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Dienstag 28. Dezember 1837

Serie 5

MWsüMUWU Das Wanderungsproblem Nach einem Bericht des Internationalen Arbeitsamtes über die Wanderungsfrage betrug die Zahl der Personen, die in den 87 Jahren von 1846 bis 1832 von Europa nach überseeischen Ländern ausgewqndert sind, schätzungsweise 60 Millionen, deren Verteilung über. diesen Zeit­raum jedoch keine ungebrochene Entwicklungslinie «ufmeist Naturgemäß sind die Auswandererzah­len heute höher als vor neunzig Jahren. Ihr jeweiliger Auf- und Abstieg aber ist eng an die jeweilige politische und wirtschaftliche Lage der Ein- wie der Auswanderungsländer gebunden. So nahmen die Bereinigten Maaten im Jahr- fünft von 1906 bis 1910 848.182, Yon 1.931 bis 1935 dagegen nur 116.370, d.^weniger als in dem einzigen Blütejahr 1926(479.013), Einwanderer auf. Aehnlich verhält es sich mit den kontinen­talen Binnenwanderungen. So nahm das Deut­sche Reich vor dem Kriege jährlich eine große An­zahl ausländischer Arbeitskräfte auf. Insbeson­dere landwirtschaftliche Saisonarbeiter, z. B. in den Jahren 1912 bis 1914 allein über 500.000, 1921 aber nur noch 22.000, 1928 wieder 136.000 und 1932 nur 10.000. Ebenso ging in den Vereinigten Staaten von Amerika die Zahl der Einwanderer von durchschnittlich 87.400 in den Jahren 1911 bis 1915 und über 160.000 in den Jahren 1921 bis 1924 auf 9186 im Jahre 1935 zurück. Dasselbe Bild bietet sich stellenweise mit gewiffen Abweichungen in den übrigen Ländern. Diese Entwicklung wurde seit einigen Jah­ren noch verstärkt durch eine bedeutende Rück­wanderungsbewegung. So weisen die Vereinigten Staaten, Argentinien , Frankreich , im Gegensatz zur Vergangenheit, seit 1931 eine passive Wan­derungsbilanz auf, während in Polen , Italien , Mexiko , Großbritannien in einzelnen Jahren oder Jahresreihen die Zahl der zum großen Teil rückwandernden Einwanderer überwog. Entscheidend haben zu dieser Entwicklung neben Ktteg und Wirtschaftskrise behördliche Maßnahmen beigetragen. Um in der Wirtschafts­krise die ost unzureichenden offenen Arbeits­stellen den Inländern zu sichern, verwehrte man Ausländern den Zutritt oder erschwerte ihn auf jede Weise(Paß- und Visazwang, Kontingen­tierung der Einwanderung; Verbot der Beschäf­tigung von Ausländern). Gleichzeitig förderte oder erzwang man die Abwanderung der früher zugelassenen Einwanderer. Unter diesen Umstän ­

Man erhält für

100 Reichsmark.,.

.. 625.50

Markmünzen...

,. 672.50

100 österreichische Schilling

,. 526.50

100 rumänische Lei..

,, 16.35

190 polnische Zloty..

«. 507.50

109 ungarische Peng».,

.. 551.50

100 Schweizer Franken «

.. 656.50

100 ftanzöstsche Franc».

.. 96.20

1 englisches Pfund..

.. 141.25

1 amerikanischer Dollar.

.. 28.30

100 ttalienische Lire..

.. 119.40

100 holländische Gulden<

.. 1577

100 jugoslawffche Dinare,

.. 61.05

100 Belga »....»

.. 482.50

109 dänische Krone«».

.. 631

100 schwedische Kronen.

.. 729

den sahen, sich verschiedene Auswanderungsländer, obwohl selbst an Arbeitslosigkeit leidend, gezwun- gen, die AuSwcmderung einheimischer Arbeits­kräfte zu erschweren oder ganz zu sperren. Wie es scheint, ist jetzt jedoch der kritische Punkt überwunden. Die Zahl der Rückwanderer ist seit 1934 im Fallen und die der Auswanderer erneut im Steigen begriffen. Besonders in Süd­ amerika macht sich ein starker Bedarf an ftemden Arbeitskräften fühlbar. In Brasilien (Sao Paulo ) mußten sogar staatliche Kredite für die Förderung der Einwanderung von Landarbeitern bereitgestellt werden. Auch die umfangreichen Siedlungspläne Argentiniens verdienen Erwäh­nung, die zur Gründung eines Siedlungsamtes in Buenos Aires und auch schon zu Abkommen mit der Schweiz und Holland , denen weitere fol­gen sollen, geführt haben. Aehnlich ist die Lage in Europa . So brach­ten in Belgien die Bedürfnisse der Wirtschaft eine Milderung der Einwanderungsgesetzgebung (Erteilung persönlicher Arbeitsgenehmigungen statt Kontingentierung der Einwanderung l zu­wege, und das Deutsche Reich öffnete durch Ab­kommen mit Polen und der Tschechoslowakischen Republik den Landarbeitern aus diesen Staaten wieder seine Grenzen. Gleichzeitig wird die Aus- wanderung, besonders nach Südamerika , geför­dert. Der schweizerische Bundesrat bewilligte eine Million Franken für Auswandererhilfe, und die polnische Regierung bemüht sich um Fahr­preisermäßigung bei den Schiffahrtsgesellschaften und veranstaltet Schulungskurse für künftige Siedler. Welche Bedeutung diese Probleme für die Tschechoslowakei haben, geht schon daraus hervor, daß vor der Zeit der Wanderungs- und Einwan­derungsbeschränkungen von hier jährlich bis zu 50.000 Menschen auswanderten. DaS Gebiet der siärfften Auswanderung war der Osten des Staates, die Folgen der Stauung zuletzt sank die jährliche Quote bis auf 5000 wurden aber im ganzen Staate fühlbar, denn diese Zehntau­sende, die sonst ihren Erwerb im Ausland und zum großen Teil in Uebersee suchten, drückten nun auf den inländischen Arbeitsmarkt. Die Zahl der so zur Arbeitslosigkeit Verurteilten erreicht Hunderttausende. Wenn es auch in jüngster Zeit gelungen ist, Erleichterungen zu erzielen, wobei die Unterbringung von ungefähr 8000 Berg­arbeitern in Belgien erwähnt sein soll, lastet das Problem doch noch schwer auf dem Staat. Eine internationale Behandlung des Wan­derungsproblems erfolgte auf der Konferenz der skandinavischen Länder vom Oktober 1935 und auf der Panamerikanischen Konferenz von Ende 1936. Auch die Jnternattonale Arbeitsorganisation hat sich seit ihrer Gründung mit dem Wande­rungsproblem beschäftigt. Seit 1921 unterhält sie eisten eigenen Wanderungsausschuß und die Jnternattonale Arbeitskonferenz hat schon Meh­rere Uebereinkommen angenommen, die eine Er­leichterung des Loses der Auswanderer bezwecken. Ebenso hat die im Jänner 1936 in Santiago in Chile abgehaltene Konferenz der amerikanischen Mitgliedstaaten der Organisation auf die Dring­lichkeit des Problems gerade in der Gegenwart hingewiesen. Bald darauf begab sich eine Mission von Beamten des Internationalen Arbeitsamtes nach Südamerika , um an Ort und Stelle die NiederlafsungS- und Siedlungsmöglichkeiten europäischer Auswanderer zu studieren: das Er­gebnis dieser Reise wurde zu einem Bericht an den Wanderungsausschuß des Internationalen Arbeitsamtes zusammengefaßt, der daraufhin

dessen Verwaltungsrat eine Reihe praktischer Vorschläge machte. Sie zielen auf ein internatio­nales Zusammengehen, besonder- zur Behebung der technischen und der finanziellen Schwierigkei­ten, ab. Der Verwattungsrat beschloß ferner, die Frage der Anwerbung und der Unterbringung der Wanderarbeiter und ihrer Gleichberechtigung gegenüber den einheimischen Arbeitern des Ein­wanderungslandes auf die Tagesordnung der Arbeitskonferenz von 1938 zu setzen. Daneben wird die Frage der Wanderungen von Siedlern weiterbearbeitet. Auf beiden Gebieten dürsten l>ald greifbare Ergebnisse vorliegen.

Zementhöchstpreise verlängert. Die PreiS- schiedskommission beim Landesamt in Prag hat die Geltung der Regierungsverordnung vom Ja­nuar 1936, durch welche Höchstpreise für Zement festgesetzt wurden, bis zum 15. Feber 1938 ver­längert. Blottendorfer Glashütten wieder in Betrieb. Mit der Wiederinbettiebnahme der Glasfabrik Annahütte " in Blottendorf wird nun in beiden großen Glashüttenbettieben dieses von der Wirt- fchaftskrise besonders stark heimgesuchten Jndu- strieortes voll gearbeitet. In der von einer tsche­chischen Genoflenschast angekauftenRudihütte", ehemals ,^larahütte", wird schon seit längerer Zeit wieder gearbeitet. DieAnnahütte" hat jetzt rund hundert einheimische Glasmacher und Hilfs­kräfte ausgenommen, die kaufmännische Leitung wurde Gremialdirektor Rudolf Helzel in Haida übertragen. Die Firma geht nun allmählich auch zur Erzeugung gläserner Spezialartikel(Rubin­überfang, feinstes Kristall ufw.) über. Kleiner Znckerverdrauch in der Tschechoslo­ wakei . Nach den von der internationalen Zucker­industrie angestellten Erhebungen weist das kleine Dänemark von allen Staaten den größten Zuckerverbrauch auf, nämlich 55.9 Kilogramm pro Jahr und Einwohner. ES folgen in dieser Statistik sodann: Großbritannien mit 54.6, Australien mit 49.8, Schweden mit 48.8, die Vereinigten Staaten mit 47.9, Kanada mit 44.9, Irland mit 38.7, Schweiz mit 36, Norwegen mir 31.9, Belgien mit 29.8, Niederlande mit 28.9, Oesterreich mit 26.4, T s ch e ch o slowakei mit 26, Frankreich mit 25.1, Deutschland mit 25 Kilogramm. In Dänemark , Großbritannien und Schweden werden also doppett so große Zuk- kermengen verbraucht als in Deutschland , Frank­ reich und der Tschechoslowakei . Aenderungen der belgischen Bergarbelterversidierung Die Bergarbeiterversicherung wurde kürzlich in Belgien erneut abgeändert; insbesondere wurde eine Verbesserung der Leistungen vorgenommen. Die normale Altersrente für den-verheirateten llntertagarbefter wurde von 6000 auf' 6300 Franken erhöht, diejenige für unverheiratete, ver­witwete oder geschiedene Untertagarbeiter von 4002 auf 4302 Franken, diejenigen für den ver­heirateten Uebertagarbeiter von 4800 auf 5000 Franken. Die verhältnismäßige Altersrente des ver­heirateten Arbeiters wird unter Zugrundelegung von 210 Franken für jedes Dienstjahr untertagr und von 170 Franken je Dienstjahr übertage be­rechnet. Die verhältnismäßige Altersrente der unverheirateten, verwitweten oder geschiedenen Arbeiter wird unter Zugrundelegung von 143.30 Franken je Dienstjahr untettage und von 133.60 Franken je Dienstjahr übertage berechnet.

Die Invalidenrenten betragen jetzt 133.60 bis 210. Franken für jedes Dienstjahr je nach Familiengröße und der Dauer der Beschäftigung deS Arbeiters im Bergbau, an Stelle von 120 und 90 Franken gegenüber den früheren Bestimmun­gen. Der Mindestbetrag der Invalidenrente würde von 1800 auf 3200 Franken jährlich erhöht.: Die Hinterbliebenenrente, die ohne Rück­sicht auf ihr Alter den Witwen der Arbeiter zu- steht, die wenigstens 30 Jahre im Bergbau ge­arbeitet haben. Wurde von 840 auf 1200 Fran­ken jährlich erhöht. Die Witwen im Alter von wenigstens 60 Jahren erhalten eine Rente von 3000 Franken jährlich. Die Waisenrenten für die Kinder unter 16 Jahren wurden auf 630 Franken jährlich für die ersten vier Waisen festgesetzt, während sie früher 360 Franken für das erste Kind, 460 für da» zweite Kind und 540 Franken für das dritte Kind betrugen. Zur Deckung deS Mehraufwandes und zum Ausgleich des Haushatts der Landeskgsse wurden die Beiträge auf 11 v. H. erhöht; 6.5 v. H. sind vom Arbeitgeber und 4.5 v. H. vom Versicherten zu tragen.

Arbeitslosenversicherung in den Vereinigten Ltsstvn von Amerika 21 Bundesstaaten der Bereinigten Staaten von Amerika beginnen im Jänner 1938 mit der Auszahlung der Arbeitslosenunterstützung. Nach dem Bundesgesetz für soziale Sicherheit bestimmen die Bundesstaaten selbst Höhe und Art der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, die Höhe der Unterstützungen, die Dauer der Warte­zeit» die Bezugsdauer der Unterstützung und die Art der Verwaltung der Arbeitslosenkassen. Bis­her sind in 45 Bundesstaaten Gesetze über die Arbeitslosenunterstützung erlasien worden. Nach dem genannten Bundesgesetz für soziale Sicherheit darf in den Bundesstaaten mit der Auszahlung der Arbeitslosenunterstützung frühe­stens zwei Jahre nach der ersten Beitragszahlung begonnen werden. Die Rücklagen, die die verschie­denen Bundesstaaten mit Arbeitslosenkaffen bis zmn 15. September 1937 angesammelt haben, betrugen 447 Millionen Dollar.

In Kurze: Wien . Die LegitimistenorganisationKreis der österreichischen Soldaten" hat eine unifor- miecte und militärisch organisierte Jugend­gruppe errichtet, welche dieEiserne Le­gion" heißt. DieseEiserne Legion" wird in ganz Oesterreich Zweigstellen gründen. »'' Rim. Der neue Bizekönig von tArchiopien, der Herzog'von Aosta, ist in Addis Abeba eingetroffen, wo er von Marschall Grazianu und sämtlichen Mili­tär- und Zivilbehörden feierlich empfangen wurde. Bukarest . Wie der.Adeberul" meldet, ist der Direktor Fenice der Zuckerfabrik in Sascut, Bezirk Focsäni, der italienischer Staatsangehöriger ist, wegen politischer Propaganda für die Eiserne Garde mit sofortiger Wirkung aus Rumänien ausgewiesen worden. Dem Ersuchen FeniceS, ihm eine fünftägige Wartefrist zu gewähren, wurde nicht entsprochen. Kairo.(Havas.) Am 5. Jänner n. I. wird in Kairo der deutsche ReichS-Propaganda-Minifter Dr. Goebbels erwartet, der etwa drei Wochen in Aegyp­ ten weilen wird. Er wird am 6. Jänner Nahas Pascha einen offiziellen Besuch abstatten und hirr- I auf zur Erholung nach Nord-Aegypten fahren.

Tan-a*Nah, der Medizinmann Von Edgar v. Hartmann Schwermütig und uferlos lag die unermeß­liche Einsamkeit der fibirischen Steppe vor uns. Die endlose sumpfige, jeden Augenblick den Tod bringende Tundra hatten wir verlassen. Rächt für Nacht schlugen wir unsere Zelle an kärglichem Lagerfeuer auf. Wölfe, zu Hunderten und mehr, hatten unser Lager Nacht für Nacht umkreist. Aber da unsere Karawane zum Teil au» erfahrenen Jägern und alten, schon jahrelang hier reisenden Kaufleuten bestand, dazu einen alten erfahrenen Tungusen als Führer hatte, waren wir heil durch das Sumpf­gebiet der Tundra gekommen. Unsere Wege trennten sich die Kaufleute, Handelsleute und Jäger zogen nach Norden, während ich mit meinen beiden Begleitern zu einem Tungusenstamm nach Nordosten wollte. Rur noch zwei Tage trennttn mich von dem Stammplatz der Tungusen, wber diese beiden Tage waren aufregender als die wochenlange Fahrt durch das heimtückische Sumpfgebiet. Am ersten Tage überraschten uns Sturm und Regen, so daß wir kaum zehn Schritt weit in der Dunkelheit der tief herabhängenden Wolken sehen konnten. Sor­genvoll saßen wir am Abend um unser Lager­feuer, das nur wenig Licht und Wärme spendete. Die Nacht brach herein, der Regen rann stärker und stärker, der Sturm heulte gleich Höllengespenstern über un» hinweg und in dem aufregenden Ge­heul dieses Unwetters hörten wir zu unserem Entsetzen das unaufhörliche wilde Bellen der Wölfe, die unser Lager umschlichen. Zitternd und voller Grauen saßen wir am Feuer, und im Geiste wähnten wir uns schon von den Wölfen gefressen. Hier, in der totenstillen Einsamkett und in dem monownen, gleichmäßiger.

Rauschen des Regens und im Heulen des Stur­mes erkennt der Mensch seine Machtlosigkeit. Die Natur erwacht aus ihrer dumpfen Ruhe, rast mit ungeheurer Gewalt über die zum Teil noch mit Schnee bedeckten Flächen, vernichtet und begräbt, was sich ihr in den Weg stellt. Stunde um Stunde verrann keiner wagte in dieser Nacht schlafen zu gehen. Mit aufge­peitschten New en, am allmählich niederbrennen- den Feuer, erwarten wir den Morgen. Düster und unheimlich brach der Tag an. Wir waren entschlossen, so schnell wie möglich zum Lager der Tungusen zu kommen. Der mißtrauische Schamane In der Dämmerung des nächsten Nachmit­tags sahen wir nicht weit vor uns die einsamen Hütten und Zelte, dazu die Renntierherden und HUnde des StmnmeS. Mißtrauisch wurden wir von dem Medizinmann oder Schamanen ausge­nommen. Tan-a-Rah, fo hieß der Schamane, war in der ganzen Gegend und bei befreundeten Stämmen als böswillig und hinterlistig verrufen. Der erste Eindruck, den ich von Tan-a-Nah er­hielt, war ganz dazu angetan, mein Mißtrauen zu verstärken. Selbstverständlich wurde unter voller Zeremonie der»Große Geist" befragt, ob unser Verweilen bei dem Stamme auch angenehm sei. Dieses Geisterbefragen kannte ich schon von anderen Stämmen. Der Schamane geht in lein Zelt, in welches er nur allein Zutritt hat. Dort bleibt er eine Weile, läßt unmögliche Laute er­schallen, und führt dazu einen Tanz auf. Ist das geschehen, wird der Fremde in das Zelt gerufen, und die Prozedur beginnt noch ein­mal. Der Schamane handelt jetzt mit dem Fremden, um durch dessen Anwesenheit recht viele Vorteile zu erreichen. Mich konnte Tan-a-Nah auf diese Art nicht betrügen. Nachdem-er erst hundert Patronen und drei Pistolen verlangte, einigten wir un» schließlich auf zwanzig Patronen und ein Messer. In seinen Blicken konnte ich aber lesen, daß der Große Geist mtt doch nicht wohl

gesinnt war. Also war Vorsicht geboten. Wir er­hielten«in Zelt angewiesen, durch das der Wind in allen Tonarten pfiff, ein Zeichen dafür, daß man uns nicht als Gäste des Stammes betrach- tete. Kurze Zeit darauf erschien eine ältere Frau, brachte Licht und auch etwas zu essen. Beide- war für unsere Begriffe ungenießbar. Das Licht be­stand aus einer Schüssel Tran, auf dem eine Holz­rinde schwamm. Das Essen aus einem blutigen, rohen Brei, Pferdemilch und getrocknetem Fisch. Für die Nacht erhielten wir einen Haufen Felle und bald lagen wir im ttefsten Schlaf, obwohl der Regen in das Innere des Zeltes gepeifcht wurde. Geheimnisse der Tungusen Lebt man hier oben unter den verschiedenen Dolksstämmen, so ist man gezwungen, sich den Sitten und Gebräuchen der Bewohner anzupassen. Eine tägliche Reinigung ist undenkbar. Die Tungusen sind ein Volk, das in der Hauptsache von Pelztierfang, Fischerei und Pferdezucht lebt Als Bewohner der nordischen Tundra, ständig von Gefahren umgeben, sind sie zäh und abgehärtet, und nur der Wind, Wetter, Sturm, Regen und der gewaltige Donner, der die Steppe erbeben läßt, sind die Vertrauten dieser Romadenvölker. Ihre Hütten sind mit Fellen und Pelzen verklei­det. Das Familienleben ist patriarchalisch. Der Vater bestimmt in allen Hausangelegenheiten, er verkauft auch seine Tochter an den Meistbietenden. Aber trotz ihrer absoluten Primitivität und Ab­hängigkeit von dem Schamanen und dem Großen Geist stehen die Tungusen auf einer höheren mora­lischen Stufe als manches andere Volk. So viel Haß und Neid, so viel Ränke, Betrug und Lüge wie bei den Kulturvölkern kennt der Tunguse nicht. Bei allen Steppenvölkern steht das Gast­recht als geheiligt da. Die Frau spielt im Leben der Romadenvölker eine große Rolle. Während sich der Mann in den unermeßlichen Gebieten auf der Jagd befindet, muß sie die Herde, die Hütte und ihre Kinder betreuen. Kranksein kennen sie nicht. Und selbst wenn sie Kinder zur Welt brin­

gen, reiten sie schon nach ein paar Stunden mei­lenweit durch die Sttppe... Für un-.?äre es in diesem Falle besser ge­wesen, wenn wir in einer Hütte mit einer Tun« gusenfamilie hätten wohnen können. Doch der heimtückische Schamane hatte uns wohlweislich in einer leerstehenden, abseits liegenden Hütte unter­gebracht, um seine bösen Absichten besser ausfüh­ren zu können... Der Ueverfall Plötzlich schrecke ich aus dem Schlaf auf. Un­durchdringliches Dunkel um uns instinktmäßig fühle ich, daß jemand im Zelt ist. Leise tastet meine Hand nach dem Revolver. Deutlich höre ich die schleichenden Schritte des Eindringlings. Otxvohl wir uns in höchster Gefahr befinden, tue ich, als ob ich schliefe. Aus den leisen Geräuschen höre ich, daß die Eindringlinge in unserem Waf­fenvorrat wühlen. Ich wußte sofort: es ist der Slüamane mit seinen Leuten. Die Lage war äußerst ernst. Die Waffen konnte und durfte ich nicht stehlen lassen, meine Begleiter konnte ich auch nicht unbemerkt wecken was sollte ich tun? Da kam mir ein Zufall zu Hilfe: ein Geräusch> wodurch entstanden, konnte ich nicht feststellen weckte auch meine beiden Begleiter. Ich springe auf, stürze aus dem Zelt und unklar erkenne ich hinter mir her den Schamanen, der sich auf mich stürzen will. Aber schon trifft ihn der Kolben meiner Pistole derart auf den Kopf, daß er hin­tenüber stürzt. Inzwischen hatten im Zett meine Begleiter seinen Raubgenossen gefesselt und ich band mit meinem Pelzriemen den sich sträubenden Md um sich schlagenden Tan-a-Nah die Hände auf dem Rücken zusammen. Der nächtliche Vorfall war nicht ohne Lärm abgegangen und hatte schnell die schlafenden Bewohner geweckt. Noch in derselben Nacht wurde der Schamane vor dar Aeltesten- Gericht geschleppt und mit Zustimmung des ganzen Stammes für immer ausgestoßen.