Teile 2
Sonntag, 12. Dezember 1937
Jh. 292
einstimmig als eine zwecklose Provokation angeprangert, aber sie nicht zu gestatten, wurde kaum erwogen. Sprechen wir vom Versagen der drei Weltmächte, so müssen wir ihnen auch die SSSR zuzählen, wiewohl diese keine materiellen Interessen in Schanghai verankert hat. Auch die Politik der Sowjetunion in China ist eine Politik der Kapitulation und ihre kommunistische Partei begnügt sich mit einer defensiven Rolle im Schatten der einst so verunglimpften Kuomintang. Der Fortgang des Krieges in China zeigt bezüglich der Reaktion der Großmächte eine weitgehende Uebereinstimmung mit jener im Kampfe um Spanien . Täglich kommt eS zu Zwischenfällen, deren Opfer ausländische Staatsbürger sind, zur Bombardierung britischer Schiffe usw. Die Japaner können meist einwandfrei als die. Schul
digen identifiziert werden, ohne daß von diesen eine Genugtuung zu erlangen wäre. Die„unbekannten Piraten" haben ihre Tätigkeit ins Gelbe Meer verlegt. Läßt Man Japan weiter gewähren und geben die Mächte Schanghai auf, dann haben sie sich damit abgesunden, keine führende Rolle mehr in Ostasien zu spielen. Fällt die Internationale Konzession, dann entgftitet ibnen nicht nur die Kontrolle des wichtigsten chine sischen Hafens, dann ist auf längere oder kürzere Sicht Jndochina, der malaische Archipel, Singa pur und schließlich auch Britisch-Jndien gefährdet '.md eine Beute jener»Preußen des Ostens", die sich unter der Maske eines Kampfes gegen den Weißen Imperialismus ähnlich ük r die Rechte der bodenständigen Völker hinwegsetzen werden wie ihre europäischen Vorbilder.
Ohne Arbeitszeitverkürzung geht es nicht Senator Hackenberg Uber sozialpolitische Fragen
In einer Polemik gegen den Senator Horak, der sich über die Auswirkungen der Rationalisierung beschwert hatte, stellte Genosse Hackenberg im Budgetausschuh des Senates fest, daß sich die Rationalisierung zweifellos in einer ganzen Reihe von Industrien sehr ungünstig auSgeivirkt hat. Die technischen Errungenschaften sollen aber der Gesamtheit, also auch der Arbeiterklasse, und nicht nur den Kapitalisten dienen. DaS ist aber nur herbeizuführen durch die B e r- kürzung der Arbeitszeit, aber nicht nur einseitig in den rationalisierten Industriebetrieben, sondern allgemein. Bei einseitiger Arbeitszeitverkürzung hätte man mit einer vermehrten Landflucht und mit einer Flucht aus dem Gewerbe in die Industrie zu rechnen. Hackenberg setzte sich ferner warm für die Selbständigenversicherung ein. Naturgemäß hat auch jeder Arbeiter, der lange Zeit hindurch sozialversichert gewesen ist und später gezwungen war. sich im Gewerbe eine selbständige Existenz zu suchen, ein Interesse daran, der erworbenen Rechte nicht verlustig zu gehen. Brotpreiserhöhung untragbar Genosse Hackenberg sprach sich weiterS entschieden gegen jede Erhöhung der Brotpreise aus. Die Arbeitslöhne sind noch keines
wegs entsprechend den geänderten Verhältnissen gestiegen. Das Brot ist aher vor allem für die Arbeitslosen und für die Kurzarbeiter das wichtigste Nahrungsmittel; bei diesen Leuten würde auch eine Brotpreiserhöhung um nur 10 Heller schon eine große Rolle spielen. Ebenso entschieden nahm Hackenberg gegen eine MilüpreiSerhöhung Stellung. Unsere Arbeiter müssen hohe Milchpreise bezahlen, ob sie die Milch nun vom Händler oder vom Produzenten beziehen. Ueherhaupt find in den deutschen Industriegebieten die Preise aller Lebensmittel bedeutend höher als in Prag oder Brünn , und obendrein erhäll man sie nur in schlechterer Qualität. Wer mißbraucht die Ernährungsaktion? Wenn über einen Mißbrauch der Er- nährungSaktion Klage geführt wird, so haben wir gegen eine Kontrolle nichts einzuwenden. Die Klagen der Arbeiterschaft gehen aber dahin, daß sie zu wenig Karten bekommen. Darüber beklagen sich auch die Gemeindevorsteher und die Mitglieder der Sozialkommissionen,' die dem Ansturm der betroffenen Personen nicht standzuhalten vermögen. Die Soziallommissionen beantragen eine bestimmte Anzahl von Ernährungskarten, die Be- zirkskommiffionen nehmen jedoch Abstriche vor und die Gemeindevorsteher wissen"ch dann nicht zu helfen. Auch hier muß Abhilfe geschaffen werdenl
Hilfe für die Ueberalterten ohne Rentenanspruch Im Verlauf der Debatte über das Fürsorgeministerium nahm sich Genosse Hackenberg im Budgetausschuß des Senats jener alten Arbeiter an, die von der Zentralsozialversicherungsanstalt keine Rente bekommen, weil sie bei Erreichung des 6 5.LebensjahreS noch nicht die erforderliche Wartezeit' absvlüirrk hätten. Infolge einer anfechtbaren Auslegung der betreffenden Bestimmungen, die aber auch vom Versicherungs- Obergericht gutgeheißen wurden, wurden diese Versicherten— es handelt sich um mehr als 8000 Personen—- um die Rente gebracht. Sie haben aber auch nach den Buchstaben des Gesetzes auf die Ueberaltertenversorgung keinen Anspruch. Schon vor längerer Zeit wurde im Abgeordnetenhaus ein Antrag eingebracht, der für diese Personen eine entsprechende Regelung Vorsicht. Redner ersucht den Fürsorgeminister neuerlich, doch den Versuch zu unternehmen, durch ein Gesetz auch für diese Personen eine Altersversorgung festzulegen. Im Schlußwort anerkannte Fürsorgemini
ster NeLaS ausdrücklich die Berechtigung der Beschwerde des Genossen Hackenberg und gab die Widersprüche sowie gewisse Härten in den diesbezüglichen Bestimmungen zu. Auch der Minister ist der Ueberzeugung, daß hier Abhilfe geschaffen werden muß.
SchluBwort des Gesundheitsministers Im ik^dgetausschuß des Senates reagierte Ge- sundheitSmmister Dr. Czech auf die Bemerkungen des Senators Krejöi über die Mängel des ärztlichen und Gesundheitsdienstes auf den Dörfern. Der Minister anerkannte, daß dieser Dienst auf dem Lande verbesserungsbedürftig ist, und zwar schon aus Po- pulationsgründen, denn gerade in' dieser Frage kommt dem Land eine große Aufgabe zu. DaS vorbereitete Gesetz über di« schulzahnärztluhe Pflege ist eines unserer grundlegenden Gesetze, denn beim Kind mußte alle ärztliche Fürsorge beginnen. Wenn e» gelänge, die Fürsorge für unheilbare Kinder und für alle anderen unheilbar Kranken zu lösen, dann wär« das gerade im Jubiläumsjahr der Republik eine
schöne Tat. In der charitativen Fürsorge hat die Arbeit des Ministeriums gute Erfolge aufzuweisen. Für Aushilfen an Krankenhäuser hat daS Ministerium' nur 1.1 Millionen zux Verfügung, ein Betrag, der leider schon auf eine ganze Reihe von Jahren durch frühere Verpflichtungen gebunden ist. Dem Senator Enhuber(SdP), der zwar die umfassende Tätigkeit deS Gesundheitsministers anerkannt hatte, dann aber neuerlich mst Steril!» fierungSvorschlägen gekommen war, antwortete der Minister, daß man wohl eugenische Bedürfnisse berücksichtigen müsse, doch stelle er sich entschieden gegen jede Zwangssterilisierung, die den Grundsätzen der Demokratie und— wie die Erfahrungen in jenen Ländern beweisen, in denen sie durchgeführt wurde, — auch den Grundsätzen der Menschlichkeit widerspricht. Die neue Advokatenordnnug Im Rahmen der Unifizierungsvorlagen hat die Regierung dem Senat die neue Advokatenordnung zugehen lassen, einen Entwurf von 141 Paragraphen. Der Motivenbericht unterstreicht das Prinzip der Unabhängigkeit des Advokatenstandes, welche die Autonomie der Organe dieses Standes zum Ausdruck bringt, nämlich der Advokatenkammern und ihrer Ausschüsse, ferner deS DisziplinarrateS und der Delegation der Advokatenkammern. Der Entwurf gibt diesen Organen Rechte an die Hand, welche die Erhaltung der StandeSdisziplin zum Ziele haben. Der gemeinsame Ausschuß aller Addokatenkam- mern, der als„Delegation der Advokatenkammern" bezeichnet wird, hat in der Hauptsache die Funktion dieser Kammern zu kontrollieren, über ihre Geschäftsordnungen Beschluß zu fassen, über RechtSmtt« tel gegen Beschlüsse der KammerauSschüffe zu entscheiden und im Wege von Anträgen und Gutachten auf dem legislatorischen Gebiet mitzuarbeiten. Genau geregelt ist daS Disziplinarverfahren. Die pekuniären Disziplinarstrafen sind bis zu 88.000 Kc erhöht, der Entzug des Rechtes, die Advokatie auSzuüben, kann bis zu zwei Jähren ausgesprochen werden. Für den Fall, daß ein Advokat zum Minister ernannt wird, darf er die Advokatie für die Dauer seiner Minifterschaft persönlich nicht ausüben und muß einen Vertreter haben. Die Advokaten dürfen keine Mittel und Verfahren anwenden, welche der Verschleppung von Prozessen dienen. Die Advokatenkammern können die Depositen der Advokaten revidieren. Verschärft find auch die Bestnnmungen über die Heranbildung der Advokaturskandidaten. Der Kammerausschuß darf gegen die ScheinpraxiS einschreiten und darf die Berechtigung deS Advokaten, Kandidaten in die Praxis aufzunehmen, einschränken. Er braucht auch eine nicht ordentlich auSgeübte Praxis nicht anzuerkennen, oder kann sie um ein weitere- Jahr prolongieren. Neu geregelt sind schließlich die Advokatenprüfungen, Rücksicht genommen wird dabei besonders auf daS.Verwaltungsrecht.. Bei den Advokateukam- mern werden oesönoere Kurse für die'Hera'nmldüng von Advokaturskandidaten geschaffen.
Das Dräger Programm Dalbos' Der französische Außenminister DelboS trifft auS Belgrad am 18. Dezember um 16.58 Uhr auf dem Wilsonbahnhof ein. Er wird vom Minister des Aeußern Dr. K. Krofta und hohen Funk- tionären deS Außenministeriums begrüßt werden. Am 16. Dezember wird sich der Minister in das Bssuchsbuch beim Präsidenten der Republik und beim Außenminister eintraaen. worauf er im Altftädter Ratdaus am Grabe deS Unbekannten Soldaten einen Kranz niederlegt. Hierauf nimmt Minister DelboS an I der Feier im Praaer Gemeindehaus zur Erinnerung
an den 20. JahrStag der Errichtung eines selbständigen tschechoslowakischen TruppenkörperS in Frankreich teil. Bei dieser Gelegenheit wird Minister DelboS dar Wort ergreifen. ES folgt eine Audienz und ein Dejeuner beim Präsidenten der Republik. Nachmittags besucht Außenminister DelboS den Vorsitzenden der Regierung Dr. M. Aodsa. Abends veranstaltet Außenminister Dr. Krofta ein Diner und einen Empfang im Saale deS CzerninvalaiS. Freitag wird DelboS einen Pietätsbesuch am Grabe T. G. Masarhks in Land machen. Hierauf findet ein inttmeS Dejeuner beim Präsidenten der Republik im Schloß Länp statt. Nachmittags besucht Minister DelboS das französische Ernest Denis -Jnsti- tut, abends nimmt er an einem vom französischen Gesandten in Prag de Lacroix veranstalteten Dmer und Rezeption teil. SamStag vormittags reist der Minister nach Paris ab. In den Rahmen der Besuche fällt auch ein Empfang, den DelboS der Presse gewähren wird. Generalstabsbesprechungen In Prag Bukarest . Der neuernannte rumänische Generalstabschef General Stephan I o n e s c u reiste Samstag abends nach Prag ab, um dort an der gemeinsamen Jahrestagung der Generalstäbe der Kleinen Entente teilzunehmen. Die letzte Tagung der drei Generalstäbe fonb in Bukarest im Jahre 1936 statt.
Verbotene Berichterstattung über militärische Dinge Das Innenministerium hat in einem Erlaß, der 15 Punkte umfaßt, die Veröffentlichung von Nachrichten über militärische Vorkehrungen, Einzelheiten über die Dislozierung der Wehr macht , über Verteidigungsvorkehrungen, neue Waffen und Abwehrmittel, über Vorkehrungen in der Grenzzone, über Armeelieferungen, organisatorische Einzelheiten der Armee sowie über den Bau und die Ausgestaltung strategisch wichtiger Eisenbahnlinien, Straßen und Brücken ete. verboten.
Der BudgetauSschuH des SenatS nahm Samstag nachmittags nach Beendigung der letzten Kapitel der Spezialdebatte den Staatsvoranschlag und das Finanzgesetz für 1938 unverändert an. Zum Budget selbst waren überhaupt keine AbänderungSanttäge eingebracht worden; einige kommunisttsche AbänderungSanttäge zum Finanzgesetz wurden abgelehnt, ebenso einige kommunisttsche Resolutionen. Große Wafferkraftreserven für die Elektrifizierung. Wie Arbeitenminister Jng. D o st ä- l e k im Budgetausschutz des Senates mitteilte, sind heute erst 77 Prozent der Bevölkerung mit elektrischem Strom versorgt, und zwar vorwiegend in den historischen Ländern. Durch die NichtauS« nützüng der Wasserttäfte geht uns alljährlich elektrischer Strom im Werte von etwa 200 Millionen KL verloren. Wir haben in den Wasserkräften also noch eine ausreichende ElektrizitätSreserv«. Wenn man alle Wasserttäfte ausnützt«, könnte man etwa drei Milliarden Kilmvattstunden gewinnen, das ist fast der gesamte gegenwärttge Bedarf in der ganzen Republik, allerdings würde der Ausbau dieser Wafferkräftt große Kosten erfordern, weshalb man dabei nur in Etappen vorgehen kann. Der Präsident der Republik empfing SamStag den Vorsitzenden der Regierung Dr. Hodjja, außerdem empfing der Präsident den Vorsitzenden der Paneuropäischen Union Dr. Couden- hove-Kalergi.
36 der Kleine VON iUGlNE DA BIT Berechtigte üebertraguD« aus dem Fransteiaehen von Bejot
Die Mädchen sind, frisch geschminkt, in ihren schreienden Seidenkleidern im großen Salon versammelt und warten auf das Geschäft. Eine nach der anderen verschwindet am Mm eines Kunden. Nach einer Weile kommen sie zurück und beteiligen sich am Tanz, der bald einem Bacchanale gleicht. An jedem Tisch sitzen Soldaten, junge und alte. Sie fühlen sich wie in einem Märchenland und vergessen Geliebte, Braut und Mutter. Ich habe eine Schürze umgebunden und mache den Kellner. Mama steht unten an der Treppe und läßt sich von den Gästen ihren Kassen- ausweiS zeigen, ehe sie nach/äben gehen dürfen. Ist etwas nicht in Ordnung, schiebt sie sie ins Büro ab, in dem Madame auf ihrem Throne sitzt. Manche nennen Mama Großmutter und lächeln ihr zu. Andere wollen sich den Zutritt mit Gewalt verschaffen. „Benehmt euch doch anständig", sagt sie dann. Und sie fügen sich und tun, waS die Hausordnung vorschreibt. „Weil Sie es sind, Frau Decamp." Im Borübergehen frage ich sie: „Ist es sehr schlimm?" „I bewahre. Sie schimpfen nur, sind aber nicht bösartig." Wenn es ihr aber doch einmal nicht gelinat, sich Respekt zu verschaffen, ruft sie den Chef. Er kommt, nimmt den Widerspenstigen in seine haarigen Pranken und schüttelt ihn. „Jetzt lassen Sie ihn laufen", sagt Mama. „Er hat verstanden".
Sie steht übrigens mitten im Zuge. Bon allem anderen zu schweigen. Seit sieben Uhr morgen» ist sie auf den Beinen. Jetzt ist e» Mitternacht. Ihre Augen glühen, chre Wangen sind fieberheiß. Haarsträhnen kleben ihr auf der Stirn. Mechanisch streicht sie sie zurück. Ihr Mund steht nicht still. Wie ein« Mutter plaudert sie mit den Soldaten, die nicht aufhören, sie in Anspruch zu nehmen. „Wir machen jetzt zu", erklärt Herr Gaston. Wir gehen in die Speisestube. „Schläfst du hier. Mama?" „Ja, auf dem Feldbett." Ich stelle«S für sie auf. Sie sintt gähnend darauf nieder. „Ein langer Tag!" »Liegst du denn gut? Sie hätten dir auch ein Zimmer geben können." „Habt ihr denn Zimmer an der Front? An den Lärm gewöhnt man sich. Ich'schlafe neben der Türe. Manchmal kommen noch ein paar Gäste nach Schluß und brüllen, sie wollten hinein. Einmal haben st« sogar Steine in den Hof geworfen und gedroht, daß sie das Haus anzünden würden, wenn man nicht öffnete. Mer alles in allem schlafe ich gut. Sei ganz unbesorgt." Sie umarmt mich. Im Borraum erwartet mich Herr Gaston. „Ich habe kein Zimmer für dich", sagt er. „Mer Marcelle macht dir Platz in ihrem Bett. Geh hinauf» sie erwartet dich." „Es tut dir doch hüffentlich nicht leid, daß du deinen Urlaub hier verbracht hast?" ftagt mich Mama. „Natürlich nicht. WaS hätte ich denn in Paris anfangen sollen?" „Du hast es dir wohl auch ganz nett hier eingerichttt, waS?" Dabei siebt sie mich von der Seite an. Ich gebe ihr«cher keine Antwort. Wir gehen über einen einsamen Boulevard. Rechts und links stehen Linden. Zwischen den
kleinbürgerlichen Häusern sieht man daS freie Land. »Kommst du sonst nj« hierher, Mama? ES wäre eine Erholung für dich. Du könntest dich hier ausruhen." „Nein, mir wäre es hier zu tot. Ich langweilte mich. Ich mache mir nichts aus dem Lande. Deshalb bleibe ich fast immer in der Rue des Dames-Gilles." Wir kommen auf einen Platz vor einer Kirche und setzen uns auf eine Bank. »Bald ist die Zeit um", seufzt Mama.»Du schreibst mir gleich. Alles in allem bin ich doch froh, daß du zur Artillerie gegangen bist. Es ist gewiß nicht so gefährlich." „Na, das heißt..." „WaS? Du verheimlichst mir etwas. ES ist Wohl doch sehr schlimm?" Sie sieht mir dabei fest in die Augen. Ich bringe das Gespräch schell auf ein anderes Thema, auf das Leben im Bordell, das ich gar nicht übel finde. Mama zuckt die Achseln. „Alltäglich ist eS ja nicht. Nicht immer so lustig, wie es aussieht. Ich stehe mich mtt allen gut, mache für die Mädchen Besorgungen in der Stadt, bessere ihre Wäsche aus, und sie erzählen mir ihre Geschichten. Arme Dinger! Ost paffen sie überhaupt nicht für das Gewerbe. Eines TageS haben sie sich verführen lassen, von einer Freundin oder einem Freund, und drinnen sind sie. Als ich kam, war eine da, die bald den Tod ihres Bruders erfuhr. Du hättest sie sehen müssen! Uebri- genS... du hast sie gekannt. Lily hieß sie. Sie ist mtt ihrer Freundin Jeanne fortgezogen, einer älteren, die mir einmal aus dem Krankenhaus geschrieben hat. Dort enden sie alle." „Zu mir waren sie sehr nett." „Ich weiß, Kleiner. Sie haben«ine offene Hand. Aber das Leben mit den Wirtsleuten ist nicht immer leicht. Bei denen wird Verdienen groß geschrieben. Wenn ich wüßte, daß ihr beide wie-
derkommt... Hat Bater mit dir von seinem Handel gesprochen? Aus, was?" „Jedenfalls will er nicht wieder auf den Bock", hat er gesagt. „Er wird müssen. Ich auch! Wir werden wieder von vorn anfangen. Nur, daß wir inzwischen älter geworden sind." „Ich weiß noch nicht, was ich dann mache. Aber ich habe das Vertrauen, daß es mir irgendwie glücken wird." Der Wend dämmert. Sn Mamas Augen spiegelt sich eine so starke Zuversicht. Eine so große Ruhe prägt sich aus auf ihrer Stirn, soviel Güte in ihrem Gesicht! > Ich stehe auf. „Wir müssen uns trennen, Mama." Wir umarmen uns. Sie entfernt sich langsam, wendet sich noch einmal nach mir um und wirst mir einen Ab- schiedSgruh zu. Dann ist sie verschwunden. Ich laufe eilig zum Bahnhof. 10. Kapitel Der Major steht am Eingang zum Unterstand und erteilt Befehle, die Leutnant Dumoulin mit Pfeifender Stimme wiederholt. Die Befehle widersprechen einander und sitid infolgedessen unverständlich und unausführbar. Eigentlich sind eS auch nur mit Schimpfworten gewürzte Rufe, weil wir, nach Ansicht der Wütenden, nicht schnell genug zum Mmarsch bereit sind. Am Waldrand stehen Packwagen. Alle sind zwar schon voll, aber noch immer ist die Fülle des Materials nicht geborgen. Die Offiziersburschen wissen nicht, wohin mtt ihren Menagekörben. Man schimpft, drängt, läuft umher: doch die Arbeit bleibt ungetan. Die Wagen müssen ausgeladen und in der Dämmerung und bei strömendem Gewitterregen nochmals bepackt werden. (Fortsetzung folgt).