vollmacht mit 346 gegen 247 Stimmen angenommen.

und nahm um 6.15 Uhr den Regierungsentwurf, betreffend die Vollmacht für die Regierung in dem bereits erivähnten Stimmenverhältnis von 346 gegen 247 Stimmen an.

Der französische Ministerpräsident Léon Blum , dessen großes staatsmännisches Können der Weltöffentlichkeit immer sichtbarer wird, hat einen neuerlichen Sieg erfochten. Der Ansturm der Rechten ist zusammengebrochen, den Kommu­nisten ist in letzter Minute vor ihrer Opposition bange geworden, die Kammer hat mit großer Mehrheit der Regierung die Ermächtigung zu jenen finanziellen Maßnahmen erteilt, welche Frankreichs Haushalt ins Gleichgewicht bringen Frankreich ist etwas später als Mitteleuropa Paris . Der Regierungsentwurf über die in den Wirbel der Krise hineingeraten, seine Wirt­Erteilung der kurzfristigen Vollmacht an die Ne- schaft hat dennoch schwer gelitten, seine Staats­gierung Blum, der Mittwoch früh nach einem einnahmen sind gesunken, das Defizit gestiegen. tiertenfammer angenommen wurde, kommt nun- Gebiet ebenso versagt wie auf außenpolitischem, dramatischen Verlauf in der französischen Depu- Die Regierung Laval hat auf staatsfinanziellem mehr in den Senat. Zahlreiche Senatoren aus die Politik der Deflation ist gescheitert. So hatte den Reihen der Radikalsozialisten stellten sich Blums Finanzminister Vincent Auriol eine gegen die Gewährung der Vollmacht, da sie eine schwere Erbschaft übernommen und muß nun, da Erhöhung der direkten und indirekten Steuern ein großer Teil des sozialpolitischen Programms Ein beträchtlicher Teil der radikalsozialistischen rung der französischen Staatsfinanzen schreiten. durch die Regierung nicht zulassen wollen. der Regierung Blum erfüllt ist, an die Sanie­Senatoren verweist jedoch darauf, daß der Aber gerade dem sozialdemokratischen Verwalter Senat, der der Blum- Regierung die Vollmachten des Staatsidjates Werben die ichen Berater ablehnen würde, sie den vorhergehenden Regie­rungen Doumergues, Lavals und Flandins ge­währt hat. Es scheint, daß der Finanzausschuß des Senats sich Zeit lassen will und der Ent­wurf erst am Freitag ins Plenum gelangen wird.

Die Kommunisten enthielten sich noch In der Nachtsizung unterwarfen die Füh- Vor der Entscheidung des Senats jollen. im Finanzausschuß der Kammer der Abstim- rer der Mitte, die gewesenen Minister Paul mung. Der Finanzausschuß, deffen Sitzung über Reyn and, Flandin und Chappe vier Stunden bis Mitternacht dauerte, nahm den delaine die Finanzpolitik und die Gebarung Regierungsentwurf mit 22 gegen 16 Stimmen der Regierung einer scharfen Kritik und lehnten an. Die fechs Kommunisten stimmten nicht mit. insgesamt ab, für die Vollmacht der Regierung Erst gegen Morgen, im letzten Augenblick, als zu stimmen. Der Haupt- Budgetberichterstatter, Ministerpräsident Léon Blum die Rednertribüne der Radikale Jammy Schmidt und nach ihm betrat, befchloffen die Kommunisten, für die Re- der Finanzminister A uri o I forderten die gierung zu stimmen. Der Vorsitzende der Regic- Kammer auf, in Gänze der Regierung das Ver­rung sprach vornehmlich über die politische Seite trauen zu befunden. Namentlich der Finanz­und Bedeutung der Finanzbebatte. Er appellierte minister betonte, es sei nothwendig, daß die Re­bringend an Treue und Glauben aller Bestand gierung Mittel zur Hand habe, den Franc schnell teile der Regierungs- Volksfront und insbeson- und wirksam verteidigen und die Spekulation dere an den lauen rechten Flügel der Radikal- bekämpfen zu können. Die Kammer lehnte fo­fozialisten und an die Kommunisten. dann die verschiedenen Abänderungsanträge ab

30° 5 cm- Mörser beschießen Bilbao

Dle Basken bereiten den Kampf in den Straßen vor Bilbao . Die Aufständischen beschießen waren Dienstag abends noch im Befih der Basken. derzeit die Wohnviertel und vor allem die Arbei- Auf die beiden Berge wird das Artilleriefeuer ber terviertel mit 30.5-3entimeter Mörfern. Die Aufständischen konzentriert. Die Pofitionen der Wirkung dieser Bombardierung ist so start, daß bastischen Truppen bort find auch beshalb sehr drei- und vierſtöckige Häufer von einem Bolltreffer wichtig, weil sie die Straße nach Santander be­vollkommen gespalten und zerstört werden. Gleich herrschen. zeitig liegt Bilbao unter einem schweren Luft­

bombardement, welches von Heinkels- und Jun­

Regierungsoffensive

an der Aragonfront Ma d r i d. Nach der Mitteilung des Ver­teidigungsministeriums hat die Offensive an der Aragon - Front am Mittwoch eingefeht. Die 16.

Division hat nach einem heftigen Trommelfeuer um 4 Uhr morgens mit motorisierten Abteilun­gen im Sturm bie feinblichen Stellingen in der Eremitage von

am Cal­paris in der Sierra Alcubierre erobert. Der

rigkeiten bereitet, weil seine Politik jener des Großtapitals entgegengesezt ist. In den letzten Monaten hat eine Kapitalflucht aus Frankreich eingesetzt, welche den Kapitalmarkt und die Wäh rung geschwächt hat und gegen welche die Regie­rung nunmehr vorgeht, weil dem Lande dadurch das Defizit zu beseitigen, plant Auriol die Eins an 40 Milliarden Francs entzogen wurden. Um führung indirekter, aber auch die Erhöhung direk­Commensteuer,

ter Steuern, insbesondere was eine stärkere Belastung der großen Einkom Kampf war außerordentlich heftig. Der Feind erhöhungen kann sich naturgemäß nicht sofort in mensträger bedeutet. Die Wirkung dieser Steuer­hat seine Stellungen schließlich vor dem Sturm- größeren Eingängen der Staatstasse äußern, wes­angriff räumen müssen und sehr schwere Ver­lufte erlitten. Dies ist um so auffälliger, als die wegen zur Deckung der augenblicklichen finanziel len Bedürfnisse des Staates Schatscheine ausges feindlichen Stellungen von einem Tankregiment geben werden, welche die Bank von Frankreich, auch die Kommandanten diefer Tankabteilung der Trésor sofort in der Lage sein wird, die not­wie es schon früher geschah, belehnen wird, so daß gefunden. Die Regierungstruppen machten viele wendigen Zahlungen für die Zivilverwaltung und die Staatsverteidigung zu leisten.

verteidigt wurden. Unter den Toten wurden

Gefangene und erbeuteten große Mengen von

riegsmaterial.

Sofort nach der Eroberung der Stellungen hat die Regierungsartillerie mit dem Feuer auf die rückwärtigen Pofitionen des Feindes einge feht. Die Offensive geht weiter.

fers- Flugzeugen durchgeführt wird. Die Zahl der Toten unter der Zivilbevölkerung ist überhaupr nicht abzuschätzen. Trotz dieser schweren Beschic= Bung wird die Näumung der Stadt von den Nicht­kombattanten in größter Ordnung und befchlen­nigt vorgenommen. Die wehrfähige männliche Be­völkerung, mit ihr aber eine große Anzahl von Frauen, die zurückblieben, find damit beschäftigt, jede Straße und jeden Häuserblock durch Barri- Ein ausländisches Urteil über die sudetendeutsche Sozialdemokratie kaben und Festungsbauten verteidigungsfähig zu machen.

Der Angriff der Rebellen stockt. Sie haben wiederholt versucht, den Fluß Nervion, an deffent linkem Ufer Bilbao liegt, zu überqueren, ihre An­griffe brachen aber im Feuer der Verteidiger zu­fammen. Ebenso ist es unrichtig, daß sie den Vor­ort von Bilbao Begona genommen hätten. Be­gona wurde zwar schwer umkämpft, war aber Mittwoch noch restlos in der Hand der baskischen Truppen.

Es steht fest, daß die Regierung und die Armee entschloffen find, iedes Haus und jede Straße zu verteidigen. Dieser Entschluß war auch durch die Flugblätter nicht wankend zu machen, die Franco über Bilbao abwerfen ließ und die den turzen Text tragen: Rapituliert, oder euch droht Tod und Zerstörung!!" Die Vernichtung der Stadt hat durch die Befchießung mit schweren Mörsern eingefeht.

Plencia. Der Havas- Berichterstatter teilt mit, daß italienische Truppen Plencia befeht haben und gegen den Fluß Nervion vorgedrungen find. Die Basken hätten, an dieser Stelle keinen Wider­stand geleistet. Die Italiener rücken 1 gegen Las Aranas vor, was ihnen dadurch erleichtert wird, haß die bastischen Truppen wegen der Gefahr, von Bilbao abgeschnitten zu werden, über den Nervion zurüd müffen.

An den Abhängen der Berge San Domingo und Arachanda leiften die bastischen Truppen er­bitterten Widerstand. Sie haben sich in diesem Ge­biet eingegraben und die Angriffe Francos abge­wehrt. Der Havas Berichterstatter fonnte vom San Domingo aus feftstellen, daß die Aufständi­schen von den alten Vierteln Bilbaos und der Lehr­anstalt in Deusto, bie etwas nördlicher liegt, etwa zwei Kilometer entfernt find. Begona und Deusto

Louis Lévy über unsere Partei:

Artikel zunächst

bak

find es die deutschen Sozialdemokraten, die alle Schwere des Widerstandes auf sich genommen haben.

ich habe da Menschen angetroffen, die durch ihre Kaltblütigkeit, durch ihren besonnenen Mut und durch ihre Berachtung jeder Ruhmredigkeit dem Sozialismus und der Menschlichkeit größte Ehre machen.

teine Tangen parlamentarischen Verhandlungen, Die Verfügungen der Regierung vertragen weil diese gerade von den kapitalistischen Kreisen, die zur Regierung in Opposition stehen, zu Spe­fulationen ausgenützt werden und so das Werk der Regierung gefährden könnten. Deswegen haben Blum und sein Finanzminister eine Er­mächtigung verlangt, auf dem Wege von Dekre ten die Maßregeln zu treffen, die zur Wieder­aufrichtung der öffentlichen Finanzen wie zum Schuß des Sparkapitals, der Währung und des Staatstredits notwendig sind". Es handelt sich

also um ein finanzpolitisches Ermächtigungsgesetz, durch welches der Regierung ungewöhnliche Voll­machten erteilt werden. Die Annahme eines der­artigen Gesetzes bedeutet ein. parlamentarisches Vertrauensvotum par excellence, die Abstimmung war eine politische Tatsache von großer Trag­meite.

Gelegenheit gerne gestürzt, aber dieser Plan Die große Bourgeoisie hätte Blum bei der wäre, ganz belanglos gewesen, wenn nicht die Kommunisten plößlich in den Reihen der Blum­Gegner aufgetaucht wären und der Regierung mit Stimmenenthaltung gedroht hätten. Aber der Ministerpräsident hat sich da den Kommunisten gegenüber ebenso würdig benommen, wie er seis nen politischen Gegnern von der Rechten tapfer gegenübergetreten ist. Er. hat sich auf die Dema gogie der Kommunisten, die sich den Massen gegenüber als die Unentwegten aufspielen woll­ten, nicht eingelassen und erklärt, er trete zurüd,

,, Volle Dankbarkeit den deutschen Sozialdemokraten in der CSR " Louis Lévy, der bekanntlich als Delegierter der Sudetendeutschen Partei getarnt haben( unter der franzöfifchen fozialistischen Partei an dem der Leitung eines Beauftragten Hitlers , des che­Parteitag der tschechischen Sozialdemokraten in maligen Turnlehrers Konrad Henlein) Brag teilgenommen und nachher auch eine kurze Reise ins fudetendeutsche Gebiet unternommen hatte, beschäftigt sich in der Nummer des Popu laire" vom 15. Juni in einem sehr ausführlichen. Ich habe sie an der Arbeit gesehen und ich bin brücken, die er auf iene ausgezeichneten Ein­babon jetzt noch begeistert. 3wei Tage lang Barteitag erhielt und mit ben von der tschechischen Sozialdemokratie habe ich mit einigen von ihnen die grünen Täler vorbildlich durchgeführten Aufgaben in der Ver- des Erzgebirges durchstreift. Ich habe mich in teidigung der Demokratie in der Tschechoslowakei . ihren Organisationen und Arbeiterheimen umge­fchen. Und In diesem Zusammenhang stellt er den tschechischen. Sozialdemokraten das ehrende Zeugnis aus, ihre leibenschaftliche Gegnerschaft gegen Hitler­Deutschland fie nicht etwa zu einer schiefen Stel­lung gegenüber ben Deutschen in ber Tschechoslowakischen Republik ver­führt, deren fchwierige Situation die Gewiß, das sind große Worte, die sich sonst tfchechischen Genoffen vielmehr sehr in meinem Wortschat faum finden. Tatsächlich wenn nicht alle Parteien der Boltsfront bei der gut begreifen. Und das Band zwi liebe ich es nicht, solche Worte zu mißbrauchen, Abstimmung für die Regierung stimmen werden. fchen der tschechischen und deutschen und wende sie nur auf Leute an, die ihrer würdig Unter diesem Drud gaben die Kommunisten nach, Bartei" fo fchreibt Lévy, wird jeden sind. Und wahrhaftig, diejenigen, denen es da denn die Sowjetunion kann einen Sturz Blum3 Tag enger." Sobann wibmet er, da er fich an den Grenzen Preußens, Sachfens und Bayerns , gerade jeßt nach den Hinrichtungen der Gene­schon in einem früheren Artikel mit dem tschechi trob unglücklicher wirtschaftlicher Bedingungen, nicht brauchen. fchen Barteitag befchäftigt hat, den Neft diefes gelungen ist, den Sozialismus hochzuhalten, find Der Sieg der Regierung Blums hat nicht feines bieswöchigen Auffages einer Betrachtung dieses Lobes würdig, um so mehr, als es ihnen nur für Frankreich Bedeutung, sondern weit der Lage der Subetendeutschen und unserer Partei: fogar glüdt, borwärts zu schreiten. über seine Grenzen hinaus. Keine französische Es gibt in der Tschechoslowakei nur drei- Regierung seit Versailles hat ein so enges Vers " Alles in allem ist es die deutsche fozialeinhalb millionen Deutsche . Die DSAP umfaßt hältnis zu England herbeizuführen vermocht wie demokratische Partei in der Tschechoslowakei der 70.000 Mitglieder; die Freien Gewerbschaften die des Führers der französischen Sozialdemo die Aufgabe zugefallen ist, hier den demokratischen etwa 250.000. Bei den Maiwahlen 1995- erstratie. Das einvernehmliche politische Vorgehen Vormarsch gegen den Hitlerismus zu führen. hielt Henlein 1,250.000 Stimmen( 60 Prozent), Englands und Frankreichs ist aber eine der stärk­Seitdem im Jahre 1934 die nationalsozialistischen sten Stüßen der Demokratie, des Friedens und Organisationen aufgelöst worden b und sich in der Aufrechterhaltung unserer Zivilisation. N

( Fortfehung auf Seite 2);

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