Seite S Mittwoch, 15. Dezember 1937 Nr. 294 opportunistische Außenpolitik, man glaubt, daS Kokettieren nach allen Seiten entspreche den In« terxssen der beiden Länder. Mit einer solchen Po­litik ist schon Wilhelm II.   gescheitert, der zwischen England und Rußland   nicht zu wählen vermochte, der das angetragene Bündnis mit Großbritannien  mehrerrmals ausschlug bis sich England und Rußland   gegen den unsicheren Kantonisten ver­banden. Eine Weile mögen Beck und StojadinoviL auf der außenpolitischen Schaukel Kunststücke zum Besten geben, in entscheidender Stunde wird eS sich zeigen, daß nur eine grundsätzliche Politik möglich ist und daß das Vertrauen in eine stetige Politik, wie. sie die Tschechoslowakei   treibt, mehr wert ist als einige Armeekorps. Der Streit um Danzig  , den Korridor und Oberschlesien   wird ebenso wie der Kampf um die Adria im entschei­denden Augenblick aufflammen und dann werden Polen   und Jugoslawien   ihre wahren Freunde er­kennen und suchen. Wir glauben, daß die aufrichtige Freund- sckast, welche die Tschechoslowakei   mit Frankreich  und der Sowjet-Union   verbindet, im Interesse der Demokratie, des Friedens und des Fortschrittes gelegen ist. Wir begrüßen daher den französischen  Minister, der Mitglied einer Regierung ist, in der unsere französische Bruderpartei stark vertreten iit, als Sendboten des Friedens und wir werden dem Streben nach Befestigung einer Mächtegrup­pierung in Europa,  ' die einen zweiten Weltkrieg verhindern will, stets unsere politische und maro- lische Unterstützung leihen. 6en0886 Hackenberg im Senat; Sozialer und kultureller Fortschritt Durch die faschistische Kriegshetze bedroht Im Senat kam DienStag nachmittags im Laufe der Budgetdebatte Genosse Hackenberg zu Wort. ES wies nach, wie überall im Budget dringende soziale und kulturelle Forderungen zurück­gestellt werden müssen, weil die Rüstungm notwendigerweise den Borrang habe». AlS er dann der SdP auf den Kopf zusagte, daß der Faschismus und damit auch sie selbst diese Zustände zu verantworten haben, gab eS bei der SdP große Entrüstung. Unsere Genossen blieben die Antwort nicht schuldig, so daß bald ein ungewöhnlich scharfer Wortwechsel im Gange«ar, der noch lang« nach HackenbergS Rede in unverminderter Heftigkeit weiterging, um schließlich einen fiir die SdP nicht sehr rühmliche« Ausgang zu nehmen. Einleitend erklärt es Hackenberg für nicht nachahmenswert, die Generaldebatte zum Budget mit der Sve» zialdebatte zu verei­nigen, um so vor den Feiertagen noch Zeit zur Aufarbeitung des restlichen Pensums zu schaffen; eine solche Vorgangsweis« sollte sich keineswegs ständig einbürgern. ES ist für die zweite Kammer auch entwürdigend, wenn man hier über den Staatsvoranschlag spricht und kein Reffortvertreter anwesend ist.(Zustimmung.) Eine befriedigende Auswirkung der unstreitigen Besserung der Wirtschaftslage auf den Voranschlag ist leider» i ch t zu verzeichnen. ES gibt eine Reihe von Fragen wirtschaftlicher, sozialer, gesundheitlicher und kultureller Natur, die n i ch t entsprechend be­rücksichtigt werden konnten. Hiezu gehört die Hebung deS Exportes, an der die sozialistischen   Parteien ganz besonders intereffiert sind. Wir müffen ferner Klage darüber führen, daß zu, h?.«. u i.g. ft.j.p.« dukti b e Jnbestlt'i o n e n dnrchgrfuhrk werden. Wir haben ferner verschiedene Fonds, die auf regelmäßig« Jahresdotationen angewiesen sind, so z. B. den M« l i o r a t i o n S f o n d s, den Straßenfonds und den Fonds für Elektri­fizierung. Nun wurden aber die Dotationen so stark reduziert, daß für absehbare Zeit überhaupt keine Möglichkeit mehr besteht, aus den Mitteln dieser Fonos neue Arbeiten in Angriff zu nehmen. Die Erschöpfung der Fonds und der Kreditmangel brin­gen es mit sich, daß wir auch auf wirtschaftlichem Gebiete nicht das leisten können, was zur Ankurbe-1 lung der Wirtschaft nötig wäre. Oder nehmen Sie die sozialen Fragen! Unsere Arbeitslosenfürsorge ist nicht entsprechend, weil di« Arbeitgeber nicht herangezogen werden. Es wird aber notwendig sein, eine Versicherung gegen Arbeitslosigkeit zu schaffen, die leider eine dauernde Belastung bilden wird. Infolge der Ra­tionalisierung werden wir nicht imstande sein, in absehbarer"Zeit alle Arbeitskräfte unterzubringen. Hier kann nur eine entsprechende Verkürzung derArbeitSzeithelfen. Auch der Voranschlag des Gesundheit S- ministeriumS entspricht nicht unseren Wün­schen. Wenn wir unS ansehen, welche Beträge etwa zur Bekämpfung der BollSrankheiten und der In­fektionskrankheiten ausgeworfen sind, so müffen wir zugeben, daß das ungenügend ist. Ebenso sind zum Ausbau der Krankenhäuser entsprechend« Mittel nicht vorhanden. Uebrall leiden eben auch die Absichten des Gesundheitsministeriums darun­ter, daß eS di« entsprechenden Mittel nicht aufbrin­gen kann! Auch unsere Hochschulen haben«inen Ausbau dringend nötig. Nicht anders ist es bei den Mittel­und Volksschulen. Bei letzteren sind die Gemeinden häufig nicht imstande, die Lasten der Schulerhal­tung zu tragen, geschweige denn entsprechende Schulneubauten aufzuführen. Os» Problem der Minderheit s* schulen Nicht nur wir, sondern auch sehr viele Angehö­rige des tschechischen Volkes sstld hier der Ansicht, daß das Minderheitsschulwesen in der gegenwärtigen Form nicht aufrecht erhalten werden kann. Man kann nicht auf der einen Seite in deutschen   wie in tschechischen Gemeinden die Schulen vollkommen verwahrlo­sen lassen, ohne den Gemeinden beim Bau von Schulen zu helfen, während auf der anderen Seite P a l ä st e zur Unterbringung einer ganz geringen Zahl von Kindern in den Minderheitsschulen aufge­führt werden. Das ist k e i n e richtig« Lösung des Problems. Gewiß soll man für jedes Kind die Mög­lichkeit schassen, in seiner Muttersprache unterrichtet zu werden, aber eS ist nicht notwendig, künstlich Minderheiten zu schaffen! Kollege Hubka hat in der Ausschußdebatte ge­meint,«S seik e i n M a l h« u r". wenn die Kinder deutscher   Angestellter im tschechischen Gebiet« in die tschechische Schule gehen: Sie würden da­durch nicht entnationalisiert, aber sie erlernten die Staatssprache. Was würden Sie aber sagen, wenn wir derselben Auffassung bezüglich der t s ch e ch i- scheu StaatSbedienfteten Ausdruck gäben, die in deutsches Gebiet versetzt werden? Senatorin Plaminkovä: Das ist schon so! Hackenberg: Nein, das ist n i ch t so, sondern es wird für diese Kinder eine Minderheits­schule errichtet. Ich sprech^ wahrhaftig nicht vom nationalistischen Standpunkt, sondern ich will nur. Laß die vorhandenen Mittel auch für die tschechischen Schulen zweckmäßiger verwendet werden! Es hat auf gewisser tschechischer Seite Aerger- nis erregt, daß die Post für die deutschen   Provinz­theater heuer erhöht worden ist. Wenn Sie auf der anderen Seite berücksichfigen, daß für das National­theater i» Prag   11.8 Millionen ausgeworfen find außer den Zuwendungen für die tschechischen Provinztheater so darf man es nicht als Unrecht empfinden, wenn auch die deutschen   Theater bedacht werden, und zwar in einem Verhältnis, das man noch immer nicht als gerecht bezeichnen kann. Zwischenrufe des Senators Paulus von der Nationalen Bereinigung. Hackenberg: Regen Sie sich nicht auf. Mit Ihnen, dem Rationalisten, werd« ich nie Über­einkommen. Wir haben rin Recht der Kritik, weil w t r es wann, die im alte» Oesterreich daS an Ihnen begangene Unrecht in nationalen Fragen be­kämpft hccheu. Wir haben auch daS Recht, Forderun­gen zu stellen, und daran werde ich mich von Ihnen wahrhaftig nicht hindem lassen!(Zustimmung.) Selbst rüsten die einzige Sicherung Redner beschäftigt sich dann mit der Erhö­hung des Voranschlages insbesondere für Rü­stungszwecke und sagt hierzu u. a.: Als wir den Weltkrieg hinter uns hatten, haben wir unS all« der Hoffnung hingegeben, daß der Ruf der Heimkehrer.Nie wieder K r i e gl" in Erfüllung gehen werde. Hoffnungsvoll haben wir der Schaffung des Völkerbundes entgegen­gesehen und gehofft, daß eS nun möglich sein werde, dem Gedanken der Abrüstung näher zu kommen. Lei­der sind wir in unseren Erwartungen getäuscht wor­den; heute erleben wir fast den Zusammenbruch deS Völkerbundes. Auf der einen Seite sehen wir die Staaten mst demokratischer Verwaltung, auf der anderen Seite die faschistischen Staa­ten. Deutschland   ist nicht nur aus dem Völkerbund ausgetreten, es hat auch zu rüsten und dann, als«S sich stark fühlte, zu drohen begonnen. Wenn wir uns die Rundfunkhede von drüben gegen die Tschechoslowakei   ein bißchen anhören, so müssen wir auch als Pazifisten sagen: Jetzt gibt eS keine andere Sicherung, als selbst zu rüsten! Schmidt(SdP) ruft dazwischen: GureS Ein- vern-hmen mit seinem Nachbarn! Oie Hetzer aus der Tschecho ­slowakei Hackenberg: Der Wille zum guten Einver­nehmen mutz beiderseits bestehe« und darf nicht einseitig sein. Wir bezweifeln, daß bei dem heu­tigen Regime in Deutschland   der gute Wille besteht, frrundnachbarliche Beziehungen zu»ns zu unterhal­ten. Dafür, daß de« nicht f» ist, sorge» auch rin biß­chen Sie mit, dir Hetzer aus der Tschecho­ slowakei  ! Krawall bei der SdP. Zwischenrufe: Die Emigranten! Hackenberg: ES gibt auch Emigranten aus der Tschechoslowakei   in Deutschland  . ES sind dort Jung und KrebS und auch noch andere, die reichlich mit zur Hetze gegen die Tschechoslowake, bei­tragen. Und wenn Deutschland   sich auf den M, n- derbeitenschud bezieht, so muß man aus Südtirol   verweisen. Ich habe einige Jahre in Südtirol   gelebt und kann mir vorstellen, wie es den dortigen Deutschen   zu Mute ist angesichts der Be­handlung. die sie von dem Bundesgenossen Deutsch­ lands   unter Duldung Deutschlandi erfahrenl Die Südttroler Deutschen   dürfen keine deutschen   Schulen besuchen, sie dürfen nicht einmal den Religionsunterricht in ihrer Mutter­sprache genießen. Wenn es Ihnen(zur SdP), wenn es Deutschland   wirklich um die Minderheiten geht, dann haben Sie vor allem dort zuzuareifen. meine Herrschaften! Auch unser Standpunft ist es, in unserem Staate nationale Gerechtigkeit herbeizu­führen und wirklich das zu schaffen, daß wir uns als Gleiche unter Gleichen fühlen können. Aber daS ist eine Angelegenheit, die wir uns hier in diesem Staate ausmachenmüffen. von Nation zuNationl Das ist der Unterschied in der Auffassung zwischen uns und Ihnen! Zwischenrufe der SdP: Ihr seid nicht berech- tigt, im Namen des sudetendeutschen   Volkes zu spre­chen! Dr. Heller: Alle aktivistischen Parteien zusam­men haben in zwanzig Jahren nicht so viele Affären gehabt, wie ihr in drei Monaten! Hackenberg: Und wenn Sie nun berück- stchtigen, daß der Mehraufwand für unproduktive Zwecke im Boranschlag durch diese Kriegshetze, durch die von Ihnen mitverschuldete Rüstungs­politik herbeigeführt wird, dann werde« Sie mir recht geben müssen, wenn ich sage, daß Sie sich das Recht der Kritik an unserem Verhalten verwirkt haben.(Lärm.) Wir bedauern es, daß eS infolge dieser Verhältnisse nicht möglich gewesen ist. den Voranschlag so zu gestalten, wie wir eS gerne ge­sehen hätten. Wir werden aber für de» Boranschlag stimme«, well es gilt, die Demokratie zu erhalte«, und weil eS gilt, durch die Abstimmung für den Vor­anschlag auch für die Verteidigung deS Staates gegen den Faschismus zu sorge«. (Lärm bei der SdP. Lebhafter Leffall der Linkm.) * Or. Kostka für Schulautonomie Von sonstigen deutschen   Rednern ist Doktor Kost!» hervorzuheben, der von den staatlichen Siellen^vie besondere Beachtung der wirt­schaftlichen Verhältnisse in den deutschen  Gebicken fordert. Weiters verlangte er eine Durch­führungsverordnung zum 18. Feber, die für alle staatlichen Stellen verbindlich sein müßte. Eine tota­litäre Autonomie, wie die SdP sie fordert, hält er für unmöglich, wohl aber könnte in demokratischer Weise eine Schulautonomie durchgeführt werden. Ein Rationalüätenkataster sei aber unnötig, vielleicht sogar gefährlich. Der Präsident der Republik   empfing Diens­tag, den 14. Dezember, den Wiener Korrespon­denten derTimes" H. E. Read, ferner eine Deputation des Verbandes der Klubs der Akade- miter der tschechoslowakischen nationalsozialisti­schen Partei und schließlich den Abgeordneten An­ton S r b a. Die böhmische Landesvertretung trat Diens­tag zu ihrer Winterseffion zusammen, die vor­aussichtlich drei Tage dauern wird. Auf der Ta­gesordnung stehen u. a. Berichte über die Durch» fühxung des Sprengelschulgesetzes«. der. Landes« straßenaktion usw. Der Landesvertretung wurde auch der Bericht einer Subkommiffion des Ge- sundheitsauSschusses vorgelegt, welcher Anmer­kungen zum Entwurf des neuen Krankenhausge­setzes enthält. Zu Beginn der dienstägigen kur­zen Sitzung hielt der Vorsitzende Landespräsident Dr. Sobotka einen Nachruf für den verstorbenen Handelsminister Najman. Konkurs deS Faschistenführers Gajda. Am 20. d. M. wird beim Prager   Kreiszivilgericht über die Verhängung des Konkurses über das Vermögen des Faschistenführers R. Gajda ver­handelt werden. Bezeichnend ist, daß der Konkurs­antrag von dem ehemaligen Verteidiger und Mitglied der tschechischen Faschistenpartei Advo­katen Dr. Karl Langer gestellt wurde. 38 VONeugInedabet Berechtigte Uebertracun au dem Französischen von Bejot Nach einer Weile kommen wir an die Stel­lung der dreizehnten Batterie. Ringsum ist der Boden zerwühlt von Granateinschlägen. Der Telephonunteroffizier kommt uns ent­gegen. »Dicke Lust?" fragt ihn Gleize. Volltreffer beim dritten Geschütz. Die ganze Mannschaft ist gefallen." Die in Zeltbahnen gehüllten Körper liegen nebeneinander auf dem Boden. Fttix, Feret, Bou- tarel. Wir sind zusammen vom Urlarw zurückge­kommen. Sergeant Portugal, ein gutmüttger Riese. Mechanisch lasse ich daS Leitungskabel ab­rollen, das Gleize auf gur Glück verlegt. Auf der Straße wimmelt es jetzt von Soldaten: Infanteri­sten, Jäger, Koloniale, Italiener   in grünlicher Uniform, alle beladen mtt Schanzzeug, Maschi­nengewehren, Patronengurten. Sie verschwinden hinter einem Gebüsch. Noch ehe eine Stunde um ist, sind sie mitten im Kampfe. >< HEINE 11. Kapitel Wir erwarten den Kameraden von den achten Pionieren, der uns jeden Abend die neuesten Funkmeldungen bringt. Endlich kommt er. Wir eilen ihm entgegen wie dem Postvertei­ler und bestürmen ihn mit Fragen. ,bringst du gute Nachrichten?" Ja", antwortet er strahlend..Hört zu. Aber schon wird die Küchentür aufgerissen, und einer schreit: Der Boche haut ab. Morgen früh ziehen wir lös." Es ist einer aus der Schreibstttbe. Er hat genaue Informationen. Man johlt und tanzt vor Freude.- Das ist der Anfang vom Endel" Darauf müffen wir einen guten Happen genießen", sagt Cauvin. Dreckig, mit offenem Rock, überwacht er die Zubereitung einer Extrasuppe. Er kostet, tut Knoblauch daran, kostet wieder. Gradouble öffnet Konservenbüchsen. Ich nehme Teller aus einem Schrank. Wir setzen uns an einen langen Tisch, und Böguel baut ein Dutzend verstaubter Fla­schen auf. Wo hast du die gestohlen?" fragt Gleize. Er gibt keine Antwort, füllt die Gläser, er­hebt daS seine. Ich trinke aufs Wohl der Quasselstrippen­kolonne." Alles in allem haben wir bisher Glück ge­habt. Keinen Toten, keinen Verwundeten in der Abteilung. Aber unmöglich kann man den Ein­druck des Dorfes vergessen, das erfüllt war von einem entsetzlichen Verwesungsgeruch, und in dem die Toten, blau gedunsen oder graugelb mumifiziert, scharenweise auf den Straßen lagen. Bsguel singt: Und wieder sehen wir Panama  , Den Eifelturm und Notre-Dame  ... Ich schließe die Augen und sehe die Seine, die Kais, die Boulevards. Ich bin etwas betrun­ken, glaube ich. Ob's wohl diesmal wirklich wahr ist, Masse?" Todsicher." Er spricht mit ungestümer Begeisterung von unserer Zukunst. Er ist völlig verändert, umarmt mich, lacht mir zu, weiß sich nicht zu lassen vor Glück. Alle schreien durcheinander. Btguel will, wenn er erst frei ist, eine Woche lang nicht nüch­tern sein, Bruger und Gradouble phantasieren von der Rückkehr auf ihren Posten, Gleize vom Wiedersehen mft seinen in Lens wohnenden Eltern, Eauvin von Marseille  . Ach, keine Leitung wehr flicken, keine Wache mehr schieben, vor kei­nem Trommelfeuer mehr zittern müssen!... Jetzt erst fängt das wahre Leben an! Die alten sprechen von der Marne  , von den ersten Schützengräben, von den Kämpfen mn Verdun  , von einem stillen Herbst hinter der Front. Sie haben gute und schlechte Tage gesehen, menschliche Offiziere und feige, brutale Bestien. Sie erinnern sich an manchen Urlaub, an Frauen, an Kameraden, von denen ein hartes Geschick sie getrennt hat. Auch ich ordne meine Erinnerungen. Was ist aus Tavernier geworden? Aus Lemoignr, Jacques Eollin, Pierre Lentaigne, die verspro­chen hatten, mir zu schreiben? Vielleicht sind sie verwundet» vielleicht auch... Man hat sein« gesunden Gliedmaßen be­halten.(Und wie sehr haben wir uns manchmal einen Heimatschuß gewünscht!) Jetzt fängt Cauvin zu singen an: Jungfer Therese, Die schönste von Marseille  ... Er trifft keinen Ton. Dann schildert er unS den Hafen, die Cannebiöre. Das müßt ihr sehen! Ihr kommt und be­sucht mich, sobald der Friede unterzeichnet ist." Ich bleibe in Panama  ", erwidert BSguel geringschätzig. Und ich in Toulouse  ", sagt Salvat. Sie sind im Begriff, sich in die Haare zu fahren, als Gradouble aufsteht und die Madelon zu grölen beginnt. Schnauze!" herrscht Gleize ihn an. Dann läßt er seinerseits seinen Tenor erschallen: Wenn man ein halbes Jahr gefastet hat» Und dann zehn Tage Urlaub hat» Dann ist man kreuzfidel, Das ist wohl klar... Er machte eine Pause, und wir brüllen im Chor: Wenn der Muschkote Urlaub hat. Kämpft Poincarö an seiner Statt. Das ganze Repertoire wird abgeleiert. Jeder Refrain läßt irgendein Bild erstehen, ein heiteres oder ein trauriges: eine durchwachte, durchfrorene Nacht in der Stellung oder eine Szene aus der Zeit, da wir uns hinter den Ko­lonialtruppen abrackerten und bis zum Ueber- drutz ihr Lieblingslied vom Seesoldaten und seinem Brustkasten genießen mußten. Bruger, der sich auf seine Stimm« etwas einbildet, bittet um Ruhe und läßt uns dann eine Romanze aus dem Sommer 1914 hören. Salvat, den sein Erfolg nicht ruhen läßt, blökt uns den schaurigen Sang von denBat's d'Aff", den afrikanischen Strafbataillonen, in die Ohren. Dann ist es genug. Wir tanzen. Gradouble und Cauvin schieben, eng um­schlungen. Gleize schlägt mit den Händen den Takt. Bruger macht Luftsprünge. Ich tanze mst Masse. Er drückt mich fest an sich. Ist es der Wein, oder sind es die Zukunfsträume? Jeden­falls leuchten seine Augen, strahlt er Freude, Selbstvertrauen und eine sichere Kraft aus, die auch mit fortreißt. Ausverkauf!" kreischt Diguel.Ausver­kauf wegen Aufgabe des Geschäfts!" Wir unterbrechen unseren Tanz. Er hat Frauenkleider angezogen, stelzt auf und ab, kommt, sich in den Hüsten wiegend, auf uns zu, macht verführerische Augen. Er hat einen Schrank ausgeräumt und wirst nun seinen Inhalt unter uns: Handtücher, Laken und Hemden. Eine Frauenhose schwenkt er wie eine Trophäe. Salvat möchte sie ihm entteißen. Sie kämpfen, umeinan­der hüpfend, um die Beute. Möbel werden umgeworfen, Stühle zerbro­chen, Geschirr zerschlagen. (Fortsetzung folgt)