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Sonntag, 1. Mai 1938

IMUwirWuift und ScmCpxjütife

Mrs. Roosevelt und ein Film MrS. Roosevelt, dieErste Lady der Staa- len", hat seht in de» Kampf um den FilmDie Geburt eines Kindes" einbegriffen. Es ist berich­tet worden, das; die sehr bekannte und äußerst moderne Zeitschrift»Life" verboten wurde, weil sie auf-Wei Seiten Bilder aus diesem unter der Aufsicht der»American Medical Association" ge­drehten streng wissenschaftlichen Film gebracht hatte. Mrö. Roosevelt hat sich nun den umstrit­tenen Film im Weihen Haus privat vorführen lassen, und sie äuherte sich geradezu begeistert dar­über. Vor allein aber erklärte sie, dah natürliche Dinge niemals einen schlechten Einfluh haben könnten, und sie hat mit diesem Sah auch die Be­hörden, dieLife" verboten, desavouiert. Tatsäch­lich ist auch der Herausgeber der Zeitschrift Roy E. Larsou soeben von einem Sondcrgericht in Bronx von der Anklage, verbotene Schriften ver­trieben zu haben, in sensationeller Weise freige« sprachen ivorden. Der Kampf hat mit der Erklä­rung von MrS. Roosevelt nun auch auf die Frauenverbände iibergegriffen, und die Borsihende des Katholischen FrauenverbandeS, der sehr ein­flußreich ist, hat in Boston erklärt, dah der Ver­band in der Bekämpfung dieser»unmoralischen" Bilder nicht nachlassen würde:«Wir haben", sagte MrS. Feehann,das Recht, von der Frau des Präsidenten einen besseren Geschmack zu er­warten. Ich halte es für äußerst inopportun, un« fair und gefährlich, daß die Frau des Präsiden­ten Erklärungen abgibt, die einen großen Teil der amerikanischen Bürger verlehen." Wie man sieht, handelt sich um einen ausgewachsenen Krach mit MrS. Roosevelt» aber man muh sagen, daß in diesem Falle die»Erste Lady" sicherlich Recht hat.

DaS Bonzenflugzeug. Der Gauleiter und Oberpräsident der Rheinprovinz , Terboven, ist Freitag abends bei der Landung mit seinen» Privatflugzeug(l) verunglückt. Cr wurde, ebenso wie zwei weitere Mitglieder der Besatzung verletzt, während der Führer deö Flug­zeuges getötet wurde. Krokodile fressen Bosen. Die»Imperial Air« ,vanS", die den Luftverkehr zwischen England und Südafrika besorgen» verwendeten für die Landung der Wasserflugzeuge weithin sichtbare, rote Gum­mibojen. Diese gingen jedoch in der letzten Zeit vielfach verloren, weil sie von Krokodilen durch­gebissen wurden, die sie vielleicht für Fische hiel­ten. Die Gesellschaft hat daher Stahlbojen mit einem Gummiüberzug eingeführt. Eine dieser Bosen wurde jedoch dieser Tage von Eingeborenen in Kampala versenkt, weil dieselben behaupteten, sie haben ihrem Stamme Unglück gebracht. Dir Indianer sterben nicht au-k Das Indian Bureau in Washington gibt bekannt, daß es zum Stichtag des 81. März nicht weniger als 887.8ÜÜ Indianer in Amerika gab. Da es um die Jahr­hundertwende nur 266.000 Rothäute gab, so be­deutet das eine rapide Zunahme der iiwianischen Bevölkerung der Vereinigten Staaten . Sie haben zwar noch lange nicht die Zahl erreicht, die sie vor Beginn der Kolonisierung gehabt haben, denn da­mals, als dieBleichgesichter" nach Far West zo­gen, gab cs 846.000, aber die Vorstellung, dah die Indianer zum Aussterben verurteilt sind, hat sich nunmehr eindeutig als falsch erwiesen. Selbstmord im Sarg«. Der Filialleiter eines Bestattungsinstitutes in Albert an der Somme fand sein Gewerbe offenbar so trist, dah er einer ständi­gen Depression lediglich durch reichlichen Konsum von Alkohol zu entgehen suchte. Sagen wir ei offen: Monsieur Fernand Soualle war einfach ein Säu­fer, und«S erregte natürlich bei den Leidtragenden die einen Sarg bestellen wollten, Anstoß, wenn sie «mein äußerst alkoholisierten und in diesem Zustand recht heiteren Verkäufer begegneten. Die Sache sprach sich herum, ein Direktor der Institute- kam nach Albert, um dem Filialleiter gehörig Bescheid zu sagen und um ihm seine Kündigung zu überreichen. Der weinsßlige Soualle wurde beim Anblick d«S Kündigungsbriefes mit einem Schlage nüchtern. Er

erklärte, daß sein Leben ruiniert sei, er habe sich die­sen schönen Sarg da schon lange ausgesucht, um sei­ner verpfuschten Existenz ein Ende zu machen. Die Herren der Direktorium- nahmen die Drohung natürlich nicht ernst, aber kaum hatten sie den Laden verlassen, als ein Schuh ertönte. Sie fanden Soualle in dem von ihm eben bezeichneten Sarge mit einer tödlichen Schußlvunde vor. Der internationale Fahrplan der Gütrrzügr. Richt nur Schnell« und Personenzüge haben einen Fahrplan, sondern auch Güterzüge. Eine Auswahl der vorteilhaftesten Zugsverbindungen für ganze Wagenladungen auf allen bedeutsameren Strecken von ganz Europa und England bildet den.Inter­nationalen Fahrplan der Güterzüge", der mehr als 800 Seiten umfaßt. In den Tabellen dieser Publi­kation kann jeder Interessent feststellen, wann und wohin diese oder jene Sendung anlangt. Der inter­nationale Fahrplan der Gvterzüge kann in jeder Bahnstation bestellt werden. Ein Unternehmen, da- täglich für ein« Mil« llon AL Kohle verbraucht. Die tschechosiowakischen Staatsbahnen sind nicht nur das größte DerkehrSun- tcrnchmen im Staate, sondern auch der größte Ver­braucher. So wurde im Jahre 1688 die Lieferung von rund 4,109.260 Tonnen Kohle leinschließlich Koks, Briketts u. ä.) im Wert« von 420,270.000 AL vergeben. Um diese gewaltige Menge zu verfrachten sind 242.000 Eisenbahnwaggon- nötig, das sind nicht weniger als 6000 Kohlenzüge zu 40 Waggons. Wenn man diese Züge hintereinanderreihen würde, so wäre dieser Zug ungefähr 2400 Kilometer lang (bei neun Meter Länge eine- Waggon»), das ent­spräche der Entfernung von Eger nach Jasina und zurück nach Eger. Die Menge der verbrauchten Kohle kann man sich einigermaßen vorstellen, wenn man bedenkt, daß täglich für ungefähr 1,161.000 Ai und stündlich für ungefähr 60.000 AL Kohle ver­braucht werden. Die Kohlenliefenmgen für die Tschechoflowakischen Staatsbahnen machen im Jahre 1088 ungefähr 10.8 Prozent der gesamten Kohlenförderung lim Jahre 1937 betrug die ge­samte Kohlenförderung über 88 Millionen Tonnen) aus und beschäftigen 8000 Bergarbeiter. Gegen daS Jahr 1937 ist die Lieferung um 8.7 Prozent gestie­gen und gegen daS Jahr 1985, in welchem der Auf­stieg begann, sogar um 12.2 Prozent. AuS den an­geführten Ziffern und Vergleichen ergibt sich die Bedeutung und der Umfang der Kohlenlieferung für die Tschechoflowakischen Staatsbahnen.

Lebensmittelversorgung im Dritten Reich (ADG) Wer durch Berlin geht, merkt nichts von dem LebenSmittelmangel, denn der Besucher sieht ja nicht hinter die Fassade. Der Mangel wird gemildert durch Qualität-Verschlechterung und dadurch, daß bei dem geringen Einkommen der breiten Arbeiterschichten die dauernd im Preise steigenden Waren nicht gekauft tverden können. Die Brotversorgung ist erneut verschlechtert, denn es gibt nur noch eine Sorte Mehl. Die Folge ist, daß es jetzt zum Einheitsbrot in ganz Deutsch­ land kommen muß. Butter gibt es nicht; natürlich nur da-, was man Butter nennt. Es ist ein Ge­misch irgendwelcher Fette mit Butterfarbe, von schlechtem Geschmack. Beim Zerschneiden der But­ter sieht auch der Laie die Mischung. Dieses Fett wird aber als Markenbutter verkauft. Allerdings wird auch der Preis für die ehemalige Marken­butter von RM 8.20 pro Kilo gefordert, obwohl die Butter solcher Art früher höchstens RM 2.20 gekostet hat. Die Butterration beträgt im allge­meinen 200 Gramm pro Kopf und Woche. Dar­über hinaus ist auf reelle Weise nichts zu haben. Folgendes Erlebnis sagt mehr als jede Schilderung. Namen usw. lassen wir zur Siche­rung der Beteiligten fort:Ein sehr unterernähr­ter Mann erhält von seinem Arzt eine zusätzliche Menge von wöchentlich 250 Gramm Butter ver­ordnet, denn er kann sie nicht einfach in einem Buitcrgcschäft kaufen. Mit diesem ärztlichen Attest mußte der Mann erst zum amtlichen BezirkSarzt, der die Notwendigkeit zu bestätigen hat. Dieser AiniSarzt empfiehlt anstelle von Butter den Ge­nuß von Milch, Quark oder Gänseschmalz, Dinge, die sich der Betreffende bei seiner Vermögenslage es handelt sich nicht um einen Arbeiter kaufen könnte. Nach langem Hin und Her bewil­ligt der Arzt endlich 200 Gramm Butter. Nun erst kann der Mann bei seinem Buttcrhändler diese lächerliche Menge beziehen, d. h. der Händ­ler muß nun seinerseits mehr anfordern bei sei­

nem Lieferanten. Und so geht cs die bürokratische Leiter hinauf." 200 Gramm Butter auf ärztliches Rezept I Eier sind knapp und bis jetzt gab e- nur KiihlhauSeier für 12.60 bis 13 Pfennig das Stück. Für frische Eier werden unter der Hand 18 Pfennig bezahlt. Das sind bereits Preise, die kein Arbeiter zahlen kann. Die Fleischvcrsorgung ist schlecht. Einmal fehlt daS Schweinefleisch, dann wieder Rindfleisch und so fort. Seit einiger Zeit ist zwar immer etwas zu haben, aber von einer Versorgung kann man nicht sprechen. Die Art der Fleischbe­wirtschaftung ist eine Rationierung auf vorerst noch nicht genau sichtbaren Wegen. Die Bevölke­rung soll sich daran gelvöhnen, nur das zu kau­fen und zu fordern, was zur Verfügung steht. Die Fleischermeister schlagen sich um daS Fleisch auf den Schlachthöfen. Aber was nutzt es. Die Menge ist eben zu klein. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als auf irgend welchen Wegen einen grö­ßeren Erlös auS dem Verkauf zu erzielen, damit sie leben können. DaS Publikum muß bezahlen.

Steigender Kohlenverbrauch der Staatsbahnen Die Kohlenlieferungen der Staatsbahnen machen Heuer etwa 10.8 Prozent der gesamten Kohlenförderung aus(diese betrug im abgelanfe- nen Jahre über 38 Millionen Tonnen) und be­schäftigen 8000 Bergarbeiter. Gegen das Vor­jahr ist die Kohlenbestellung Heuer um 8.7 Pro­zent, gegen 1036 sogar um 12.2 Prozent höher. Die für 1038 vergebenen Kohlenlieferungen von 4,100.260 Tonnen stellen einen Wert von AL 420,270.000. dar. Der tägliche Kohlender» brauch der StaaiSbahnen stellt somit derzeit einen Wert von nicht weniger als 1,161.000 AL dar. Englische Klagen Uber deutsches und ungarisches Dumping London . In der Sitzung der vereinigten Handelskammern in London wurde über Dum­ping heftige Klage geführt. Der Redner von Nor­ wich , wo sich die Schuhindustrie befindet, erllärte, aus Ungarn seien 1084 8370 Paar Schuhe, 1087 bereits 214.800 Paar eingeführt worden, wobei cs sich um LuxuSschuhe handle, deren Käufer ganz gut einen angemessenen Preis bezahlen könnten. Dem Redner aus Leeds zufolge habe ein Drittel der britischen Textilfinncn geschlossen, weil auf den Märkten, die England früher osfenstanden, heute hohe Zölle gezahlt werden müssen, die einem Ausschluß der britischen Waren gleichkommcn. Während auS Italien und Deutschland gewebte, Stoffe eingeführt würden, arbeiteten die hiesigen Fabriken nur an drei Tagen in der Woche. Der Redner auS Leicester erklärte, aus Deutschland seien mehr als eine halbe Million Dutzend Strick­handschuhe ohne Nutzen für den Erzeuger auS« geführt Ivorden. Das Parlamentsmitglied Gran­ville Gibbon forderte, die Regierung möge nach der Methode der Vereinigten Staaten von Nord­ amerika einen Ueberzoll in der Höhe der Export­subventionen einführen. In der angenommenen Resolution wird die Regierung aufgefordert, dem unlauteren Wettbe­werb ein Ende zu machen, der auf den von den ausländischen Regierungen gezahlten Exportsub­ventionen beruht. Produktionsrückgang In USA London . Die statistischen Ausweise der Ver­einigten Staaten von Amerika zeigen einen wei­teren Rückgang der industrielle» und Handels­tätigkeit für die laufende Woche a». Der Index dec Wirtschaftstätigkeit im gegenwärtigen Rezeß erreichte einen neuen Tiefenrckord von 77.1 Pro­zent. Die Geschäftsgewinne der Aktiengesellschaf­ten übertreffen auch pessimistische Vorhersagen.

Der französische Ministerbesuch In London Der französische Ministerpräsident und KriegSminister Daladier und der Außenminister Bonnet beim Verlassen des berühmten Hauses Downing Street 10 nach einer laiigen Verhandlung.

Maifeier im Walde Von A. Stein Man schrieb das Jahr 1906. Nach dem blu­tigen 22. Jänner in Petersburg , an dem die zum Zarcnpalais ziehenden Bittprozessionen von Poli­zei und Militär zusammcngeschosscn wurden, ging eine Welle des Zornes und der Empörung durch das ganze Land. Trotz Terror unb Belagerungs­zustand brachen bald hier, bald dort riesige Ar­beiterstreiks und Baucrnunruhen auS. Die Miß­erfolge im russisch -japanischen Krieg, der seinem Ende cntgegenging, förderten die Unzufriedenheit auch in solchen Kreisen, die noch vor kurzem zu den treuesten Stützen des zaristischen Regimes ge­hört hatten. Die Gärung griff sogar auf die Armee über, die bisher als unerschütterliches Boll­werk des Regimes angesehen wurde. In dieser von Sturm und Drang erfüllten Stimmung nahte der 1. Mai, der von allen illega­len sozialistischen Organisationen im alten Ruß­ land zur Mobilmachung der Kräfte der Arbeiter­schaft benutzt wurde. Ich war damals in der rus­sischen sozialdemokratischen Organisation in Riga tätig, die neben der lettischen Sozialdemokratie, um die sich ein Großteil der örtlichen Arbeiterschaft gruppiert«, di« russischen Arbeiter, Angestellten und Beamten zu erfassen versuchte. In den letz­ten Aprilwochen hatte die Polizei umfangreiche Sicherungimaßnahmen getroffen, um ein« Mai­feier zu verhindern. HunderteVerdächtige" wurden verhaftet. Polizei und Militär beherrsch ­

ten die Straßen. Unser Parteikomitee hatte be­schlossen, die traditionelle Maiversammlung in der Nacht zum 1. Mai weit außerhalb der Stadt im Walde abzuhalten. Unsere Posten standen an einigen Ausfallstraßen im Norden der Stadt uiw dirigierten die zur Maifeier eingeladenen Ver­trauensleute, die sich durch bestimmte Parolen ausweisen mußten, in einen Wald, der sich inmit­ten eines mit Sträuchern und jungen Bäumen be­deckten SumpfgeländeS befand. Nur ortskundige Führer vermochten die Versammlungsbesucher auf schmalen Pfaden durch den Sumpf zur Waldinsel zu geleiten, auf der die Maifeier abgehalten wer­den sollte. Es war etlva 10 Uhr, als die letzten Einge­ladenen anlangten. An die 200 Teilnehmer lagerten in einer Lichtung, die von einem dichten Wall von Bäumen umsäumt war. Kaum hatte der Referent, einer unserer besten Redner, die Versammlung eröffnet, als plötzlich auf der längs dem Sumpfgelände laufenden Chaussee Pferde­getrappel ertönte und eine Salve nach der anderen auf die Waldlnsel abgegeben wurde. ES war eine Kosakenabteilung, die, offenbar durch Spitzel auf unsere Spur gesetzt, den Auftrag erhalten hatte, die Versammlung ausfindig zu machen und die Teilnehmer gefangen zu nehmen. Da sie sich in der Dunkelheit nicht in das gefährliche Sumpf­gelände hineinwagte, versuchte sie durch Flinten­schüsse gegen den unsichtbaren Feind sich ihrer Aufgabe zu entledigen. Fast eine Stunde lang währte dieseBela­gerung". Wir lagen auf dem Boden hingestreckt,

während die Kugeln in den Wald hineinpfisfen. Dann hörten die Salven plötzlich auf und die Ko­saken sprengten davon. Doch kaum hatte der Redner wieder das Wort ergriffen, um die unter­brochene Versammlung fortzuschen, als ein wol­kenbruchartiger Regen herabprasselte, der uns zwang, die Lichtung zu verlassen und unter den Bäumen Schutz zu suchen. Es dauerte einige Stunden, ehe der Regen nachlicß. Wir hockten, bis auf die Haut durch­näßt, unter den Bäumen, verloren aber den Humor nicht. Scherzworte flogen hin und her, da und dort wurden Gruppengesänge angestimmt, in einigen besonders hitzigen Gruppen wurden lei» denschastliche Diskussionen geführt. Je heller eS wurde, desto mehr hob sich die Stimmung. Der Regen hatte ausgehört. Die durchnäßten, zer­zausten Gestalten der Teilnehmer krochen aus ihren Schlupfwinkeln hervor. Und als die Sonne aufging, konnten wir wenn auch mit mehr­stündiger Verspätung die Rede unseres Refe­renten anhören. Nachdem unsere Kundschafter festgestellt hat­ten, dah die Luft rein war, verließen wir auf ver­schiedenen Wegen den Wald und marschierten durch einen sonnigen Vorfrühlingsmorgen der Stadt zu, gestärkt durch das Bewußtsein, daß eS unS trotz der Ungunst der Verhältnisse gelungen war, unsere Maifeier abzuhalten. In der Stadt selbst stießen wir auf den Straßen auf eine bin- und herflutende Menge, die ungeachtet des Bela­gerungszustandes in spontan sich bildenden und

sich schnell wieder auslöscnden Umzügen für den Mai-Gedanken demonstrierte. Alle Mittel der Gewalthaber erwiesen sich ohnmächtig gegenüber der revolutionären Stimmung, die die Massen er­griffen hatte und die sich einige Monate später, im Oktober 1005, in dem riesigen Generalstreik, der das ganze Land erfaßte, entlud... Mehr als drei Jahrzehnte sind inzwischen verstrichen, Jahrzehnte, ausgefüllt mit Kriegen und Bürgerkriegen, mit Siegen und Niederlagen der sozialistischen Arbeiterbewegung. Die Welt hat ein anderes Gesicht angenommen als vor einem Menschenalter, neue Kräftegruppierungen sind entstanden, neue gewaltige Problem^ find aufgetaucht, die die in allen Ländern der Welt legal und illegal kämpfende Vorhut der Ar­beiterklasse zu lösen hat. Doch auö allen Sorgen und Kämpfen der Gegenwart, die hart und fest sein muß im Kampf gegen den Faschismus, geht unwillkürlich der Gedanke zurück zu den Anfän­gen der sozialistischen Arbeiterbewegung, wo eine kühne und gläubige Jugend den Kampf ausnahm für die Ideale des Sozialismus. Tie geschilderte Maiversammlung im Walde war eine kleine Epi­sode diese? Kampfes. Und wenn ich an sie zurück­denke, so erscheint sie mir symbolisch und beispiel­haft für eine Zeit, wo in einer ganzen Reihe von Ländern kleine, entschlossene Minderheiten, die an die Idee des Sozialismus glauben, ihre Kräfte sammeln im Kampfe gegen die sie ungebende Barbarei, von der tiefen Ueberzeugung erfüllt, daß letzten Endes die Gewalt der Idee siegen wird I über die Idee der Gewalt.