Nr. 303
Samstag, 25. Dezember 1937
Seite 9
Mussolinis Tanz auf dem Vulkan
sönlich bekannt. Die Red.
Wir entnehmen der Wochenschrift Freies| Die Ereignisse in Spanien , die zu einer ers Deutschland "( Brüssel) die folgende Schilderung heblichen Belebung der Opposition führten, haben einer russisch- amerikanischen Journalistin über das auch den Terror der Schwarzhemden verdoppelt." unterirdische Italien . Die Uebermitt „ Es sind keine Menschen mehr", bemerkt eine Terin, Genossin Ba I a ban off, ist vielen unserer ligurische Frau, es sind wilde Tiere. Sie schlaArbeiter von ihren seinerzeitigen Vorträgen per- gen die Arbeiter bis zur Bewußtlosigkeit, manche sterben an den Verwundungen. Aber auch die Der faschistische Terror in Italien wächst von Schwarzhemden haben es zu büßen. Neulich wurMonat zu Monat und gibt so ein Bild von der den vier von ihnen tot aufgefunden."" Spione, wachsenden Opposition, von der man außerhalb Denunzianten überall", wirft eine andere Frau Italiens sonst faum etwas weiß. 15.000 Män- ein, auch Kinder werden zur Spionage verwens ner und Frauen sind in furzer Zeit von den be- det, so ist auch mein Sohn ins Gefängnis gekomsonders errichteten Ausnahmegerichten verurteilt men, wer weiß, wann ich ihn wiedersehe."" Tut worden, deren Dauer erst unlängst bis 1941 ber nichts", tröstet sie ein junges Mädchen, er wird längert wurde. Immer wieder melden Zeitungs- schon herauskommen. So mancher sist jahrelang notizen Prozesse gegen junge Arbeiter und bedeus im Gefängnis und ergibt sich nicht, und flagt nicht. tende Wissenschaftler; Prozesse, die beweisen, wie Tus sind Menschen." Ihre Augen strahlen vor die Unzahl individueller Widerstandsregungen Stolz.... aber allmählich zu einer kollektiven Aktion zusam= menwächst.
Eine russische Journalistin, die vor dem Kriege bereits in Italien lebte, Sprache und Bebölferung fennt, veröffentlicht in einem in New York erscheinenden bürgerlichen Blatt eine Reihe von Artikeln über das unterirdische Italien ".
„ Das unterirdische Italien tennt fast niemand, es ist tief verborgen, viel tiefer und geheimer, als es in Rußland vor der Revolution der Fall war", schreibt sie. Die ganze Jugend ist militarisiert. Die ganze Jugend verbeugt sich vor dem zum Gott gemachten Diktator, das ganze Land ist eine Bühne für seine Aufführungen. Sind alle zufrieden? In den Cafés und Theatern tragen sie stets das faschistische Abzeichen, wenn sie ez zu Hause ablegen, befreien sie sich auch von ihrer Maske oder ist das keine Maske mehr?"
Ein Aufruf, den die Journalistin an den Wänden liest, beantwortet ihre Fragen:
Straferpeditionen werden, organisiert gegen die Lokale, in denen Radioübertragungen aus Spanien abgehört worden sein sollen. In Ras benna, Anfona, Florenz hat man Radioapparate und ganze Lokale zerstört, die Anwesenden geprügelt, die Lokalbefizer verhaftet."
Während des Aufenthalts der Verfasserin in Turin , hat dort ein Prozeß stattgefunden gegen Intellektuelle und Arbeiter- Syndikalisten. Der eine, ein bereits wissenschaftlich bekannter Laborant der Universität Turin , ist zu 19 Jahren verurteilt worden. Und zwar nicht zum ersten Male. Staum hatte er nach Verbüßung der früheren Strafe das Gefängnis verlassen, als er seine Tätigkeit wieder aufnahm." Flugblätter wurden gedruckt, unter Studenten und Arbeitern verteilt, die Verbindungen mit der ausländischen Zentras len aufrechterhalten oder wieder angeknüpft.
das Leben hat sich in Italien verbes sert", sagen die Verehrer Mussolinis und die Touristen: Welche Sauberkeit in der Eisen bahn ."
Der Feind muß zerschmettert werden. Gr muß überall gesucht werden. In den Salons der ,, Wissen aber die Touristen", fragt die Intellektuellen, in den Büros der faulenzenden Beamten. Sucht überall, vernichtet sie alle, die Journalistin, was hinter der Fassade vor sich Staufleute, die Teuerung verursachen, diejenigen, geht? Wie die Bauern, die Fischer, die Arbeiter die falsche Berichte über Spanien verbreiten, um bas Heldentum unserer Soldaten in Abrede zu ftellen, sucht unter denen, die mit unserer Aftion in Ethiopien unzufrieden sind und schließlich unter den Arbeitern, die am wenigsten schuld find, denn sie sind unwissend."
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Der Rausch der Ovationen und der Lärm der Militärmujit fönnen die Stimmen der Empörung nicht unterdrüden und der Terror fann nicht die Widerstandsaktionen niederschlagen, die sich hier und da bereits bemerkbar machen.
Jn Genua und anderen großen Städten ers Tosch die Elektrizität für zwei Stunden, als sie wieder angezündet werden konnte, las man auf den Mauern:
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Weg mit dem Faschismus! Wir wollen unsere Söhne aus Spanien zurück haben. Nieder mit dem spanischen Krieg!"
" In Ligurien ", heißt es in dem Artikel weiter, sind die antifaschistischen Stimmungen besonders start. Eines Morgens sprach man allgemein von einem Auto, aus dem Aufrufe geworfen wur den gegen die Entsendung von Soldaten nach Spanien ... Der Markt ist zu einer Art Frauenklub geworden, wo sie ihrer Unzufrieden heit Ausdruck geben.„ Das Del ist wieder teurer geworden, um 30 centesimi. Wohin soll das führen? Was wird aus uns werden? Gestern ist der Sieg gefeiert worden, heute sollen wir auf den Tropfen Del verzichten.
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Leben? Haben sie eine Ahnung von dieser Not?| nalistin. Sie, die erst jüngst in Italien getvesen Und weiß jemand etwas von den Geschehnissen ist, bezeugt durch erlebte Beispiele, das, woran in den Sterfern auf den Strafinseln? Und wissen die italienischen Sozialisten nie gezweifelt haben. die Touristen etwas von dem ununterbrochenen Der Geist, mit dem der Sozialismus die Massen unterirdischen Stampf? und den besten Teil der Intelligenz Jahrzehnte, mo Die einen werden verhaftet, zu Tode ge- lang erfüllt hat, ist nicht tot. martert, die andern nehmen den revolutionären Stampf wieder auf. Wieviele sind sie? Junge, Alte, Arbeiter, Intellektuelle. So manchen von ihnen habe ich gesehen. Was für eine Selbstbeherrschung, welche Entschlossenheit, welcher
Glaube.
Sie opfern sich auf; man könnte glauben, daß sie gar keinen Widerhall finden. Das glauben aber nur die Ausländer. Das Volk weiß, das Volk unterstützt die Revolutionäre. Bald werden die Waffen, die nach Spanien gehen, beschädigt, bald ein ganzer Transport, bald sind es Flugacuge, bald Frachtschiffe für Franco, die gesun fen sind, bald sind es illegale Flugblätter, die aus dem Ausland kommen und verbreitet werden. lieberall find Spuren illegaler Arbeit, überall Spuren der Hilfe, die das Volk den Revolutionären gibt.
Ich habe eine Mutter gesehen, deren beide Söhne und eine Tochter im Sterfer fißen. Sie iveiß, daß sie sie nicht wiedersehen wird, aber sie erträgt ihren Kummer heldenhaft:„ Es ist im mer beffer Opfer als Henker bu sein", sagt sie mir.
An anderer Stelle sind es zwei Jungverheis tatete aus reicher Familie, beide arbeiten illegal; beide befinden sich am Rande des Abgrundes, aber sie sind lustig, mutig, hoffnungsvoll.
Der italienische Idealismus ist auferstans den in unserem Zeitalter des Materialismus. Es schien mir manchesmal, daß ich mich unter den Revolutionären des alten Rußland befinde. Diefelbe unerschrockenheit, derselbe Verzicht auf perfönliches Wohlergehen, dieselbe Opferfreude. Mehr als 20.000 sind verhört, mehr als 15.000 verurteilt worden. Ihre Namen werden nie bes fannt werden. Vielleicht wird das künftige Italien ihnen das Monument der unbekannten Freiheitstämpfer" errichten, heute aber opfern sie ihr Leben anonym."
Soweit die bürgerlich- unpolitische, aber nicht oberflächliche und nicht unwissende Jour
Japanischer Angriff auf Amoy
Acht japanische Kriegsschiffe beschossen soeben, unterstüßt von der japanischen Luftflotte, die Befestigungen des Hafens Amoy an der Südküste Chinas . Auf dem Bild der Hafen von Amoy .
Heilige Nacht
Stille der heiligen Nacht Sinkt über die Erde. Sterne sprüh'n auf
Und gleißendes Kerzengeflimmer. Und die großen, alten Glocken Die in verschneiten Türmen Geträumt,
Heben die erzenen Stimmen: Friede den Menschen Und Frende
Und das Köstlichste ihnen: Die Liebe.
Aber die Menschen hören Die Glocken nicht. Sie gehen fern
Am Rande der Welt
Und sind wie an rauschenden Abgrund Gestellt.
Wenn aus ihren erloschenen Augen Ein Lenchten bricht- Dann ist es nicht Abglanz der Freude Und nicht der Liebenden Licht.
Dann ist es der glühende Haß Oder das harte Brennen der Not Oder ein schener Funke von Hoffnung
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Und dann sind ihre Angen wieder Kalt und tot.
Stumm geh'n sie und fern
Am Rande der Welt
Und sind an den dunkelsten Abgrund Gestellt.
Und dennoch:
Die Flamme i stDie dem Leben sie hält. Unsichtbar brennt sie Und brennt gar fein. Und einmal
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o, einmal Da wird es sein:
Da steigt die Flamme
Heilig und groß
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Wie das Christnachtswunder
Aus göttlichem Schoß
Und allen Menschen wird es
Geſcheh'n: pubień2 als
Wird keiner mehr
Ohne Liebe geh'n.
E. H.
Ein Rattern des Motors, sie war fort. Ich habe sie am nächsten Tag, während der nächsten Wochen in Paris gesucht. Zehnmal wat ich in dem kleinen Restaurant, in der Hoffnung, sie dort nochmals zu treffen. Aber Paris ist groß,
auf diesem Plaz; solltest du eine wirkliche Weih-| mitten in der ausgelassensten Tanzstimmung, zu nachtsüberraschung für uns haben?" weinen begonnen hätte. Eine Frau, die um Mitternacht, während der Réveillon weint, muß sehr unglücklich sein. Ich bat fie, Vertrauen zu mir zu haben, mir von ihrem Summer zu erzählen. viel zu groß. Ich habe sie nicht mehr gesehen. Außerdem kann ich Frauen nicht weinen sehen. Sie hat mir dann alles gesagt: von der Vergessen habe ich sie trotzdem nicht das ganze
„ Die Orchideen", begann Sven zögernd,„ es gedeckten Weihnachtstisch, rückte die Sessel zurecht, ist... aber eigentlich ist es besser, wenn ich euch stellte eine Base zur Seite. So! Es war ihm iezt schon alles sage. Wir haben noch einige Mies sich gewünscht hatte. Wenn man zwanzig rau reserviert, die ich ein Jahr nicht gejeben Strankheit ihrer Mutter, dem Posten, den sie in lange Jahr. Und deshalb bleibt dieser Platz heute nicht leicht geworden, alles vorzubereiten, wie er nuten Zeit. Dieser Plaz neben mir ist für eine Jahre lang den Weihnachtsabend nicht im eigenen habe. Genauer gesagt: seit dem letzten Weth den nächsten Tagen verlieren würde. Um sich zu leer neben mir und die lila Orchideen werden mich
Heim verbracht hat, verliert man allmählich die llebung. Sven wurde nachdenklich. Welch seltsame Weihnachtsabende hatte er in diesen zwanzig Jahren erlebt! Unter dem Südkreuz und im nördlichen Kanada , unter den Mispelzweigen von London und bei den Freunden auf der Gummiplantage in Java. Und dann war er endlich in der Heimai gelandet. War zum ersten Mal nicht
Gast, sondern erwartete selbst Gäste.
nachtsabend
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„ Ein Abenteuer?" warf Fabry ein.
betäuben, nicht auch an diesem Abend fort über an das seltsame Weihnachtserlebnis von Montihre Sorgen grübeln zu müssen, war sie in dieses martre erinnern. Lokal gekommen, traurig und fremd und saß mir nun gegenüber.
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Die drei schwiegen.
Unten fuhr ein Auto vor. Dann hörte man Tritte auf der Treppe, eine Klingel läutete und eine Stimme rief polternd:„ Verdammt, wir sind die letten?"
„ So dürft ihr es nicht nehmen. Ein Zufall, ein Erlebnis, vielleicht noch mehr... Ihr wißt doch, daß ich im Vorjahr um die Weihnachtszeit Ich könnte euch jetzt sagen, die Frau war gerade in Paris weilte. Er war ein trauriger schön. Aber das wäre zu wenig, wäre banal. Sie Abend; inmitten der lauten Fröhlichkeit und der war sehr schön und aus ihren Worten sprach ein tangluftigen Stimmung des Montmartre fühlte ich tiefer Ernst, und ich schämte mich über den Geso etwas wie Heimweh nach unserem stillen Weih- danken, den ich- ähnlich wie ihr jetzt eine Gordon. Er war noch immer der alte, unverbesDie Freunde lächelten; daran erkannten sie Es läutete. Brailoff und Fabry traten ein, nachtsfest. Ich ging über den Boulevard de Clichy. Minute gehabt hatte: daß ich einer geschickten ferliche Schreier. schüttelten Sven die Hände, sagten ihre Glück ließ mich vom Strom treiben. In einem kleineren Abenteurerin gegenübersize. Nein! Sie blieb" Halloh", schrie Gordon und kam zur Tür wünsche. Die drei alten Freunde verstanden ein- Restaurant, das ich von früher kannte, ſetzte ich bis zwei Uhr mit mir zusammen, ich füßte ihre hereingestürzt. mich zu einem Tisch. Mechanisch studierte ich das Hand und schenkte ihr Blumen, aber als ich sie eine Freude, euch wiederzusehen, alles allright, „ Sven, Brailoff, Fabry, das ist ander, auch ohne viel Worte zu machen. Du erwartest noch große Gesellschaft?" Menu, bestellte einen Wein und blickte gelangweilt bat, mir ihren Namen zu sagen, sich mit mir am gute Geschäfte, Gesundheit, was?" Er schlug fragte Brailoff und legte vorsichtig ein weißes und mißmutig auf die grotesken Berrenkungen nächsten Tag zu treffen, verschloß sie mir den Fabry krachend auf die Schulter.„ Entschuldigt, Paket unter den Weihnachtsbaum, wo sich bereits einer Jazzband. Mund mit ihren Fingern. Geheimnisvoll, uner- das Wichtigste hätte ich ja beinahe vergessen: In diesem Augenblic trat eine Dame ein; fannt ging fie, wie sie gekommen war. Ich durfte Fabry, Sven, Brailoff, meine alten Freunde die Geschenke häuften. Gordon kommt", sagte Sven. Die Freunde sie blickte über die Tische, die jetzt alle besetz: sie zu einem Tari begleiten, dann reichte sie mir und dies ist Myrna, meine Frau!" schauten fragend auf ihn. Ich wollte meiner waren und wollte wieder gehen. Ich sah, wie der die Hand zum Abschied. Ohren nicht trauen, als er mich heute morgen an- Maitre d'Hotel mit ihr sprach, auf meinen Tisch Sie sollen mich nicht suchen", sagte sie und rief. Ein Zufall führt ihn auf zwei Tage in wies. Ich war nicht in der Laune, mir eine Ge- eine leise Traurigkeit schwang in ihrer Stimme unsere Stadt. Ich habe ihn sofort gebeten, heute sellschaft aufdrängen zu lassen aber etwas in mit, es war ein Abend, den wir beide nicht so abend mein Gast zu sein den Augen der Frau machte mich nachdenklich. rasch vergessen werden. Wozu die Illusionen zer„ Er foll bor einigen Monaten im Ausland Sturz und gut, sie sekte sich zu meinem Tisch stören? Sie sind doch so selten! Nur eins ver-„ Habe ich dir nicht immer gesagt, Myrna, geheiratet haben", sagte Fabry." Ja", erwiderte aber wenn ihr glaubt, daß dies der Anfang eines sprechen Sie mir: wenn Sie sich nächstes Jahr daß mein Freund Sven ein unübertrefflicher Sven, wir werden seine Frau hier kennen banalen Abenteuers gewesen wäre, so irrt ihr am Weihnachtsabend noch ein wenig an mich er Junge ist", lachte Gordon schallend und zeigte mit euch. Sie blieb stumm, beantwortete meine Fra - innern, so lassen Sie den Plaz neben sich frei der Hand auf den Tisch, weiß gar nicht, wer du Bleibt noch immer ein freier Blas". stellte gen mit einem abweisenden Niden und alles wäre und legen Sie zwei Orchideen hin, von derselben bist und hat doch erraten, daß lila Orchideen deine Brailoff, der Pedant, fest. Und lila Orchideen wohl anders gekommen, wenn sie nicht plötzlich, Farbe, wie Sie sie mir heute geschenkt haben..." Lieblingsblumen sind!" J. W.
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Yernen."
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Sven beugte sich über eine Frauenhand, die in der seinen zitterte. Als er sich, unfähig vor Staunen und Erregung, aufrichtete, sah er in zwei Augen, die in fassungsloser Ueberraschung auf ihn gerichtet waren.