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DienSkag, 8. Feber 1038

Nr. 32

Vie Grenzen der Engherzigkeit Schluß mit dem Aushungerungsfeldzug gegen dieSaisonarbeiter* 4 1 Die ArbcitSlosenziffer hat Ende Jänner wieder die Zahl von 518.871 erreicht. Gegenüber der gleichen Zeit des Vorjahres bedeutet dies immerhin eine Abnahme um rund 150.000 Ar- beitSbewcrbcr; gegenüber dein Krisentief im Jahre 1033 hat sich die Arbeitslosenziffer um 353.00-1 gemeldete Erwerbslose gesenkt. Das; eine durchaus reelle Zunahme der Beschäftigten ­zahl vorliegt, beweisen übrigens die Ausweise der ZentralsozialvcrsicherungSanstalt. Nach einer koeben veröffentlichten Statistik war die Ver- sicherte»zahl dieser Anstalt im Dezember 1037 um 170.122 höher als zur gleichen Zeit des JahreS 1036. Ter Stand an Sozialvcrjicherten überstieg im Dezember 1037 deren Zahl vom Dezember 1033 um-170.582 Personen, blieb aber im Vergleich zum Dezember 1020 noch im ­mer um 212.300 Personen zurück. Die Tendenz zur langsamen Wiederbele ­bung der tschechoslotvakischen Volkswirtschaft ist also nicht nur im Hinblick auf die bedeutend ge- l-esserten Erportziffern. sondern auch im Spiegel der angeführten BeschästigungSzahlen unverkenn ­bar. Zur Sicherung dieser erfreulichen Aufstiegs ­tendenz ist zunächst die Erhaltung der innerpoli ­tischen Stabilität unerlässliche Voraussetzung. Dazu wird aber kein Beitrag geleistet, wenn das nach wie vor bitter ernste Arbcitülvsenproblem in den Hintergrund gedrängt und wie es den Anschein hat an einflußreichen administrativen und politischen Stellen geradezu bagatellisiert wird. ES ist an der Zeit, gegenüber diesen Er ­scheinungen mit aller Deutlichkeit darauf auf ­merksam zu machen, daß auf diesem Gebiete zwei Tendenzen gegeneinander laufen, welche mit un» erbitterlicher Logik miteinander in Konflikt kom« inen und schließlich eine mehr als unerfreuliche Situation schaffen müssen. Auf der einen Seite liegt das unverkennbare Bestreben vor, aus finan ­ziellen und auch au- kurzsichtigen politischen Mo ­tiven den Aufwand für Arbeitslosenfürsorge so weit wie möglich herabzudriicken. Auf der anderen Seite wächst die Not, die physische und moralische Erschöpfung jener unglücklichen Menschen, welche schon über ein halbes Jahrzehnt keine regel ­mäßige Beschäftigung mehr kennen und sich unter geradezu verzweifelten Umständen zwischen den UnterstützungSperioden durch einige Wochen Notstandsarbeit sofern sie überhaupt vor ­handen ist durchschlagen müssen. Man muß daher mit allem Nachdruck davor war ­nen, daS Arbeitslosenproblem allzusehr aus der Prager Perspektive zu betrnchteu und zu über ­sehen, daß eS in der Republik ganze weite Ge ­biete gibt, die an der Wirtschaftsbelebung keinen oder nur unzureichenden Anteil haben. In un ­serer ArbeitSlosenfürsorge droht eine formali ­stische Praxis cinzureißen, welche dazu führt, daß unter Berufung auf die wirtschaftliche Besserung in einzelnen Gebieten die Zuwendungen für die EcnährungSaktion generell auch dort gekürzt wer ­den, wo die noch immer arbeitslosen Menschen nach wie vor der größten Not ausgesetzt sind. Be ­sonders kraß wirkt sich diese Tendenz in der Be ­urteilung der Bedürftigkeit der sogenannten Saisonarbeiter auS; hier sind geradezu unerträgliche Zustände eingerissen. Wer ist Saisonarbeiter? Der Absatz II b der Richtlinien für die staatliche Ernährungsaktion vom 28. Juni 1933

Auf Grund dieses Saisonverdienstes ist der Maurer G a a g auS der Ernährungsaktion aus­geschlossen worden I Er soll von einem Gesamt- verbimst von 47V XL 52 Wochen leben! Die Be« daucrnSwerten Kollegen, welche in der Saison keine 470 XL verdienen konnten und daher in der Aktion belassen werden mußten, leiden wieder an der allgemeinen Kürzung der Zuteilungen. AuS der gleichen Gemeinde erfahren wir, daß diese Arbeitslosen in der letzten Periode, also für mehr als vier Wochen, je zwei Ernährungs­karten, zwei Brotkarten und ein Kilogramm Zucker erhalten haben. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Wenn dann Deputationen bei der BezirkSbehörde vorsprechen tvollen, um aus der­artige unhaltbare Zustände hinzuweisen, erhalten sie wie und von mehreren Seiten gemeldet Ivird einfach die Auskunft, daß nach Weisun­gen der vorgesetzten Behörde vorgcgangen wurde. Damit find so ziemlich die Gren­zen der Engherzigkeit erreicht, welche bei einer ArbeitSlosenfür« sorge denkbar find, die diesen Namen noch verdient. Ein besonderes Kapitel ist die Aussiebung von Häuslern und Zwcrggrundbefihern aus dem Genter System, wobei ebenfalls die Aberkennung des StaatSbeitrageS vielfach ohne jede Rücksicht auf die Verschuldung, auf die Familienverhält- nisse und die frühere Angewiesenheit dcS Arbeits­kojen auf regelmäßige Lohnarbeit erfolgt. lieber dieses Tcilproblcm wird noch besonders zu spre­chen sein. Mit aller Schärfe muß aber wieder einmal gegen die verhängnisvolle Tendenz Stel­lung genommen tverdeu. die sogenannten Saison­arbeiter und die auf dem Lande wohnenden Arbeitslosen systematisch auS der öffentlichen

drucke brachten, mit allen Kräften an der Entfaltung des Pflegedienstes als einer der wichtigen Gliede­rungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes mitzu­arbeiten. Dir Anregungen der einzelnen Redner wur­den zur genaueren Prüfung den drei ArbeitSkom- missionen(für Organisierung, Erziehung und So­zialfragen) abgetreten, die im Rahmen der Sitzung gleichzeitig konstituiert wurden. Die Sitzung wurde mit einer Kundgebung des Ministers Dr. Czcch geschlossen, der für da­allseitige freundliche Verständnis dankte, das die Intentionen des Gesundheitsministeriums bei allen beteiligten Kreisen gefunden habe und die bisherigen Ergebnisse der Arbeiten des Roten Kreuzes auf diesem Gebiete besonders würdigte. Bon der Tagung wurde an die Vorsitzende de» Roten Kreuzes, Dr. Alice Masaryk, ein Begrü« ßungStclcgramm gesandt. Ersatzleistungen bei Wegsperrrn. Die Bezirke« bchörden erhielten nun Weisungen, da bei StaatS- verteidigungsmaßnahmen auf Wegen und Strahen, den Eigentümern dieser Kommunikationen voller Er­satz gewährt wird, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob es sich um Private Eigentümer oder um Bezirke, bzw. Gemeinden handelt. Da» Staat-Verteidigung«- gesetz sieht bekanntlich vor, daß diese Wegbesitzer zu BeitragSleistungen verhalten werden können und derartige Beiträge wurden auch tatsächlich in vielen Fällen vorgeschrieben. Eine Linderung dieser Be­stimmungen, bzw. der praktischen Handhabung wurde sowohl von tschechischer, besonders aber von deulscher Seit« betriebe». Bon Verteidigungsminister Machnik wurde wiederholt eine Aushilfe in Aussicht gestellt, wa» nun verwirklicht wurde. Er handelt sich um einen Regierungsbeschluß, durch den ein Betrag von 10 Millionen Äö au» Mitteln des Verteidigungs­ministerium», bzw. au» der Staat-Verteidigung»« anleihe zur Verfügung gestellt wird.(DND.)

erwähnt als Personen, die aus der Aktion aus­geschlossen sind: Saisonarbeiter, d. s. Arbeiter, die Arbeiten verrichten, welch« in der Regel infolge der Ein« flüsse der Witterung oder ihre» besonderen Eha- rakter» nur auf«inen Teil des Jahres beschränkt sind; Voraussetzung(de» Bezuges der Ernäh- rungSkarten d. R.) ist, daß sie mindestens durch die Hälfte der Saison beschäftigt waren." Diese Bestimmung, welche einen Sieg be­stimmter unsozialer Tendenzen innerhalb der Regierung schon damals darstellten, haben durch immer engherzigere Auslegungen zu katastropha­len Folgen für einen großen Teil der Arbeits­losen geführt. Obwohl jeder nicht gerade böS- lnilligc Beurteiler weiß, daß die in der Haupt­sache den Saisonelnflüssen unterworfenen Be« schäftigungSzweigc(Landwirtschaft. Baugewerbes höchstenfalls eine Unterbrechung von zwei bi» drei Monaten durch Winterfrost verzeichnen, haben neunmal weise Bürokraten entdeckt, daß die Saison" im Durchschnitt sechs oder bestenfalls acht Monate dauert. Leute, die jeder für sich zwölf Monatsgehälter al» unzulängliche Entloh­nung ansehen, sind zur Erkenntnis gekommen, daß ein Mauerer oder Zimmermann oder Tag­löhner mit dem Verdienst von drei bis vier Mo­naten da» ganze Jahr leben und noch eine Fa­milie ernähren kann. Ja, in dec letzten Zeit kommt es noch vor, daß frühere Industrie« oder Bergarbeiter, welche eine glanzendeSaison* al» Notstands- oder BefestigungSarbciter hinter sich haben, nun ebenfalls unter die Saisonarbei­ter eingerciht und den Winter über aus jeder ArbeitSlosenfürsorge auSgeschaltet werden! Auf da», waS der Saisonarbeiter verdient und ob er mit seiner Familie etwas zu leben hat, wird bei dieser unerhört engherzigen Auslegung überhaupt keine Rücksicht genommen. Damit wird das Grundprinzip jeder sozialen Arbeits­losenhilfe. nämlich die Rücksichtnahme auf die tatsächliche Gefährdung deS Lebensunterhalte», einfach über Bord geworfen. Welche Blüten diese Handhabung treibt, welche wir an Hand eine» B.ickeS illustrieren, welcher uns auS der Ge­meinde Heiligrnkrcuz, Bezirk Bischoftei- nitz, zugcgangcn ist. Hier die konkreten Angaben: Der Manner Johann Gaag au» Heiligen» k«uz hatte in der Zeit vom 1». Juni»iS 5. No­vember 1937, als» in einem Zeitraum von fast fünf Monaten, dreimal Arbeit gefunden, nachdem er jedesmal längere Zeit hatte lwtzseyen mästen. Sei» arstrr Arbeitsplatz«ar bei der staat­lich« I* Zwirfchen, wo er vom 14. Juni bl» 4. Juli be­schäftigt war. Er erhielt für diese Zeit nach Ab­zug der Soztalvarsichornng 282 Ah. Dann war er bis zum 13. August ohne Beschäftigung. Bon diesem Tage an bi» zum 2V. August verdiente ar bei der Hopfenpflücke nach Abzug der Versicherung und der halb« Bahnfahrt 100 Kt Nach vir« Wochen arhlelt er im S tein- t r u ch Waiv in Hoflau Arbeit. Dort war er»am 21. September bl» zum 5. November und«hielt nach dem Abzug der Versicherung 888 AL. von feinem Gesamwerdienst in fast fünf Monaten muhte er 200 AS für Miete und 190 Ai für Werkzeug, Kleidung, Wäsche und Schuhe zah­len. Für zwölf Wochen blinden ihm als» 470 Ai, fünf Kron« sechzig Heller für dm Tag, zum leben.

Mlnlsterkolleslum für Fräsen des Pf lesedtenstes Die konstituierende Sitzung des BeratungS- kollegiums für Fragen de» Pflegedienstes fand am 7. Feber 1938 im Gesundheitsministerium unter zahlreicher Teilnahme von Vertretern der i Länder, der Aerztelreise, des Roten Kreuzes, der Träger der Krankenversicherung und der Organi­sationen der Pflegerinnen und sozialen Arbei­terinnen statt. Minister Dr. Ludwig E z e ch gedachte in sei­ner Eröffnungsansprache der Pionierarbeit, der Borsivenden de» Roten Kreuze» Dr. Alice Masaryk, auf deren Initiative dir Gründung de» Beratungs­kollegium» für Pflegefragen zurückzuführen'st. so­wie der aufopferungsvollen Arbeit der nach Zehn­tausenden zählenden Armee de» Pflegepersonals, da» mit Hingabe und Liebe seinen schwierigen Be­ruf /tubübt. Er skizzierte ferner die Hauptaufgaben de» Beratungskollegiums, da» sich hauptsächlich mit dem Problem der Organisierung de» Pflegewesens, mit der Vervollkommnung der Schulung sowie mit der sozialen und materiellen Sicherstellung de» Pflegepersonals befallen wird. Nach einem Referat de» Ministerrate» Dr. R i h a, der die bisherige Entwicklung der Pflege­dienste» in unserem Staate schilderte, die Ergebnisse der bisherigen vier ArbeitSkonferenzen der Pfleger- Schulen Hervorbob und die Mögltchleiten andeutete, die für die Entfaltung de» Pflegedienstes durch den vorbereiteten Gesetzentwurf über da» Krankenhan»- wefen und durch die Novellierung der Regierungs­verordnung Nr. 22/1027 über die Regelung der ma­teriellen Verhältnisse der Pflegepersonal» in den dffentlicken Heilanstalten gegeben find, entwickelt« sich eine eingehende Aussprach«. Ihr Ergeb­nis kann dahin zusammengesaßt werden, daß alle beteiligten Kreise ihr« Bereitwilligkeit zum AuS-

lm Zeichen der Autarkie Berlin.(HavaS.f Die Verwendung von Gold bei der Herstellung von Taschenuhren, Bril­len und Füllfedern ist verboten worden. Diese» Verbot bezieht sich nicht auf Artikel, die zur Lu», fuhr bestimmt sind. Befürsorgnng hinauSzudrängen. Diese Tendenz läuft auf eine amtlich geförderte Landflucht hinaus und sie bildet einen grotesken Kontrast zu den ständigen Klagen über die Entvölkerung de» Dorfes. Es handelt sich in diesen Fragen einfach um die soziale Gleichberech­tigung des kleinen Mannes oder vielmehr de» armen Teufels, welcher sein Arbeitölosenschicksal in irgendeiner Landgemeinde bitter genug auS- zukojte» hat. Der Fürsorgeministcr»g. N e L a S hat auf Grund der ununterbrochen au» allen LandeSIei« l-n einlaufcnden Beschtverden einen Erläute­rungsvorschlag zu dem unhaltbar getvordenen Punkt ll/e der Richtlinien vom Jahre 1983 aus­gearbeitet, welcher leider noch keine volle Besei­tigung. jedoch immerhin eine wesentliche Milde­rung des bisher an den Saisonarbeitern verübten Unrechtes anstrebt. Wie schon berichtet wurde, hat der Parlamentsklub der deutschen Sozialdemo« lratie in dieser Richtung durch Vorsprache bei den kompetenten Stellen einen Vorstoß unternommen. Angesichts der steigenden ArbeltSkosenziffer und der tvachsenden Erbitterung unter dr» von der Ernährungßnktion ausgeschlossenen Arbeitslosen ist rS eine völlig eindeutige Staat-Notwendigkeit, daß der Mintfterrat bei allernächster Gelegenheit zu den Anträge» deS FürsorgrministerS positiv Stellung nimmt k

1 STewige Schatten Max lloosiäork Roman von

Erstes Buch: Die Geburt i. Der Schnee schmolz in den Straßen von Gent. Trübe und schwarzgrau dampfte der Him­mel über der Stadt. Wie auSgestorben lag die Straße. WaS sich an den HauSwänden vorwärts schob, das hastete nur vom Nachbar zum Nachbar, vom Schuster zum Seiler, das raffte die Bestellung in den Korb, das flüsterte und klopfte die Sintflut von der Rockwolle. Die Adelgonde de Vocht ist ein seligschönes Weib", schrie der Schuster Steen den Seiler Touffaint an. Denn er konnte sich nicht vorstellen, daß der Febermorast dem Freund nicht auch einen Dreckpfropfen inö Gehör gestopft hätte. Ge­kränkt schmiß der Seiler, der eben für den Kun­den einige Ellen Pechdraht abzwicken wollte, die Zange auf den Tisch und schnauzte ebenso heftig: »Ich glaub' immer, Pit Steen, daß du ganz und gar den Verstand verloren hast wie unsere spa­nische Majestät , die Johanna, Gott gönne ihr eine leichte Entbindung, und er sorge dafür, daß ihr Thronfolger, unser künftiger Herr, mehr im Kopf habe als seine Frau Mutter." 'Amen", hauchte der Schuster, und er kugelte die Augen zum Schornstein hinauf. Wenn uns einer hier belauscht hätte, mor­gen würden unsere Elessköpfe schon auf dem Prinzenhofturm als Kapuze aufgestülpt sitzen", - sagte der Seiler, der sich scheu umsah.

Hierauf flüsterte Pit Stern:Ist es also wirklich wahr, daß Fürst Philipp überall seine Spione hrrumschickt?" Sie lauschen an den Türen, sie legen die Ohren an die Kellerluken, sie rutschen selbst in den Rauchsang hinein, um den Leuten die Ge­danken aus den Gedärmen hcrauSzuhorchen. Und doch weiß jeder, daß der Fürst sich nicht schämt, mit der Adelgonde daS Ehesakrament zu schän­den, während die Majestät von ihm die Brut auSträgt." Die Adelgonde ist wollüstiger als die Töch­ter von Loth, sündhafter als die Magdalena. Und der Fürst siedet im erst dreißigjährigen Blut. Muß ihn ja anwidern, wenn die kastilische Maje­stät sich nicht einmal die Haare kämmt, um ihn zu empfangen." Seiler, Seilers Du hast schon einen roten Streifen um den Halsl" Draußen pfiff der Westlvind au» allen Win­keln und Löchern. Die beiden Nachbarn drückten die Nasen an die Fenster, um auSzublicken, ob sich nicht auch ein Spion unter der Regentraufe zusammengekauert hätte. Nein, die beiden Gestal­ten, die inmitten der AbrahamSstrahe durch den Schlamm stampften, konnten nichts von dem Ge­spräch in der Butik aufgefangen haben. Ebenso­wenig der Kutscher, der sein Gespann mit der stählernen Peitschenspihe kitzelte, aber plötzlich den Gedanken hatte, diesen beiden Männern ins Auge und nicht bloß in den Hintern zn blicken. Mit einem Ruck wurden die Tier« zum Stillstand ge­bracht, gerade neben den Fremden, und der Kut­scher sprang vom Bock. Dacht' ich's doch, dacht' ich'» doch", lachte er aus vollem Hals,daS schlich so fuchSartig, das bclvegte sich so jüdisch-rätselhaft, ha, die Her­ren Juden sind im Landl Bon wo kommen sie denn, die Herren Juden? WaS juckt sie denn, di« . Herren Juden, daß sie gerade unsere Stadt ver« stänkern kommen, die Herren Juden?"

Die beiden Männer im kotbespritzten Man­tel, mit der Kapuze tief über Stirn und Ohren gezogen, sahen, daß dieser vom Schnaps ange­ heizte Fuhrknecht Händel suchte, und sie wollten weitergehen. Der Kutscher jedoch brauchte eine große Entladung. Und er blies die Backen auf, und schlürfte mit der Zunge im Innern deS Kie­fer» herum, und er zischte zwischen den Zähnen. Und e- wurde ihm wässerig im Mund vor all den schmackhaften Gedanken, die in diesem Augen­blick durch seinen Kopf gingen. Wie ein Schütze visierte er nach dem Gesicht des älteren der bei­den Männer. Im breiten Strom schleuderte er ihm den angesammelten Speichel i»S Gesicht. Nachdem er da» getan hatte, stampfte er, befrie­digt aufatmend, zum Leitstier seines Fuhrlverkes zurück. Ganz ruhig, al» wenn nichts geschehen wäre, reinigte sich der Bespieene das Gesicht. Er lvollte die Tränen, die dem Jüngern aus den Augen­winkeln in den Backenbart tropften, nicht sehen. Er reckte nur die Arme auS, zwei dunkle Flügel, von deren rechtem der eisenbeschlagene Bambus­stab drohend in den Nebel stieß. Sein Blick wan­derte an den Häuserfronten entlang. Er deutete mit dem Stab zu einem Haus hinüber, unter des­sen Dach eine Madonna ihr Kind im Arme hielt. Auf dem Sockel stand mit vergoldeten Buchstaben geschrieben:Einlehr zur unbefleckten Empfän- nis." Da» breite HauStor lud Wagen und Men­schen ein, vertrauensvoll unter dieses behagliche Dach und Fach zu kommen. Gehen wir dort hinüber", sagte der Ael« tere mit einer leisen, singenden Stimme, und er lächelte sogar ein wenig,wir werden dort sicher eine warme Stube finden." Der Wirt war ein gutmütiger Mann, in dessen Doppelkinn keine Bosheit ivohnte. Er be­trachtete die beiden Gäste, die nicht vorlaut und anspruchsvoll wie seine übrigen Besucher die Glocke im Vorraum andröhnten, sondern gesittet und schüchtern. Dann meinte er, er nähme es den

Herren Juden nicht weiter übel, daß sie ihn be­ehren wollten.Doch meine selige Frau Mutter, die mir das schöne Grundstück und Hab und Gut und eine Katze mit zehn Pfund Gold im Bauch hinterlassen hat, hat mir auf ihrem Totenbett den heiligen Eid abgenommen, daß ich niemals einen andern als einen getauften Christennutnfchen bei mir beherbergen werde. Vielleicht versuchen'ö die Herren beimGoldenen Pferd" in der Nonnen­straße, links vom AuSgang an der Ecke, wieder li» in die Straße, Nummer 37. Das ist ein junges Haus. Der Mann hat zu kämpfen, wird zufrieden sein, daß ihm wieder einmal zwei Bei­len entjungfert werden." Der Wirt vomGoldenen Pferd" schlug die Hände über dein Kopf zusammen:Ist daS nicht eine Schande, meine Herren, daß dieUnbefleckte Empfängnis" mich zugrunde richten will? Glau­ben Sie denn im Ernst, meine Herren, daß auch nur der verlaustest« Hausierer bei mir absteigen wird, wenn eS sich herumspricht, daß bei mir be­schnittene Herren geduldet sind? O, wie ich e» bedaure, mich in dieser Stadt niedergelassen zu haben! Keiner gönnt dem andern einen Knig Über den Durst. Leder guckt dem andern in den Topf. Um Ihnen aber zu beweisen, daß ich Ihnen gefällig sein möchte, tverde ich Ihnen einen Zet­tel für meinen Kollegen vomArdenner Schin­ken" in dec Buttermannstraße mltgeben. O, Sie brauchen gar nicht mit den Augen zu zucken! ES ist ein durchaus gutgehaltenes HauS! Der Mann hat weder Rind noch Kind. Braucht nach nieman­dem zu fragen." Die beiden Männer waren erstaunt, daß der Wirt ihnen selber nicht den Empfehlungszettel mitgab, sondern einem herbeigepfiffenen Burschen. Aber sie hatten sich vorgenommen, jede Ueberra- schung mit äußerster Gelassenheit hinzunehmen. So folgten sie dem Jungen, der ihnen den Weg wies, ohne Sträuben. (Fortsetzung folgt).