Seite 4

Dienst« ff, 3. Oktober 1937

Nr. 234

Der Einstun des Prager Börsenneubaues vor Gericht Fehlerhaftes Material** zwei Tote, zwanzig Verletzte

Prag (rb) Vor dem Strafsenat des GR Dr. P e r n t wurde Montag morgens die Verhandlung gegen den 37jLbrigen Jng. Alois M a z u r a und den 53jährigen Baupolier Anton Makak eröffnet, die beide des Bergehens gegen die Sicher­heit des Lebens angeklagt waren. Die Ver­handlung betraf das schwer« Bauunglück, das sich am 7. Dezember infolge des Zusammenbruches der Deckenkonstruktion beim Neubau des Prager Börsen- gebäudeS neben dem Deutschen Theater in der Hoo» vergaffe ereignete. Die zusammenstürzenden Beton­mauern begruben zahlreiche Arbeiter unter sich, von denen zwei den Tod fanden, sechzehn schwer und vier leicht verletzt wurden. Wie wir aus der Anklage erfahren, wurde mit der Durchführung dieses Baues nach öffentlicher Ausschreibung die Baufirma Nekdasil(deren Aus- gleichStagfahrt nächsten Samstag stattfindet), ge­meinsam mit der Prajsskä stavebni a betonäiskä spol. (Prager Bau- und Betoichauges.) betraut. Das Projekt war mit 4.5 Millionen K£ veranschlagt. Die letztgenannte Firma beauftragte mit der Leitung der Betonarbeiten den angeklagten Jng. Mazura, der den Ruf«ineS erfahrenen und verläßlichen Fach­mannes genießt, ebenso wie der mitangeklagte Zim­merpolier Makak. Die Katastrophe, die sich in der siebenten Abendstunde ereignete, wurde von Anfang an darauf zurückgeführt, daß das Holzgerüst und bi« frisch errichteten, verschalten Betonsäulen, die die Betonkonftvuktion der Decke der großen Bövsenhalle tragen sollten,.infolge Materialfehler zusammen­brach. Mit der Materiallieferung waren betraut: die Königinhofer Zementfabrik, die Holz­firma Pik und das Berkaufsbüro der Eisenfabriken. Rach der Anklage wußte der angeklagte Jng. M a z u r a allein davon, daß ver­tragsmäßig die Eisenbetonarbeiten bis spä­testens Ende Oktober fertiggestellt sein sollten. Aber schon di« von der Firma Nekbasil dnrchgefübrten Erdarbeiten erfuhren eine beträcht­liche Perzögerung, so daß erst am 4. Dezember nach

Beendigung der Arbeiten an der Eisenbeionkonstruk- tion der Tragpfeiler an die Fertigstellung der Hal­lendecke geschritten wurde. Diese Arbeiten fanden durch die Katastrophe, die Gegenstand dieser Ver­handlung bildet, in der silenten Abendstunde des 7. Dezembers eine tragische Unterbrechung., Die Träger brachen zusammen und verschütteten die Be­legschaft. Da diese Halle einen Raum von 28X88 Metern fassen sollte, gestaltete sich der Einsturz zu einem schweren Unglück, das zahlreiche Opfer for­derte. Um die Schuldfrage entwickelte sich ein außerordentlich umfangreiches und kompliziertes Boweisverfahren, das zur Folge hatte, daß sich die Verhandlung bis in die Abendstunden hinzog. Die Kommission, die nach dem Unglück den Lokalaugenschein vorgenommen hatte, ließ vier Mög­lichkeiten als Unfqllsursache zu, und zwar«in Rach­geben der Grundlage, auf der die Träger der Decken­konstruktion ruhten, eine fehlerhafte Konstruktion des Gerüstes, ferner fehlerhafte Ausführung dieser Ar­beiten und«Mich Fehler des Materials. Die bei der Haupwerhandluug als Zeugen vernom­menen Bauarbeiter stimmten im allgemeinen dahin überein, daß das Traggerüst/nicht genü­gend Festigkeit besessen habe.' Diese Aussagen werden gestützt durch di« Ausfage der Sachverstän­digen, die dahin lautete, daß fast 40 Prozent des für daS Traggerüst verwendeten Holzes schlechterer Qualität gewesen sei. Rach Aussage eines. Zeugen wurde nicht gutes Kantholz verwendet, wie es die Sicherheit erfordert hätte, sondern minderwertiges, zum Teil schon angegriffenes Holz. Der angeklagte Jng. Mazura verteidigte stch damit, daß er die ihm obliegende Aufsichtspflicht stets genau erfüllt habe und auch der Polier Makak bestritt entschieden jedes Verschulden, wobei er sich zu der Behauptung ver- stieg, daß es sich um einen Sabotageakt handeln müsse, wofür allerdings nicht der mindeste Beweis vorliegt. Die Verhandlung wurde schließlich zwecks Ladung neuer Zeugen und Sachverständiger ver­tagt.

AAesfteui-keikn Richter Jauch Der Welt ist es noch nicht zur Gänze ge­lungen, den Richter Lynch zu überwinden, da taucht schon eine neue Spezies in dem Fach der justiziären Menschenschinderei auf, eine Gattung Mensch, wie nicht anders zu erwarten, nur ein Geschenk des Dritten Reiches an die übrige ge­sittete Welt sein konnte. DasNTB" zitiert in seiner letzten Num­mer einen Abschnitt aus einem Passus der Siegener Zeitung" vom 24. August Nr. 196, in dem es heißt: Um verschiedenen Zeugen das Lügen oder Schweigen abzugewöhnen, wurden sie in Beugehaft genommen, worauf sich diese dann zu einer wahrhestsgemäßen Aussage be- ouemten". Es ist uninteressant, um was für einen Straffall es sich handelt; interessant dagegen ist das neue Verfahren, das da angewandt wird, um die Wahrheit zu ermitteln, und zwar nicht beim Angeklagten, sondern beim Zeugen. Der Mann, der sich mit diesem Verfahren einen Ruf in der deutschen Rechtsprechung des Dritten Reiches macht, ist der Hamburger Staatsanwalt Jauch, dem ein witziges Schicksal schon im Namen das mit. auf den Weg gab, was er in der Atmosphäre der Rechtsprechung zu leisten verspricht. Das Der- fahren besteht laut Information desNeuen Tagebuch" darin,daß der Delinquent täglich in der Stellung einer tiefenRumpfbeuge nach vorn", an Armen und Beinen festgeschnallt wird und in dieser Stellung einige Stunden lang sei- nem Nachdenken überlassen wird". Jetzt weiß man also erstens, was man sich unter Beugehast vorzustellen hat und zweitens, wie in Deutschland , derWahr­heit gemäße" A-u ssagen zu st an de kommen, ohne daß man am Zeugen Spuren von körperlicher Mißhandlung wahrnehmen kann. Eine Erfindung der Justizmaschine Hit­ lers ist das wieder einmal, auf die sie mit Recht stolz sein darf und der Name des Richters Jauch wird in den Annalen der Rechtsprechung des Dritten Reiches als des Erfinders der Beu­gehast noch dann stehen, wenn sich in Europa die Pestschwaden der nazistischen GeisteSverfas. sung bereits verflüchtigt haben, um einer reine- ren und anständigeren Gesinnung Platz zu machen. Der Weg, den diese Welt zu diesem Ziel noch zu gehen hat, ist noch sehr, sehr west, aber er wird über Lynch und Jauch hinweg doch ge­gangen werden.

Wieder ein Mord an einem Gendarmen! Der Gendarmerie- Oberwachtmeister Jarosl. L ä t a l aus Kkenowitz begegnete am Sonntag zeitlich in der Früh auf der Straße bei Linhart- skh Vajan im Austerlitzer Bezirk einem verdäch­tigen Mann, der auf einem Rade fuhr. Lätal forderte den Mann auf. sich zu legitimieren und dieser griff auch'in die Tasche, aber statt einer Legitimation zog er einen Revolver heraus und gab drei Schüsse auf den Gendarmen ab, der, in den Hals und in die Brust getroffen, blut­überströmt zusammenbrach. Der Unbekannte fuhr

nach der Tat davon. Den schwerverletzten Gen­darmen fand ein Automobilist, der zufällig auf der Straße daherkam. Er lud ihn auf und brachte ihn in die Landeskrankenanstalt, wo der Schwer­verletzte sofort operiert wurde, seinen Wunden aber nach einigen Stunden erlag. Rach dem Täter setzten sofort umfangreiche Nachforschun­gen ein. Die Spur führt nach Brünn . Drei Arbeit«»verschüttet. In den Tkinecer Eisenwerken ereignete sich Sonntag früh ein Un­glücksfall. Beim Abbau einer Mauer des alten Walzwerkes unterhöhlten die Arbeiter eine größere Schicht, di« plötzlich einstürzte und meh­rere Arbeiter unter sich begrub. Einer von ihnen wurde auf der Stelle getötet, zwei andere erlitten schwere innere Verletzungen. Sie wirden in das Krankenhaus von Tkinec überführt, wo einer so­fort operiert wurde. Sermannslos. Der DampferVicente Antonio" sank Sonntag morgens zwischen Satia- guillo und Antonio Lizardo(Mexiko ). Von den 30 Besatzungsmitgliedern und Passagieren er­reichten acht das Land. Ueber das Schicksal der übrigen ist noch nichts bekannt. Selbstmord durch Mostgase. Die 20jährige Ehefrau des Weinbauers Franz Halm in der Gemeinde Rehberg bei Krems ging Sonntag mit ihren beiden Kindern im Alter von einem und zwei Jahren in den Weinkeller, der mit Gasen des gärenden Weins anqefüllt war und sperrte sich ein. Nach einigen Stunden wurde die Frau mit dem jüngeren Kinde tot aufgefunden; das ältere Kind,ringt im Krankenhaus mst dem Tode. Dir

Ursache der Verzweiflungstat ist in finanziellen Schwierigkeiten zu suchen. Der Weiße alsKulturträger"... In der Nähe von Aalton(Florida ) wurde ein Neger auf dem Wege zum Gericht von vier Männern mit Schrot erschossen. Der Neger sollte sich wegen Benzindiebstahls und Mißhandlung eines weißen Jungen gerichtlich verantworten. Blutige Sträfliugsrcvoltr. In der Nacht auf Sonntag gelang es zwei Häftlingen des Gefäng- niffes in E a st h a m(Texas ), sich mit Hilfe von Nachschlüsseln, die sie sich selbst hergestellt hatten, aus ihren Zellen zu befreien. Sie warfen sich auf die Wächter, bemächtigen sich der Schlüs-' sel und der Waffen derselben und öffneten, die Zellen der anderen Häftlinge, wobei sie nament­lich 27 Häftlinge befreiten, die in Sonderzellen für besonders gefährliche Verbrecher unterge­bracht waren.- Als die Sträflinge den Versuch machten, aus dem Zuchthaus zu fliehen, wurden sie von der Wache, die sich im Wachturm befand, unter Feuer genommen. Viele der Häftlinge wurden hiebei getötet und der größte Teil von ihnen verletzt. Durch dieses Eingreifen der Wachmannschaft gelang es, die Ordnung in der Strafanstalt wieder herzustellen. Vorschollen und wiedergefunden. Der seit ver­gangenem Mittwoch auf einem Wüstenflug ver­schollene französische Flieger Duchesne ist am Sonn­tag wohlbehalten aufgefunden worden und nach Maison Blanche zurückgekehrt. Der Flieger hatte sich, wie jetzt bekannt wird, verflogen und bei einer Notlandung in der Wüste wurde die Maschine leicht beschädigt. Am Samstag wurde der Flieger von

einer Karawane entdeckt, der er sich anschloß. Ei» französisches Militärflugzeug hatte am Sonntag früh die Karawane bemerkt. Auf Blinkzeichen landete das Flugzeug und nahm den Wiedergeftme denen an Bord. Ein« schwedische Filmexpedition der schwedi­schen FilmgesellschaftFilmindustrie" wird diese« Monat in das holländisch-indische Jnselgebiet abrei­sen, nachdem bereits im Frühjahr eine derartig« Filmexpedition in diesem Gebiete 5000 Meter Film aus Gegenden drehte, die vorher keines Menschen Fuß betreten hatte. Diese Expedition erbeutete u. a. 18 RieseneidechsenVaranus ", von denen zwei lebend nach Stockholm gesandt werden. Auch Auf» nahmen dieser Rieseneidechsen wurden gedreht. Oll er«och Freudensprünge macht? Der ehe« malige Vorsitzende des Appellationsgerichtes in Ber­ gamo , Carbazza, der im 83. Lebensjahre steht, und bereits länger als 20 Jahre im Ruhestande ist, ge­wann in der Meraner Lotterie den Haupte trefferim Betrage von 2/788.000 Lire. Bor Liebe von Sinnen. Samstag traf cntS Prag in Pilsen der. 22jährige Kellner Karl Kejha mit seiner 16jährigen Geliebten Emilie Mesnerovä, wohnhaf in Prag -Brevnov, ein. Beide wollten in Pilsen ihrem Leben ein Ende setzen und nach der Vereinbarung sollte Kejha seine Geliebte im Schlaf töten" und hierauf Selbstmord verüben. In der Nacht auf Montag stiegen beide in einem Pilsener Hotel ab, wo fie merkwürdigerweise trotz ihrem Vorhaben auch einschliefen. Als sie Montag früh erwachten, wollte Kejha seine Geliebte töten. Er hatte aber gar keine Waffe vorbereitet und schlug ihr daher zwei­mal«in GlaS gegen den Kopf, dann w ü r g t e er sia auf ihre Bitte. Durch den Lärm wurden die Hotel­gäste aufmerksam und riefen die Polizei. Die Mes­nerovä wurde in bewußtlosem Zustand ins Kranken­haus gebracht, wo festgestellt wurde, daß die Un­glückliche schwere Verletzungen erlitten hatte. Kejha wurde auf die Polizeidirektion in Pilsen gebracht, wo er angab, aus unglücklicher Liebe gehandelt zu haberff Regen-Einbruch. Im Zusammenhang mit klei­nen-Druckstörungen über Westdeutschland hat sich Montag vormittags nach Böhmen eine Zone von Dauerregen ausgobreitet. Das Schlechtwetter­gebiet wird weiter gegen Osten fortschreiten, wo es Montag noch überall schön und warm war. Wahr­scheinliches Wetter heute: Im Westteil der Republik vorwiegend umzogen und zunächst neb­lig, zeitweise Regen, verringerte Temperaturschwan­kung zwischen Tag und Nacht, später auffrischender Llordwestwind. Im übrigen Gebiet wechselnd be­wölkt, Morgennobel, tagsüber noch ziemlich warm. Wetteraussichten für morgen: In den böhmischen Ländern vom Westen her wieder lang­same Besserung, im Karpathengebiet umzogen, strich­weise Regen. Mäßig warm, nordwestlicher Wind.

Vom Rundfunk IsplthlMiwtrMi aus den Programme» Mittwoch Prag , Sender 1:10.05: Deutsche Presse. 10.15: Rundfunk für deutsche Schulen, niedere Stufen. 13.40: Deutscher Arbeitsmarkt. 14.00: Deutsche Sendung: Heimische Komponisten. 15.30: Rundfunk-. orchesterkonzert: Karl M. Weber, Schumann etc, 18.05 Deutsche Sendung: Dr. Moucha: Neue Bücher. 18.20: Deutsche Arbeitersendung: Paul Fürstenau: Erziehung zur Tapferkeit. 18.40: Sozialinformatio-. »en. 18.45: Deutsche Presse. 18.30: Aus dem Natio- ualtheater: Dvorak : Teufel und Henker. Oper. Prag , Sender II: 14.20: Deutsche Sendung: Kin­derstunde. 14.55: Deutsche Presse. 18.00: MujjikS Salonquartett. Brünn: 17.40: Deutsch « Sen­dung: Berger: Ueber Hermann Hesse , Lieder. Kascha«: 12.35: Rundsunkorchesterkonzert. Mähr.» Ostrau: 18.00: Brahms : Vier ernste Gesänge.

Deriudetendeutiche Arbeitslosen-Roman Josef Hofbauer Dorf in Scherben"*) Es ist ein Schicksal, wie es in den letzten Jahren viele Dörfer, vor allem viele sudeten­deutsche Dörfer erlebt haben. Darum ist es gut und richtig, daß der Dichter das Dorf nicht beim Rainen nennt. Es geht nicht um den Einzelfall; was hier geschildert und abgebildet wird, ist lei­der ein Kollektivschicksal vieler Gemeinden und Zehntausender Menschen in ihnen.' Wo einst um eine große Fabrik reges Leben pulsierte, ist es still geworden, wo einst rüstige Arbeitsmenschen hoffnungsvoll an ihrer Zukunft bauten, trauern heute Bettler'der Vergangenheit nach. Der In- d u st r i e f r i e d h o f, durch verfallenes Ge­mäuer, erkaltete Schlote, verwahrloste Hütten weithin erkennbar gezeichnet, schneidet aus blü­hendem Land einen Fleck öder Wüstenei. Josef Hofbauer war berufen, dieses Schick­sal zu gestalten, das Allgemeingültige, alle An­gehende und alle Verpflichtende aus der Summe der vielen Schicksale herauszulesen und heraus­zuheben und es so abzuschildern, daß es aus der Trostlosigkeit statistischer Zahlen zur Anklage und zum bleibenden literarischen Dokument wird. Josef Hofbauer hat uns vor Jahren eines der schönsten Kriegsbücher geschenkt, ein ernstes, er­schütterndes Buch vom Kämpfen und Sterben der Soldaten im Karst und in den Alpen , der Men- > scheu, die ein übermächtiges Schicksal in die Hölle des Krieges schleudert. Und Hofbauer versuchte

*) Erschienen 1837 im Eugen Prager Verl a g, Bratislava . Zu beziehen durch die Zen ­tralstelle für das Bildungswesen, Prag Xll., Slez- ska 13.

deutlich zu machen, worauf es ankommt: zu ver­stehen, daß dieses Schicksal zwar übermächtig, aber nicht allmächtig ist, daß die Menschen selbst es wenden könnten, wenn' sie.reinen Herzens und klaren Kopfes und mutig zur Tat wären. Auch das Schicksal des Glasmacherdorfes wird von scheinbar übermächtigen Gewalten ge­lenkt und über hilflose Menschen verhängt. Auch hier aber zieht sich durch das Geschehen, bei etwas mit den Menschen geschieht, des Autors stille starke Botschaft: Geschichte braucht nicht immer das zu sein, was geschieht, es könnte auch das sein, was ihr wollt und wirkt. Freilich, da wie dort, im Kampf gegen den Krieg wie im Kampf gegen die Krise, können die kleinen Gemeinschaf­ten für sich allein nichts ändern und das Unglück nicht abwenden. Sie sind eingesponnen m das größere Gewebe der Massen, der ungeheuren Kollektiva unserer Zeit: Staaten, Länder, Völ­ker, Kontinente sind die Subjekte des Geschehens, die Dörfer und die kleinen Gruppen von Men­schen sind Objekt. Zum Subjekt werden, durch Zusammenschluß, Einheit, Gemeinsamkeit, Her­ren der großen geschichtsbildenden Mächte werden, das ist, das wäre ein Ziel. Der Weg dahin ist schwer und steinig. Das zeigt Hofbauer an so wan- cher Gestalt seines Romans. Der lerneifrige, bildungshungrige junge Arbeitslose, der in die Einsamkeit des Waldes, wie ein sterbendes Tier in eine Höhle flieht, dort das gescheiterte Leben zu enden, der arbeitsame Mann, der in das Haus, das er mtt Mühen und Sorgen gebaut, in der Verzweiflung die Flamme schleudern möchte, die Alten, die soviel von' der Welt gesehen haben und von fernen schlimmen Tagen erzählen können, um doch ratlos vor den schlimmeren neuen zu stehen, die Menschen, die bis zum Schluß um die Fabrik käinpfen, uni das Recht auf Arbeit, schwere, zerstörende und sie doch wieder nährende Arbeit,

sie sind, ein jeder in seiner Art, durchdrungen von der großen Frage, die der Atem des Dichters dem Roman einhaucht: w i e könnten wir e s werden? Hofbauer hat eine Glasfabrik in den Mittel­punkt seines Romans gestellt.Kein Glashütten­märchen" nennt er, mit Anlehnung an Haupt­mann Puppenspiel aus dem GlasofenUnd Pippa tanzt" an einer Stelle den Roman. Das Schicksal der Glasmachevzjst ja besonders tragisch. Sie sind eine alte Zunft, haben Tradition, kom­men unmittelbar von den kunstfertigen Leuten her, die vor Jahrhunderten Glas schmolzen und bliesen. Sie sind Arbeiter, die einst weit herum­kamen, nach England, nach Asien , nach Amerika . Unter ihnen sind Viele, die von weither stammen, fremdländisches Volk, das seine Sprache, seine Sitte und das fremde Gesicht lange bewahrt hat, generationenlang. So ergibt sich ein buntes Bild, ein Teppich, der aus Farben und Stoffen mannig­fachen Materials gewirkt ist.'Auch darum ist das Schicksal der Glasmacher so besonders tragisch, weil sie wie wenig andere Arbeiter mit langem Leiden und frühen Tod für ihre Arbeit zu bezah­len hatten, weil sie jahrzehntelang ihre Lunge zu ihrer Muskeln Kraft daransetzen mußten und sehnsüchtig gehofft hatten, die moderne Technik möge ihnen ein leichteres Leben schaffen. Uno dann hat die Technik, eine nicht gesteuerte, blind I den Gesetzen des Prosits folgende Wirtschaft, ver­heerend in das Leben der Glasmacher eingegrif­fen. Die Maschinen haben Tausenden zwar die Lungen gerettet, aber den ganzen Menschen doch ans Verderben geliefert. Hofbauers Roman unterscheidet sich von den meisten Arbeiter- und Jndustrieromanen dadurch, daß ein n e u e s W i l i e u, d a s I n d u st r i e- darf gestaltet wird. Immer waren es Städte, meist Großstädte und industrielle Zentren, in die

uns die Romanciers führten. Das sudetendeutsche Jndustriedorf hat viele Eigenheiten. Es ist natur­nahe geblieben, dem Wald, der Scholle, dem bäuerlichen Leben verbunden, seine Menschen nei­gen daher zu stärkerer Eigenart, sie sind noch halbe Bauern und Kleinbürger, auch wenn sie schon proletarisiert sind. Das gibt ihnen gegen manche Schicksalsschläge des Proletendaseins Halt, es macht ihnen aber auch den Weg in die ano­nyme große Masse schwerer. Auch diese Eigenhei­ten und Eigenarten des sudetendeutschen Dorfes treten in Hofbauers Schilderung plastisch hervor. In diesen Dörfern ist die sogenannte Intel­ligenz dünn gesät. Werkangestellte meist, ein paar Beamten, die sich dicht an den Herrn halten, di«' ihr kümmerliches Herrendasein nur im Schatten der anonymen Kapitalsmacht ftisten können. Hofbauer greift einen heraus, der die Dinge an­ders sieht und erlebt, den Gemeindesekretär Rie­ger, den der Dichter die Geschichte des Dorfes erzählen läßt, der tagebuchartig den Weg vom großen Glasmacherdorf zum Jndustriefriedhof schildert, im größeren Schicksal zugleich ein klei­nes eigenes, eine zarte, in Hofbauers, vor See­lenstürmen und psychischen Wunden immer ein wenig erschreckender, verlegen und schüchtern wer­denden, lyrischen Art gestaltete Liebesgeschichte erlebend.* In zwiefachem Sinne ist HofbauersDorf in Scherben" ein Dokument: es ist ein Stück nationaler, ein Stück Zeit­geschichte, gesehen durch das Temperament eines Dichters, durchblutet von dem großen Mit­leid, verklärt von der Wehmut, erlöst in dem Glauben eines Poeten; und es ist ein Doku­ment des ernsten künstlerischen W o-l l e n s, der Gestaltungskraft eines Autors, welcher Stimme seiner Zeit, seines Volkes Kün­der einer Idee sein will. E. F.