Sozial- emokrat Zentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der TschechoslowaNschen Republik Erscheint mit Ausnahme des Mantas tSglich früh/ Einzelpreis 70 Heller Redaktion und Verwaltung: Prag XL, Fochova 62- Telephon 53077- Herausgeber: Siegfried Taub - Verantwortlicher Redakteur: Karl Kern, Prag Nur dem Inhalt: Das staatliche Investitionsprogramm Auch noch Knabenschändung? Das Urteil gegen die Feuerkreuzler Marie Velgo zwölf Jahre 17. Jahrgang Donnerstag, 21. Oktober 1937 Nr. 248 knerziscker Protest in Berlin Hat Henlein die Nerven verloren? Ein mlüslückter Propasandaputsch und ein hysterisches Schreikonzert die in sich Berlin. (Tfch. P. B.) Der tschechoslowakische Gesandte in Berlin Dr. M a st n h wurde Mittwoch mittags vom Reichsaußenminister Freiherr« von Neurath empfangen, dem er den energischenProtest gegen die agreffive und drohende Kampagne der deutsche « Presse und des deutsche « Rundfunks in Angelegenhett der Mänes-Ausstellung und der Teplitzer Er­eignisse vorbrachte. Trplitz-Schönau.(E.-B.) Seit dem sonn­tägigen Zwischenfall auf dem Marktplatz ergießt sich aus dem Dritten Reich eine Sturzflut greuel- propagandistischen gedruckten Papiers über Tep» litz. Eine Menge reichsdeutscher Zei­tungen mußte von der Staatspolizei dort b e- schlagnahmt werden, die übrigens auch direkte Empfängerin ganzer Stöße von Briefen aus Deutschland ist. Etliche dieser Briefsendungen enthalten Zeitungsexemplar« mit beispiellos verlogenen, ordinären und feindseligen Titeln und Aufsätzen gegen die Tschechoslowakei , bei anderen dieser Einsendungen handelt es sich um handgeschriebene Briefe aus Dresden , Leip­ zig und anderen reichsdeutschen Städten/ um Briefe, die von den unerhörtesten Beschimpfun- gen gegen die Tschechosiowakei strotzen. Der wört­liche Inhalt dieser Briefe kann nicht einmal teil­weise wiedergegeben werden; es wimmelt darin von gemeinsten Beleidigungen der tschechischen Nation, der Tschechoslowakei , der Polizei, der Re­gierung. Die beispiellose Hetze, die auf dem Umweg über Deutschland aus Anlaß der Teplitzer Zwi­schenfälle entfaltet wird, hat sogar die Bericht­erstatter der großen ausländischen Breffe-Agen- turen in Teplitz auf den Plan gerufen. Erfreu­licherweise holen sich die ihre Informationen nicht bei den Brandlegern, sondern be,i den demokxati- schen Behörden und Vertrauensmännern. Ergänzend zu dem ursprünglichen Polizei­bericht wird bekannt, daß der am 17. Oktober nachmittags auf dem Marktplatz in Teplitz -Schö- nau wegen Aufwiegelung festgenommene Schmied A n t o n M o r ch e aus, Dux, 1908 geboren, ledig, nach Abschluß der Polizeiuntersuchung dem Bezirksgericht in Teplitz eingeliefert wurde. Außerdem wurde g eg en drei Personen das polizeiliche Strafverfahren nach Paragraph 3 des Organisationsgesetzes ringelet? tet. Während der gesamten Untersuchung konnte bis jetzt eimvandfrei festgestellt werden, daß die DerVolksauflauf nadi Tisch Zunächst einmal hat die Teplitzer Keilerei nur bestätigt, was wir seit Jahren sagen: daß die Gefolgschaft Henleins zu irgend­welchen v e b e l l i s chen ALten nicht taugt» daß wir hier nicht den Boden für einen Kamps ä la Arland haben. Die Weißbestrumpsten sind keine Sinnfeiner, sie revoltieren nur, wenn es erlaubt oder befohlen wird. In Teplitz sind angeblich spontan Massen vor dem Hause zusammengeströmt, dem Henlein den sonntäglichen Eintopf zu Herr Henlein ist in einer Bedrängnis, die einem gewöhnlichen demokratischen Parteiführer wahrscheinlich die führende Stellung kosten würde. Der autoritäre Stammesführer braucht natü.- lich nicht zurückzutreten, auch wenn er sich von den eigenen Leuten betrogen, bloßgestellt, in peinliche Affären hineingezogen sieht und wenn seine Auslandsreise mit einem allzu kläglichen Er­gebnis endet. Zurückzutreten braucht er nicht, aber seine Nerven reagieren, wie es scheint, auf eine so schiefe Situation doch mit einem Ausbruch. Anders kann man sich die thea­tralische Szene von Teplitz und was ihr in der Presse folgte, nicht erklären. Die Rutha-Affäre sollte in einer Wogenationaler Empörung" verschwinden, Line kleine Rebellion sollte der SdP zu altem Glanz verhelfen und das Echo einer Sonntagsprügelei sollte den Widerhall einer Londoner Rede ver­stärken(wobei die bescheidene Forderung nach einerVerordnung", die in London erhoben worden war, hierzulande wieder dem befristeten Kämpferschrei nach derBollautonomie" wei­chen mußte). Aber auch dies ist mißlungen. nahm. Daß man dem Stammesführer nun schon bis zum Mittagstisch folgt, ist zuviel des Guten. Wo ist die Grenze, wo wird man noch auf Hen- lein warten, ihn nach Erledigung privaterGe­schäfte" abpassen? Die Kopie gehört natürlich zu einem bekannten OriginalLieber Führer, sei doch nett, komm' nochmal anS Fensterbrett" 7 Aber faktisch sind die Sudetendeutschen noch nicht ganz so weit. Unter demVolk", das da ganz spontan zusammenströmte, waren nicht weniger als ein halbes Dutzend Parlamen­tär i e r der SdPI Ganz spontan und zu­fällig vor dem Hause des ZippeliuS zusam­mengetroffen. Wo die Polizei in dieMenge" griff, faßte sie einen Abgeordneten. Und der zum Fenster hinaufpfiff, war wohl der Inspizient der ganzen Theaterszene. Das Volk blieb aus, wie imEgmont", wenn das verzweifelnde Klär­chen die Bürger zur Rev.olte ruft... Katzenmusik aus Berlin Der Teplitzer Vorfall wäre normalerweise ein Tagesereignis von lokaler Bedeutung gewe­sen. In der Stadt selbst wurde nicht viel davon bekannt. Viele Teplitzer erfuhren erst aus den Montagsblättern, daß bei ihnen die Revolution ausgebrochen sei. Aber mit der Entfernung ver­größern sich die Dinge. Die nazistische P r e s s e, vor allem die reichsdeutsche Bruder­presse der SdP, setzte mit einem Höllenlärm ein. Der Leser in Deutschland mußte den Eindruck haben, daß Unvorstellbarer geschehen, daß die Schrecken deutscher Konzentrationslager Überbo­ten seien. Angesichts der Schlagzeilen und wü­sten Schimpfkanonaden der nazistischen Presse mußten sich wohl die Untertanen Hitlers jrne Nächte und Tage derlanges Messer" ins Ge­dächtnis rufen, da 1933 in Deutschland Men­schen niedergeschlagen» getötet, in SA -Kasernen verschleppt, auf der Straße gepeitscht, an den Pranger gestellt, mit rasiertem Schädel, ein Pla­kat umgehängt, barfuß durch die Straßen ge­jagt wurden, da man in den Vorgärten früh verstümmelte Leichen fand und die Städte von dem schönen Liede widerhallten: Blech, nichts als Blech Aber auch das Konzert der Naziblätter ist eitel Blech. Man überschätzt zweifellos in Deutsch­ land die Wirkung dieser mißtönenden Ständ­chen. Man vergißt, daß alles mit der Zeit langweilig wird. Die Menschen gewöhnen sich sogar an die echten deutschen Bomben, wie Madrid beweist, wie vielmehr denn an die Bom­b'» aus Papier und Druckerschwärze. Es rührt niemanden mehr, wenn die Nazi der Tschechoslo­ wakei mit Vernichtung drohen» sie haben zu oft gedroht und inzwischen ist allerhand geschehen, was es den Herren in Berlin recht riskant erschei­nen läßt, ihren Worten auch nur die leiseste Tat folgen zu lassen. Sie hüten sich und wissen warum. Auch die Gefolgsleute Henleins selbst sind skeptisch geworden und freuen sich nicht mehr wie die Kin­der, wenn Goebbels die Gewitter-Requisiten aus dem Magazin holt und auf der Bühne ein« solenne Blitz-, Donner- und Sturmszene gibt. Man weiß auch in Eger und Reichenberg nachgerade, daß viel Geschrei und wenig Wolle geboten werden und daß Henlein , nunmehr bei der Forderung nach einerVerordnung" gelandet, es mit dem Ruf nach der Vollautonomie so wenig ernst meint wie Joseph mit dem Bumbum und Tschindarassasa. Die ZeitungS-, Flüster- und Flugblattpropa­ganda der SdP, die sich nach tschechischen Zei­tungsstimmen bis auf das Ausstreuen von Flug­blättern mit dem. sinnigen TextAdolf kommt" erstreckt, wird ihre Wirkung auch ver­fehlen. Daß er nickt kommt, wissen die Sudetendeutschen vom wahlpflichtigen Alter auf- Der Westen durchschaut das Oseddels»Henlein »tztanLeer I Ablenkung von Rutha/ Wahlschlager/ Und Südtirol T Paris.(Eigenbericht.) Die franzöfischen politischen Kreise verfolgen die neuerliche Pro- vokation der Henleinpartei und die mit khr im Zusammenhang stehende reichsdeutsche Presse­kampagne mit großer Aufmerksamkeit. Man betont, daß das Zusammenspiel Berlin und Henlein diesmal jederMaske entkleidet worden ist. Di« deutschen Dro­hungen mit dem angeblichen Block des 70 Millionrnvolkes verfangen hier nicht mehr. Man hält ihnen entgegen, daß die Tschechoslowakei der Hilfe Frankreichs und Rußlands und der Sympa­thien der gesamten friedliebenden Welt sicher sei. Wahrscheinlich wird demnächst eine offizielle französische Erklärung erfolgen, wonach der tschechoslowakisch-französische Bei­standspakt nicht nur für den Fall eines offenen Angriffs, sonder« auch bei einem etwaigenFall Franco" voll und ganz in Kraft tritt. Die französische Presse steht noch ganz unter dem Eindruck der Rutha-Affäre und ver­steht es, die Unruhestistung durch die deutschen Propagandanachrichten auf daS richtige Maß zu­rückzuführe«. Der rechtsstehendeO r d r e" schreibt, Henlein wolle die Wählerschaft künstlich in Erre­gung versetzen, damit der Homosexuellen-Skandal in Vergessenheit gerate. Gleichzeitig werde versucht, gewisse englische Kreise zum Mitleid zu rühren. Sehr interessant sind die Ausführungen derE r e n o u v e l l e" des Blattes von Edonrd H e r r i o t. Das Blatt unterstreicht die Rolle, welche der polnische Außenminister Oberst B e ck im Rahmen der antitschechoslowakischen Propagandatzetze des Dritte« Reiche- spielt. Es erinnert die polnische Regierung an die Gewährung der letzten französischen Anleihe und die daran geknüpften politischen Bedingungen. Das Blatt Herriots schließt den Artikel mit dem be­deutungsvollen Satz:.. i Niemand, auch Herr Beck nicht, darf annehmen, daß rin derartiges Spiel noch lange>fortgesetzt werden kann." Erscheinen Henleins diesen mit Heilrufen begrüß- i ten, eingeschritten sind, sondern daß die drei Wachorganr, welche den Ordnungsdienst beim Auto Henleins versahen, sich durchaus korrekt benommen haben, was durch eine protokollierte Aussage eines Abgeordneten der SdP ein­wandfrei erwiesen ist. Erst nachdem diese drei Wachorgane von dem Abgeordneten Frank nachein­ander tätlichangegriffen wurden, wurde dieser von ihnen zur Pokizeiwachstube geführt. Nach diesem Geschehnis wurde erst zur Räumung der Partie des Marktplatzes, wo sich der Vorfall abspielte, sowie des Stiegenaufganges beim Denkmal und des freien Raumes vod der Poli­zeiwachstube geschritten, da der größte Teil dec Versammelten die vorgeführten Personen auf di« Wachstube begleiten wollten. Bei diesem Einschrei­ten der Polizeiorgane wurde, nach seiner eigenen Anzeige der Abgeordnete K u n d t von einem Wachmann angestoßen, so daß er einige Stiegen herunterrutschte, ohne zu fallen und ohne irgend welche Verletzungen erlitten zu haben. Weiter brachte der Abgeordnete K ö l l n e r die Be­schwerde vor, daß er beim Tor der Hauptwache, als er eindringen wollte, um den vorgeführten Abgeordneten Frank begleiten zu können, mit dem Gummiknüppel einen Schlag auf den Kopf er­halten hckbe. Laut ärztlichem Zeugnis wurde bei Abgeordnetem Frank an drei Stellen Rötungen der Haut vorgefunden, bei Dr. Köllner an einer Stelle, ebensolche Merkmale wurden bei drei Wachleuten ärztlich festgestellt. Auch die Gescheh­nisse auf der Wachstube, wo knapp nach der Vor­führung zwei Konzeptsbeamte erschienen, welche auf Vorweisung der Legitimationen den Abgeord­neten den Zutritt in das Gebäude ermöglicht haben, würden einer genauen amtlichen Unter­suchung unterzogen. Das Resultat dieser Untersuchung ist in der Strafanzeige gegen Morche und die Uebergabe desselben an daS Bezirksgericht zu sehen und beweist, daß, soweit die' Polizeiwache noch auf der Wachstube eiugrschritteu ist(Morche wollte auf einen Polizisten mit dem Stuhl losschla- gen) dir- nur geschah, um den Widerstand die- ser Personen zu brechen. Greuel-Sturzflut Ober Teplitz Da* Ergebnis der Untersuchung London. (Eigenbericht.) Die Londoner Blätter bringen eingehende Berichte über die Borfälle in Teplitz und die sich daran anschlie ­ßende Kampagne des Dritten Reiches . Bemer ­kenswert ist die unfreundliche Haltung des kon ­servativen Daily Telegraph and Mor- « i n g p o st gegenüber Henlein » eines Blattes, das eben noch Henleins Interview gebracht hatte. Der Berliner Korrespondent dieses Blattes be ­richtet wörtlich: Der Schutz, den die Partei- und anderen Organ« in Deutschland den einstigen Oester ­reichern in der Tschechoslowakei angedeihen lassen, steht in verblüffendem Gegensatz zu dem Schweigen über die einstigen Oesterreicher in Südtirol , die unter italienischer Herrschaft stehen." Der Prager Berichterstatter desselben Blat ­tes berichtet über die amtlichen Untersuchungs ­ergebnisse und meint, daß es sich um ein W a h l- m a n öv e r handle, das die Aufmerksamkeit von Rutha ablenken solle.Die Verhaftung Ruthas hat die Aussichten der Henleinpartei sehr j geschädigt, besonders unter den deutschen Mütter n." Auch dieTime s" führen die Schärfe der Propaganda auf den Wunsch der SdP zurück, die, wie sie bemerken, in Deutschland verschwiegene«, jüngsten Verhaftungen führender SdP-Männer wegen nicht-politischer Delitte vergessen zu ma ­chen. Rewe C h r o n i r l e" meldet aus Ber ­lin, in dortigen Kreisen verlaute, daß man an ­nehmen könne, daß die deutsche Regierung in London und Paris die britische und französische Regierung auf die«provozierende" tschechoslo ­wakische Haltung gegen die d^itsche Minderheit in der Tschechoslowakei Hinweisen würde. Gauleiter Bohlen vom Berliner Auslanddrutschen Amt soll einen vollständigen Bericht über die Teplitzer Zwischenfälle für Hitler vorbereiten» welcher nach dessen Ueberprüfung die Entscheidung tteffen werde. Der PariserTemps" nennt das Ereig ­nis im Leitartikel einenwinzigen Zwischenfall", wie sie sich in Wahlbew^aungen häufig zu er ­eignen pflegen. Die innenpolitischen Manöver,._ gehen parallel mit den außenpolitischen, bemerft Polizeiorgane, die den Ordnungsdienst am 17. das Blatt im Hinblick auf die deutsche Kam- Oktober, nachmittags am Marktplatz besorgten,| pagne, aber der tschechoslowakische Staat sei stark nichtgegendiePassant en, welche beim> organisiert. Wenn das Judenblut vom Messer spritzt, dann geht's noch­mal so gut l" »Wenn die Teplitzer Polizei mit Drohbriefen aus dem Reich überschüttet wird, so darf einen das nicht wundernehmen. Di« deutschen Zei­tungsleser leben seit zwei Tagen in dem Wahn , in Teplitz sei eine Nation vergewaltigt worden und den Sudetendeutschen gehe es nicht anders als den Südtirolern in Italien oder den Juden und Marxisten im Dritten Reich.