Sozialdemokrat

8entralorgan der Deutschen   sozialdemokratischen Arbeiterpartet in der Tschechoslowakischen Republik

Erscheint mit Ausnahme bes Montag täglich früh Einzelpreis 70 eller

Redaktion und Verwaltung: Prag   XII., Fochova 62

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Telephon 53077

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17. Jahrgang

Serausgeber: Siegfried Taub- Berantwortlicher Rebatteur: Rarl Rern, Prag  Sonntag, 19. September 1937

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Aus dem Inhalt:

Ein Kranz der deutschen Sozialdemokratie

Warnung Delbos

an Rom   und Berlin

Roosevelt

gegen die Diktatur Tauziehen in der SdP Fabrikarbeiter- Verbandstag in Bodenbach  

Aenderungen

in der Urania- Leitung

Nr. 221

Ein Volk in Trauer Gewissen und Tat

Hunderttausende ziehen an der Bahre vorbei

Bra g. Ungeheuere Menschenmassen strömten seit dem frühen Morgen des Samstag von allen Seiten zur Prager Burg  , um sich vor T. G. Masaryk ein letztesmal in Ehrfurcht zu ver­neigen. Der Zustrom von Menschen übertraf alle noch so hoch gegriffenen Schäßungen und ver­stärkte sich im Laufe der Abend- und Nachtstunden noch immer mehr. Man schäkt, daß von 9 Uhr früh bis Mitternacht etwa 100.000 Personen in vollster Disziplin die Bahre passiert haben.

Schließlich mußten die Neuhinzukommenden bis zum Prager   Stadion hinausgehen, erft dort fonnten fie fich in den kilometerlangen Zug der geduldig Wartanden einreihen. Der Weg von dort bis zur Bahre Masaryks dauerte in den Abendstunden bereits fünf Stunden. Um Mit­ternacht war noch immer fein Abflauen des unabsehbaren Stromes zu bemerken. So ehrt ein freies Bolt seinen größten Toten!

( E. B.) Samstag um neun Uhr früh wurde( In den Mittagsstunden erschien eine Deles der Säulensaal der Prager Burg  ( Plečnik- gation der Hauptstadt mit Primator Dr. Bentl Saal), der sich im Parterre des Trattes zwischen an der Spize, um sich vor den sterblichen Ueber­dem ersten und zweiten Burghof befindet und resten Masaryts zu verneigen. Es waren erschies wo Altpräsident. G. Masaryt aufgebahrt ist, nen die Mitglieder des Stadtrates, der Bentral­dem Publitum geöffnet. Der Saal bleibt durch vertretung des Prager   Rathauses, alle Bürger­drei Tage und atvei Nächte ununterbrochen zu meister der einzelnen Prager   Gemeinden mit den gänglich. Am Abend vor der Beerdigung, Mon- Mitgliedern der Ortsausschüsse, Vertreter der Be­tag um 16 Uhr, wird der Zutritt gesperrt. Sarg amtenschaft und der Angestellten der Gemeinde und Katafalt find in eine große Staatsflagge ein- Prag  . Besonders lang war die Reihe der Ange­gehüllt. Neben ihm steht eine militärische Ehren- stellten der Elektrischen Unternehmungen. Die wache, ergänzt durch eine Ehrenwache der Legios Delegation der Stadt legte einen großen Kranz näre, des Sokol, der Arbeiterturner, des katholi- nieder. schen Turnvereins Orel und der Metallarbeiter. Die Ehrentvachen werden halbstündig abgelöst.

Um 21 Uhr abends hat der Strom der Menschenmassen, die sich von dem Präsidents

lich vor weiteren Reifen nach Prag   und empfeh­len benen, die das Andenken T. G. Masaryks ehren wollen, in ihren Gemeinden am Tage der Beifetzung Trauerfeiern für den ersten Präsiden­ten unferes Staates zu veranstalten.

Delegation der Stadt Paris  eingetroffen

Masaryks Bedeutung als Philosoph und Gelehrter

Ein deutscher Gelehrter hat einmal das Wort von den Machtphilosophen und den Wahr­heitsphilosophen geprägt. Während jene dura epochemachende Entdeckungen von neuen Syste men und Worten das Denken ihrer Zeit mächtig beeinflussen, aber die Erkenntnis wenig weiter bringen, schaffen die andern, die Wahrheitssucher, im Stillen und ohne nachhaltige Wirkung auf die Masse, aber sie helfen durch ihre Arbeit der menschlichen Erkenntnis ein Stück weiter. Gehö ren die Kant, Fichte, Hegel, Schopenhauer  , Nietzsche zu jener Gruppe, so die vielen, ganz oder halb vergessenen Schulphilosophen zu der atveiten.

Samstag um 18 Uhr 25 ist die Delegation der Stadt Paris   zum Begräbnis T. G. Masaryks mit dem Pariſer   Schnellzug in Prag   eingetroffen. Es würde schwer fallen, Masaryk   in eine der Mit dem Vorsitzenden des Pariser Munizipalra beiden Gruppen einzureihen und wir wollen da­tes René Failliot trafen die Mitglieder des mit zeigen, daß es überhaupt sehr schwer ist, zu Munizipalrates Tor chaussé und Lanotte dem Gelehrten und Philosophen Masaryk   vom ein. Die Pariser   Gäste wurden im Salon des Wil- deutschen Standort aus in ein richtiges Verhält fonbahnhofes vom Primator Dr. Zenkt begrüßt. nis zu kommen, ihn gerecht und voll zu würdigen. Nach der Begrüßung fuhren. die Gäste ins Hotel Masaryk hat kein neues philosophisches System Alcron. geschaffen, das sich den großen Lehrgebäuden der Philosophie an die Seite stellen ließe, das um wälzende Bedeutung erlangt hätte, ein Ereis Der Präsident der Französischen Republik nis" gewesen wäre. Die Schriften, Reden, Taten, Lebrun wird auf dem Begräbnis des Präsidenten die Masaryk berühmt gemacht haben, knüpfen an Majarht von einem Mitglied der Militärkanzlei Tagesereignisse an, oft an Erscheinungen und des Präsidenten Lebrun und vom Kapitän der Schicksale, die der Masse der Zeitgenossen höchst Kriegsmarine   Kranz vertreten, dessen Nang unwichtig erschienen, wie das Geschick des Juden dem eines Obersten der Infanterie gleichkommt. Hilsner, die Frage der Handschriften, der Fried Die französische   Delegation, welche an dem jung- Prozeß u. a. m. Man müßte Masaryk   also wird, verlagt Sonntag eher Mafaryta teilnehmen Getriebes stehenden Forschern zu

Ankunft Blums Montag abends

fucher zu stauen, die dem ersten Präsidenten Befreier verabschieden wollen, an Stärke noch Leichenbegängnis um Mitternacht Paris und uns beitssuchern, den stillen Arbeitern

Bereits um sieben Uhr morgens begannen ſich auf dem großen Plak vor der Burg die Bes Stepublik die letzte Ehre erweisen wollten. Als um

neun

Der

in Uhr früh der Schloßhof geöffnet wurde, ftand die in Bierreihen formierte Menge bereits bis weit hinter dem Strahover Kloster angestellt, ständig verstärkt durch massenhaften Zustrom aus ber Stadt, der sich von Stunde zu Stunde stei­gerte. Der Zugang zu der Schloßrampe war ge­sperrt und die Zuzügler mußten vom Pohořelec an entlang der Straße zum Weißen Berg aufs schließen. Es muß bemerkt werden, daß die Massen musterhafte Disziplin hielten, wodurch die schwere Aufgabe der Polizei, die zunächst mit der Formierung der Marschkolonne vor der

im mindeſten nachgelassen und aus dem Duntel tauchen immer neue und neue Menschen­schlangen auf. Und immer wieder treffen neue Delegationen ein, die Kränze bringen. Auch die bei festlichen Anlässen benüßte Stiege im Mats thias- Tor ist schon mit Kränzen überfüllt und die Veranstalter suchen einen Platz für neue Kränze. Die Menschenmassen, die bis beim Stadion stehen, strömen in voller Stille durch die Burg weiter. Und wer durch die Nerudova herabstieg, traf neue Menschenmassen. Er traf sie auf der Karlsbrüde und alle hatten das gleiche Ziel die Burg.

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Burg voll beschäftigt war, sehr erleichtert wurde. Prag   überfüllt

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Amtliche Warnung vor weiterem Zuzug

wird Montag um 21.30 Uhr in Prag   eintreffen. zählen, wollte man bei der typisch deutſchen Ein­teilung der Philosophen bleiben. Aber der Wahr. Bisher 121 Auslandsjournalisten heitssucher Masaryk, der Philosoph, Logiker, Fors scher Masarht unterscheidet sich von seinen deut angemeldet schen Fach- und Schulgenossen aus der Gefolg Im Außenministerium meldeten sich bisher schaft Franz Brentanos eben dadurch, daß sein 121 Journalisten aus allen europäischen   und Sa.mpf um die Wahrheit niemals eine Ueberfee- Staaten zur Teilnahme an dem Berein wissenschaftliche Arbeit im Stillen war, son­gräbnis des Präsident- Befreiers. Im Außen- dern stets unmittelbare geschichts bil. ministerium fand sich der Presse- Attaché der jugo- dende Kraft. slavischen Gesandtschaft, Ing. Mareš, ein, um Masaryk   stellt einen Gelehrtentypus dar, fein Beileid zum Ableben des Präsident- Befreiers den wir unter den Deutschen   seit langem nidit auszusprechen.

mehr fennen. Es ist kein Zufail, daß der große Tscheche unter den deutschen Meistern keinen so Auf dem Platz vor der Burg wurde eine fünf­Ueber 8000 Belleldstelegramme sehr schäßt wie Leibniz  , der für das deutsche fache Schlangenlinie formiert, wodurch ein gleichs Die Zahl der Beileidstelegramme, die an- Geistesleben selbst eine ferne Erinnerung, aber mäßiges Abströmen der nach vielen Behntausen­Prag. Das Tschechoslowakische Preffebüro läßlich des Todes T. G. Masarhts aus dem Aus- teine lebendige Straft mehr ist. Wahrscheinlich den zählenden Massen erreicht werden konnte und meldet: Der Zustrom der Bevölkerung aus der lande und aus der Republik   in Prag   eintrafen, war Leibniz   tatsächlich der lezte große Typus die Kolonnen in Bewegung erhalten wurden, so ganzen Republik   nach Prag   wächst mit jeder überschritt bereits die Zahl von 8000. Ihre Ab eines deutschen Philosophen, an dem Masaryk   ge­daß ein ermüdendes Stillſtehen unterblieb und Stunde, und zwar in einem solchen Maße, daß fender find Freunde der Familie Masaryk  , aus- messen werden kann. Seither hat die deutsche die ständig in Maſſen eintreffenden neuen Teil- es bereits heute zweifelhaft ist, ob die große ländische Staatsoberhäupter, tschechoslowatische Philosophie sich zur Hälfte zur reinen Schul­nehmer glatt anschließen konnten. Mehrzahl diefer Besucher Gelegenheit haben wird, Staats- und Selbstverwaltungsbehörden, Schus philosophie, zu abseitiger Gelehrsamkeit, Zünfte­Der beispiellose Massenbeden Trauerzug des Präsidenten Mafaryt verfollen, Vereine usw. und auch sehr viele Einzel- lei und oft Fachsimpelei entwickelt, zur andern fuch, der gleich am ersten Tage der Ausstellung gen zu können. Wir warnen daher nachdrück- personen.

des Sarges, einem gewöhnlichen Arbeitstag, zu verzeichnen war, läßt erwarten, daß die Zahl der Besucher in diesen drei Tagen in die vielen Sun­derttausende gehen wird, zumal ständig stärkster Bustrom aus der Provinz gemeldet wird und die Beförderungsmittel die ungeheure Frequenz nur| mit größter Anstrengung bewältigen können.

Unter der Menge derer, die am Sarge Masaryks defilierten, waren alle Altersklassen und Berufsstände vertreten. Greise und Schuljugend, Arbeiter und Bauern, Angestellte, Beamte und Militärpersonen, Städter und Landbewohner. Nach offizieller Feststellung passierten den Trauer­faal in den Mittagsstunden

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burchschnittlich hundert Leute in der Minute. Beim Betreten des mit schwarzem Baldachin überdachten Burghofes verstummte auch das leiseste Gespräch. In ehrfürchtiger Stille defilter­ten die Massen vor dem Sarge Masaryks. Hie und da wird ein Aufschluchzen hörbar und in vielen Augen stehen Tränen.

Ge fommen auch zahlreiche Delegationen von Vereinen, Korporationen und Organisation nen. Sie tragen sich in die Kondolenzbögen ein. Viele dieser Delegationen sind uniformiert. Ima mer neue Kränze werden auf die Burg gebracht und herbeigeführt, einige von riesigen Ausmaßen. Ste füllen zwei Stockwerte der Galerien des Plečnit- Saules und den ganzen Borsaal der Res präsentationsräume der Burg. Im Trauersaale selbst ist bald ein Blab mehr für sie vor handen.

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Die Aufbahrung des Toten auf der Prager Burg  

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Hälfte zu jener Machtphilosophie der großzen spekulativen Systeme, die seit Kant und bis Nieksche die Welt verblüfften, aber dem unnuit telbaren Leben wenig gaben.

Masaryk   war der große Polyhistor bereuropäischen Welt, ein allicitig gebildeter, viel erfahrener, zu selbständigem llr­

teil auf den verschiedensten Gebieten des il­

befähigter Denter. Mehr Soziologe

soph verstand er doch auch die Soziologie wieder nicht in dem engen Sinne einer begrenzten Schuls  disziplin, den ihr die deutschen Professoren sehr bald gaben, sondern wie Auguste Comte  , dec große französische   Begründer der modernen So­ziologie, als die umfassende Wissenschaft vom gesellschaftlichen Leben. Man kann in solchem Sinne freilich nur dann Philosophie und Sozios logie betreiben, wenn man, wie es Masarnt von Jugend auf tat, mit einem wahren Heißhunger nach Wissen, mit zähem Fleiß, allseitigem In­tereffe um Erkenntnis ringt, mit offenen Augen durch die Welt geht, über alles nachdenkt, mas einem in den Weg kommt, jeder Erscheinung auf den Grund zu kommen sucht. Masaryk   las und sprach ein halbes Dußend Sprachen, er schrieb in einigen Sprachen, er hatte zahllose Länder be reift, er war in den Naturwissenschaften ebenso daheim wie in den humanistischen Disziplinen, er berfolgte die literarischen Zeiterscheinungen syste matisch und mit brennendem Interesse. Eine Antwort, wie sie deutsche Professoren privat und öffentlich auf die Frage nach ihrer Lektüre oder ihrem Urteil über irgendeine literarische Erschei nung sehr oft geben: ich hatte teine Beit etivas außerhalb meines Fachgebietes Liegendes zu