Sozialdemokrat

Zentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik Erscheint mit Ausnahme des Montag täglich früh Einzelpreis 75 Seller

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Redaktion u. Verwaltung: Prag XII., Fochova 62- Telephon 53077- Herausgeber: Siegfried Taub- Berantwortlicher Redakteur: Rarl Rern, Prag 18. Jahrgang

Deutsche Flieger

über der Tschechoslowakei

Pra g. Amtlich wird gemeldet: Am 12. März und in der Nacht auf den 13. März haben nach eingelaufenen Meldungen einige deutsche Militärflugzeuge in etlichen Abschnitten sschechoslowakisches Gebiet überflogen und sind nach Deutschland zurückgefehrt.

Die Angelegenheit ist auf diplomatischem Wege unverzüglich zur Kenntnis der deut­fchen Regierung gebracht worden, welche die be­stimmte Versicherung gab, daß, falls ein tatsäch liches Reberfliegen tichechoslowakischen Gebietes durch deutsche Militärflugzeuge vorgekommen sei, dies den gegebenen strengen Befehlen wider­fvre che und daß die Angelegenheit eingehend untersucht werden wird. Es steht hiernach zu erwarten, daß die Angelegenheit eine zufrie­

Dienstag, 15. März 1938

Chamberlains Rede:

Aus dem Inhalt:

Jaksch über unsere Aufgaben

Frauentagsversammlungen

Beweis für unsere

Entschlossenhelt

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Hacker auf der anderen Selte

Schluß der Landvolktagung

England scharf gegen Berlin

London . Fast zur selben Zeit, in welcher Hitler seinen Einzug in Wien hielt, haben Chamberlain und Halifax in beiden Häusern des britischen Parlamentes die Regierungs­erklärung über die jüngsten Ereignisse in Oesterreich abgegeben. Eine zweistündige Kabinetts­fihung, die am Vormittag abgehalten wurde, hatte den Tegt der beiden Erklärungen gebilligt. Die Erklärung des Ministerpräsidenten gibt eine genaue Darstellung des Entwicklungs­ganges, der der deutschen Besetzung Desterreichs voranging, der Gespräche zwischen Chamber­lain, Halifax und Ribbentrop , weiters eine Darstellung der Begleitumstände, welche zur Ab­sendung des britischen, seitens Deutschlands aber zurückgewiesenen Protestes führte, und sie legt schließlich die Ansicht der britischen Regierung zu den letzten Ereignissen dar.

Die Oppositionsführer wurden mit dem Inhalt der Erklärung vorher bekannt gemacht, über deren Abfaffung auch eingehende diplomatische Beratungen mit dem franzöſiſchen Bot schafter Corbin und dem Pariser Quai d'Orsay stattfanden.

benstellende Erledigung finden wird und daß ber- Feststellungen

artige Vorfälle, denen im übrigen nach der Er­

flärung der deutschen Regierung feine politische

oder militärische Bedeutung zukommt, fich nicht wiederholen werden.

England und die

Tschechoslowakei

nicle" u. a.:

über die Tschechoslowakei

Nr 62

Mit Spannung erwartete die Welt die Rede des englischen Premierministers. Ihr Wort I aut wird vielleicht den einen oder den anderen nicht befriedigen, doch ihr Sinn ist flar.

Chamberlain wollte dadurch, daß er alle Phafen der Eroberung Desterreichs genau schil­derte, feineswegs die rhetorische Wirkung seiner Rede erhöhen, sondern vor aller Welt betonen, daß es sich bei der Beseßung Oesterreichs um pure Gewalt und um einen Rechtsbruch gehandelt hat. Diese Feststellungen scheint der englische Mini­sterpräsident für entscheidend zu halten, insbeson Chamberlain legte dann ausführlich die Ver- dere im Hinblick darauf, daß die Ereignisse, die fuche Englands dar, auf dem Wege über den in zu seiner Rede Anlaß gaben, nach seiner eigenen London weilenden deutschen Außenminister Ribben Meinung Folgen nach sich ziehen müssen, die reichland von einer Intervention abzuhal noch nicht abgeſchätzt werden fönnen". Wir glau ten. Am 10. und 11. März feien ernste Vorben, dies ist ein deutlicher Passus seiner Ueber die Tschechoslow tei fagte itellungen sowohl Nibbentrov gegenüber, als Rede, unmißverständlich für alle, die mit einer Chamberlain wörtlich: Die Haltung der Tschecho auch direkt in Berlin erhoben worden, die deutsche ewigen Langmut der britischen Politik rechneten, flowakei zu den Ereignissen ist eine Ange Antwort, die in einem Brief Neuraths an den bri legenheit allgemeinen Inter- tischen Botschafter in Berlin enthalten war, lautete: unmißverständlich aber auch für das englische esses. In diesem Zusammenhange bin ich in Im Namen der deutschen Regierung muß ich Volt, das seiner Meinung am vergangenen Sonn­su geben: ber Lage, dem Parlament folgende Information erklären, daß die britische Regierung nicht berech tag bei den Demonstrationen in London in uns tigt ist, die Rolle eines Beschütters der österreichi- mittelbarer Weise Ausdruck gegeben hat. Der bris schen Unabhängigkeit in Anspruch zu nehmen." tische Ministerpräsident sprach nicht davon, daß Unter dem Titel: Der einzige Weg zum Die tschechoslowakische Regierung hat offi-( Lebhafte Proteft rufe im ganzen Hause.) Im die Ansicht besteht, an dem in Mitteleuropa Frieden" schreibt der Londoner ,, New& Ehro- ziell die britische Regierung informiert, daß es ihr Verlaufe ber biplomatischen Gespräche über die vollzogenen fait accompli etwas zu ändern; man ernstester Wunsch sei, in den besten nachbarlichen öfterreichische Frage hat die deutsche Regierung die Beziehungen mit dem Deutschen Reiche zu leben. britische Regierung niemals im Rweifel gelaffen, weiß, daß dies nur um den Preis der Entfesſe­Der erste Fall, in dem man feine Kraft Sie hat mit größtem Intereffe die Entwicklung daß die Art der Beziehungen zwischen dem Reichung eines Krieges in Betracht käme. Aber Cham­zeigen muß, iſt offensichtlich die Tschechoslo- ber Greigniffe in Defterreich vom Beginne des und Defterreich als eine ausfchließtimberlain ließ feinen Zweifel darüber aufkommen, watei. Es heißt, die Fragestellung verschieben, öfterreichisch beutfchen Uebereinkommens vom 11. interne Angelegenheit bes beutfchen Bolles zu daß England an der Grenze feiner Geduld ange wenn man fagt: warum sollen wir für die Tsche Juli 1936 bis zum gegenwärtigen Tage ver- erachten ist, und britte Mächte nicht berührt." langt und nicht bereit ist, weitere llebergriffe Ainowalei lämpfen? Haben wir 1914 für Ser folgt. Ich wurde informiert, fuhr der Minister wahr. daß ein gewaltsamer Drud auf Defterreich lut richtig, daß in dieſem Augenblick überſtürzte Der Neurath Brief erklärte es weiter für un mit leeren Protesten zu beantworten. Es ist abso­gvvekämpft? Die einfache Wahrheit ist, daß präsident fort, daß Generalfeldmarschall ausgeübt wurde, bezeichnete Meldungen von Ulti Entscheidungen und unüberlegte Worte nicht am Deutschlands auf die Tschechoslowakei ring am 11. März bem tschechoslowakischen Gematen als bure Erfindungen" und behaup Plaße sind. Stlar überlegt aber ist die feſtſtel hem europäischen Krieg führen fandten in Berlin eine allgemeine Zusicherung tete, daß die Entsendung deutschen Militärs erit lung Chamberlains, daß die jüngsten Ereignisse wird. Und wenn ein europäischer Krieg kommt, gegeben hat, die er später über Auftrag Reichsauf österreichisches Ersuchen" erfolgte. Der Brief werden wir fämpfen müſſen, ob wir wollen oder fangler Hitlers nochmals besonders wiederholte, schloß mit der Versicherung, daß eine gefährliche Entsu einer leverprüfung des schon jetzt gewaltigen nicht. Man irre sich nicht: England fönnte nie daß es das ernsthafte Bestreben der widlung nur dann entstehen fönnte, wenn von britischen Aufrüſtungsprogramms, d. h. zu ſei einen Krieg ausbrechen sehen, in dem Frankreich beutfchen Regierung sei, die Beziehun- dritter Seite Verfuche gemacht würden. Einfluß ner Ausgestaltung Anlaß geben. Dieses Auf­um ſeine Eriſtenz fämpfte, ohne ihm innerhalb gen zu verbessern. Am 12. März informierte auf die Entwicklung der Lage in Desterreich zu rüstungsprogramm richtet sich in seinen Tenden vierzehn Tagen zu Hilfe zu kommen. Es ist also besonders Generalfeldmarschall Göring den tsche nehmen. zen leineswegs gegen friedliche Länder, und wenn unser direktes Interesse, dafür zu sorgen, daß die choslowakischen Gesandten in Berlin , daß die nach diese Erklärung zu duw- ifen. Das berech. wird es nachdrücklicher wirfen als alle ſtarten Chamberlain erklärte dazu, er sei gezwungen, der entsprechende politische Wille hinter ihm steht. Tschechoslowakei nicht angegriffen wird. Der beste Desterreich einmarschierenden Truppen den ftrittigte Interesse der britischen Regierung an der öfter. Worte, die der Sprecher der englischen Regierung Weg, das zu tun, ist der, so offen wie möglich zu ten Auftrag erhalten haben, zumindestens 15 reichischen Unabhängigkeit tönne night angezweifelt im Augenblick sagen könnte. erklären, daß wenn die Tschechoslowakei trop der Kilometer von der tschechoslowakische Grenze ent- werden. England und Desterreich feien beide bernünftigen Behandlung ihrer deutschen Min- fernt zu bleiben. Am felben Tage empfing der Völlerbundmitglieder und ebenso wie die deutsche Chamberlain hat festgestellt, daß deutsche derheit angegriffen wird und ihre Bundes- tschechoslowakische Gesandte die Zusicherung Herrn Megierung Signatare der Verträge, die feftfeten, daß Busicherungen an die Tschechoslowakei vorliegen. genossen Frankreich und Rußland ihr zu Hilfe von Neuraths, daß Deutschland fich an den die Unabhängigkeit Defterteichs außer mit Zuftim. Diese Feststellung machte er in Zusammenhang fämen, wir Frankreich unterstüßen würden... beutfch- tschechoslowakischen Schiedsvertrag mung des Völkerbundes nicht veräußert werden mit dem Hinweis darauf, daß die dem Bundes Nichts, was Deutschland unter der Drohung mit vom Ottober 1925 gebunden fühlt. dürfe. Abgesehen davon ist die britische Regierung fanzler Schuschnigg gegebenen Versprechungen dem Angriff zugestanden wird, kann ernstlich an den Ereignissen in Mitteleuropa interessiert und wird an ihnen stets interessiert bleiben. helfen, den Krieg zu verhindern. Alles aber ist möglich durch friedliches Verhandeln. Das heu tige Deutschland wird nicht friedlich verhandeln, solange es nicht weiß, daß eine friegerische Attion auf überwältigenden solidarischen Widerstand trifft."

ww

Londoner demonstrieren

,, Unabschätzbare Folgen"

gebrochen worden sind. Auch hier ging es um das Festlegen der Verantwortlichkeit für die fünftige Einleitend erinnerie Chambe lain daran, day Entwicklung. Aus der Sprache der Diplomatie in tie Vereinbarung von Berchtesgaben auf jeden Fall Desterreich 3 erfolgte. Der Entschluß Schusch Methoden, die im Verlaufe der Entwicklung angeben bei einem Bruch dieser Zusicherungen nicht die Sprache des simplen politischen Alltags über­E3 bedünkt uns, fuhr Chamberlain fort, daß die jetzt, lauten die betreffenden Worte:" Wir wer auf Grundlage der Unabhängigtei: niggs, durch ein Plebiszit die Lage zu flären, sei wendet wurden, auf das Entschiedenste zu ver weder der deutschen Regierung noch den National- urteilen find und einen tiefen Schod auf alle reden, sondern handeln!" Dazu ist vor allem sozialisten in Desterreich genehm gewesen. Die Ent ausgeübt haben, die mit der Bewahrung des Frie Frankreich entschlossen. Und beide Länder, Frank­widlung am 11. März auf die Spike getrieben, als dens in Mitteleuropa befaßt sind. Die Gerüchte.reich und England, stehen nicht allein unter dem Seyy- Inquart und Glaise- Horstenau vom Kanzler daß die britische Regierung Deutschland zur Ein Eindruck der Entwidlung in Desterreich, sondern für unseren Staat ultimativ ben Verzicht auf das Plebisait for- verleibung Desterreichs ermutigt habe, find voll auch unter dem Eindruck der Entwicklung in Am Sonntag kam es zu einer der größten berien und mit der Stimmenenthaltung der Natio. lommen unbegründet. Die Erklärung, die ich bisher Spanien . nalsozialisten, aber auch mit ernsthaften Un abgegebenhabe, beweist klar, daß die britische Re Demonstrationen, die bisher in London durchge- ruhen drohten. Schuschniga lehnte um 1 Uhr mit gierung Aftionen folcher Art wie die in Desterreich führt wurden. Viele tausende Menschen sprachen tags das Ultimatum ab, bot aber gleichzeitig ein nachdrücklich mißbilligt. sich leidenschaftlich gegen die Invasion in Defter- Stompromiß an, daß ein 8 weites Plebisait später reich aus und forderten vor allem den Schuh abgehalten werden solle. Etwas später gab Schusch der Tschechoslowakei . Im Demonstra- nigg unter Drohung des Bürgerfrieges und der tionszug wurden Banner mit den Aufschriften Möglichkeit einer Militärinvaſion nach und ſtimmte Die Tschechoslowakei muß frei bleiben!" und der Absage des Plebiszits zu. Hände weg von der Tschechoslowakei !" getragen. Deutsche Ultimaten Im Rahmen dieser Kundgebung fan es auch zu Demonstrationen vor der Deutschen Botschaft, die burch hunderte Polizisten geschützt wurde.

Uns dünkt, daß die Lage in Spanien den europäischen Frieden womöglich noch stärker ge­Der Ministerpräsident erwähnte dann die Ston- fährdet als die Ereignisse in Mitteleuropa ; mit fultation mit der französischen und der italienischen dem Zustand, den die mitteleuropäischen Ereig Regierung und die lepte Erklärung Staliens, die den nisse geschaffen haben, wird sich die Welt über Gewaltstreich billigt. während früher feine flare furz oder lang doch abfinden. Aber es ist zu er­Stellungnahme Italiens zu erreichen war. fennen, daß 3talien das Aufgeben seines Ein­

Es sei eine harte Tatsache, die jeder einzelne fluffes auf Desterreich belohnt erhielt durch eine selbst beurteilen kann, daß nichts außer Anwen- noch stärtere Unterstübung der Intervention in Es erscheine faum zweifelhaft, daß dieses An dung von Gewalt seitens Englands und anderer Spanien . Das unmittelbare Ziel dieser Inter gebot nach Deutschland weitergegeben wurde. Die Staaten diesem Vorgehen Deutschlands hätte Einvention, die mit doppelzüngigen Versicherungen Antwort, mit der die Minister zurüdtamen, lau halt gebieten können. Die bekannten Ereignisse über die Bereitschaft zum Abtransport der Frei tete jedenfalls, daß das Angebot unzureichend Gesandter Marek beurlaubt se und Schuschnigg dem Dr. Seyß- Inquart Plat ſind Anläsie für Bedauern, Kummer und 3orn. willigen" verbunden ist, ist die Etablierung eines machen müsse. Hiefür wurde eine Frist bis halb Unter Zustimmung des Hauses erklärte Chamber: faschistischen Spanien und also die militärische Prag . Der bisherige österreichische Gesandte 18 Uhr eingeräumt und Schischnigg verständig lain weiter, daßt dieſe Eseignisse von der britischen Bedrohung Frankreichs von den Pyrenäen her. in Prag Dr. Ferdinand War et hat einen Ur Sollte Schuschniggs Antwort nicht befriedigend Negierung nicht mit Gleichgültigkeit und Gleich Die englische Politik müßte tatsächlich mit Blind­laub angetreten, von dem er nicht mehr zurüd- ausfallen, so würden die deutschen Truppen um mut betrachtet werden können. Sie müffen Fol- heit geschlagen sein, wollte sie nicht sehen, daß 18 Uhr Marschbefchl erhalten. Ein neuergen nach fich ziehen, die noch nicht abgeschätzt Yehren wird. Die Geschäfte der Gesandtschaft Liches Ultimatum wurde später anscheinend führt Legationsrat Baron Schleinik- Protefch. im Flugzeug von Deutschland überbracht und über­geben, feine Bedingungen waren: außer der Gr­Papen wird ,, Pg" Seßung Schuschniggs durch Schß- Inquart eine Res Berlin . Wie die Nationalfozialistische Nors gierung mit nationalsozialiſtiſcher Riveidrittelmehr respondenz aus Linz meldet, hat Hitler den bis- heit, die Erlaubnis zur Rückkehr der österreichischen herigen deutschen Botschafter in Wien von Pa Region und die bedingungslose Bulaffung der pen in Anerkennung seiner außerordentlichen NSDAP . Eine Antwort wurde bis 19.30 Uhr ver batte aus: Es scheint mir, daß dieses Ereignis außerordentlich ernst sind. Aber man fann diese Berdienste in die Partei aufgenommen funt bekannt, daß er angesichts der Drohung mit und ihm das goldene Parteiabzeichen ver- einem deutschen Einmarsch nachgegeben habe, um Tiehen. zu berhüten, daß deutsches Blut fließt.

langt. Daraufhin gab Schuschnigg über den Mund

werden können.

für die Verteidigung Englands die ungeschwächte Wehrkraft Frankreichs genau so wichtig ist wie die starke englische Flotte. Und die Wehrkraft Frankreichs wäre geschwächt, müßte es sich auch

an den Bhrenäen verteidigen.

Attlee: Das Kartenhaus Chamberlains zusammengestürzt Der Führer der labouristischen Opposition, Es ist gewiß banal, wenn man sagt, daß Major Attlee. führte in der anschließenden De die Stunden, die wir gegenwärtig durchleben, dere nach der Seite der Sudetendeutschen machen. Feststellung nicht nachdrücklich genug insbeson Es ist gar tein Zweifel daran gestattet, daß sich

präsident errichtete, zum Einsturz gebracht hat. E3

jenes se ar tenha u 3. welches der Minister­

( Schluß auf Seite 2.).