Seitr 4 Samstag, 18. Dezember 1937 9L-. 297 TlAesneuigkeitm Ein Volksfreund Der SdP-Abgeordnete Böhm bemängelte in der sozialpolitischen Parlamentsdehatte in sei» ner Jungfernrede am Freitag u. a., das; die Re» gixrung die Gelegenheit versäumt habe, die Fruge der Kollektivvcrträge durch ein Gesetz auf lange Sicht zu lösen und dabei zugleich auch das Prob­lem von Mindestlöhnen gesetzlich zu regeln. Da­gegen könnten nach Böhm»nur solche Unterneh» mer sein, die sich ihrer sozialen Pflichten gegen» über der Arbeiterschaft nicht bewußt sind und die vergessen, daß letzten Endes die höheren Löhne der Arbeiterschaft wiederum der Wirtschaft zufließen." Wir empfehlen dem Herrn Böhm, sich vom Christkindl eine Laterne schenken zu lassen und mit ihr dann in der SdP auf die Suche nach jenen sozial denkenden Unternehmern zu gehen, die ohne Widerrede bereit sind, gesetzliche Mindest» löhne zu akzeptieren. Es wird ratsam sein, daß sich Herr Böhm vom Christkindl gleich auch einen dicken Pelz schenken läßt, denn die eisige Ableh­nung, die er bei diesem Bemühen zu gewärtigen hat, dürfte ihn im Verein mit der Winterkälte todsicher in Erfrierungsgefahr bringen! In den Tod gefahren. In der Nähe von Böhm.»Wiesenthal fand ein elfjähriger Schüler beim Skifahren den Tod. Er fuhr auf Skiern in rascher Fahrt zu Tal und gelangte gerade in dem Augenblick auf die Straße, als dort ein Personen­auto vorbeifuhr. Der Schüler stieß gegen das Auto und wurde auf der Stelle getötet. Gendar­merie wurde an die Unfallstelle berufen, welche den Vorfall untersucht und nach der Identität des Schülers forscht. Mord an einer Prostituierte». In der Nacht zum Donnerstag zwischen 21 und 23 Uhr wurde in Pretzburg in der Jiringer-Gasse die Prosti­tuierte Margit Balenditsch ermordet. Ein unbekannter Täter stach ihr ein scharfes Messer in den Rücken und erdroffelte sie. Was ihr ent­wendet wurde, ist bisher nicht bekannt. Als Täter wird ein 25- bis 28jähriger Mann verdächtigt, der gegen 21 Uhr zu der Balenditsch kam. Hochwasser in Rom . Im römischen Stadt» teil Trastepere ist das Hochwasser des Tiber be< reits in die Straßen eingedrungen. An der Tiber­mündung bei Ostia haben die lleberschwemmun« gen ein besonders starkes Ausmaß erreicht. Der Ort Fiumiccio steht völlig unter Wasser. Flugplatz in Flammen. Auf dem Flugplatz in Philadelphia wütete Freitag ein schwerer Brand. Acht Flugzeuge wurden zerstört, zwei Flugzeughallen fast völlig eingeäschert. Die Lösch­arbeiten gestalteten sich infolge ständiger Explo­sionen von Benzintanks besonders schwierig. ES brennt in Deutschland . Auf dem Gut der Landesbauernschaft in Möhringenbei Stettin ist die 75 Meter lange Scheune voll­ständig niedergebrannt. Der Ernteertrag von 140 Morgen Land(darunter 2000 Zentner Weizen) fielen den Flammen zum Opfer. Außerdem ver­brannte der Stall mit der ganzen Schweinezucht des Gutes. Die amlliche Erklärung über die Drandursache lautet: Brandstiftung. Deshalb wur- Eine Milliarde Zigaretten wird monatlich In der Tschechoslowakei verraucht I Diese Ziffer wirkt sicherlich phantastisch und die Gegner des Nikotins werden von ihr nicht be­geistert sein. Aber sie ist wahr oder nahezu wahr. T«r Jahresverkauf an Zigaretten nähert sich bei uns fast der Ziffer von zwölf Milliarden und das ergibt nach Adam Riese einen Monats-Durch­schnitt von einer Milliarde. Diese Tatsache wirkt beinahe noch überwältigender, wenn man nun den Tagesdurchschnitt errechnet und ihn der Bevölkerungszahl oder, was doch noch richtiger ist. der Zahl der erwachsenen Bewohner der Republik gegenübergestellt(wobei man wieder berücksichtigen müßte, daß es ja doch vor allem immer noch die Männer sind, die den größten Teil des Nikotins verschlucken). Aber wir überlassen diese Arbeit des Dividierens unseren Lesern und bieten ihnen, nach dem Bericht, den eben jetzt der Generaldirek- tor der Tschechoslowakischen Tabak-Regie erstat­tete, nur noch folgende weitere Ziffern. Bon den fast zwölf Milliarden entfallen sechsein­viertel Milliarden auf die»Zora" und viereinviertel Milliarden auf die»Blast a", von der Heuer um 800 Millionen mehr umgesetzt wurden als im vergangenen Jahr. Dagegen wurden nicht einmal insgesamt 700 Millionen Stück»Aegyvtische",.Memphis " und »Letka" zusammen verkauft. Das Uebergewicht der beiden erstgenannten Vollszigaretten ist so stark, daß sie, obwohl doch die weitaus billigsten, auch im Erträgnis an barer Münze zusammen etwa 81 Prozent des gesamten Erträgnisses aus dem Verkauf unserer Zigaretten ausmachen I Und wiederum bringt die Zigarette überhaupt 83 Pro* zent des Gesamtertrags der Tabak-Regie zustande, während die Zigarre mit 5.5 Prozent fast schäbig dasteht. In den allerletzten Wochen hat die Zigarre Wohl«inen bemerkenswerten Vorstoß gemacht, der aber an dem Gesamtbild nichts än» dert; Zigarre, Zigaretten- und Pfeifentabak und gar schon Schnupftabak werden von der fertigen Zigarette immer mehr in den Hintergrund ge* drängt. Das hat auch soziale Auswirkungen auf die Tabak-Arbeiterschaft. In der Zigaretten- Trzeugung, die maschinenmäßig vor sich geht und sich also immer mehr vervollkommnen läßt, be» wirkt eine auch noch so vorsichtig inszenierte Ra» tionalisierung ein Sinken der Zahl der beschäftig­ten Arbeiter; die Zigarre aber, die nach wie vor durch Handarbeit hergestellt wird, sinkt im Kon« sum... Das Jahr 1938 wird wieder einigeN o- v i t ä t e n" der Tabak-Regie bringen. Vor allem, aus Anlaß des zwanzigjährigen Bestandes der Republik , Jubiläums-Zigarren in Packungen zu fünf Stück zum Preise von 5 und Jubi­läums-Zigaretten in Schachteln mit 20 Stück zu 7 XL. Beide Sorten sollen im März herauskommen. Zum Sokoltag werden gleich­falls Sonderzigaretten und»zigarren erscheinen; die Zigaretten in verschiedener Qualität, darunter auch eine bolksmäßige für 20 Heller. Und schon im Jänner wird es, allerdings nur für di« noblen Raucher, aus Anlaß der internationalen Hockey- Turniere in Prag , eigene Hockey-Zigaretten geben. Mit dem E x p o r t hat unsere Zigarette ohne ihre Schuld, denn die Konkurrenz ist eben zu groß wenig Glück. Zwar gehen etliche»Dag­mar" über See, auf der Pariser Weltausstellung wurden»Slavia" geraucht und im Vatikan scheinen den Herren unsere Rauchsorten gut zu schmecken. Sonst ist aber mit dem Export nicht viel los. Dafür ist aber, wie die eingangs ange­führten Ziffern zeigen, der Jnlandsverbrauch um so gewaltiger und der Staat verdient daran einen hübschen Batzen Geld. Wetterberichte unserer Schubhütten Zinnwald :4 Grad, 28 Ztm. Alt». 4 Ztm. Neuschnee, teilweise klar, ruhig. Skifähre gut bis sehr gut. Raturfreundehaus Gersdorf:4 Grad,«üte Schneelage unverändert., etwa 10 Ztm Neuschnee, bewölkt, Nord- bis Nordwestwind; geschloffene Schneedecke, Skifähre gut ab dritte Kiefer. Gut­temperierte Schlafräume, fließendes kaltes und war­mes Waffer. Bad und Dusche im Haus. den eine Anzahl Gutsarbeiter von der Gestapo in Haft genommen. Bei zwei weiteren Bränden, denen ebenfalls Riesenscheunen mit Erntevorräten anheimfielen, wird gleichfalls Brandstiftung be­hauptet, auch da ist es zu Verhaftungen gekommen. Interessant ist, daß die mit der Aktion beauf­tragten Geftapobeamten im Privatge'präch er­klären, alle der Brandstiftung verdächtigen Leute seienGegner des Systems".(F. K.) Antijüdische Ausschreitungen in Lodj. In Lodz ist es zu antijüdischen Ausschreitungen ge­kommen. In mehrere jüdische Geschäfte wurden ätzende Flüssigkeiten enthaltende Bomben ge­schleudert. Unter den Geschäftsleuten herrscht Unruh«. Im Zusammenhang mit diesen Angrif­fen wurden etwa 30 Parteigänger der demokra» tischen Partei verhaftet. Streik in New Nork. Zweitausend Angestellte eines Kabelwerkes sind in New Uork in den Streik getreten und haben den Betrieb besetzt. Sie führen ihren Streik in der Form eines»StehstreikS" durch. Bor 35 Filialen eines EinheitS-Kaufhau» ses, das bestreikt wird, stehen Streikposten. Wei* terS sind 6000 gewerkschaftlich organisierte Kraft- lvagendroschkenfahrer in den Streik getreten. Auf dem Passagierdampfer»Monarch of Bermuda" streikt die Besatzung von 350 Mann. Der Damp » fer tonnte gestern nicht rechtzeitig auslaufen. Gewerkschaftlicher Sturmangriff auf Ford. Der von dem Komitee für Industriegewerkschaften angekündigte Sturmangriff gegen Ford hat nun­mehr eingesetzt. In Detroit , der Stadt Fords, sind pagne, eine Viertelstunde lang am Radio zu den Fordarbeitern sprechen und an den Sonntagen sogar eine Stunde. Für den Besuch der Fordarbei- ter in ihren Wohnungen und für die Gewinnung von Gewerkschaftsmitgliedern sind Prämien bis zu hundert Dollar ausgesetzt. Gewerkschaftsfüh­rer dürfen am Radio in den USA für eine Kam­pagne gegen einen der Mächtigsten des Landes Propaganda machen! Uns dünkt, in manchen europäischen Demokratien wäre solches unmöglich. Hanna, was geschieht mit Dir? heißt der Roman von Henrik Heller, der eben in der illustrierten Wo­chenschrift ABC zu erscheinen beginnt und das unge. wöhnliche Schicksal einer jungen, schönen Frau schil» dert. die«in sonderbares Vermächtnis von Berlin nach San Francisko und nach Hawai führt. Rebe i vielen ausgesucht schönen Photos aus Spanien und China , sowie aus der übrigen Welt enlbält die eben' herausgekommene Nr. 31 derWochenschrift ABC Auf­sätze mit richtigem Bilderschmuck über..Reis und seine sprechende Stricknadel", über eine Erzeugung von ..Pilsner" Bier in Hongkong. Wie Shirley Temple Weihnachten feiert", darüber, was man vom Skisport wiffen muß, einen meisterlichen Bildbericht über den Winteranfang in Prag und neben dem Schluß des spannenden KriminalromansDer ABC-Fahrplan" noch vielerlei Lesenswertes und Interessantes. Trotz dieser Fülle des Inhaltes, den ABC zur größten deutschen illustrierten Wochenschrift der Republik macht und der von Stummer au Nummer reicher wird kostet das Heft nur XL 1.80. ABC ist überall er­hältlich. Ganzstaatkiche Ski- und Eislaufkurse. Während d«r Semesterferien(20. Jänner bis 8. Feber 1038) finden acht staatliche Ski» und zwei Eislaufkurse statt. TeUnahmeberechtigt sind Vereinsübungsleiter, Pro­fessoren. Lehrer und Kandidaten für die Fachgruppe (Turnen). Anmeldungen müffen bis 3. Jänner 1038 bei folgenden Leitern erstattet werden:(Skikurse) Böhmerwald : Prof. Dr. Wurdak, Böhm.-Krumau. Kaiserwald: Prof. Gattermann, Karlsbad . Erzge­ birge : Fachlehrer Sander. Qberleutensdorf. Nord- bihmen: Prof. Stocklöv, Mariäschein. Riesengebirge : Prof. Meißner, Ober-Altstadt bei Trautenau . Alt­vater: Prof. Breuer, Oderberg . Beskiden: Prof. Richter. Aussig , Doranthstraße. Slowakei : Prof. Ristler. Oderberg . Für Eislaufkurse im Jsergebirge (Friedrichswald bei Reichenberg): Leiterin Prof. Dr. Hergl, Reichenberg, Hauptmannstraße. Alwater (Karlsbrunn ): Leiterin dipl. Sportl. Fritzi Metz- ner, Troppau . Die Teilnehmer müffen von der Orts­leitung des Vereines und deren Hauptleitung den Nachweis erbringen, daß sie als Uebungsleiter be­stellt sind.(In unserem Falle: Ortsgruppe und Wg. Ernst Srnad, Prag .) Die Teünehmer genießen 50 Prozent Fahrpreisermäßigung. Legitimationen hiefür und di« dazu notwendigen Auskünfte erhält man bei den Bahnschaltern. Ortsgruppen oder Be­zirksleitungen. welch« gesonnen sind,«in befähigtes oder interessiertes Mitglied zu einem solchen Kurse zu entsenden, müffen umgehend die nötigen Schritte «.»leiten, um die Teflnahme zu ermöglichen, oa in einem Kurse meift nur eine beschränkte Teflnahme Vom Rundfunk Empfehlenswertes au* den Programme» Sonntag Prag , Sender Ir 7.30: Konzert aus Karlsbad : Dvorak . Maffenet etc. 10.00: Gesangskonzert tsche­chischer Lehrer. 14.20: Deutsch « Arbeiterfendung: Hörfolge der Arbeiterkinder: Solidarität lernt ba­stel»; zehn Minuten in einer Heimftube der Kinder» freunde. 15.00: Aus dem Rationaltheater: Jakobi­ner, Oper von Dvokäk. 17.85: Deutsche Sendung: Klassische Zeugen. 17.40: Funkwochenschau. 17.50: Benyovfly: Tas mittelalterliche Christigeburtsspiel. 18.50: Deutsche Presse. 20.05: Symphoniekonzert des tschechoslowakischen Rundfunkorchesters: Franck. Bycpälek. 22.35: Jazzorchester. Prag , Sender II: 14.30: Deutsch « Arbeitersendung: Für Volk und Friede. 14.35: Buntes Konzert. Brünn : 10.00: Klavierkonzert. 17.35: Deutsche Sendung: Mozart : Geigenquartett. Preßburg : 10.15: Mozart- Arien. Kascha«: 15.30: Militärkonzert. pslegung!) an Tagespension zu entrichten. Abend wird Frankenstein, der Leiter der Kam­sechs Gewerkschaftswerbebüros eröffnet worden. Die Zeitung»Der Vereinigte Autoarbeiter", die!zulässig ist. Außer der Eisenbahnfahrt find nur noch bereits eine Auflage von 150.000 Exemplaren s'rka 15 bis 25 XL(je nach der Teuerung-es Ge- in Wta in di-»MMte. Stten I te Vom Lanibursdicii zum ninisicrprasidcntcn Von M. 8.(Kopenhagen ) »Bom Laufburschen bis Ministerpräsiden­ten" so heißt das Buch, das ein bis jetzt unbe­kannter dänischer Scribent Johs. Lehmann dem dänischen Ministerpräsidenten Thorwald Stau- ning gewidmet hat. Der Titel ist nicht ganz originell. Vor etwa 50 Jahren kam in USA eine ganze Serie von Präsidenten-Biographien her­aus, und der Titel einer jeden Biographie bezeich­net« den Weg, den dieser oder jener Präsident der Bereinigten Staaten von seinen Kindesjahren ab gehen mußte, bis er auf der Höhe der Jahre und der Wirksamkeit in das Weiße Haus 'in Washing­ ton einziehen durste. Jene Biographien, die auch in europäischen Sprachen erschienen waren, waren immer wieder der Persönlichkeit des betreffenden Präsidenten gewidmet. Der dänische Biograph verbindet aber die Biographje Staunings mit der Geschichte der dänischen Sozialdemokratie, und das tut er so gründlich(nicht umsonst zeichnet er sein Buch als »Dr. phil . Johs. Lehmann"), daß die Persön­lichkeit Staunings in den Hintergrund tritt oder gar für die Dauer von mehreren Buchsciten ganz verschwindet. Es entspricht auch der Tatsache, daß Slauning nicht allein die dänische Sozialdemo­kratie geschaffen, großgezogen und zur politischen Macht geführt hat. Die Darstellung des gelehrten Verfassers, wie und warum die dänische Sozialdemokratie zu ihrer heutigen Stellung im Staat« kam, ist ziem­lich trocken. Und sie wirkt auf den unbefangenen Leser um so weniger stark, als die Geschichte der dänischen Sozialdemokratie sehr arm an drama­tischen Momenten ist. Ja, es gelang einst der dä­nischen Bourgeoisie, den allerersten Pionier des Spzialismus in Dänemark , P t o, zu überreden, daß er mit dem für ihn gesammelten Gelde nach Amerika auswanderte, um dort jene sozialistischen Experimente Lurchzuführen, die in Dänemark , ihrer.Ansicht" nach, erst nach dem Gelingen in USA erprobt werden sollten. Ja, es entstand ein» mal, Ende des vorigen Jahrhunderts, ein Hand­gemenge zwischen den demonstrierenden Arbeitern und der Kopenhagener Polizei, wobei diese leicht siegen und die roten Fahnen als ihre Trophäen mit sich mitnehmen konnte. Hiermit ist auch der dramatische Inhalt des Werdeganges der däni­schen Sozialdemokratie erschöpft. Um so stärker, man könnte sagen: um so wärmer wirken jene Seiten/ die dem Werde­gänge des jugendlichen Stauning gewidmet sind, und der ftische, freimütige Stil dieser Seiten läßt vermuten, daß Stauning selbst dem Verfas­ser diese Seiten erzählt oder gar diktiert hat. Wer könnte denn besser jenes arme Arbeiterheim schildern, in dem Stauning zur Welt gekommen ist, wer könnte besser als er selbst die Figuren seiner opferwilligen Eltern, Peter August und Frau Caroline» skizzieren? Der Vater hatte wenig Lohn, die Mutter alterte unter der Bürde des armen Haushalts schnell und früh, die beiden hungerten ost und mit Willen, weil sie jeden Groschen und jeden Bissen dem kleinen Thorwald abgaben. Staunings Vater starb früher als die Mutter, ihr aber wurde von der Natur ein so hohes Alter gegönnt, daß sie den Aufstteg ihres Sohnes erleben durfte. Der»Aufstieg" begann damit, daß der halb­erwachsene Knabe Thorwald die Stellung eines Laufburschen bei einem Kopcnhagener Krämer be­kam Laufbursche ist in Kopenhagen ein ganz an­derer Begriff, als z. B. in Prag . Seit uralten Zeiten ist es in Dänemark Brauch und Gewohn- heit, daß alle Arten Daren dem Käufer oder Be­steller ins Haus gebracht werden. ErNe Haus­mutter braucht nur zu telephonieren, um im Laufe einer halben Stunde im Hause alles empfangen zu können, was sie für»en ganzen Tag und die ganze Familie braucht. Der)unge Thorwald mußte vom frühen Morgen bis Abend die bestellten Eßtvaren Treppe auf und Treppe ab liefern. Zuerst war er bei einem Kvlonialwarenhänd- ler, wo der Lohn wöchenüich aus wenigen Gro­schen bestand und wo die Hausmütter des Ouar- tiers ihre Sparsamkeit auf jene Nickelmünze er» streckten, die man sonst hier im Lande dem Lauf» burschen gerne gibt. Der kleine Thorwald wünschte eine Veränderung, nicht wegen des kärglichen Lohnes, sondem weil ihn die Fortbildungsschule, die in den Nachmittagsstunden für alle Jungen seines Atters offen stand, lockte. So wurde er Laufbursche bei einem Bäcker, mit der Hoffnung, nur in den frühen Morgenstunden beschäftigt zu werden. Weit gefehlt, die Kopenhagener Damen verstanden es, Brot und Kuchen beim Bäcker zu jeder Tageszett anzufordern! Der Wissensdrang des Jungen siegte aber: er war einer der flei­ßigsten und besten Schüler der Nachmittagsschule. Nun wollten seine Eltern, daß er eine Stel- lung bekam, die dem Grad seiner Schulbildung mehr entsprochen hätte. Sie fanden auch eine Stellung für ihn: in dem Privatbankhause Seve­rin. Hier waren die Funkttonen des 14jährigen Thorwald um so mannigfacher, als das Bank­haus mit der Wohnung des Prwgtbankiers ver­bunden war. Thorwald war»Junge für alles": frühmorgens Schuhputzer und Küchenjunge, in den Kontorstunden Kontorist, Konzipient und Bank­bote, nach Feierabend hatte er auch für die Rei­nigung der Fußböden und der Treppen zu sorgen. Auch abends war er nicht frei, denn die»gnädige Frau", die Gattin des Bankiers, liebte es, Ge­sellschaften und Theater zu besuchen, hatte aber angst allein auszugehen. Thorwald war ihr »Abendpage", auch Nachtbegleiter, denn es konnte sehr spät werden, bis die Dame die Ge­sellschaft verlassen hatte. Dies alles für einen Lohn von zehn Kronen monatlich! Die Eltern Thorwalds faßten sich ein Herz und gingen zum Bankier. Ihr Wunsch ging da­bin, daß Thorwald eine Stellung als Bankkon­torist bekam. Der Bankier verlangte aber, daß man vbr allem für die Kleidung des jungen Kon­toristen sorgte, und dies überstieg die vorhan­denen Möglichkeiten. Es war eine Enttäuschung für die»Alten", es war aber auch ein Moment, der im Leben des jungen Stauning eine Entschei- dung herbeiführte. Arbeiten wollte er, aber als Arbeiter und«licht als Laufbursche oder Diener. Rasch entschlossen nahm er die Stellung eines Hilfsarbeiters bei einem Schmied an. Er hatte noch viel zu lernen, und die Lehre begann mit dem Schwingen eines Hammers. Dazu war er zu schwacher Konstitution, und schon nach zwei Mo­naten erkrankte er schwer. Wiederum suchten seine Eltern eine mehr passende Stellung für ihn, und nach der Genesung wurde er Tabakarbeiter in der kleinen Provinzstadt Fredericia . Biele, viele Jahre arbeitete Stauning beim Zigarrenfabrikanten Schmit in Fredericia , und eigentlich müßte das Buch des Herrn Dr. phil . Johs. Lehmann heißen:»Vom Tabakarbeiter zum Ministerpräsidenten", denn in Fredericia war es, wo Stauning reifte und wuchs, wo er in den freien Stunden las und studiette, wo sein großes Interesse für die Arbeiterbewegung erwachte, wo er sich der sozialdemokratischen Partei anschloß lind die älteren Führer der Partei auf seine Kenntnisse, seine organisatorischen Kräfte und seine wenn auch so trockene und knappe Beredsam­keit aufmerffam wurden. Erst in Fredericia be­gann der richtige politische Aufstieg Staunings, der ihn ins Arbeitszimmer des dänischen Mini» sterpräsidenten führte. Wenn die Geschichte der dänischen Sozial­demokratie arm an dramatischen Geschehnissen war, war sie auch arm an großen Führern. Sie hatte keine so großen Theoretiker, wie Marx, En­gels und Lassalle. Sie hatte keine so glänzenden Redner wie August Bebel , Wilhelm Liebknecht und Singer. Sie hatte keine so großen polttischen Erscheinungen wie Blum in Frankreich , van der Velde in Belgien und all« di« großen Russen Sie hatte aber ein« ganze Reihe von stillen, starken organisatorischen Kräften. Unter ihnen nahm Stauning einen hervorragenden Platz ein Als Organisator und leitender Parteiführer ging er und geht von Sieg zu Sieg. Als Staatsmann weit und breit bekannt und geachtet, hielt er sich als Privatmensch immer still im Hintergründe, und das Buch Johs. Lehmanns macht uns zum ersten Male auch mit Thorwald Stauning als Menschen unter Menschen bekannt.