Seite 2 Donnerstag, 21. April 1038 Nr. 98 Verteidigung eines bevorstehenden Empfang Hitlers In Rom . Aber tväbreird Carabinieri und Bcrfaglieri den passo romano, den italicnisierten preußischen Stech« schritt drillen, werden schon seht in Rom zu Hun­derten Arbeiter, Bürger. Studenten zusammenge« fangen, deren antifaschistische Gesinnung in das Jubilieren Mißtöne bringen könnte. Und ander­seits werden, während man sich in ernste Debatten über die Zurückziehung derFreiwilligen" aus Spanien einläßt, nach wie vor Truppen und Kriegsmaterial gegen Westen eingeschifft. Nach Spanien , nach Majorca , nach Lhbien gingen auch im Monat April aus Neapel und Spezia, aus Genua und Gaeta Menschen, Flugzeuge, Waffen und Munition ab; aber auch Arbeiter und Bauern, die Spanien »kolonisieren" sollen; kolonisieren allerdings weniger zu Ehren der italienischen, als der großdeutschen Farben; denn Mussolini würde auch nach einem Endsiege Francos in Spanien nur einen zweiten Platz einnchmcn; Hitler hat dort bereits die Vorhand und Mussolini hilft ibm dabei, indem er zu Tausenden deutsche Tech­niker und Spezialisten durch Italien nach Spa­ nien passieren läßt. Auch um diese Dinge weiß das Italienische Volk und nm so mebr sieht cS mit gemischten Ge­fühlen dem Rausch ent egen, in den es aus An­laß der neuen Italien -Fahrt des Führers versetzt werden soll. Und eS besteht kein Zweifel darüber, daß die Begeisterung, die da zur Schau gestellt werden soll, auch jetzt und jetzt wohl erst recht frühere Spektakel ähnlicher Art noch in den Schatten stellen wird; gerade weil dieAchse" in Italien reichlich unpopulär zu werden beginnt, wird sie sich biegen müssen vor Enthusiasmus. Aber die Italiener sind hellsichtig, die Welt ist hellhörig geworden. Man weiß, daß und warum der Duce diesen Zauber braucht I Und eben des­wegen legt man sich erst reckt die Frage vor, ob Zuversicht und SelbstbewuBtseln Armeebefehl des Präsidenten der Republik Aus Anlaß de- 20. Jahrestages der Grün­dung der tschechoslowakischen Legionen in Italien hat Präsident Dr. Bene- einen Armeebefehl erlassen, in dem er die Bedeutung des 21. April 1018 für die Selbständigkeit der Tschechoslowaki­schen Republik darlegt, die Taten der Legionäre loürdige und dann sagt: Wie wir in den Zeiten jener schicksalsvollen Kämpfe nicht nur Tapferkeit, sondern auch Cha­rakterfestigkeit, Willensstärke und hauptsächlich den Glauben an die Zukunft bewiesen haben, so werden wir auch in den heutigen Zeiten im Geiste dieser Traditionen utrd Ideen Vorwärtsschreiten, welche wir damals in Italien verteidigt und hoch­gehalten haben. Damals haben die Ereignisse unserem Glauben, unserer Hoffnung, unserer Treue Recht gegeben. Sie werden unserem Glau­ben, unserer Hoffnung, unserer Treue auch heute Recht geben. Und ich wünsche innig, daß alle diese Erinnerungen in der heutigen Zeit nicht nur jeden Angehörigen unserer Armee, sondern auch jeden unserer Bürger auf dem ganzen Gebiet« unserer Republik mit Zuversicht und Selbstbe- wußtsein erfüllen mögen. Unsere Armee soll den mächtigen Geist unserer italienischen Legionäre hingebungsvoll pflegen, den Geist des festen Glaubens, des starken Willens und der uner­schütterlichen Treue; sie soll ihrem großen Vor­bild solgen auch bei der weiteren Erfüllung ihrer großen staatlichen und naticnalen Pflichten mit bedachtsamer Festigkeit und sittlicher Entscklossen- [c8 denn wirklich als Ausbund polUischer und 1 , staatsmännischer Weisheit zu betrachten sei, daß man Herrn Musioljni in seinen schwachen Stun­den vom Westen her Seelentrost spendet. BieUeicht erweist es sich als höhere Klugheit, daß man nun durch Pakte der Achse an den Leib zu rücken ver« suckt; aber die demokratischen Völker etwägen doch, ob eS nicht richtiger und dabei moralischer gewesen tväre. Herrn Mussolini mit seiner deut- ! schen Not allein zu lasten, zumal der Wert von i Pakten nach allen Erfahrungen nicht hoch einge- schätzt werden darf und im übrigen der mögliche j Druck Deutschlands auf Italien nun eben so stark geworden ist, daß Mustolini dem gar nicht mehr entweicken könnte, selbst wenn er eS wollte. Aber an dem Tage, da der Antifaschismus in Jialiey selbst wieder Kraft getvinnen sollte, wird das, was England und Frankreich jetzt in die Wege leiten, erhöhtes Gewickt erhalten. Und so schwach die Hoffnung auf diesen Tag heute auch noch sein mag im Keime besteht sie dennoch schon, seit­dem der jüngere, der deutsche Faschismus dem älteren italienischen Bruder vom Brenner her die Augen zu öffnen begann. G Spanisch In Deutschlands Schulen London . Tie britischen Befürchtungen, daß nack dem Kriege in Spanien größere Schwierig­keiten mit Deutschland als mit Italien bestehen werden, finden eine gewisse Bestätigung in der Nachricht, daß die deutsche Regierung angeordnet habe, in den Schulen mehr Stunden für die spanisch«Sprache und den Unterricht über Spanien und die spanischen Republiken in Amerika einzuführen. Die Hindenburg-Schule in Nürnberg hat ein Beispiel dadurch gegeben, daß sie S o n d e r k n r s e für Anfänger und Arbei­ter eingeführt hat- heit unter allen Umständen und bis in alle Kon­sequenzen l Beratungen der tschechisdien Sozialdemokratie Gestern tagte unter dem Vorsitz des Abge­ordneten H a m p l das Präsidium der tschecho­slowakischen sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Das einleitende Referat erstattete Minister B« ch y n i, der die Gründe darlegte, welche die Regierung zu einigen der letzten politischen Ent­scheidungen veranlaßten, und der das weitere Programm der Regierungöarbeiten umriß. Minister BechhnH behandelte einige aktuelle innerpolitische Fragen, speziell hinsichtlich der Minderheitenpolitik, und hob in die­sem Zusammenhang den Umfang und die Be­deutung der eben verkündeten Amnestie hervor. Abgeordneter tz a m p l befaßte sich mit der innerpülitischeg Lage und erstattete Bericht über die letzten Verhandlungen, in der Regierungs­koalition. Besondere Aufnterksamkeit widmete er der T a l t i k der s l o w a k i s ch e n Volks­partei, die er vom staatlichen Gesichtspunkt als gefährlich bezeichnete. Die Partei werde jede umstürzlerische Tätigkeit weiterhin scharf be­kämpfen und eine entschiedene Politik gegen alle dezentralistischen Gruppen anstreben. Schadenersatz für diePanay " Washington . Japan hat an die Bereinigten Staaten am Mittwoch 2,214.000 Dollars als Schadenersatz für das versenkte Kanonenboot P a n a y" bezahlt. DieZeit am Montag", die, soweit daS möglich ist, die täglicheZeit" an Bedenken­losigkeit in der Wahl der Mittel im Kanchf gegen die Sozialdemokratie noch zu übertreffen sucht, erzählt ein« sensationell aufgemachte Schauergeschichte von einem Beamten des Mini­steriums, der durch Herbeiführung eines Zusam­menstoßes mit Dr. Czech, über den er dann sel­ber«nach oben" berichtete, endlich den Minister zwang, denmit markanter Zähigkeit verteidig­ten Stammsitz" zu verlassen. Was für einezähe Verteidigung"! Genosse Dr, Czech stellte sein Amt als Gesundheitsmini­ster noch in der dem Parteitag vorangegangenen Sitzung des Parteivorstandes der Partei zur Verfügung, erklärte, daß sein Entschluß unwider­ruflich sei und verlangte mit dem größten Nach­druck die sofortige Zustimmung des Parteivor« stondes zur DemistionSüberrcichung. Ta ihm enlgegengehalien wurde, daß die Entscheidung dem neuzuwählenden Parteivorstand Vorbehalten werden müsse, und da dessen Konstituierung nicht unmittelbar nach dem Parteitag erfolgte, betrieb Genosse Dr. Czech die Erledigung'eines An­suchens ununterbrochen schriftlich und mündlich. Er brachte sein Ansuchen mit dem größten Nach­druck in den beiden in der Zwischenzeit abgehal­tenen Klubsitzunge», aber auch in den Freitag und SamStag, den 8. und 0. April, abgehalteneu Beratungen des Parteivollzugsausschusses vor, in deren letzter dann endlich die Entscheidung fiel. Daß Dr. Czech, der sein Mandat a»S den Händen der Partei bekam, es ihr auch schon nach den Regeln der Demokratie und des Parla­mentarismus wieder in die Hand legen und die Entscheidung der Partei abwarten mußte, vermögen nur Böswillige und Faschisten nicht zu begreifen. Die Gründe, die die Partei veranlaßte, die Erteilung der Zustimmung hinauszuschieben, waren innerpolitischer und parteitaktischer Natur und lagen völlig außerhalb der Willenssphäre deS Genossen Dr. Czech. Nur gemeine Gesinnung vermochte i h m den Verzug in der Entscheidung deS Parteivorstandes und in der Demissionsüber­reichung oder gar einKleben" an dem Amte anzulasten, daö ihm nur Arbeit und Aufregun­gen, Bitternisse und Enttäuschungen brachte. Der in derZeit am Montag" geschilderte Vorfall mit demSektionSchef Dr. K." ist von A bis ZauSden Fingerngesogen und macht selbst der orientalischesten Phantasie alle Ehre. ES hat sich überhaupt niemals ein der­artiger oder auch nur annähernd ähnlicher Vor­fall zugetragen. Nach der Darstellung des Blattes hat er sich angeblichknapp vor dem Rücktritt" Dr. Ezechs abgespielt. Dr. Czech hat aber mit demSektionschef Dr. K.", der in Wirklichkeit ein Oberrat ist, feitmehralSzweiMo« naten überhaupt nicht gesprochen, dagegen hat Genosse Dr. Czech die Demission am 23. März d. I. der Partei angeboten und am 0. April überreicht. Weder dem Genossen Dr. Czech. noch auch den politischen Vertretern der Partei wurde jemals während der in den letzten Wochen mit den Regierungsstellen abgeführten Verhandlun­gen irgendetwas von der in derZeit am Mon­tag" geschilderten RauberSgeschichte erzählt. Die in der Sprache der tppischen Boulevardblätter gemachten feigen Andeutungen über die Erstat ­tung einer Anzeige nachoben" cte. erledigen sich durch sich selbst und charakterisieren das Niveau des Blattes und die niedrige Gesinnung deS ArtikelschreiberS. Wenn die feinen Redakteure derZeit am Montag" es in Zweifel stellen, daß sich Genosse Dr. Czech während seiner ministeriellen Amts­wirksamkeit für die«deutsche Sache" exponiert habe und wenn ihnen seine achteinhalbjährige, aller Welt bekannte Arbeit und Leistung nicht genügt, dann mögen sie sich bei den Herren Pe- ters, Hodina, Rosche und» wenn sie wollen, auch bei Herrn Kundt erkundigen, die ihnen aus ihrer früheren Wirtsamkeit einiges Nützliche darüber erzählen werd'«. Wie seltsam: Deutschnationale entrüsten sich darüber, daß es deutsche Minister gibt, welcke die Akten nicht ungesehen unterschreiben, sondern zeitweilig auch andere Vorschläge ein­holen und Aenderungen in den Anträgen vor­nehmen! Jahrelang haben sie die deutschen Mi­nister in Interpellationen, Broschüren, Parla- mcntSreden etc. für jede Regung jedes entlegen­sten Amtes, für jede von den Behörden und be­sonders den Zentralstellen getroffene Entschei­dung verantwortlich gemacht und nun wün­schen sie plötzlich, daß man alles so hinnimmt, Wie eS kommt, und eS krumm und grad sein läßt. Sogar über den Papierverbrauch und die Telephonspesen regt sich dieZeit am Montag" aus Sparmeister für den Staat und Dr. Czechs ganze Arbeit wird abgetan mit der Bezeichnungbürokratischer Leerlauf". Mutz ! hier Dr. Czechs Leistung nochmals geschildert werden? Unsere Leser kennen sie, jeder an« 'r ä n d i g e Mensch muß sie anerkennen. Deutschnationale freilich, die sudetendeutscher Kinderelend brauchen, um damit im Ausland gegen den tschechoslc.vakischen Staat agitieren zu können, sind unfähig, auch nur anzuerkennen, was Dr. Czech leistet«, indem er zehntausende gesundheitlich gefährdete deutsche Kinder in Hilfsaktionen unterbrachte... Die Hakenkreuzler jubeln: an di'. Stelle eines deutschen Ministers tritt ein tschechischer. Also Sieg-Heil! Um die Zukunft des Triester Hafens London . Eine Verständigung zwischen der deutschen Wirtschaft und den italienischen Schiff« fahriügesellschaftcn über den Triester Hafen wird vom Triester Berichterstatter derTimes" für möglich gehalten. Dieser meldet, daß die Stim­mung in Triest optimistisch sei und man dort an­nehme, daß wie bisher auch weiterhin rund ein Drittel des österreichischen Handelsverkehres mit dem Auslande über Triest gehen wird. Nach deut­ scher Auffassung wäre es politisch unklug, für einen so geringe» wirtschaftlichen Gewinn, wie eS «ine monatliche Mehrverschiffung von rund 50.000 Tonnen für Hamburg und Bremen wäre, die italienischen Interessen in einem so empfind­lichen Punkte zu verletzen. Schließlich ließen auch Standort-Erwägungen die Aufrechterhaltung der sogenannten Adriatischen Tarifs als angezeigt er­scheinen, den nach dem Kriege auch Oesterreich , Jugoslawien und die Tschechoslowakei durch Ver­einbarungen übernommen haben und dessen sich auch Deutschland für seine Südprovinzen bediente. 62 Der ewige Schatten Roman von M« Heute", entgegnete Karl,wünschten Wir zu erfahren, was der Mann ist und was sein Volk. Wir haben cs erfahre». Wir danken, Wir dan­ken von ganzem Herzen. Aber vielleicht empfiehlt eS sich, morgen vorsichtiger zu reden, den Zögern­den die Wahrheit tropfenweise einzuträufeln." «ES ist nur e i n Tropfen Wahrheit, Hund oder Herr, Kaiserliche Majestät!" Und trotzdem gibt eS Methoden, Diplo­matie" .ES gibt nur Menschenpflicht gegen Gott !" Man kann sich bemühen, man kann die all­zu Aengstlichen vorsichtig ködern!" Nicht ködern, sich trennen, wenn es nötig ist! Ich kann nicht anders. Ich brauche den Herrn, der in die ewige und einzige Wahrheit zielt, der nicht schielt nach den winzigen Wahrheiten, die schon nach Stande und Minute verlöschen. Gott helfe mir, amen! Gut« Nacht, Kaiserliche Maje­stät I Morgen die Wahrheit oder nichts!" Dreimal drehte sich der Schlüssel im Schloß. Nicht der Kaiser gab den Mönch frei. Der Mönch erzwang sich den Weg. Nun wehte die Nacht ihm schon in den Rük- len. Es war der Frühlingsfrost. Und Luther wandte sich noch einmal um, um dem Kaiser zu­zurufen:Nutzlos, immer wieder von vorn zu beginnen, was schon beendet sein sollte seit Jahr und Tag! Gute Nacht, Majestät! Schlafen Sie gesund! Sollten Mausefallen im Garten sein, das Möncklein hat eine feine Witterung und kann auch springen!" ES lag jetzt Mondschein über dem Garten, der Bischofshof und JohanniterhauS verband. Luther schleppte seinen Schatten, eine ungeheure, schwarze Masse, die ihm nachzuckt«, die der Kai- ser, auf der Schwelle seines Hauses stehend, schwimmen und schwanken sah. Der Kaiser wollte dem Mann, der den Rie­senschatten warf, nachrennen, ihn noch einmal fassen. Aber zwischen ihm und dem Schatten ichritt Oberst Frnnsberg, der offenbar die gleiche Absicht hatte, feines Auftrages eingedenk, das Mönchlein zu beschützen mit seiner in Eisen ge­wickelten Hand, mit der Parade seines Feder« buschs über dem bärtigen Haupt, mit dem langen Degen, der über dem Schotter klirrte, mit seinen mächtigen Lederstiefeln, mit den rollenden Silber­sporen, mit seiner Zucht, mit seinen Augen, die, vom Pulverdampf entzündet, wohl oft tränten, aber tief sich einsaugten in alles, was ihrer Ob­hut überliefert war. Auch der Oberst warf seinen Schatten, doch der war bunt und zerfasert, der dehnte sich nicht aus wie ein dunkles Gebirge über die Fläche der Erde. Martin Luther nahm sich in acht, dem Zu­ruf und dem Gutenachtgruß deö Obersten etwas zu erwidern. Nur fort, zurück nur in die Ein­samkeit der Stube und ausschlafen bis zum Mor­gen, da das Turner mit den Römern und ihren fürstlichen Protektoren anheben würde! Daß der Kaiser ihm nachstarrte, verdutzt wie der Jäger, dem daS Wild vor dem Flintenlauf enthuscht ist, er ahnte eS. Er wollte sich nicht dar­über freuen. Stelle» wollte er sich nur, wenn die Glocke klingen würde. Mitternacht schlug von den Türmen von Worms , von Sankt Jichannis bis Sankt Sixtus, zwölf Pulsschläge der Zeit, die nicht rastete, die immer vorwärtSrückte. Und so fürchtete Luther nicht, die Zeit könnte ihm entfliehen. Er rechnete mit Hr. Zu End« ein Tag. MiNionen von Se­kunden, durch die sich die Mcnschenmübsal in die Ewigkeit gedrängt hatte. Nun wartet« schon in ider fahlen Finsternis und in der finsteren Fahl ­heit der neue Tag, um seine Bestimmung zu empfangen. Gutt wußte allein, wozu der Tag bestimmt war. Martin Luther wußte eS noch nicht. Er war auch nicht neugierig. Er vertraute auf Den, der schon Bescheid wußte. Er beschicd sich selber, indem er still zu seinem Nachtlager wei- terschritt. Noch lag ihm die Hitze der heißen Kam­mer in den Knochen. Die Rockärmel hochstreifen und den Frostwind durchtvehen lassen, über der Brust daS Hemd öffnen und einen strengen, ge­sunden Atem eiuziehen, den Atem Deutschlands , des evangelischen Deutscklands, das gebot Ihm zu­nächst der schlichte Trieb. Aber er tat eS nicht. Im Gegenteil, er hüllte sich fester in sein Kleid. Dieses Feuer auf der Haut, diese Besonnenheit der Sinne, bleiben sollte alle diese Atmosphäre. Sie sollte ihn garkochen, durchsieben bis in die geringste Ader. Gespannt sein und nicht Weichen! Morgen, morgen, vor dem Reichstag , vor dem Tag des Reichs, die Lösung der Frage: Deutschland ein Lasttier von Rom oder enttierter Herrscher des Evangeliums? Kaiser Karl aber trug, als er in das enge, überheizte Zimmer zurücktrat, ein leeres Gemüi mit sich in den Bischoföhof. Ihn fror trotz des ZobelkragenS am Rock, trotz der Pelzmanschetten, trotz deS Baretts aus dickem Sammet, das er aufsetzte. Unzählige Worte, die er hätte sagen, unzäh­lige Fragen, die er hätte stellen können, fielen ihm noch ein. Nun waren sie überflüssig gewor­den. Und um zu sich selber zu sprechen und aus sich selber die Antworten herauSzuschöpfen, dazu fühlte er weder Kraft noch Eingebung. Obgleich die Tür zum Garten noch offen­stand, fühlte er sich im Käfig. Obwohl er sich im Käfig fühlte, fröstelte er. Schleunigst drehte er den Schlüssel in der Tür. Da er nun wieder ganz allein war, da sich über ihm die unbekannten, unerforscklichen Rät­sel türmten, sehnte er sich nach einem Freund, der ihm hätte helfen können, aus seinen Verwirrun ­gen herauözukommen. Den letzten, den neuesten, auf den er gezählt hatte, ihn an sich zu binden. Ivar nicht gelungen. Warum gelingt mir nur daS Verschmach­ten, das Vereinsamen, daS Abgesperrtsein, das tvinterliche Kahlsein, warum sproßt nichts von mir, was anlockt? Was lassen, tvaS tun? Ron» verloren und abgeschüttelt und abgeschabt. Der Wittenberger verloren, nicht mehr wieder zu er­obern!" Da lagen noch die Briefe und Pergamente, die Martin Luther mitgebracht hatte. Leben Halle der Wittenberger aus den raschelnden Papicreil geschlagen, wie Wasser aus dem Stein. Leben für sich, Blüte für sich, Blutströme der Hoffnung und der Seligkeit für sich. Der Kaiser, der darauf die Hände legte, empfing nichts dergleichen. Nur die Kälte, die ihn anstarrte, nur der starre, frostige Widerstand, vielleicht gar der Haß, die Toten« gräberunerbittlichkeit, die so still lauerte, die Un­versöhnlichkeit, die jedem Muskel und Nerven verbot, sich zu rühren. Es hätte den Kaiser nicht verwundert, wären di« Mauern der engen Kammer ihm an den Kör­per gerückt, immer erdrückender, immer steiner­ner, mn ihn zu zerquetschen. Nur noch einmal schreien, schreien, ausschreien den Schmerz über alle Enttäuschung, durch die Mauern hindurch, über daS Dach weg, in die Unendlichkeit der Länder! Da zischten im Kamin die Buchenscheiter. Sie zischten gierig. Die Flammen, die zerstreut waren, hatten sich bereinigt, sie waren ein mäch­tiges Brodeln geworden, ein verschlungenes Schimmern, ein knisterndes Knirschen, das über de» Rand der Feuerstelle sprühte. ES war ein un­ersättliches Brennen, das neue Nahrung ver­langte, damit es nicht erstickte. Und der Kaiser, der plötzlich die Flamme fühlte, die ihn anglühte, die den Frost verjagte, der sich eben durch die offene Tür eingeschlichen hatte, rückte dem Herd­feuer näher. I(Fortsetzung folgt.),