Sekte 2 Freitag, 31. Dezember 1237 Vr. 307 und seine Verbündeten Völkerbund garantierten Rechte der Minderheiten und der auf Grund der Friedensverträge in Rumänien eingebürgerten Juden anzugrcifen. Angesichts dieser Tatsache fällt es schwer, die außenpolitischen Versicherungen GogaS ernst zu nehmen. Die vom König berufene Diktatur Toga, welche die Verfassung in dem Augenblick beschwört und einzuhalten verspricht, in dem sie sie verletzt» entspricht keineswegs den Bedürfnissen deS rumänischen Volkes und des rumänischen Landes. Die Spannungen, von denen die rumänischen Verhältnisse erfüllt find, werden durch die Diktatur Goga nicht beseitigt, sondern eher verschärft werden, und die außenpolitische Kraft Rumäniens wird genau so leiden wie sein An- scrwrrke arbeitete«» doch«ar die GaSzusührung immer noch etwas schwächer. Gegen Mittag nahmen auch die Straßenkehrer und AifallrSnmer den Dienst auf, de« sie jedoch nicht bewältige« konnte«. Di« Straßen waren stark verunreinigt, insbesondere in der Gegend der Zentralmarkt- halle. In der Pariser Vorstadt Nanterre besetzten nachmittags die Angestellten der Gasanstalt deren Betriebe. Verstärkte Polizisten- und Gardistenabteilungen räumten im Laufe des Nachmittags die Gasanstalt« K a i r o. Di« Differenzen zwischen dem 18jährige« König Faruk und dem Ministerpräsident NahasPascha haben dazu geführt, daß der König die Regierung Nahas Pascha kurzerhand entließ und den Führer der liberalen Partei Mohamed Mahmud Pascha mit den Verhandlungen über di« Neubildung der Negierung beauftragte. Mohamed Mahmud Pascha hat bereits die Verhandlungen ausgenommen. ES sollen in ihr alle Parteien mit Ausnahme der Wasd-Partei vertreten sei«, dere« Führer der entlassene Nahas Pascha ist. Ja der neuen Regierung hat Mahmud de« Vorsitz und daS Innenministerium, Jehia das Außenministerium, Ismail Sidki daS Finanzministerium und General Husei daS KriegSmini- sterium übernommen. Köniz Faruk entläßt das Kabinett Koalition aller Parteien mit Ausnahme der Wafd-Partel geplant Paris . Donnerstag«m halb 5 Uhr früh wurde in einer gemeinsamen Sitzung der drei Sekretäre des Allgemeinen ArbeitSverdandes und des Ausschusses der Syndikate der streikenden Gruppen der Beschluß gefaßt, den Streik der Pa riser städtischen Angestellten zu beenden. Vorher hatte« die Sekretäre deS Allgemeinen ArbeitSverdandes eine längere Beratung mit dem Innenminister D o r m o y in Anwesenheit der sozialisti schen Minister Paul F a«r e und GeorgeS M o n n e t. In dieser Sitzung gaben die Mitglieder der Regierung Garantien, welche von den Delegierten als hinreichend zur Wiederaufnahme der Arbeit anerkannt wurden. In der Rächt ließ die Regierung a«S Brest Mechaniker, Chauffeure«nd Elektrotechniker des militärischen Marinedienstrs nach Paris berufen, um sie zur eventuellen Sicherstellung deS Betriebes in den ElektrizitätS -, Gas-«nd Wasserwerken zur Verfügung zu habe«. Ihr Einsatz war jedoch nicht mehr erforderlich. Der Beschluß, den BerkrhrSstreik zu beende«, wurde rasch in die Tat«mgesrtzt. Donnerstag früh fuhren die ersten Züge der Untergrundbahn mit nur unbedeutenden Verspätungen a«S«nd auch die Autobusse Haven den Verkehr aufgenommen. Auch die ElektrizitätS -, Gas- und Was- Einlgung In Rekordzeit Ministerpräsident Ehautemps hatte zunächst Verhandlungen mit den Delegierten der Streikenden abgelehnt, solange der Streik nicht abgebrochen sei. Die sozialistischen Minister wandten sich jedoch gegen diese Auffassang EhautempS, der «nter diesem Druck den Innenminister D o r m» Y mit Verhandlungen betraute. Im Laufe von dreiviertel Stunden war eine vollkommene Einigung erzielt. In sozialistischen Kreise« wird jetzt darauf hingewiesen, daß dir Verhandlungen gezeigt haben, daß eS auch ohne Streik zu einem befriedigen- den Abschluß gekommen wäre. den positiven Plänen der französischen Politik. Wie konnte eS also geschehen, daß dadurch in Frankreich Enttäuschung und Unruhe geschaffen wurde? Wie konnte es geschehen, daß anstatt das als einen Anhaltspunkt zum Frieden anzusehen — nachdem alle ernsten Konfliktstoffe beseitigt waren,— darin für Europa eine Gefahr zu erblicken? Die Erklärung ist schwierig. Die französische öffentliche Meinung ist überrascht davon, daß diese Annäherung, an der wir vergeblich gearbeitet haben und welche wir nicht durch unsere Vermittlung verwirklichen konnten, ohne uns zustande gekommen ist. Im übrigen ist sie in einem Augenblick erfolgt, wo die Diktate Hitlers und die Abenteuer Mussolinis unsere eigenen Beziehungen mft Deutschland und Italien verschlechtert haben. In einem immer wieder geteilten und zerrissenen Europa war ihre tatsächliche Folge, daß das Gleichgewicht der Kräfte im Interesse der totalitären Mächte geändert wurde, d. h. der Rächte, welche darauf bestehen, den Krieg als ein legitimes oder gar notwendiges Mittel ihrer Ausdehnung und Größe zu betrachten. Schließlich, wenn sich diese Bündnisse nicht gegen uns auSwirken,— denn wir bleiben überzeugt, daß ihre Urheber in gutem Glauben die Unversehrtheft der Beziehungen ihrer Länder mft Frankreich zu erhalten beabsichtigen— waren sie nicht von demselben Geist anderen Ländern gegenüber beseeü, welche in erster Linie unsere Freunde und unsere Verbündeten sind. Indem es sich Deutschland annäherte, näherte sich Polen sicher nicht der SSSR und der Tschechoslowakei . Die direfte Abmachung Jugo slawiens mft Italien hatte nicht den Zweck, die Klein« Entente zu verstärken, welche für Mussolini ein Stein des Anstoßes geblieben ist. Bon da rührt die Unruhe her, da war die Gefahr. Sie läßt sich nicht sogleich wie ein böser Traum verscheuchen. Aber man bann sich trotzdem damit abfinden, daß sie nach der Reise, des Herrn DelboS sich allmählich lösen Wirch. Richt nur die deutsch -italienische und die ftalo-serbische Annäherung find zwar nicht gegen Frankreich gerichtet, was sich von selbst versteht, aber sie können zu einer Zuspitzung gegenüber den Freunden uns Verbündeten Frankreichs führen. Die ftanzösische Diplomatie hat eS trotz aller Anstrengungen, die sie feit mehr als einem Jahr macht, nicht vermocht, in dem Verhältnis zwischen Polen und der Tsche choslowakei eine Versöhnung herbeizuführen, welche die Umstände mehr als je erfordern. Aber zwischen Polen und der Sowjetunion haben sich die nachbarlichen Verhältnisse fühlbar verbeffert. Die Bande zwischen der Kleinen Entente haben sich nicht gelockert oder haben sich zumindest neu geknüpft. Man kann es zur Stunde für sicher halten oder mindestens für sehr wahrscheinlich, daß die drei Staaten, welch« sie bilden, bereit sind, ihre politische, wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit zu verstärken. Man kann dem hinzu- ügen, daß sie die Projekte einer Donaukoafödera- tion, welche seft einigen Monaten im Umlauf sind, und di« bereits mit Ungarn eingeleiteten Besprechungen, unter dem gleichen Gesichtspunkt betrachten. Wir versprechen uns von der Europareise eines französischen Ministers keine Wunder. Aber trotz alledem beginnt man die seit dem Macht« antritt der Volksfront, die durch die Politik des Herrn Laval und durch das Diktat vom 7. März (welches davon die direkte Folge war) verursachten Schäden zu beheben. Pariser Verkehrsstreik beendet Arbeitsaufnahme nach Zusicherung von Lohnerhöhungen Inner baD der französischen Sozialdemokratie Hat sich eine Diskussion über Wert und Bedeutung der Reise deS Ministers Delbos nach Ost- und Mitteleuropa entspannen. Im Außenausschuß der Kammer und in der Zeitschrift „LumiSre" Hat Grumbach das Ergebnis der Ministerreise kritisiert. Für die Politft der französischen Sozialdemokratie find jedoch richtunggebend einige Artikel, die im Hauptblatt der Partei, im»Populaire", in den letzten Tagen fortlaufend erscheinen und von denen wir den nachstehenden bringen. Die Arttkel find stets an der Spitze des Blatte« und in einer Weise aufgemacht, die erkennen läßt, daß sie aus der Feder eines hervorragenden Führers der fran- ■ Mischen Sozialdemokratie stammen. Wir haben gezeigt, daß die Reise des Herrn DelboS, weit davon entftrnt, die Hindernisse zu beseitigen, welche einzelne europäische Staaten dem Völkerbund entfremden könnten, eine gesunde Bremswirkung gehabt hat. ES ist nicht ohne Nutzen, die kritische Prüfung dieser Reise weiter fortzusetzen. Was insbesondere Polen und Jugo slawien betrifft, wirst ihre internationale Stellung ernste Probleme auf, welche man ausführlich und freimütig besprechen muß. Polen und Jugosiawien find mit Frankreich durch ein Bündnis und durch Freundschaft verbunden. Im Laufe der stattgehabten Empfänge wurde dieses Bündnis und diese Freundschaft in feierlichen Ausdrücken kundgetan. Wir haben kein Recht, daran zu zweifeln, daß sie der Politik der Regierungen zur Grundlage dienen; wir haben die Beweise mehr als einmal gehabt, daß sie dem Instinkt und dem wohldurchdachten Willen der Völker entsprechen. Indessen hat Herr Beck die Annäherung Polens an Deutschland vollzogen, Herr Stoiadinoviä die Annäherung Jugoslawiens an Deutschland und Italien . Die französische öffentliche Meinung hat infolgedessen einen Schock erlitten und ein Unbehagen verspürt. Sie fragt sich, wie man vollständiges Vertrauen bewahren kann,«nd ob man nicht von einer Zweideutigkeit getäuscht worden ist... Ist diese Erregung und sind diese Sorgen gerechtfertigt? TvS ist der hauptsächliche Punkt, den es aufzuklären gilt. Am gerecht zu sein, müssen wir zunächst erkennen, daß die Annäherung Polens an Deutsch land und Jugoslawiens an Italien durch die französische öffentliche Meinung lebhaft unterstützt worden ist. Durch Jahre hindurch hat unsere Diplomatie dem große Anstrengungen gewidmet, insbesondere waS Jugoslawien betrifft. Durch das Netz der Bündnisse und Freundschaften könnt« ein Konflikt zwischen Berlin und Warschau oder zwischen Rom und Belgrad Frankreich in«inen allgemeinen Krieg hineinziehen und dieser Ausblick hat für niemanden etwas Anziehendes. Insbesondere in den Kreisen der äußersten Linken und besonders in den Kreisen der Arbeiter erweckt dieser Ausblick mn wenigsten Begeisterung. Die Arbeiter würden eS sicher schlecht verstehen, wenn Frankreich wegen des Korridors, wegen Oberschle siens oder wegen der dalmatinischen.Küste in einen Krieg einträte. Die deutsch -polnische oder italienisch-serbische Annäherung entspricht den Wün- Vor der Entlassung deS Kabinetts RahaS Pascha machte der König dem Ministerpräsiden ten den Vorschlag, ein Koolitionskabi« nett zu bilden. Dieser Vorschlag wurde abge lehnt. Ferner machte der König den Vorschlag, eine gemischte parlamentarische Kommission ein zusetzen, die die strittigen Punkte in der Ver fassung eindeutig klären sollte. Dieser Vorschlag wurde grundsätzlich angenommen, dagegen wurde die empfohlene Zusammensetzung dieser Kom mission abgelehnt, da darin die Wafdiften nur drei Vertreter gegenüber 18 Vertretern der übrigen Parteien besitzen sollten. Der König teilte dem Ministerpräsidenten Nahas Pascha seinen Beschluß von der Absetzung der Regierung in einem Brief mit, den ein beson-,„ derer Bote in die Wohnung RahaS PaschaS brachte.| scheu der öffentlichen Meinung Frankreichs und tcien um die Macht im Staate gerungen und sie schließlich erobert. In Rumänien stehen zwei saschistische Parteien gegeneinander: die Partei Gogas und die Eisernen Garden. Im Kampfe gegen die Regierung Goga fallen die Interessen aller anderen Parteien zusammen. Ob die Macht der Krone groß genug ist, Gogas Dütatur gegen die übergroße Mehrheit der Nation zu stützen, wird die Zukunft lehren. Die Liebeserklärung Gogas an die Bauern, die zu dem Zweck erfolgte, die Bauern aus der Gefolgschaft der National» zaranisten zu lösen, wird kaum großen Erfolg haben. Man kann also sagen, daß es Goga nicht sehr leicht fallen wird, sich zu behaupten. Er hat erflärt, daß seine Regierung den Bündnissen und dem Völkerbund treu bleibe» wolle. Gleichzeitig aber schickt er sich an, die dem s sehen. ihr Iaht den Armen schuldig werden... Von Margarete Neumann Acht Stunden währte daS Ausfragen, um 11 Uhr nachts wankt die Binder zurück in die Zelle. Am frühen Morgen wird sie wieder ver- hört:. „Es fehlen Bargeld, Schmuck und Spar- kaffaeinlagebücher!" „Ich weiß davon nichts!" weint die Binder, denkt:„Das Luder hat alles gut versteckt!" Sie beginnt Adele Bergner zu hassen. „Fingerabdrücke an dem vorgefundenen Beil, Fingerabdrücke an den Münzen, am Halskragen des Toten. Alle stimmen mit ihren überein, wieso behaupten Sie, die Bergner ist die Täterin?" Die Binder schweigt, zerschmettert von diesem unerwarteten Schlag. Jetzt kann der Poli» zeikommiffär das Protokoll unterschreiben lassen. Die Buchstaben schwimmen vor den Augen der Frau, die glaubt, um den Verstand zu kommen. Hat sie nicht den Weiler schon ermordet vorgefunden? Wo sind die Fingerabdrücke des Täters? Warum, wieso sind nur ihre Fingerabdrücke vorgefunden worden? Die Binder findet die Lösung nicht. Der Poltzeikommiffär findet sie: „Die Binder hat die Tat vollbracht, die Bergner, die ist ja intelligent, die hat die Binder dazu verleitet, selbst bedacht, die Finger davon zu lassen. Vorderhand mutz man aber die Bergner überführen, zu dem Zweck ist die Aussage der Binder gerade so, wie man sie braucht. Alles andere hat noch Zeit." Ein zweiter schwerer Schlag für die Binder. Mann und Kind befinden sich auch in Haft. Sie schreft:„Ich geb' alles zu, alles— laßt die zwei Unschuldigen in Ruh, Gott im Himmel— warum strafst du mich so!" In der Zelle weint sie unausgesetzt. Beruhigt sich erst bei der Nachricht, Mann und Tochter sind wieder frei. Als sie der Bergner das zweftemal gegenübersteht, überfällt sie namenloser Haß, maßsiose Wut. Dieses verdammte Frauenzimmer war es und gibt es nicht zu, verrät nicht, wo daS Geld versteckt ist. „Du Drecksau! Nur du warst es!" schreit sie bewegungslos. Dann voll Haß:„Ich bleib bei dem, was ich ausgesagt hab!" Dann sitzt sie in ihrer Zelle. Sie hat sich mft dem Schicksal scheinbar abgesunden. ES ist nur so sonderbar. Niemand hetzt sie, niemand verlangt Arbeit von ihr. Die krummen Finger erholen sich, die Krampfadern in den Beinen ziehen nicht so stark, wie sonst.„Marantjosefl Habens die Leut' gut, die nicht so rackern müssen!" Es vergehen Monate der Hast im Landesgericht. Irgendwie kommt durch den Gleichschritt der Zeit die Binder aus dem Gleichgewicht. „Was Vater und Kati machen? Ob d'e Frau Hofrat die Kati statt ihr ausgenommen hat? Der Prozeß muß doch endlich stattfinden, dann tst alles vorbei. Die Geschworenen werden doch gleich raus haben, daß die Bergner die Mörderin ist. WaS— aber— wenn?— Angst überfällt die Binder. An diesem Tag geht auch sie ruhelos auf und ab in der Zelle. Nachts schläft sie schlecht, träumt: Ein großes Holzbeil schwebt in der Lust, jetzt— jetzt— es fällt. Fällt auf den Nacken der Bergner. Der Kopf rollt in den Sand, die Bergner steht ohne Kopf vor ihr, und schreft: „Es brennt, oh es brennt! Hilf mir doch Mutter!" Und die Binder schaut auf. Marant- sosef, das ist nicht die Bergner, das ist die Kati, ihr eigenes Kind. Blutet aus der Halswunde— soviel blutet sie! An dem folgenden Morgen kniet di« Binder in der Ecke der Zelle, betet. Unberührt bleibt das Frühstück. Unberührt daz Mittagmahl. Abends, al» di« Wärterin das Brot bringt, bittet sie: ,Lch will beichten!" Der AnstttltSpriester kommt. Die Binder küßt den Saum der Soutane, weint. Alles widerruft sie. Sie wisse eigentlich doch nichts. Sie will sich mit der Sünde nicht belasten, vielleicht ist die Bergner so unschuldig, wie sie selbst! Sie weint und ist nicht zu beruhigen. „Steh auf, ich kann dir nicht helfen, das Beichtgeheimnis hindert mich. Du aber geh und sage dem Untersuchungsrichter alles, genau so, wie du es'mir gesagt hast. Wenn du aber nicht die Wahrheit sprichst, dann bleibe in deiner Zelle warte ab, bi» der Fieberwahn von dir weicht, denn — ich sehe deinen Augen an, du bist krank! Ich werde dir den Arzt schicken." Die Binder ist krank. Ein Nervenfieber stellte sich ein, so heftig, daß sie zeitweise bewußtlos lag. Ihre Beichte wertete der Priester nun wirklich al» die Beichte einer Irren. So blieb alles beim alten. Adele Bergner aber harrt in ihrer Zelle auf ihr Schicksal schon gefaßter. Sie hat eine W- lenkung gefunden. Sie modelliert aus Brotkrumen, unermüdlich formen die mageren Finger. Die Wärterin hat Mitleid mit dieser stillen Frau, sie ersetzte die Brotration, als sie dahinterkam, daß Adele anstatt zu essen, da» Brot in allerlei Gestalten verwandelt. Anfangs Juni, im siebenten Monat der Untersuchungshaft, kam der Untersuchungsrichter in die Zelle. Er blieb an der Tür stehen. Erstaun: und nicht ganz ohne Teilnahme blickt er auf Adele. Sie stand ganz versunken vor dem Fenster. In der Linken hielt sie das aus Brot modellierte Ebeitbild der Amsel. DaS Schnäbelchen des Bogels war leicht geöffnet. Genau schaut der Untersuchungsrichter, was Adele in der Hand hält und als er da» fleine Kunstwerk sieht, entlockt es ihm unwillkürlich ein lautes Ahl" Erschrocken wendet fick Adele, rasch versteckt sie die Hand hinter dem Rücken. «Jetzt ist Schluß mit der Ablenkung, die mir das Leben gerettet hat", denkt sie.„Fräulein Bergner, eine frohe Botschaft für Sie, und ich fteue mich, der Ueberbringer sein zu können!" ??? „Der Mörder des Weiler ist gefaßt. Geständig. Sie— sind— frei!" Adele siebt, Augen aufgeriffen, Mund halb auf. Ein Zittern überfällt sie, ein leiser Aufschrei, das Modell fällt aus der Hand, alles Blut strömt zum Herzen .— Der Untersuchungsrichter stützt di« Schwankende. Die Wärterin legt sie auf die Pritsche. Da liegt sie, so plötzlich in die Wirflichkeft zurückgedrängt und es ist ihr» als sei es die letzte Stunde ihres Lebens. Sie hat mit einem Male wahnsinnige Angst, mit Menschen zusammenzukommen. „Frei— wie früher! Makeflos und— wieder— arbeiten*— dürfen!" Endlich erfaßt sie es richtig» Langsam erholt sie sich und schon ist die bange Frage da:„Wird bei WollheimS für mich noch Beschäftigung sein?" «Sie müssen sich beruhigen, Fräulein Bergner. Wenn ich raten darf, suchen Sie gleich einen Anwalt auf, er soll Ihnen behilflich sein. Sie können Haftentschädigungsansprüche stellen!" Di« Stimme d«S Untersuchungsrichters flingt weich, menschlich, der Mann fühlt mit. Auch die Wärterin tröstet Adele, spricht ihr Mut zu. Es ist ihr davei aber sonderbar zumute. «Wie ist nur so etwas möglich", denkt sie, aussprechen darf sie es nicht.„Da sitzt die Arme sieben Monate, wir alle glaubten, sie ist die Mörderin und auf einmal— weder sie, noch die Binder? Ein Dritter, ein Mann ist der Täter! Wenn der Zufall es nicht an den Tag bringt— Gott im Himmü— die beiden Frauen wären hingerichtet... zumindestens aber lebenslänglich eingesperrt worden!" Direkt mitschuldig fühlt sich die biedere Frau an diesem Justizirrtum und tut alles» um Adele Bergner, die jetzt hilflos dasteht, bei der Entlassung aus der Untersuchungshaft behllflich zu sein.(Fortsetzung folgt.).
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17 (31.12.1937) 307
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