Sozialdemokrat

Sentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik Erscheint mit Ausnahme des Montag täglich früh/ Einzelpreis 70 Heller

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Redaktion und Verwaltung: Prag XII., Fochova 62- Telephon 53077 Herausgeber: Siegfried Taub . Berantwortlicher Redakteur: Karl Kern, Prag

Aus dem Inhalt:

Neue Verhandlungen mit Rom

,, Strafexpedition"

italienischer Seekadetten in Tunis

Angelsächsische Proteste in Tokio Sammlung

der SPD - Emigration Autobus mit Trauergästen verunglückt

17. Jahrgang

Mittwoch, 22. September 1937

Abschied und letzte Fahrt

Nr. 223

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Neben dem Tag des großen Schmerzes und Größten, der unter uns wandelte, hüten und auf der Lafette noch einmal durch die geliebte fühle Herbstwind weniger fühlbar. Schweigend der maßlosen Erschütterung, da die Kunde von mehren. Stadt, noch einmal, dieser Freund, Künder und standen die Trauergäste zu Hunderttausenden und Thomas Garrigue Masaryks lettem Herzschlag Die starken, gläubigen und hoffnungs- Mehrer des Lichts, unter strahlender Sonne lauschten den Reden und Gesängen aus dem und letztem Atemzug durch die späte Nacht und vollen Worte, die der Präsident der Republik an über den Strom der Libussa , über den Strom Radio. Wenn die Sendungen unterbrochen wur den, hörte man fast nur das Knattern der Fah­den grauenden Morgen lief, neben dem schweren der Bahre Masaryks fand, die würdige Traner Smetanas gefahren, che er in den Schoß der 14. September 1937, wird dieser andere Tag, der millionenköpfigen Menge in den Straßen böhmischen Erde gesenkt wird, wo seine Gebeine in verhältnismäßin wenigen Fällen einzugreifen, nen, die der Wind bewegte. Die Samariter hatten der Tag der Verklärung, des feierlichen Ab- der Hauptstadt und der anderen, die es im gan- in Frieden schlafen mögen, eine Weihestätte und die Polizei auf der sieben Kilometer langen schieds, des triumphalen letzten Geleites, der von zen Lande miterlebten, der respektvolle Gruß der ein Mahnzeichen gegenwärtiger und künftiger Strecke fast überhaupt nicht. Der Prager Orts­Sonnenglanz und Glockengeläute, tränenheißen gesitteten Welt, der Masaryks letter Fahrt Geschlechter. Sein Geist aber, das Unsterbliche dienst des Rundfunks, der eigens zur Dirigierung Trenschwüren und großer Hoffnung erfüllte folgte, sie sollen der Auftakt sein zu dem, was an diesem Meisterwerk der geheimnisvollen der Polizei eingerichtet war, trat überhaupt nicht 21. September, im Gedächtnis der Zeitgenossen einzig im Sinne des Berstorbenen liegt: zu Schöpfung, wird unter uns leben, über uns in Funktion. So haben die Maſſen durch ihre weiterleben und nach vielen Jahrzehnten noch, Arbeit und Kampf für den menschlichen Fort - strahlen, möge uns seguen immerdar mit jener demokratische Disziplin ihren großen demokratis wenn die Kinder von heute Greise geworden schritt, für den Frieden, für die Gerechtigkeit. leuchtenden Fülle, mit der heute die Sonne von schen Erzieher geehrt. find, als lebendiges Bild vor den Augen der Schlicht hat Mafarht gelebt, schlicht ist er, Böhmen mütterlich den größten Sohn des Lan­lauschenden Enkel erstehen. Als hätten himm- cin Soldat, gehüllt in das dreifarbige Banner, des zum Abschied geküßt hat! Die Trauerfeier lische Gewalten die erhabene Regie des großen irdischen Schauspiels begriffen, hat die Natur auf dem Hradschin jedem der beiden Tage, zwischen denen Prüfung, Besinnung, Gewissenserforschung und Erman­nung ganzer Bölker liegen, feine Szenerie geftellt.

Trister Herbststurm peitschte den Regen über Böhmens Berge und fegte weit ins Star­pathenland hinein, als T. G. Masaryk von uns ging. In schweigender Nacht hörte ein unendlich großes Herz zu schlagen auf und Abermillionen Herzen standen eines Augenblids Länge still vor Schmerz und Ergriffenheit, mit einemmal das Gleichnis erfassend, daß mit diesem Auge eine Sonne erstarb, ein Licht e erlosch, die uns nicht mehr leuchten sollen, so lange noch unser Dasein währt.

Ein azurener Himmel wölbte sich über der töniglichen Stadt am Moldaustrom, Sonne war ausgegossen über das Land und stand in Mit­tagshöhe, als der Schüler und Erbe des Toten seine Rebe geendet hatte und die schmucklose Lafette mit dem Sarge des Vaters der Nation aus dem Burgtor rollte zur letzten Fahrt durch die Stadt, durch das Spalier der Hunderttau­sende. Es war ein wahrhaft goldenes Prag , Tenchtend in der Majestät seiner begnadeten Schönheit und geheimnisvollen, steingewordenen Tradition, das der letzten Fahrt des einzigen Mannes als Kulisse aufgebaut war. Und es war, als wolle die Natur die Harmonie wiederher­stellen, die durch den Griff des Todes in das wundervolle und unvergleichliche Uhrwerk der Persönlichkeit Masaryks gestört worden war, als wolle sie dem Prinzip anm Redhte verhelfen, das der Dahingegangene nicht nur gelehrt, fon­bern gelebt hat, das Prinzip eben der Harmonie,

21. IX. 37.

Auf dem ersten Burghof nahm der Präsident der Republik Dr. Beneš Abschied Masaryk( links die Angehörigen des Präsidenten Masaryk ).

des reinen Werkes, der ſteten Arbeit, bes ſtillen Von der Nacht zum Morgen

Dienstes an der Welt und der Menschheit.

Der erste Burghof am Grabſchin, wo die Trauerzeremonie ihren Anfang nahm, war in einen großen Trauersaal umgewandelt worden. Ein Riesenbaldachin, von schwarzem Tuch um spannt, wölbt sich über der Stelle, wo bei Beginn Begräbniſſes ruhen witt. Garg

und rechts sind wie in einer Kirche zwei Seiten­schiffe, ebenso schwarz überspannt wie der ganze Boden des Burghofes. In dem linken Seitenschiff versammeln sich seit 9 Uhr die Abordnungen der fremden Staaten, die in Prag beglaubigten Ge­sandten und die Militärattachés, darunter Léon Blum , dann der Vertreter des Königs von England, die Ministerpräsidenten Tata rescu und Stojadinovič und viele an­dere, auf der rechten Seite sieht man die Mit­glieder der Regierung, die Präsidien der beiden Häuser der Nationalversammlung, dahinter die Abgeordneten und Senatoren. Um 9.30 Uhr ers flingen alle Glocken des Veitsdomes dumpf unɔ schwer, einen Augenblick hört man das helle Glockenspiel von der Lorettokirche her. Schlag 10 Uhr tragen sechs Generäle den Sarg mit den Ueberresten des Verstorbenen in den Burghof. Der Sarg ist bedeckt mit der Staatsfahne, vor dem Sarg wird der Kranz des Präsidenten der Republit aufgestellt, die ganze Mitte des Burg­hofes ist mit Kränzen und Blumen bedeckt. Hin­ter dem Sarg schreiten die Kinder und übrigen Angehörigen des verewigten Präsidenten, die, vom Gingang gesehen, links vom Sarg stehen, wäh rend sich rechts der Präsident der Republik Dr. Eduard Beneš aufstellt. In dem Augenblick, da der Sarg auf den Katafalt gestellt wird. erheot sich die ganze Versammlung, die Soldaten falus vontieren, die Bivilisten entblößen ihr Haupt und es ertönen Trauerfanfaren, von der Tschechischen Philharmonie gespielt. Ein starker Wind läßt die Fahnen und Flaggen aufflattern und der über dem Trauertor aufgezogene Valdachin erzittert unter den Windstößen. Knapp nach 10 Uhr ers

Schweres ist uns angetan, Unerfebliches ist In der Nacht vor dem Begräbnis Majarhts chen wurde, die sich in die Quartiere begaben. greift der Präsident der Republik das Wort und uns geranbt worden. Ein Leben, tener nicht nur bot die Hauptstadt Prag einen eigentümlichen An- Graßes Intereffe erregte eine Abteilung te puhält mit fefter Stimme, die auf dem ganzen Vlak blid. Man begegnete in den Straßen, die der B.Litanische. Wehr, die in den Abendstuns deutlich zu vernehmen ist. seinem Lebrer, Vor­einer Nation, sondern allem, was in dieser Trauerzug au passieren hatte, vielen Hunderten, den durch die Hauptstraßen marschierte. Gespen- gänger und Freund den Nachruf. Es ist Inapp Welt noch an die alten Werte der Menschheit bie, um sich einen guten Platz zu sichern, die ſich wehten im Scheine der Feuer die Trauer- 10 Uhr 30 als Dr. Beneš seine Trauerrede glaubt, ist erloschen, ein Mensch, der feinesglei Nacht im Freien verbrachten. Sie lehnten, um fannen auf den Pläßen und an den Häusern, die schließt. Gegen Schluß der Rede des Präsiden chen in diesem Jahrhundert nicht hat, ist durch sich ein wenig auszuruhen, an den Lichtmasten und Gaststätten waren voll besezt von Menschen, die ten hatte der Wind an Stärte zugenommen and die ewigen Gebrechen alles Irdischen, durch an den Masten der Straßenbahn, an den Tele- teine Nächtigungsgelegenheit gefunden hatten. rüttelt an den Dekorationen des Trauertores. Alter, Krankheit, Leiden zermürbt und zerstört phonhäuschen und Häuserwänden. Manche hatten Glüdlicherweise hatte die ausgegebene Warnung Nachdem der Präsident geschlossen hat, trägt die worden. Aber wir dürfen tros diesem Verlust fich Klappseffel mitgebracht, ganz besonders Bore por weiterem Zuzug nach Prag gewirkt; die Stadt Gesangsvereinigung der Prager Lehrer erst den und obschon wir als Staat und als Nationen die- fichtige auch einfache Feldbetten, viele hüllten sich hätte sonst die Menschenmengen nicht faffen tön- Wenzelschor, dann den Hussitischen Choral Die Man fah den Wattenden die Ermüdung Ihr Gottes Kämpfer seid" vor. Als der Gesang ses Staates, ja auch als Europäer, als Demokra- in Decken und schliefen auf der bloßenErde, immer nen.

ten und als Glindige der Humanitätslehre des wieder geweckt durch die empfindliche nächtliche an. Viele waren am Nachmittag stundenlang an- verklungen ist, leistet die Burgwache die Ehren­Stühle. Viele hatten sich um die griechischen Feuer gestellt gewesen, um dem Altpräsidenten auf der bezeugung, die sechs Generäle, die den Sarg ge­Tuten, Größeres nicht mehr zu verlieren, Schwe- auf den Kenotaphen gestellt, um sich zu wärmen. Burg die lekte Ehre zu eriveljen, viele waren zu bracht haben, heben ihn vom Katafalk vor dem reres nicht mehr zu ertragen haben als diefen oder sie hatten sich Spirituslocher mitgebracht. So Buß gekommen und zu arm, sich im Gasthaus zu Trauertor und tragen ihn auf den zweiten Burg­Tod, wir dürfen tros alledem nicht in der Verfah man Männer, Frauen und Kinder warten. berpflegen. Aber sie harrten geduldig und still hof, wo der Sarg auf die vorbereitete Gefchüß­gangenheit und der Trauer aufgehen, sondern überall war tiefe Stille, die nur manchmal vom aus und begrüßten freudig den aufgehenden Tag. lafette gelegt wird. Die Mitglieder der Familie unsere Kraft daraufeßen, daß wir das Erbe des Marschtritt marschierender Kolonnen unterbros In den wärmenden Strahlen der Sonne war der fdes verewigten Präsidenten gehen als erste hinter